INTERPHARM 2014 – Pubertät

Baustelle Gehirn

Dysbalance zwischen Emotion und rationalem Denken

bf | Wenn Kinder in der Pubertät ihre Eltern in den Wahnsinn treiben, hat das im Wesentlichen eine Ursache: die Hirnentwicklung. Denn der Reifungsprozess des Gehirns dauert bis ins junge Erwachsenenalter. Bis dahin befindet es sich in einer Umbauphase. Wie es sich damit am besten umgehen lässt? Mit gegenseitigem Respekt, so Dr. Michael Kroll von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Leipzig: Dann könne die spannende Phase der Pubertät für alle Beteiligten lehrreich und sogar unterhaltsam sein.
Dr. Michael Kroll hält die Pubertät für eine lehrreiche, aber auch unterhaltsame Zeit.

Wer bislang glaubte, die Pubertät sei mit 17 Jahren endlich abgeschlossen, der irrt. Die pubertäre Reifung dauert weitaus länger als landläufig angenommen, nämlich bis ins junge Erwachsenenalter. Denn, so Kroll: „Gut Ding will Weile haben.“ Bei Mädchen ist die primäre Hirnreifung bis zum 21. Lebensjahr abgeschlossen, bei Jungen erst bis zum 23. Lebensjahr. In dieser Zeitspanne sei das Gehirn besonders vulnerabel, so Kroll. Das gilt für pädagogische Einflüsse, aber auch für Noxen wie Alkohol, illegale Drogen und die Erfahrung häuslicher Gewalt. Bei schwerer Anorexia nervosa (Magersucht) besteht zudem der Verdacht, dass sich als Folge des extremen Untergewichts „Hirnnarben“ bilden und dauerhaft kognitive Defizite zurückbleiben.

Erklärt so manches: die Dysbalance-Hypothese

Charakteristisch für die Hirnentwicklung bei Jugendlichen ist das Ungleichgewicht zwischen dem schon früher reifenden limbischen System und dem erst später reifenden präfrontalen Kortex. Das limbische oder auch „affektive System“, das für Emotionen und Belohnungssystem steht und durch hormonelle Veränderungen modelliert wird, dominiert gegenüber dem rationalen Denken und Kontrollsystem des präfrontalen Kortex. Dieses kognitive Kontrollsystem entwickelt sich kontinuierlicher, und zwar während der Adoleszenz und des jungen Erwachsenenalters. Die Dysbalance der beiden Systeme wird als Ursache für die häufig zu beobachtenden Motivations- und Stimmungsschwankungen in dieser Lebensphase diskutiert. Auch für die in diesem Alter zunehmende Inzidenz von affektiven Störungen oder Störungen der Impulsregulation scheint es relevant zu sein. Immerhin leiden etwa 5% der Jugendlichen unter Depressionen, 10% unter Ängsten.

Problem risikoreiches Verhalten

Die Dysbalance zwischen Emotion und Ratio kann außerdem risikoreiches Verhalten und emotionale Reaktionen begünstigen, mit oft weitreichenden Folgen: 7 bis 8% der Jungen und Mädchen zeigen ein aggressives und asoziales Verhalten. Der Substanzmissbrauch ist hoch: Knapp 40% der jungen Männer konsumieren regelmäßig Alkohol, knapp 10% rauchen Cannabis. Bei den Mädchen liegen die Raten mit 22% und 6% etwas niedriger. Sie sind dagegen häufiger körperlich inaktiv. Ein Fünftel macht nur einmal pro Woche Sport, bei den Jungen sind das nur 10%. Knapp 10% der Jugendlichen sind übergewichtig, ähnlich viele adipös. Starkes Untergewicht findet sich bei 2,4% der Jungen und 1,4% der Mädchen.

Hoch ist bei beiden Geschlechtern der Fernsehkonsum: Über 20% sitzen täglich drei Stunden und mehr vor dem Fernsehapparat. Dazu wird häufig das gesamte Angebot im Internet genutzt. Hier warnt der Psychiater: „Intensive Reize durch elektronische Bildschirmmedien haben ein hohes Suchtpotenzial und können im digitalen Zeitalter andere Reize verdrängen. Mit diesen Kommunikationsgewohnheiten ändern sich auch die neurobiologischen Strukturen im Gehirn.“

Bei Bedarf da sein

Pädagogisch wichtig ist in dieser Lebensphase laut Kroll vor allem die fürsorgliche Präsenz der Eltern. Sie müssen ihren Kindern bei Bedarf zur Verfügung stehen. 



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