Feuilleton

Vom Kräuterauszug zum Magenbitter

Um "Apothekerschnaps" und ethanolhaltige Arzneimittel geht es in der "Arzney-Küche" in Bönnigheim bei Heilbronn. Das kleine Museum ist in einem ehemaligen Apothekenlaboratorium des 19. Jahrhunderts eingerichtet und stellt historische Destillieranlagen sowie Geräte zur Verarbeitung von Heilkräutern aus.
Fotos: Wylegalla
Von 1831 bis 1848 diente das jetzige ­Museum Arzney-Küche als Apotheken­laboratorium.

1848 verlegte Karl Ludwig Rommel (1817 – 1884) die bereits 1716 gegründete Apotheke in Bönnigheim an den Marktplatz, wo sie heute als Stadt-Apotheke firmiert. Das ehemalige Apothekengebäude in der Kirchstraße 22 wurde darauf als Wohnhaus und Bäckerei genutzt; seit 1998 lädt hier das Restaurant "Alte Apotheke" zu gepflegter Gastlichkeit ein. Wer im Biergarten hinter dem Haus Spezialitäten aus der schwäbischen Küche genießt, entdeckt an der Fassade eines Nebengebäudes eine Art Wirtshausschild mit einem goldenen Mörser. Dort befindet sich seit 2002 das Museum "Arzney-Küche".

Separates Laboratorium

Rommels Vorgänger Georg Adam Michael Völter (1794 – 1847) hatte das Häuschen mit Standsteinmauern und Kreuzgewölbe im Erdgeschoss und Fachwerk-Obergeschoss im Jahr 1831 bauen lassen, um das Laboratorium wegen der Brandgefahr aus seinem Haus auszulagern. Aus Metzingen stammend, war er 1819 als Apothekergehilfe nach Bönnigheim gekommen, hatte dort die Tochter des ortsansässigen Apothekers Christian Friedrich Hebsacker (1753 – 1824) geheiratet und dessen Offizin übernommen. Nebenher machte Völter sich um die Naturwissenschaften verdient. Seine petrografische Sammlung gelangte nach seinem Tod in das Stuttgarter Mineralienkabinett. Wie aus Briefen des Apothekerlehrlings Wilhelm Vogel (1816 – 1873) hervorgeht, war Völter auch technisch stets auf dem aktuellen Stand. So experimentierte er mit einer neuen "Lampe", die vermutlich ähnlich wie ein Bunsenbrenner funktioniert hat.

Obwohl das Laboratorium seinen Zweck erfüllt haben dürfte, wollte Völter es später wieder in sein Haus zurückverlegen, wie ein Baugesuch an die Stadtverwaltung vom 19. August 1843 belegt. Er begründete seine Absicht damit, dass ihm der Gang über den Hof bei Nacht und bei schlechtem Wetter zu strapaziös sei. Doch das Projekt wurde nicht verwirklicht, denn wenige Monate später starben Völters Ehefrau und seine älteste Tochter, worauf Völter die Apotheke an Rommel verpachtete.


Vom baufälligen Schuppen zum Museum

Nach dem Umzug der Apotheke (1848) blieb das Laborgebäude 140 Jahre lang sich selbst überlassen. Als Kurt Sartorius und weitere Mitglieder der Historischen Gesellschaft Bönnigheim 1987 den baufälligen "Schuppen" begutachteten, beschlossen sie, hier eine kleine Ausstellung zum Thema "Alkohol in der Medizin" zu konzipieren – ergänzend zum damals geplanten Schwäbischen Schnapsmuseum im 700 Jahre alten Bönnigheimer Steinhaus.

Das Schnapsmuseum wurde 1993 eröffnet; die "Arzney-Küche" folgte neun Jahre später nach notwendigen Restaurierungen und Umbauten. Vereinsmitglieder trugen historische Objekte aus Apotheken in der Umgebung zusammen, und das Deutsche Apotheken-Museum in Heidelberg überließ einige Leihgaben. So entstand ein kleines Museum, das in dieser Art wohl einzigartig in Deutschland ist.


Hochprozentiger Alkohol – eine Erfindung der Araber

Im Eingangsbereich der "Arzney-Küche" stimmt ein gusseiserner Ofen mit luftgekühltem Destillationsgerät die Besucher auf das Thema des Museums ein, nämlich den engen Zusammenhang zwischen Alkohol und Pharmazie. "Al-kohl" oder "al-kuhl" bezeichnet im Arabischen eine traditionelle schwarze Augenschminke, die schon den alten Ägypter bekannt war; als schwarze Pigmente enthält sie Bleiglanz (PbS), Ruß oder Magnetit (Fe3O4), aber entgegen der landläufigen Meinung nur selten Grauspießglanz (Sb2S3).

Destillationsgerät aus der Stadt-Apotheke Bönnigheim, um 1920.

Mit der Entwicklung der Chemie und insbesondere der Destillationstechnik bezeichneten die Araber mit "al-kohl" auch verschiedene durch Sublimation oder Destillation gewonnene Produkte, so auch den Weingeist. Bei Paracelsus (1493 – 1541) finden wir dann den Terminus "Alcohol vini" für "Weingeist" im heutigen Sinn.

Der Spanier Arnald von Villanova (1235 – 1311), der an der medizinischen Fakultät von Montpellier lehrte, verwendete als erster Europäer den Weingeist ("eau de vin") systematisch zur Herstellung alkoholischer Extrakte aus Heilkräutern. Als er feststellte, dass Einreibungen mit Weingeist belebend wirken, nannte er ihn "eau de vie" oder "aqua vitae" ("Lebenswasser"). Dieser Begriff hat sich bis heute in vielen Sprachen erhalten: In Skandinavien trinkt man "Aquavit" auf die Gesundheit. Das schottisch-irische Äquivalent heißt "Whisk(e)y", und das russische "Wodka" bedeutet "Wässerchen". In Deutschland spricht man von gebrannten Wässern.



Der "Rundfüller" ermöglichte das rationelle Abfüllen größerer Likörmengen.

Kräuterlikör aus der Apotheke

Da viele alkoholische Kräuterauszüge bitter schmecken, setzte man ihnen Honig zu und kreierte bereits im 14. Jahrhundert den Likör (frz. liqueur). Erst mit Beginn der industriellen Zuckerproduktion im 19. Jahrhundert wurden solche wohlschmeckenden "Arzneien" auch für breite Bevölkerungskreise erschwinglich. Für manchen Apotheker wurde nun die Herstellung von Magenbittern und anderen ärztlich empfohlenen Spirituosen ein lukratives Geschäft. Einige wie zum Beispiel Daniel Thraen in Neudietendorf bei Erfurt ("Aromatique") gaben sogar ihre Offizin auf, um sich hauptberuflich der Produktion von Spirituosen zu widmen.

Destillationsgeräte von gestern

Die Phase des allmählichen Übergangs von der handwerklichen zur industriellen Produktion wird im Vorraum des Museums durch einen Rundfüller dargestellt, der in den Apotheken das rationelle Abfüllen auch größerer Flüssigkeitsmengen in Flaschen ermöglichte. Im Raum mit dem Kreuzgewölbe, dem ehemaligen Laboratorium, steht ein Schubladenschrank aus der Darmstädter Merckschen Engel-Apotheke mit Destillationsgeräten, wie sie bis zu Beginn des Industriezeitalters in jeder Offizin gestanden haben.

Aussenleuchte einer Apotheke aus der Zeit des Dritten Reichs. Damals war das ­Apotheken-A mit der Lebensrune versehen.

An der rechten Wand vermittelt eine aus Modulen konstruierte Destillationsanlage der Bielefelder Firma Wilhelm Bitter einen Eindruck vom technischen Standard um 1900. Die Anlage war in der Stadtapotheke in Wangen/Allgäu bis 1980 in Betrieb. Der Dampfkessel wurde ursprünglich mit Kohle beheizt und später für den elektrischen Betrieb umgerüstet. Im Kühler konnte durch Unterdruck mittels Wasserstrahlpumpe schonend bei niedrigen Temperaturen destilliert werden. Salben wurden im halbkugelförmigen Wasserbad angerührt, danach über den Heißwassertrichter filtriert und schließlich abgefüllt.

In der ehemaligen Kräuterkammer im Obergeschoss wird dargestellt, wie die Arzneipflanzen gelagert und für die Rezeptur aufbereitet wurden. In einer Vitrine sind Geräte und Dokumente aus dem Besitz früherer Bönnigheimer Apotheker zu sehen, darunter eine Ausgabe von Mattiolis "Neuem Kräuterbuch" (1586), ein Rezeptkopierbuch von 1928 und Arzneibüchsen. Der hintere Teil ist der Likörherstellung gewidmet. Blickfang ist hier eine überdimensionierte Likörflasche der Ansbacher Firma Langkammerer. Sie wurde vermutlich nie mit dem "von ärztlichen Autoritäten als der Gesundheit zuträglich bestens empfohlenen" Likör gefüllt, sondern diente lediglich auf Messeständen zur Dekoration.


Reinhard Wylegalla

Museum


Museum Arzney-Küche
Kirchstr. 22, 74357 Bönnigheim

www.boennigheim.de/website/de/tourismus_und_wein/museen/museum_arzneykueche

Besichtigung nach Anmeldung bei Kurt Sartorius, Keplerstr. 3, 74357 Bönnigheim
Tel. (0 71 43) 22 56



DAZ 2011, Nr. 29, S. 72

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