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Jugendliche verzichten – Erwachsene trinken

BERLIN (jz). Am 29. Mai zog die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), bei der Vorstellung des letzten Drogen- und Suchtberichts der aktuellen Legislaturperiode Bilanz. Die positive Botschaft des Berichts: Jugendliche konsumieren immer weniger Tabak, Alkohol und Cannabis. Insoweit sei die Drogen- und Suchtpolitik auf dem richtigen Weg, erklärte Dyckmans. Der Alkohol- und Tabakkonsum der Erwachsenen ist dagegen nach wie vor hoch. Hier sieht die Drogenbeauftragte weiterhin Handlungsbedarf. Die Opposition wirft der Regierung bei ihrer Drogen- und Suchtpolitik Konzeptlosigkeit vor.

Nach der aktuellsten Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist der regelmäßige Alkoholkonsum von 12- bis 17-Jährigen seit 2001 von 17,9 Prozent auf 14,2 Prozent im Jahr 2011 zurückgegangen. Noch besser sieht es beim Tabak aus: Innerhalb der zehn Jahre sank die Zahl der konsumierenden Jugendlichen deutlich von 27,5 Prozent auf 11,7 Prozent. Auch der Cannabiskonsum ist weiter rückläufig, von 9,2 Prozent auf 4,6 Prozent. Das zeige, dass man mit der aktuellen Drogen- und Suchtpolitik den richtigen Weg eingeschlagen habe, erklärte Dyckmans.

Weniger positiv sieht es dagegen bei den Erwachsenen aus: Dem Bericht zufolge konsumiert jeder Einwohner in Deutschland durchschnittlich 9,6 Liter reinen Alkohol pro Jahr – im internationalen Vergleich ein hoher Wert. Alkohol zählt damit weiterhin zu den gefährlichsten Gesundheitsrisiken in Deutschland. Gerade die 18-bis 29-Jährigen trinken riskant viel (Männer 44,6% und Frauen 32,4%). Auch der Tabakkonsum der Erwachsenen ist weiterhin hoch. Nach der neuesten Studie des Robert-Koch-Instituts rauchen 29,7 Prozent der 18- bis 79-Jährigen – 23,7 Prozent täglich und 6 Prozent gelegentlich. Männer rauchen dabei mit 32,6 Prozent etwas häufiger als Frauen mit 27 Prozent.

Studie zu Medikamentensucht

Was neue Daten zur Medikamentensucht betrifft, verweist der Bericht auf die jüngst veröffentlichte Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland. Abhängigkeits- bzw. Missbrauchspotenzial gebe es vor allem bei Arzneimitteln zur Behandlung des Nervensystems: 16,6 Prozent der Männer und 25,7 Prozent der Frauen im Alter von 18 bis 79 Jahren nähmen Präparate dieser Art – je älter desto häufiger. Insbesondere psychotrope Substanzen werden dem Bericht zufolge als suchtfördernd angesehen. Frauen zwischen 70 und 79 Jahren weisen dabei mit 11,5 Prozent eine mehr als doppelt so hohe Anwendungsprävalenz auf wie Männer mit 5 Prozent.

Um genauere Informationen zum Verschreibungsmuster von Substanzen mit Abhängigkeitspotenzial – insbesondere Benzodiazepine, Schmerzmittel und Amphetamine – zu erhalten, plant das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg derzeit eine Untersuchung. Dafür sollen auch die Verschreibungsdaten des Norddeutschen Apotheken-Rechenzentrums (NARZ) aus den Jahren 2005 bis 2011 für weitergehende Auswertungen genutzt werden. 2011 hatte das Zentrum bereits Untersuchungsergebnisse aus Hamburg veröffentlicht: Danach war der Anteil der über 70-Jährigen mit Benzodiazepinverordnung überproportional hoch.

Synthetische Drogen

Angesprochen auf den tags zuvor vorgestellten Bericht der EU-Drogenbeobachtungsstelle, demzufolge 2012 über das EU-Frühwarnsystem 73 neue psychotrope Substanzen gemeldet wurden – 30 von ihnen synthetische Cannabinoide – erklärte Dyckmans, dass nicht alle EU-weit gemeldeten Substanzen auch in Deutschland konsumiert werden. Hierzulande gebe es Probleme mit psychoaktiven Drogen wie Crystal Meth überwiegend in den Grenzgebieten zu Tschechien. Sie erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass das Kabinett erst kürzlich beschloss, 26 neue psychoaktive Substanzen ins Betäubungsmittelgesetz aufzunehmen. Zudem liefen noch immer Gespräche mit dem Bundesjustizministerium zur Möglichkeit, ganze Substanzklassen zu verbieten, um effektiver auf die immer wieder neu auftretenden neuen Substanzen reagieren zu können.

Arbeit unterstützt Therapie

Dyckmans setzt vor allem auf Sucht-Prävention. Gleichwohl betonte sie, in der Drogen- und Suchtbehandlung habe neben den präventiven Maßnahmen auch die Integration ins Arbeitsleben eine große Bedeutung. Denn Arbeitslosigkeit steigere nicht nur das Suchtrisiko, sie gefährde auch den langfristigen Therapieerfolg. "Sucht ist eine Krankheit, aber sie ist behandelbar", sagte Dyckmans – insoweit sollten die Deutsche Rentenversicherung und auch Suchthilfeeinrichtungen noch besser mit den Arbeitsvermittlern der Arbeitsagenturen zusammenarbeiten. Fachberater in den Jobcentern müssten noch stärker für die besondere Situation Suchtkranker sensibilisiert werden.

Kritik an Drogen- und Suchtpolitik

Harald Terpe, Sprecher für Drogenpolitik bei den Grünen, bezeichnete die schwarz-gelbe Drogen- und Suchtpolitik als "verschenkte vier Jahre". Gerade bei den neuen synthetischen Stoffen zeige sich die "Konzeptlosigkeit" von Bundesregierung und Drogenbeauftragten. Die jüngst beschlossene Unterstellung zahlreicher Substanzen unter das Betäubungsmittelgesetz verfolge lediglich das Ziel, die Konsumenten zu kriminalisieren – der Handel mit diesen Stoffen sei durch das Arzneimittelgesetz ohnehin verboten. Terpe zufolge weichen die Konsumenten wegen des hohen Repressionsdrucks auf derzeit legale, möglicherweise aber schädlichere Alternativen aus. Frank Tempel (Linke) erklärte Dyckmans zur "Stillstandsbeauftragten": Die Bundesregierung bewege sich beim Thema synthetische Substanzen nach wie vor im Teufelskreis zwischen Verboten und Neuerscheinungen – nur durch die Legalisierung von Cannabis könne aus diesem Kreislauf ausgebrochen werden.

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