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Versand und Botendienst – unerträglich ungleich

Klaus G. Brauer

Trotz aller Zusicherungen, man werde auf "gleichlange Spieße" achten, werden Versandapotheken gegenüber Vor-Ort-Apotheken vom Gesetz- und Verordnungsgeber schon bislang in etlichen Punkten privilegiert. Versandapotheken liefern z. B. in die Fläche, beteiligen sich aber nur lokal am Notdienst. Die teure Akutversorgung – wenn Not am Mann ist – bleibt Versendern schon systembedingt erspart. Die Lieferung problematischer Arzneimittel (BTM, Kühlartikel, Rezepturen, Thalidomid etc.) wird abgelehnt bzw. ist Versendern sogar verboten. Versender können sich nach Eingang einer Bestellung zwei Tage Zeit lassen, bevor sie agieren. Vor-Ort-Apotheken müssen "unverzüglich" liefern (die Formulierung "in angemessener Zeit", die den Unterschied zu den Versendern weniger krass erscheinen lassen sollte, soll nach dem unautorisierten Entwurf der neuen ApoBetrO wieder in "unverzüglich" geändert werden). Und auch sonst deutet sich an, dass im Rahmen der neuen Apothekenbetriebsordnung die Privilegien der Versandapotheken – anstatt sie zu beseitigen – noch weiter auf die Spitze getrieben werden. Das ist unerträglich.

Auf den ersten Blick könnte man zunächst einen anderen Eindruck gewinnen. Immerhin wird Botendienst aus Vor-Ort-Apotheken im kursierenden Entwurf formal von Fesseln befreit. Er war bislang nur "im Einzelfall", früher sogar nur im "begründeten Einzelfall" erlaubt. Nach dem neuen Vorschlag würde der Botendienst Vor-Ort-Apotheken nun generell ermöglicht. Das war überfällig. Es entspricht im Übrigen auch der etablierten Praxis. Per Botendienst erhalten Patienten Arzneimittel i. d. R. am gleichen Tag, innerhalb weniger Stunden. Nach Apotheken, die zu diesem Service nicht bereit wären, muss man suchen. Das Argument, Versandhandel sei nötig, damit gehbehinderte oder schwerkranke Patienten überhaupt an benötigte Arzneimittel kämen, war immer schon völlig aus der Luft gegriffen.

In welcher Hinsicht droht eine weitere Privilegierung des Versandhandels? Ein Blick in den noch unautorisierten, aber im BMG erarbeiteten Entwurf der ApoBetrO gibt Aufschluss. Vor-Ort-Apotheken sehen sich dort im Hinblick auf Botendienst und Beratungsleistungen härteren Anforderungen ausgesetzt als der Arzneiversand durch Versandapotheken.

Vor-Ort-Apotheken müssen "bei jeder Abgabe" in der Apotheke aktiv eine Beratung anbieten – diese Klarstellung, dass für das pharmazeutische Personal durchaus auch eine Beratungsbringschuld besteht, ist zu begrüßen. Denn die Notwendigkeit oder zumindest Sinnhaftigkeit einer Beratung ist vom Laien sehr oft nicht zu erkennen. Versandapotheken müssen hingegen nur auf "Möglichkeiten und Zeiten" einer Beratung hinweisen. Das reicht. Eine Bringschuld wird nirgendwo angedeutet, der Patient hat vielmehr eine Holschuld: Er muss – ohne die Voraussetzungen dafür zu haben – selbst erkennen, dass er eine Beratung benötigt; um sie zu bekommen, muss er sich zu angegebenen Zeiten an das Call-Center der Versandapotheke wenden.

Der Bote der Vor-Ort-Apotheke muss nach dem vorliegenden Entwurf dem pharmazeutischen Personal angehören, sofern nicht zuvor schon in der Apotheke eine Beratung durch pharmazeutisches Personal stattgefunden hat. Und beim Versand? Dort wird akzeptiert, dass allenfalls im Ausnahmefall – wenn der Patient aktiv wird und selbst zu vorgeschriebenen Zeiten anruft – eine Beratung stattfindet. Dass sie im Regelfall ausbleibt, wird hingenommen.

Wie unbefriedigend das ist, stößt sofort unangenehm auf, sobald man übliche Verfahren im Arzneiversandhandel hypothetisch auf den Botendienst überträgt. Falls in der Apotheke zuvor keine Beratung stattgefunden hat, müsste demnach ausreichen, wenn der Bote der Apotheke über die Möglichkeit informiert, dass und wann der Patient in der Apotheke anrufen kann, sofern er Beratungsbedarf verspürt. Dann hätten wir zwar "gleich lange Spieße". Die so erreichte Gleichstellung bleibt jedoch unbefriedigend. Der Patient muss selbst erkennen, ob er Beratung braucht. Zugunsten der Vor-Ort-Apotheke lässt sich allerdings anführen: Beim Versender ist die unbefriedigende Situation die Regel, bei der Vor-Ort-Apotheke bliebe sie Ausnahme.

Alternativ könnte man für den Botendienst aus Vor-Ort-Apotheken festlegen, was analog in §17a Abs. 5 für den Versand festgehalten wird: "Ein Botendienst durch nichtpharmazeutisches Personal [statt: Die Versendung] darf nicht erfolgen, wenn zur sicheren Anwendung des Arzneimittels … ein Informations- oder Beratungsbedarf besteht, der auf einem anderen Weg als einer persönlichen Information und Beratung durch pharmazeutisches Personal nicht erfolgen kann". In diesen Fällen (und nur in diesen) müsste die Vor-Ort-Apotheke (außer die persönliche Information oder Beratung hat zuvor schon in der Apotheke stattgefunden) als Boten eine PTA oder einen Apotheker schicken.

Man könnte argumentieren, es reiche doch in manchen Fällen, wenn eine PTA oder ein Apotheker den Patienten anrufe, um Beratungsbedarf zu klären. Schon wegen der fehlenden Aktivierung von Spiegelneuronen ersetzt ein aktiver Anruf zwar nicht persönlichen Kontakt; er wäre aber immer noch mehr, als Versender leisten; denn dort muss der Patient selbst anrufen. Warum eigentlich muss das so bleiben? Wenn Botendienstapotheken aktiv anrufen müssten, sofern der Bote nicht zum pharmazeutischen Personal zählt – dann müsste eine derartige Verpflichtung generell auch für Versandapotheken eingeführt werden. Dadurch würde sich manches klären.


Dr. Klaus G. Brauer

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