Neurobiologie

Ein Rezept für friedliches Zusammenleben

Der falsche und der richtige Umgang mit der Aggression

Von Joachim Bauer

Über lange Zeit friedlich zusammenzuleben und sich nicht an Kriegen zu beteiligen muss einem Land nicht zum Nachteil gereichen, wie das Beispiel unserer Schweizer Nachbarn zeigt. Im Gegenteil: Eine gedeihliche zivilisatorische, technische und kulturelle Entwicklung braucht den Frieden nach innen und außen. Friedensstörungen sind die Folge von Aggressionen. Deshalb muss die Frage nach den Ursachen und dem "Sinn" von Aggression und Gewalt den Menschen immer wieder neu beschäftigen. Die Wissenschaft kann diese Frage bereits großenteils beantworten.

Was die Neurobiologie über das Wesen des Menschen aussagt

Der modernen Neurobiologie verdanken wir eine Reihe wichtiger Einsichten in das Wesen Mensch. Untersuchungen, die sich mit dem Motivationssystem beschäftigten, zeigen, dass die Grundmotivationen des Menschen – sozusagen "triebhaft" – auf soziale Akzeptanz, d. h. auf halbwegs gute zwischenmenschliche Beziehungen ausgerichtet sind (was nicht heißt, dass der Mensch "gut" sei!) [1]. Die Entdeckung des Systems der Spiegelneuronen ließ erstmals verstehen, warum und wie unser Gehirn in der Lage ist, sich einzufühlen und andere intuitiv zu verstehen [2]. Doch ganz offensichtlich besitzt der Mensch nicht nur die Fähigkeit zu Einfühlung und Kooperation. Aufgrund seines ungeheuren aggressiven Potenzials ist der Mensch sozusagen "zu allem fähig". Kann uns die moderne Neurobiologie auch hier eine Auskunft geben? – Ja, sie kann. Mein Buch "Schmerzgrenze" fasst zusammen, was wir über die Gesetze der Gewalt derzeit wissen [3].

Die Hirnforschung hat uns in den letzten Jahren nicht nur die neurobiologischen Grundlagen dessen verstehen lassen, was früher als "Trieb" (engl. "instinct") bezeichnet wurde. Auch die neuronalen Strukturen, die aggressives Verhalten erzeugen können, sind inzwischen aufgeklärt. Doch zunächst einige Worte zum "Trieb"-Geschehen aus neurobiologischer Sicht: Wie bereits Charles Darwin erkannte, folgen die Grundmotivationen von Lebewesen – auch die des Menschen – dem Lustprinzip. Dies bedeutet konkret, dass Lebewesen tendenziell so handeln, dass sich, soweit als möglich, "gute Gefühle" einstellen. "Gute Gefühle" sind jedoch kein metaphysisches Geschehen, sondern stellen sich beim Menschen – einzig und allein! – dann ein, wenn das Motivations- bzw. Belohnungssystem des Gehirns seine "Glücksbotenstoffe" (Dopamin, Opioide und Oxytocin) ausschüttet.

Aggression und Gewalt: Aus Sicht des Motivationssystems nicht "lohnend"

Eine durchaus überraschende Erkenntnis ergab sich aus der Beobachtung, dass das Motivations- bzw. Belohnungssystem des Menschen seine Glücksbotenstoffe nicht nur dann ausschüttet, wenn wir Nahrung angeboten bekommen, sondern vor allem auch dann, wenn wir zwischenmenschliche Beachtung und Anerkennung – oder gar Sympathie und Liebe – erhalten. Auch Sport und Musik aktivieren das Glückssystem.

Definitiv nicht lohnend "aus Sicht des Motivationssystems" ist es jedoch, einen anderen Menschen – ohne vorher provoziert worden zu sein – anzugreifen, ihm Schaden zuzufügen oder ihn gar zu töten. Damit war der von Sigmund Freud 1920 postulierte "Aggressionstrieb", dem später auch Konrad Lorenz huldigte, erledigt. Bei Charles Darwin sucht man einen "Aggressionstrieb" übrigens vergebens, er beschrieb die Aggression als ein reaktives Geschehen. Die moderne Neurobiologie hat Darwin hier Recht gegeben.

"Aggression auf hohem Niveau": Zur Zunahme von Gewalttaten in Deutschland

Der Aggressionstrieb ist tot, doch die Aggression lebt: Die Zahl der in Deutschland zur Anzeige gebrachten Körperverletzungen zeigt zwischen Anfang der 90er Jahre und dem Ende des letzten Jahrzehnts (bis zum Jahre 2007) einen Anstieg um exakt 100%.

Für das Jahr 2010 meldet die Polizeiliche Kriminalstatistik mehr als 516.000 angezeigte Körperverletzungen (davon 373.000 vorsätzliche leichte sowie 143.000 gefährliche und schwere Körperverletzungen). Jugendliche und Heranwachsende sind bei den angezeigten mutmaßlichen Tätern mit einem Anteil von 21% überproportional vertreten.

Schönfärberei hilft, wenn es um das Ausmaß an Gewalt in Deutschland geht, nicht weiter. Dass die Verdoppelung gemeldeter Gewalttaten innerhalb von 15 Jahren, wie kürzlich behauptet wurde [4], alleine auf ein verstärktes Anzeigenverhalten zurückzuführen sei, ist eine abwegige Annahme. Warum sollten Gewalttaten in den 90er Jahren um die Hälfte weniger zur Anzeige gekommen sein als heute? Dass es nach 2007 zu einem minimalen Rückgang bestimmter Untergruppen von Gewalttaten kam, lässt einige Zeitgenossen bereits von einem allgemeinen Rückgang der Gewalt in Deutschland fantasieren [4]. Derartige Einschätzungen zeugen, zumal angesichts einer Zunahme von sexueller Gewalt (Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen) um 5,6% von 2009 auf 2010, von Realitätsverkennung.

Angesichts der nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern zu beobachtenden "Aggression auf hohem Niveau" fällt es schwer, nicht an einen "Aggressionstrieb", d. h. eine tief im Menschen angelegte Lust am Bösen, zu glauben. Doch ebenso wie wir uns nicht damit zufrieden geben würden, die Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln einem mystischen Geschehen zuzuschreiben, so sollten wir auch im Falle der Aggression darauf bestehen, die Regeln und Gesetzmäßigkeiten aufzuklären, nach denen sie einerseits entsteht – und nach denen sie sich andrerseits eventuell begrenzen lässt.

Wer die "Schmerzgrenze" tangiert, wird Aggression ernten

Eine der frühesten Erkenntnisse der wissenschaftlichen Aggressionsforschung war die Beobachtung, dass die willkürliche Zufügung körperlicher Schmerzen bei allen Säugetieren inklusive Mensch zu den sichersten Auslösern der Aggression zählt.

Daher ist die Annahme naheliegend, dass der evolutionäre Zweck der Aggression darin zu suchen ist, Schmerz und andere Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit abzuwehren. Damit wird klar, dass Aggression per se nichts "Böses" ist, sondern zunächst eine wichtige, gesund erhaltende Funktion erfüllt. Wer aggressiv gehemmt ist und sich nicht wehren kann, lebt nicht nur gefährlich, sondern hat auch ein erhöhtes physisches und psychisches Erkrankungsrisiko.

Offensichtlich ist, dass Aggression, so wie sie uns im Alltag begegnet, ganz überwiegend nicht durch die Zufügung körperlicher Schmerzen erklärt werden kann. Einen wichtigen Durchbruch zum Verständnis zwischenmenschlicher Aggression brachte eine durch die amerikanische Forscherin Naomi Eisenberger erst vor wenigen Jahren gemachte Entdeckung: Die Schmerzneuronen des menschlichen Gehirns reagieren nicht nur auf zugefügten körperlichen Schmerz, sondern auch auf soziale Ausgrenzung und Demütigung. "Aus Sicht des Gehirns" sind körperliche Schmerzen und soziale Ausgrenzung offenbar gleichrangige Bedrohungen – ein evolutionär einleuchtender Mechanismus. Dies lässt nun verstehen, warum der Mensch nicht nur auf willkürlich zugefügten körperlichen Schmerz mit Aggression reagiert, sondern auch auf Ausgrenzung und Demütigung.

Kinder und Jugendliche, die in ihrem Herkunftsmilieu keine zuverlässigen, sich kümmernden Bezugspersonen haben, leben im Zustand der permanenten sozialen Ausgrenzung. Tatsächlich zeigen aus der Sozialforschung und der Psychologie kommende Studien, dass Kinder und Jugendliche ohne "Bindungen" (so der diesbezügliche Fachbegriff) ein massiv erhöhtes Risiko haben, später gewalttätiges Verhalten zu entwickeln. Nicht nur für Kinder, auch für Erwachsene gilt: Wer in der Familie, in der Schule oder am Arbeitsplatz keine Anerkennung und Wertschätzung erlebt, wer stattdessen sozial ausgegrenzt, gehänselt, gemobbt oder gedemütigt wird, wird eher als andere dazu neigen, ein Wut- und Hasspotenzial aufzubauen. Dieses kann sich entweder gegen die eigene Person (z. B. im Sinne einer Depression) oder als Gewalt nach außen richten.

Schmerzgedächtnis und Verschiebung von Aggressionen

Das menschliche Gehirn besitzt nicht nur ein Fakten-Gedächtnis. Es ist ein Speicherorgan, welches die Aufgabe hat und in der Lage ist, sämtliche relevanten Erfahrungen zu erinnern. So wissen wir inzwischen, dass das sogenannte Schmerzgedächtnis eine wichtige Rolle bei der Erzeugung der chronischen Schmerzkrankheit spielt (d. h. frühere reale Schmerzerfahrungen begünstigen eine spätere psychosomatische Schmerzkrankheit oder Fibromyalgie). Ganz ähnlich ist die Situation im Falle der Aggression: Das menschliche Gehirn besitzt ein Aggressionsgedächtnis.

Wenn der Aggressionsapparat des Gehirns durch geeignete Trigger aktiviert wird, wenn die Aggression aber nicht unmittelbar nach außen abgeführt werden kann (z. B. weil eine Abfuhr wegen der äußeren Machtverhältnisse unmöglich ist oder schädlich wäre), dann beginnt sich ein neurobiologischer "Wutspeicher" zu füllen. Dieser Speicher hat die Tendenz, sich zu einem anderen Zeitpunkt und/oder gegenüber einem anderen (z. B. gegenüber einem schwächeren) Adressaten zu entleeren. Solche Verschiebungen der Aggression sind überaus häufig, denn das zivilisatorische Leben und die in ihm herrschenden Hierarchien und Machtverhältnisse machen es oft schwierig oder unmöglich, Ärger oder Wut zum Ausdruck zu bringen, auch dann wenn dies durchaus berechtigt wäre. Massive Einschüchterung (z. B. bei Kindern, die in Gewaltmilieus aufwachsen) oder die Angst vor den negativen Folgen einer Beschwerde führen zunehmend dazu, dass Aggressionen an "falscher" Stelle ventiliert werden und dann entsprechend unverständlich erscheinen müssen.

Der neurobiologische Aggressionsapparat Eingehende Inputs führen zur Aktivierung der Mandelkerne und der ­Aversionszentren der Insula beidseits. Abhängig von der Stärke des Inputs kommt es zur zusätzlichen Aktivierung von Teilen des Hypothalamus und des Hirnstamms. Dem durch die genannten Zentren erzeugten "Bottom-Up Drive" steht eine vom Präfrontalen Cortex ausgehende "Top-Down Control" gegenüber. Dem Cingulären Cortex (CC) kommt eine Integrationsfunktion bei der "Dosierung" des aggressiven Outputs zu.

Mechanismen der Aggression: "Bottom-Up Drive” und "Top-Down Control”

Die jeder Ärgerreaktion und jedem Wutausbruch zugrunde liegenden neurobiologischen Abläufe dürfen inzwischen als aufgeklärt angesehen werden (siehe Abb.). Treffen geeignete Trigger wie körperlicher oder sozialer Schmerz – über den Sinnesapparat – auf das Gehirn, so kommt es zunächst zu einer Sofort-Aktivierung der Mandelkerne (Angstzentren) und der beiderseitigen Insula (wo Netzwerke angesiedelt sind, die körperlich aversive Erlebnisse kodieren). Je nach Intensität des eingehenden Aggressionsreizes kommt es zu einer zusätzlichen Aktivierung der hypothalamischen Stressachse oder HPA-Achse (vom Hypothalamus über die Hypophyse, lat. Pituitaria, zu den Nebennieren, lat. Adrenes) sowie der vegetativen Kerne des Hirnstamms (insbesondere des Noradrenalin freisetzenden Locus coeruleus). Die bis hierher genannten Netzwerke erzeugen das, was in der Fachliteratur als "Bottom-Up Drive" aggressiver Energien bezeichnet wird.

Würden diese aggressiven Energien unmittelbar nach außen abgeleitet, würde das menschliche Verhalten dem Verhalten eines Reptils entsprechen. Dass es Reptilien nicht gelungen ist, zur beherrschenden Spezies dieses Globus zu werden, hat entscheidend mit der Tatsache zu tun, dass ihnen ein wichtiges Element des Aggressionsapparates fehlt, das den Säugetieren – und am stärksten ausgeprägt dem Menschen – zur Verfügung steht. Die im Rahmen des "Bottom-Up Drive" entstandenen aggressiven Energien werden über Nervenbahnen, die als "frontolimbische Schleife" ("Frontolimbic Circuit") bezeichnet werden, dem Präfrontalen Cortex oder Stirnhirn zugeleitet und dort gleichsam gefiltert (siehe Abb.).

Die Bedeutung der Kindererziehung für die Reifung des Präfrontalen Cortex

Im Präfrontalen Cortex (PFC) haben neuronale Netzwerke ihren Sitz, die Informationen darüber gespeichert haben, wie eigene Handlungen in der Perspektive anderer Menschen wahrgenommen werden und welche sozialen Folgen sich dementsprechend aus dem eigenen Tun ergeben können. Entsprechend kommt es beim Durchlauf des aggressiven Energiepotenzials durch den PFC zu einer "Top-Down Control": Der für die eigene Person erlittene Schaden wird hier antizipierend abgewogen mit den sozialen Folgen, die sich aus einer aggressiven Reaktion ergeben können.

Die Netzwerke des PFC sind beim Neugeborenen ein gleichsam unbeschriebenes Blatt. Sie reifen erst in den ersten etwa 14 Lebensjahren langsam heran. Was sie reifen lässt, sind die Inputs einer liebevollen, zugewandten, aber auch Grenzen setzenden Erziehung. Eine konsequente Erziehung von Kindern zur Einhaltung sozialer Regeln ist daher keine dem Kind sozusagen kontrabiologisch aufgezwungene Prozedur, sondern eine Voraussetzung für die biologische Reifung seines Präfrontalen Cortex. Wer einem Kind allerdings keine zuverlässige Bindung zu geben vermag, der wird auch bei den notwendigen Grenzziehungen scheitern.

Beides gehört in der Erziehung zusammen: Liebe und Zuwendung einerseits, andrerseits die zu erlernende Fähigkeit des Kindes, auf andere Rücksicht zu nehmen und sinnvolle Bedürfnisfrustrationen zu ertragen. An beidem fehlt es einem – möglicherweise zunehmenden – Teil unserer Kinder.

Amokläufer und psychopathische Gewalt

Amokläufe oder andere Gewaltverbrechen dienen der Laienpresse als Steilvorlage, ein Bild vom Menschen als Bestie zu zeichnen – als ob die Täter uns in den wahren Abgrund der menschlichen Seele schauen ließen. Aus neurobiologischer Warte ist die Annahme, dass die Taten von Psychopathen quasi den unverstellten Prototyp der menschlichen Seele sichtbar werden lassen, kompletter Unsinn. Was die Amokläufer betrifft, so beschreiben entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen hier typische Risikokonstellationen, aus denen sich wichtige Lehren für die Prophylaxe ziehen lassen. Ich habe diese in meinem Buch "Schmerzgrenze" ausführlich dargestellt und gehe hier nicht näher darauf ein.

Was die Situation psychopathischer Gewalttäter betrifft, so zeigen neurobiologische Studien der letzten Jahre, dass Psychopathen keineswegs Prototypen des Menschen sind, sondern dass es sich bei ihnen um neurobiologisch veränderte, kranke Personen handelt. Die in der forensischen Medizin bzw. Psychologie getroffene Unterscheidung zwischen "heißen" und "kalten" Psychopathen findet in den neurobiologischen Befunden ihre Entsprechungen.

  • "Heiße" Psychopathen reagieren auf kleinste Trigger in unangemessener, emotional aufgeladener Weise. Sie zeigen eine Empfindlichkeitserhöhung ihrer Angstzentren (Mandelkerne) und eine entsprechende Verstärkung des "Bottom-Up Drive".

  • "Kalte" Psychopathen begehen ohne große emotionale Beteiligung grausamste Taten. Sie zeigen eine pathologische Empfindlichkeitsverminderung der Angstzentren, vor allem aber eine zusätzliche massive Störung im Präfrontalen Cortex. Die Prognose "kalter" Psychopathen ist bekanntlich schlecht.

Schlussfolgerungen

Aggressive Gefühle wie Ärger oder Wut sind zunächst einmal nichts Schlechtes oder "Böses", im Gegenteil! Sie melden sich, wenn wir körperlich angegriffen oder sozial infrage gestellt wurden, insbesondere nach einer Verweigerung des jedem Menschen zustehenden Respekts oder nach Verletzungen unserer Würde. Die in diesem Zusammenhang auftretende Aggression ist sinnvoll, sie hat hier die Rolle eines sozialen Regulativs. Wenn sie im Kontext ihres Entstehungszusammenhangs verbal und in angemessener Weise kommuniziert wird, ist Aggression nützlich und "gut". Wer Hemmungen hat, Ärger oder Wut in adäquater Weise zu kommunizieren, hat es im Leben schwer und unterliegt einem erhöhten Risiko psychischer oder körperlicher Erkrankungen. Einen Umschlag von "guter" Aggression in "böse" Gewalt erleben wir überall dort, wo Aggression nicht nahe am Entstehungskontext kommuniziert, sondern zurückgehalten, verschoben oder durch physische Gewalt ersetzt wird.

Im Sinne einer Gewaltprävention sind drei allgemeine Empfehlungen angezeigt. Die Rezeptur lautet:

1. Im Bereich der Kinder- und Jugenderziehung ist zu beachten, dass Kinder in ihren Milieus zuverlässige Bindungen zu Bezugspersonen brauchen. Kinder die emotionale Vernachlässigung – ohne und mit zusätzlicher Traumatisierung – erleiden, haben ein massiv erhöhtes Risiko, später Gewaltverhalten zu entwickeln.

2. Ob in der Familie, in der Schule oder am Arbeitsplatz: Wo Menschen zusammenleben und zusammenarbeiten, sind Ausgrenzungen und Demütigungen Gift, denn sie sind gewaltfördernd. Konflikte sind im menschlichen Zusammenleben unvermeidlich, sie müssen ausgetragen werden. Auch Trennungen sind manchmal nicht zu umgehen. Dies sollte jedoch nicht mit lang anhaltenden Ausgrenzungen (Mobbing) oder Demütigungen verbunden sein.

3. Global gesehen ist krasse Armut im Angesicht von Reichtum eine Demütigungserfahrung. Jenseits einer neurobiologisch nachgewiesenen Toleranz für Ungleichheit reagiert das menschliche Gehirn mit Teilen seines Aggressionsapparates. Vor diesem Hintergrund erscheint, global gesehen, Gerechtigkeit als die beste Gewaltprävention.


Literatur

[1] Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren. Heyne, München 2006.

[2] Joachim Bauer: Warum ich fühle was du fühlst – Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Heyne, München 2005.

[3] Joachim Bauer: Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. Blessing, München 2011.

[4] Christian Pfeiffer in der Süddeutschen Zeitung vom 23.5.2011.

Autor


Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer, 59, ist Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut. Er hat sich sowohl für Innere Medizin als auch für Psychiatrie habilitiert und wirkt als Hochschullehrer und Oberarzt am Uniklinikum Freiburg, Abteilung Psychosomatische Medizin (Ärztlicher Direktor Prof. M. Wirsching). 1996 erhielt er den renommierten Organon-Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie.

Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer, Hauptstr. 8, 79104 Freiburg, joachim.bauer@uniklinik-freiburg.de



Literaturtipp


Amokläufe, Kriege, ethnische Konflikte. Das Phänomen der Aggression wird immer bedrängender und macht uns Angst. Joachim Bauer zeigt in diesem Buch: Nur Fairness, Kooperation und ein neues Verständnis der Mechanismen der Gewalt können einen Weg aus der Aggressionsspirale weisen.



Joachim Bauer

Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt

288 Seiten, 7 s/w Abb. Geb. 18,95 Euro

Blessing Verlag, München 2011

ISBN: 978-3-89667-437-1





Dieses Buch können Sie einfach und schnell bestellen unter der Postadresse:

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DAZ 2011, Nr. 24, S. 46

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