Apotheke und Krankenhaus

216 Kilometer und kein Ende

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat in einem Urteil dem Verwaltungsgericht (VG) Münster widersprochen und jetzt der Apotheke des St. Franziskus-Hospitals Münster vom Standort Ahlen aus gestattet, per Versorgungsvertrag über 216 Kilometer hinweg ein Bremer Krankenhaus zu versorgen.

Innerhalb kurzer Zeit haben somit zwei spektakuläre Versorgungsverträge von sich reden gemacht, die aus der bisherigen Praxis der Genehmigung ausgebrochen sind. Im Gegensatz zum vorliegenden Fall wurde ein Vertrag in Bayern zwischen der Apotheke der Uni Regensburg und einem Krankenhaus in Bad Tölz von der Aufsichtsbehörde direkt genehmigt. Dem Urteil des OVG Münster geht die Klage des Krankenhausträgers gegen die Ablehnung des Versorgungsvertrages aus dem Jahr 2006 durch die zuständige Aufsichtsbehörde voraus.

In beiden Fällen handelt es sich jeweils um eine große Krankenhausapotheke und es hat den Anschein, dass dieses kein Zufall ist, wie Parallelen in der Begründung zeigen. So befanden die Richter in Münster, dass aufgrund der Größe der Apotheke (Umsatz rund 22 Mio. EUR pro Jahr) mehr Medikamente als in anderen Versorgungsapotheken vorrätig gehalten werden.

Auch in Bayern argumentierten die Behörden im Nachherein, dass die Apotheke einer Universitätsklinik die Entfernung von knapp 200 km mit besonderer Leistungsfähigkeit kompensieren könne.

Einen Mangel an alternativen Versorgungsapotheken hat es weder hier noch da gegeben, spezielle fachliche Anforderungen erforderten die Inkaufnahme der großen Entfernung ebenfalls nicht. Das ist unstrittig.

Aus dem Lager der Krankenhausapotheker gibt es praktisch keine Kommentare. Das überrascht. Wir stellen uns vor, oder besser auch nicht, eine private Versorgungsapotheke bekäme einen solchen Vertrag genehmigt. Die Reaktionen wären heftig ausgefallen, dabei macht es letztlich keinen Unterschied, denn in jedem Fall hilft es den Apothekern auf Dauer nicht.

Während der ADKA-Jahrestagung , diesmal mit dem Jubiläum des 100-jährigen Bestehens des Verbandes in besonders guter Erinnerung geblieben, wurde erneut gefordert, dass deutlich mehr Krankenhausapotheker in Deutschland tätig werden müssten. Gerade im Vergleich zu den meisten Ländern in Europa oder gar zu Nordamerika schneidet die deutsche Quote der Apotheker in Relation zu den Krankenhausbetten schlecht ab. Im direkten Nachsatz zur vorgetragenen Forderung nach mehr Pharmazeuten im Krankenhaus wurde der kurzfristigen Verwirklichung eine geringe Chance eingeräumt, dabei hätte dem Abbau der Stellen bereits der Kampf angesagt werden müssen.

Der Vertrag zwischen einem Krankenhaus und einer krankenhausversorgenden Offizin-Apotheke bedingt, dass ein Apotheker auch Vertragspartner der Geschäftsführung des zu versorgenden Krankenhauses ist. Erfahrungsgemäß wird dagegen der leitende Krankenhausapotheker meist vor vollendete Tatsachen gesetzt, wenn sich die Geschäftsführungen der beiden beteiligten Krankenhäuser über die Arzneimittelversorgung einigen. Der Träger einer großen Krankenhauskette, wie im Falle des Klägers in Münster, betreibt sein Geschäft ohnehin aus einer Art von Konzernzentrale heraus, wobei die Interessen der Apotheker naturgemäß eine Quantité négligeable bleiben.

Die Entscheidungen über die Köpfe der Apotheker hinweg offenbaren das ganze Dilemma. Selbst wenn der oben genannte Streit bis zum Bundesverwaltungsgericht fortgeführt werden sollte, die Einstellung der Richter wird aufgrund der politischen Tendenzen von Jahr zu Jahr liberaler.

Es findet in vielen Bereichen des Alltags inzwischen eine Verkaufsberatung aus der Ferne statt, sei es per Telefon oder Mail, der Verbraucher registriert es kaum noch. Zwar freut sich niemand über endlos erscheinende Warteschleifen, Callcenter wirken in vielen Fällen wie rabiate Zeiträuber, aber weder die Anonymität und noch das mangelnde Verständnis dieser sogenannten Service-Center verhindern den stetigen Aufstieg des E-Commerce. Der Preisvergleich und die Jagd nach Schnäppchen siegen über das Wissen um den Verlust der Arbeitsplätze vor Ort, denn den Augen ist das Hemd bekanntlich näher als die Hose. Warum sollten Richter, Aufsichtsbeamte und Krankenhausmanager die persönlichen Kontakte zwischen Arzt, Apotheker und Patienten postulieren oder zumindest verteidigen, wenn der private Alltag die Alternativen vorlebt?

Als letzte Konsequenz bräuchte es eines Tages nur eine Handvoll Betreiber deutscher Krankenhäuser mit ebenso vielen Logistikcenter-Apotheken, analog der Mineralöl-Konzerne, die einmal mehr den Weg freimachen. Die Autofahrer schimpfen zumindest jeden Freitag, vor Feiertagen und zu Ferienbeginn, sie schreiben wütende Leserbriefe und fühlen die Ohnmacht des Preisdiktats der Oligopole. Und wo bleibt die Beratung? Fragen Sie Ihren Tankwart nach dem Öl, welches Ihr Auto benötigt, so zeigt er auf die Regalwand voller Produkte und verweist auf den Internetanschluss direkt daneben. Google dich durch, es läuft doch wie geschmiert!

Zurück zur Krankenhausversorgung , was tun die Apotheker, ABDA, ADKA, BVKA und ihre Mitglieder, sie wären doch jetzt gefordert? Einigkeit und gemeinsame Zielvorstellungen wären spätestens jetzt angesagt!

Leider erlahmt gegen Ende eines Berufslebens nicht nur der Körper. Gut situiert und etabliert drängen die verbleibenden Jahre vom Hinterkopf weiter nach vorne und lassen beruhigende Worte formulieren, die Niemandem weh tun. Aber wenn wir nicht mehr sagen, was wir denken und nicht mehr tun, was wir sagen, dann dürfen wir uns über die Folgen nicht wundern.

Aus Regensburg und Ahlen war zu hören, dass die dortigen Kollegen zur Versorgung über die große Entfernung nicht gefragt wurden bzw. diese im Grunde nicht befürworteten. Doch wer will und kann deshalb einen gutdotierten Job aufgeben? Das ist die Wirklichkeit, auch wenn sich junge Kollegen fragen lassen müssten, ob sie dieser Entwicklung ihres bevorstehenden Berufslebens tatenlos zuschauen wollen. Immerhin darf man sich vorstellen, es ginge niemand dorthin, dann fände eine Versorgung dieser Art auch nicht statt. Leider sind an dieser Vorstellung, was weitaus viel schlimmer ist, auch schon die Kriegsgegner gescheitert.

Klaus Grimm, Wesseling



DAZ 2011, Nr. 23, S. 95

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