Interpharm 2013

Nicht Absetzen, sondern die Therapie rational begleiten

Für fast alle Behandlungsindikationen lassen sich Arzneimittel finden, deren Einsatz in der Schwangerschaft vertretbar ist, betonte Priv.-Doz. Dr. Christof Schäfer vom Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie. Die Auswahl sollte jedoch sorgfältig anhand aktueller Literatur oder nach Konsultation eines Beratungszentrums erfolgen.
Priv.-Doz. Dr. Christof Schäfer: www.embryotox.de bietet kostenlose Infos für gesunde Schwangere und Fachkreise.

Gegen die große Unsicherheit bei Frauen sollte immer wieder deutlich darauf hingewiesen werden, dass etwa drei bis sechs von 100 Kindern bei der Geburt große oder kleinere Fehlbildungen aufweisen, die weitaus meisten dieser Fehlbildungen haben aber überhaupt nichts mit einer Medikamenteneinnahme der Mutter zu tun! Etwa 15% aller Schwangerschaften enden als Spontanabort. Auch dies gilt als sogenanntes Basisrisiko, das auch für Schwangere besteht, die keine Arzneimittel einnehmen. Nur ca. 2% der Fehlbildungen werden durch chemische und physikalische Ursachen, einschließlich Arzneimittel und Drogen, verursacht. Das Teratogen, das pro Jahr am häufigsten eingenommen wird und zuverlässig zu Fehlbildungen führt, ist kein Arzneimittel, sondern der Alkohol. Obwohl das Risikopotenzial von Alkohol gut bekannt ist, werden nach wie vor mehr Kinder durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft geschädigt als durch einen teratogene Wirkstoff. Es wird schätzt, dass noch immer in Deutschland jährlich etwa 600 Kinder mit fetalem Alkoholsyndrom (FAS) und 4000 mit "leichteren" fetalen Alkoholeffekten (FAE) geboren werden.

Rational an die Medikation herangehen

Erschreckend sei immer wieder, so Schäfer, dass auch qualifizierte Fachkräfte eine Medikation bei Frauen oft einfach absetzen, sowie sie von der Schwangerschaft erfahren oder Schwangere nicht richtig informieren und dadurch verunsichern. Die Folge der Fehleinschätzung des Arzneimittelrisikos kann sein, dass notwendige Verordnungen unterbleiben oder indizierte Arzneimittel nicht eingenommen werden. Im schlimmsten Fall wird nach vermeintlich suspekter Arzneimitteleinnahme eine erwünschte und intakte Schwangerschaft abgebrochen oder eine nicht gerechtfertigte invasive Diagnostik durchgeführt. Leider sind die Risikoklassifikationen und die kurz gefassten Informationen zur Schwangerschaft in der Roten Liste oder auf Packungsbeilagen und in Fachinformationen häufig nicht auf aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand und zu allgemein gehalten. Schäfer sieht die Gefahr, dass Arzneimittel mit erhöhtem Fehlbildungsrisiko verschrieben werden, weil die üblichen Angaben keine vergleichende Risikobewertung erlauben. Andererseits liegen für die meisten Arzneimittel keine für eine differenzierte Bewertung ausreichenden Daten vor. Tierexperimentelle Ergebnisse helfen nur wenig weiter, da zwar die beim Menschen bekannten teratogenen Substanzen auch in Tierversuchen zu Schädigungen führen, umgekehrt die nicht selten ermittelten Auffälligkeiten im Tierversuch aber nicht zwangsläufig teratogene Effekte beim Menschen erwarten lassen.

Risikoklassifizierung[Quelle: Rote Liste 2013]


In der Roten Liste benutzte Klassifizierung für Arzneimittel in der Schwangerschaft.

Gr 1: Bei umfangreicher Anwendung am Menschen hat sich kein Verdacht auf eine embryotoxische/teratogene Wirkung ergeben. Auch der Tierversuch erbrachte keine Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen.

Gr 2: Bei umfangreicher Anwendung am Menschen hat sich kein Verdacht auf eine embryotoxische/teratogene Wirkung ergeben.

Gr 3: Bei umfangreicher Anwendung am Menschen hat sich kein Verdacht auf eine embryotoxische/teratogene Wirkung ergeben. Der Tierversuch erbrachte jedoch Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen. Diese scheinen für den Menschen ohne Bedeutung zu sein.

Gr 4: Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen liegen nicht vor. Der Tierversuch erbrachte keine Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen.

Gr 5: Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen liegen nicht vor.

Gr 6: Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen liegen nicht vor. Der Tierversuch erbrachte Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen.

Gr 7: Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon).

Gr 8: Es besteht ein fetotoxisches Risiko beim Menschen (2. und 3. Trimenon).

Gr 9: Es besteht ein Risiko perinataler Komplikationen beim Menschen.

Gr 10: Es besteht das Risiko unerwünschter hormonspezifischer Wirkungen auf die Frucht beim Menschen.

Gr 11: Es besteht das Risiko mutagener/karzinogener Wirkung.

"Alte" und bewährte Arzneimittel einsetzen!

Junge Frauen und Schwangere sollte nach Möglichkeit nur mit Wirkstoffen behandelt werden, die schon seit vielen Jahren eingeführt sind, vorausgesetzt natürlich, dass keine embryotoxischen Bedenken vorliegen. Dabei sollte immer eine Monotherapie angestrebt werden und die Dosis so niedrig wie therapeutisch möglich gewählt werden. Schäfer wies darauf hin, dass neue Arzneimittel ein unwägbares Risiko bergen, und in vielen Fällen handelt es sich um "Pseudoinnovationen" ohne erwiesenen therapeutischen Vorteil.

Auch die Erkrankung selbst kann ein Risiko für die normale vorgeburtliche Entwicklung darstellen. So können schwere Belastungen wie Schmerzen oder psychische Konflikte den Schwangerschaftsverlauf gefährden. Das Unterlassen einer therapeutischen Intervention kann ein größeres Risiko für das Ungeborene darstellen als die Behandlung selbst! Als relativ unproblematisch schätzte Schäfer die Auswahl eines gut erprobten und für den Embryo verträglichen Mittels bei Allergien, Asthma, bakteriellen Infektionen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Diabetes, Gastritis, Hyperemesis, Hypertonie, Refluxösophagitis und Schmerzen sowie psychiatrischen Erkrankungen ein.

Asthma bronchiale muss auch bei Schwangeren ausreichend therapiert werden, um neben dem Wohlergehen der Mutter eine ausreichende Sauerstoffversorgung des Fetus zu gewährleisten. Schweres, unzureichend therapiertes Asthma ist mit einem höheren Risiko für Frühgeburten, intrauterine Wachstumsverzögerung und Präeklampsie assoziiert.

Unter den Schmerzmitteln ist das Paracetamol zwar in die Diskussion geraten, aber es gehört in jeder Phase der Schwangerschaft zu den Analgetika der Wahl und kann innerhalb des üblichen Dosisbereichs eingesetzt werden. Ibuprofen gehört in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft neben Paracetamol zu den Analgetika/Antiphlogistika der Wahl. Im letzten Trimenon (ab Woche 28) sind NSAR aber zu meiden! Wirken bei Migräne Ibuprofen oder Paracetamol unzureichend, kann Sumatriptan versucht werden, es kann zur Therapie des Migräne-Anfalls verordnet werden. Sumatriptan kann aber nicht die medikamentöse Migräneprophylaxe ersetzen.

In der Hypertoniebehandlung sind ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten in der Schwangerschaft, insbesondere jedoch im 2. und 3. Trimenon kontraindiziert. Über eine Hypotonie und Einschränkung der Nierenperfusion beim Fetus können diese Wirkstoffe zu einer dialysepflichtigen Anurie des Neugeborenen führen. Auch wurden Verknöcherungsstörungen der Schädelkalotte beobachtet. Als Mittel der Wahl bezeichnete Schäfer Methyldopa. Es ist eines der ältesten Antihypertensiva, das auch in der Schwangerschaft für Mutter und Ungeborenes gut verträglich ist.

Über die selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) wird seit ca. acht Jahren intensiv diskutiert, dabei ist kaum eine Wirkstoffgruppe so gut untersucht. Bei mehreren tausend ausgewerteten Schwangerschaften unter selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern ließen sich bisher keine teratogenen Effekte nachweisen. Sprechen Wirksamkeit und Verträglichkeit bei der Mutter für eine Therapie mit den SSRI, so sollte bei einer gut eingestellten Patientin die Medikation nicht geändert werden!

Allergische Erkrankungen in der Schwangerschaft können in den meisten Fällen mit topischen oder oralen Antihistaminika, Cromoglicinsäure und topischen Glucocorticoiden gut behandelt werden. In erster Linie sollten die Frauen jedoch die Exposition mit den bekannten Allergenen (Nahrungsmittel, Hausstaubmilben etc.) vermeiden. Bei einer therapiebedürftigen Allergie sollten als systemische Antihistaminika Loratadin oder Cetirizin bevorzugt werden.

Bei anderen Indikationen wie zum Beispiel Epilepsie, rheumatischen Erkrankungen (Immunsuppressiva und immunmodulatorische Substanzen), Koagulopathien (Cumarin-Antikoagulanzien) und Malignomen kann jedoch oft nicht auf teratogene oder unzureichend erprobte Medikamente in der Schwangerschaft verzichtet werden.



Zurück zum Inhaltsverzeichnis
"Interpharm 2013 – Eine Patienten-orientierte Interpharm"



DAZ 2013, Nr. 13, S. 32

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.