Arzneimittel und Therapie

Sichere Arzneimitteltherapie für ältere Patienten: Update der amerikanischen Beers-Liste

Die Beers-Liste ist eine Zusammenstellung von Wirkstoffen, die bei älteren Patienten nicht oder nur bedingt eingesetzt werden sollten. Sie wurde erstmals 1991 erstellt und liegt nun in ihrer dritten Aktualisierung vor, die in Kooperation mit der American Geriatrics Society (AGS) erstellt wurde. Diese Liste kann bei der Auswahl eines geeigneten Arzneimittels für ältere Patienten herangezogen werden, lässt sich aber nicht in allen Bereichen auf deutsche Verhältnisse übertragen.
Foto Barmer
Die sogenannte Beers-Liste wurde 1991von einer Arbeitsgruppe um Mark Beers von derUniversität Georgia erstellt. In ihr werden Medikamentegenannt, die speziell bei älteren Menschenverstärkt zu unerwünschten Arzneimittelwirkungenführen oder unwirksam sind oder fürdie es Alternativpräparate gibt, die wenigerUAW haben. Jetzt wurde eine Aktualisierung veröffentlicht.Neu hinzugekommen ist eine Übersichtüber Wirkstoffe, die bei älteren Patientenmit Vorsicht eingesetzt werden sollten.

Die meisten Medikamente erhalten derzeit die über 65-jährigen Patienten. Deren Multimorbidität führt im höheren Lebensalter häufig zu einer komplexen und mitunter fragwürdigen Verordnung vieler Arzneimittel, die bei alten Patienten zu vermehrten Nebenwirkungen führen können. Hinzu kommt, dass pathophysiologische Besonderheiten im fortgeschrittenen Alter oftmals nicht beachtet werden. Die unmittelbaren Folgen betreffen den Patienten, die mittelbaren das Gesundheitswesen. Daher wurden in verschiedenen Gesundheitssystemen Strategien entwickelt, um die Arzneimitteltherapie für ältere Patienten sicherer und effektiver zu gestalten. Eine Möglichkeit ist die Bewertung einzelner Wirkstoffe im Hinblick auf ihre Sicherheit bei geriatrischen Patienten. Diesen Weg haben verschiedene Länder eingeschlagen und Listen mit geeigneten bzw. ungeeigneten Wirkstoffen erstellt. Diese Listen sind aufgrund länderspezifischer Eigenheiten und unterschiedlicher Arzneimittelmärkte nicht identisch und können auch nicht direkt übertragen werden. Eine der bekanntesten Zusammenstellungen ist die Beers-Liste.

Die Beers-Liste

Die Beers-Liste ist eine Zusammenstellung von Wirkstoffen und Wirkstoffgruppen, die für die Arzneimitteltherapie älterer Patienten über 65 Jahre ungeeignet sind. Nunmehr liegt ihre jüngste Aktualisierung vor, die in Zusammenarbeit mit der American Geriatrics Society (AGS) erstellt und im März dieses Jahres publiziert wurde. Sie ist in den USA die am häufigsten herangezogene Quelle, um Informationen über eine sichere Arzneimittelverordnung für ältere Patienten zu erhalten. Sie spielt auch eine Rolle im Gesundheitswesen und wird von mehreren Organisationen als Maßstab für eine qualitätsorientierte Verordnung herangezogen. Sie besitzt keinen restriktiven oder verbindlichen Charakter, sondern soll als fundierte Informationsquelle herangezogen werden, um die Arzneimitteltherapie für ältere Patienten sicherer zu gestalten.


Die Beers-Liste


Im Internet finden Sie Informationen rund um die aktualisierte Beers-Liste über die Seiten der American Geriatrics Society www.americangeriatrics.org

sowie im Journal of the American Geriatrics Society:

http://www.americangeriatrics.org/files/documents/beers/2012BeersCriteria_JAGS.pdf



Die neue Version wurde nach einer modifizierten Delphi-Methode in interdisziplinärer Zusammenarbeit von elf Experten (für geriatrische Pharmakotherapie, Pflege, Forschung, Medizin) und externen Gutachtern erarbeitet. Die systematische Literaturrecherche führte unter anderem zu 446 systematischen Reviews oder Metaanalysen, 629 randomisierten kontrollierten Studien und knapp 1100 Beobachtungsstudien, die bei der aktuellen Bewertung berücksichtigt wurden.

Die neue Version schließt 53 Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen ein, die bei älteren Patienten (über 65 Jahren) nicht oder nur bedingt eingesetzt werden sollten. Nicht mehr verfügbare Wirkstoffe wurden aus der Liste entfernt und neue hinzugefügt. Die Beers-Liste verwendet die Bezeichnung PIM für potenziell inadäquate Medikation und unterteilt diese in drei Kategorien:

  • potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen nicht eingesetzt werden sollten

  • potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen mit bestimmten Erkrankungen oder Syndromen nicht eingesetzt werden sollten

  • Wirkstoffe, die bei älteren Patienten mit Vorsicht eingesetzt werden sollten.

Die letzte Kategorie ist im Vergleich zu den alten Versionen neu hinzugekommen.


Listen zur Bewertung von Arzneistoffen für ältere Patienten


  • Die Beers-Liste wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlern um den Geriater Mark Beers an der Universität Georgia (USA) erstellt und erstmals 1991 publiziert. Aktualisierungen erfolgten 1997 und 2003; ein erweitertes Update wurde 2012 in Zusammenarbeit mit der American Geriatrics Society (AGS) erstellt. Eine direkte Übertragung auf europäische oder deutsche Verhältnisse ist aufgrund eines unterschiedlichen Arzneimittelmarktes und eines länderspezifischen Verordnungsverhaltens nur bedingt möglich.

  • Die deutschsprachige Priscus-Liste (Priscus-Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen) wurde 2010 von einem Team um die Wuppertaler Pharmakologin Prof. Dr. Petra Thürmann veröffentlicht. Sie versucht, die Beers-Liste den nationalen Besonderheiten anzugleichen. Die Liste enthält 83 Wirkstoffe, die für die Pharmakotherapie älterer Patienten ungeeignet sind und zeigt mögliche Alternativen sowie Maßnahmen beim Einsatz potenziell ungeeigneter Medikamente auf.

  • Der neueste Ansatz ist die Klassifizierung von Medikamenten nach FORTA (Forta = fit for the aged), die von Prof. Dr. Martin Wehling, Mannheim, mit entwickelt wurde. In dieser Liste werden die Wirkstoffe in die Kategorien A (Wirkstoff soll gegeben werden), B (Wirkstoff in der Regel geben), C (Wirkstoff nur ausnahmsweise geben) und D (Wirkstoff soll nicht gegeben werden) unterteilt.

Neun Tabellen

Die neue Version enthält Ausführungen zu der Vorgehensweise bei der Aktualisierung der Beers-Liste sowie neun Listen oder Tabellen.

  • Tabelle 1 definiert die Evidenzqualitäten (hoch, moderat, gering) und die Empfehlungsgrade (stark, schwach, ungenügend).

  • Tabelle 2 (siehe Auszug in Tab. 1) führt 34 potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen auf, die bei älteren Erwachsenen nicht eingesetzt werden sollten. Sie enthält fünf Spalten (Organsystem oder Wirkstoffgruppe bzw. Wirkstoff, Rationale, Empfehlung, Grad der Evidenz, Empfehlungsgrad) und bildet den umfangreichsten Teil der Beers-Liste. Im Vergleich zur vorhergehenden Version wurden unter anderem Megestrol, Glibenclamid und sliding-scale Insulin neu aufgenommen.

Tab. 1: Auszug aus Tabelle 2 der Beers-Liste: Potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen nicht eingesetzt werden sollten

Organsystem oder           Gründe für ein Nichteinsetzen      empfehlung Wirkstoffgruppe
bzw. Wirkstoff
Grad der evidenz empfehlungs- grad
Gastrointestinaltrakt
Metoclopramid              kann extrapyramidale Nebenwir-    vermeiden (außer
kungen hervorrufen, einschließ-     bei Vorliegen einer lich Spätdyskinesie; das Risiko       Gastroparese) scheint bei gebrechlichen Pati-
enten anzusteigen
moderat stark
mineralische Öle            Gefahr der Aspiration und weite-      vermeiden (dickflüssiges Paraffin)    rer Nebenwirkungen; es stehen
sichere Alternativen zur Verfü- gung
moderat stark
Trimethobenzamid          gering wirksames Antiemeti-          vermeiden
kum, kann extrapyramidale Be- gleiterscheinungen hervorrufen
moderat stark
Antibiotika
Nitrofurantoin                potenziell lungentoxisch; es           keine langfristige
stehen sichere Alternativen zur      Suppressivtherapie; Verfügung; verminderte Wirk-        nicht bei Patienten samkeit bei Patienten mit einer      mit einer Kreatinin- Kreatininclearance < 60 ml/min     clearance < 60 ml/min
moderat stark
kardiovaskuläres System
kurzwirksames               erhöhtes Hypotonierisiko;             vermeiden Nifedipin                      Gefahr einer myokardialen Isch-
ämie
hoch stark
Tab. 2: Auszug aus Tabelle 3 der Beers-Liste: Potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen mit bestimmten Erkrankungen oder Syndromen nicht eingesetzt werden sollten
erkrankung oder Syndrom Wirkstoff Gründe für ein Nichteinsetzten empfehlung Grad der evidenz empfehlungs- grad
kardiovaskuläre erkrankungen
Synkope Acetylcholinesterase-Inhi-       erhöhtes Risiko vermeiden Alpha-Blocker: hoch Acetylcholinestera-
  bitoren einer orthostati-   Trizyklika, Acetylcho- se-Inhibitoren und
  periphere Alpha-Blocker schen Hypotonie   linesterase-Inhibito- Trizyklika: stark,
  .  Doxazosin oder Bradykardie   ren und Antipsychoti-      Alpha-Blocker und
  .  Prazosin   ka: moderat Antipsychotika:
  .  Terazosin   schwach
  tertiäre trizyklische Anti-    
  depressiva    
  Chlorpromazin, Thiorid-    
  azin, Olanzapin    
Herzinsuffizienz NSAIDs und COX-2-Inhibi-      Risiko einer Flüssig- vermeiden NSAIDs: moderat
  toren keitsretention und   Glitazone: hoch
  Pioglitazon, Rosiglitazon Verschlechterung   Cilostazol: gering
  Cilostazol der Herzinsuffizienz   Dronedaron: moderat
  Dronedaron    
systolische Calciumkanal-Blocker vom   Calciumkanal- stark
Herzinsuffizienz Non-Dihydropyridintyp   Blocker: moderat
  .  Verapamil    
  .  Diltiazem    
  • Tabelle 3 (siehe Auszug in Tab. 2) enthält potenziell ungeeignete Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen, die bei älteren Erwachsenen mit bestimmten Erkrankungen oder Syndromen nicht eingesetzt werden sollten. Aufgelistet sind 14 Krankheitsbilder, bei denen bestimmte Wirkstoffe nicht eingesetzt werden sollten. Die Tabelle enthält sechs Spalten (Erkrankung oder Syndrom, Wirkstoff, Rationale, Empfehlung, Grad der Evidenz, Empfehlungsgrad). Neu hinzugekommen sind Glitazone, die nicht bei einer bestehenden Herzinsuffizienz eingesetzt werden sollten, Acetylcholinesterase-Inhibitoren, die beim Vorliegen einer Synkope kontraindiziert sind sowie selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, die nicht bei vorhergegangenen Stürzen oder Frakturen eingesetzt werden sollten.

  • Tabelle 4 listet Wirkstoffe auf, die bei älteren Patienten mit Vorsicht angewandt werden sollten. Sie umfasst 14 Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen, die Medikamenten-bezogene Probleme verursachen können oder deren Wirksamkeit nicht hinreichend belegt ist. Dennoch können sie in Einzelfällen ein Mittel der Wahl sein. Ihr Einsatz erfordert eine sorgfältige Überwachung des Patienten. Diese Liste führt unter anderem die neuen Antithrombotika Prasugrel und Dabigatran auf.

  • Tabelle 5 gibt einen Überblick, welche Wirkstoffe in der neuen Version der Beers-Liste eine andere Beurteilung wie in den Vorgängerversionen erfahren haben.

  • Tabelle 6 führt Wirkstoffe auf, die in der neuen Version nicht mehr enthalten sind.
  • Tabelle 7 listet neu hinzugekommene Wirkstoffe auf.
  • Tabelle 8 gibt einen Überblick zu den Antipsychotika der ersten und zweiten Generation.
  • In Tabelle 9 werden Wirkstoffe mit ausgeprägten anticholinergen Eigenschaften aufgeführt, die bei älteren Patienten nicht eingesetzt werden sollten.


Quelle

The American geriatrics society 2012 Beers criteria update expert panel: American geriatrics society updated Beers criteria for potentially inappropriate medication use in older adults. J Am Geriatr Soc. 60, 616 – 631 (2012).

Resnick B., et al.: 2012 Beers criteria. J Am Geriatr Soc. online DOI:10.1111/j.1532-5415.2012.03921.x

Fick D., et al.: 2012 American geriatrics society Beers criteria: new year, new criteria, new perspective. J Am Geriatr Soc. online 10.1111/j.1532-5415.2012.03922.x

Schwalbe O., et al.: Die Beers-Liste. Ein Instrument zur Optimierung der Arzneimitteltherapie geriatrischer Patienten. MMP 30, 244 – 248 (2007).

Holt S., et al.: Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste. Dtsch Ärztebl Int 107, 543 – 551 (2010).

Frohnhofen H., et al.: Bewertung von Medikamenten in der Geriatrie mit der neuen FORTA-Klassifikation. Dtsch med Wochenschr 136, 1417 – 1421 (2011).

www.americangeriatrics.org (Zugriff am 5. Mai 2012); unter dem Punkt "Evidence – Criteria & Evidence Tabels" ist innerhalb der Tabellen auch ein Zugriff auf die Referenzliteratur möglich.

www.priscus.net (Zugriff am 5. Mai 2012).


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2012, Nr. 19, S. 30

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