Apotheke und Krankenhaus

Erleichterung mit schweren Folgen?!

Klaus Grimm, Wesseling

Mit Ablauf des Jahres 1982 ging die Übergangszeit zur Neuregelung des § 14 Apotheken Gesetz (ApoG) zu Ende und damit einhergehend ereilte die Versandapotheken das Aus. So wurden Apotheken bezeichnet, die Ausgabestellen in Krankenhäusern, die über keine eigene Krankenhausapotheke verfügten, mit Arzneimitteln belieferten. Die Versendung der Medikamente erfolgte damals quer durch die Republik, häufig über große Entfernungen. Darüber hinaus blieben Rechnungen meist die einzige Verbindung der Apotheke zum Krankenhaus, von einer Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker konnte keine Rede sein.

Diese Ausgabestellen wurden krankenhausintern zwar meist als "die Apotheke" bezeichnet, verfügten aber in den seltensten Fällen über pharmazeutisches Personal. Krankenhausapotheken legten sich daher zur Abgrenzung dieser Dispensieranstalten die Bezeichnung "Vollapotheke" zu. Erstaunlicherweise hat dieser Begriff bis heute überlebt, sinnentleert, weil seit 1983, sofern vorhanden, nur eine "richtige" Apotheke, eben eine Krankenhausapotheke mit entsprechender Erlaubnis, im Krankenhaus eingerichtet werden durfte. Dieses könnte sich möglicherweise künftig wieder ändern.

Ein kurzer Rückblick: Die damaligen Ausgabestellen befanden sich in Räumen des Krankenhauses und wurden meistens mit Kräften aus dem Pflegepersonal bewirtschaftet. Häufig nahm sich die altgediente Ordensschwester, zuverlässig und selbstlos, der Arzneimittel an. Vor allem war sie weitestgehend zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar, der Schlüssel zum Zutritt befand sich quasi neben der Tür. Das war nicht nur bequem, sondern die Vergesslichkeit oder eine mangelhafte Organisation ließen sich zum Wohle der Patienten mit dem Mantel der Liebe zudecken. Und noch etwas fiel bis 1983 als Merkmal der guten alten Zeit auf: Die damaligen Arzneimittel-Packungen deklarierten nur in seltenen Fällen offen das Verfalldatum, nur mühsam zu entschlüsselnde Chargennummern und fehlendes Fachpersonal verhinderten eine vorzeitige, oder besser gesagt, rechtzeitige Trennung. Als zu Beginn des Jahres 1983 die Versorgungsapotheken die Ausgabestellen auflösen mussten, da erwiesen sich diese oft "voller" als manche Vollapotheke. Chargen über mehr als ein Jahrzehnt waren keine Seltenheit, in einigen Fällen fanden sich sogar noch museale Präparate aus der Zeit des 2. Weltkrieges. Soviel nur zur Geschichte der Dispensieranstalten in den Krankenhäusern.

Im Positionspapier zur Novellierung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) stößt man nun überraschend auf den Punkt, dass die Krankenhaus- oder Offizinapotheken mit einem Versorgungsvertrag für ein Krankenhaus, Räume in eben diesem unterhalten dürfen. In der Vergangenheit war dieses seit 1983 weitgehend ausgeschlossen. Nach der ursprünglich eindeutig definierten Vorschrift der "Einheit der Apothekenräume", also ohne jeden Auslegungsspielraum, konnten sich später die Räume zur Krankenhausversorgung auch in unmittelbarer Nähe der Apotheke befinden. Zwar wurde diese Vorgabe im Westen oder Süden des Landes unterschiedlich ausgelegt, aber über die Grenzen des Apothekenstandortes hinaus war die Etablierung solcher zur Apotheke gehörenden Räume nur schwerlich möglich. Als Begründung der räumlichen Nähe dienten gerade die früheren Erfahrungen, die einer unkontrollierten Lagerung zwischen der Versorgungsapotheke und den Verbrauchsstellen des Krankenhauses entgegenwirken sollten.

Vorteile …

Befürworter einer neuen Regelung werden nun sofort entgegnen, dass im Gegensatz zu der Zeit vor 1983 diese Räume zur Versorgungsapotheke gehören müssen und somit in den Verantwortungsbereich des Apothekers fallen. Aber, macht das in der Wirklichkeit des Alltags einen großen Unterschied? Was mag die Verfasser des Positionspapiers nun zu dieser erneuten Kehrtwende getrieben haben? Handelt es sich wirklich um eine Erleichterung in der stationären Versorgung und um ein Bestreben nach mehr Praktikabilität?

  • Die Auslagerung von Apothekenräumen ins Krankenhaus wäre in den Bereichen von Vorteil, wo der Faktor Zeit eine wichtige Rolle spielt. So bliebe das Notfall-Depot selbst bei großzügiger Ausstattung in der Obhut der Apotheke, ohne dass diese Medikamente direkt in den Besitz des Krankenhauses übergehen müssten. Das bedeutete nicht nur eine Verminderung des Verfallrisikos, sondern eine Weitergabe an andere Krankenhäuser oder die Rückführung zum Hersteller blieben im Bereich der Apotheke.

  • Des Weiteren ließe sich die Steril-Herstellung in Einzelfällen leichter zeitnah organisieren. Die Verlagerung des Sterillabors als selbstständige Einheit im zu versorgenden Krankenhaus, das von der Anzahl der Betten für eine Krankenhausapotheke zu klein ist, könnte bei einer größeren onkologischen Abteilung organisatorische Erleichterungen bringen. In der Pädiatrie spielt die parenterale Herstellung eine wichtige Rolle. Dieses gilt nicht nur für die Versorgung von Frühgeborenen und intensiv betreuten Kindern mit parenteraler Ernährung, sondern auch generell bei der parenteralen Applikation der Antibiotika, Antimykotika, Kardiaka usw., weil die meisten Dosierungen von den industriellen Herstellern in gewichtsadaptierter Form nicht zur Verfügung stehen. Die zentrale Herstellung bringt neben den wirtschaftlichen Vorteilen eines geringeren Verwurfs auch einen höheren Sicherheitsaspekt, der in jeder einzelnen Verbrauchsstelle des Krankenhauses kaum zu erfüllen ist. Kinderkliniken rechtfertigen selten eine eigene Krankenhausapotheke, es sei denn, sie gehören zu einem Universitäts- oder Großklinikum.

  • Nur wenige Krankenhäuser nutzen bisher die patientenindividuelle Arzneimittelversorgung mit Blister, obwohl nicht nur der Nutzen für das Pflegepersonal, sondern insbesondere die zu erzielende Sicherheit in der Medikation für den Patienten unbestritten und erstrebenswert sind. Neben der Finanzierung der hohen Investitions- und Folgekosten wäre eine wichtige Voraussetzung die räumliche Nähe eines Blister-Automaten, damit die Anforderungen nicht nur zeitnah hergestellt, sondern neben der Datenerfassung vor Ort auch über kurze Wege ausgeliefert werden könnten. Bei der Versorgung aus einer entfernt gelegenen Versorgungsapotheke entstehen zwangsläufig zusätzliche Hürden.

… und Gefahren

Diese Vorteile dürfen aber den Blick für eine Gefährdung des Systems nicht verklären, da mit der uneingeschränkten Zulassung solcher Räume im Krankenhaus das Fundament für eine Zweiklassen-Krankenhausapotheke unter Aushöhlung von § 14 ApoG geschaffen werden könnte. Die ausgelagerten Räume ermöglichen eine Versorgung "aus einer Hand" auch über größere Entfernungen hinweg, weil alle zeitrelevanten Versorgungsbereiche zwischengelagert werden können. Es entstünden de facto Satelliten- oder Filial- Krankenhausapotheken, was wiederum eine Verminderung der Anzahl von Versorgungsapotheken zur Folge hätte. Nun wäre dieses isoliert betrachtet noch kein Schaden, aber es ist höchstwahrscheinlich, dass damit einher die pharmazeutische Leistung sinken wird. Insbesondere die Betreiber der großen Krankenhausketten werden die Gelegenheit ergreifen, den Versorgungsumfang der einzelnen Krankenhausapotheke zu erweitern, bei gleichzeitiger Auflösung bestehender Krankenhausapotheken oder unter Kündigung von Verträgen mit Versorgungsapotheken. Viele dieser Konzerne agieren inzwischen so ergebnisorientiert, dass solche Veränderungen zu weiteren Reduzierungen der Personalkosten und somit zu verminderter pharmazeutischer Präsens führen werden. In unserem Land ist heute schon die Zahl der Apotheker pro Krankenhausbett im Vergleich mit dem europäischen Ausland sehr niedrig.

Eine mögliche Beschränkung auf die genannten, ganz speziellen Funktionen der auszulagernden Räume könnte eine prinzipielle Aushöhlung der Apotheke im Krankenhaus verhindern. Allerdings sei die Frage nach der Durchsetzung in der Praxis erlaubt. Allein die personellen Anforderungen an solche Räume sind diskutabel. Sollten sie stets unter der Leitung eines Apothekers stehen, so hätte das wegen der nötigen Rentabilität eine möglichst umfangreiche Auslagerung zur Folge, die wiederum die Grenzen zwischen Dispensieranstalt und Krankenhausapotheke verwischen ließe. Begrenzte Öffnungszeiten wegen der häufigen Abwesenheit eines Apothekers lässt wiederum den Griff nach dem Schlüssel der Räume für Ärzte und Pflegepersonal in den Vordergrund treten. Die Fortschreibung der Geschichte aus der Zeit von vor 1983 erscheint somit vorprogrammiert zu sein.

Der kaufmännische Einfluss auf die Pharmakotherapie nimmt ständig zu. Möglicherweise haben es manche Apotheker in der Vergangenheit versäumt, den ökonomischen Zwängen im Krankenhaus gebührend Rechnung zu tragen. Allerdings drängen hier und da die Einkaufskonditionen der Arzneimittel dermaßen in den Vordergrund, dass vor lauter Zahlen die Therapie nicht mehr gesehen wird. Insbesondere die Kaufleute in Einkaufszentralen und Beratungsfirmen vergleichen stets nur den messbaren Teil des Einkaufs, ohne die pharmazeutische Leistung der Apotheke zu beurteilen oder beurteilen zu können. Der ethische Ansatz, das Wohl des Patienten dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, rückt bei diesen Zahlenspielen mehr und mehr in den Hintergrund.

Fazit

Eine Auslagerung der Apothekenräume direkt ins Krankenhaus erscheint auf den ersten Blick als Entgegenkommen des Gesetzgebers an die Betreiber von Versorgungsapotheken. Die Änderung der ApBetrO könnte aber wie eine feindliche Übernahme den Prozess der Entbehrlichkeit des Apothekers im Krankenhaus weiter beschleunigen.

"Erleichterung mit schweren Folgen", wenn hinter diesen Worten aus einem Fragezeichen ein Ausrufezeichen geworden ist, dann wird es einmal mehr zu spät sein.


Klaus Grimm, Kronen-Apotheke Marxen, Postfach 14 17, 50378 Wesseling



DAZ 2011, Nr. 23, S. 89

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