Fortbildung

Aggressionen gegen "eigen" und "fremd"

Bei Autoimmunerkrankungen richtet sich die körpereigene Abwehr gegen den falschen Gegner. Eigene Strukturen werden als fremd erkannt und mit immunologischen Waffen bekämpft, da die Ausbildung einer immunologischen Toleranz versagt hat. Wie Prof. Dr. Angelika Vollmar, München, erläuterte, kann dieser Zusammenbruch der immunologischen Toleranz mehrere Ursachen aufweisen. Die zugrunde liegenden pathophysiologischen Hintergründe und mögliche Therapieansätze bei Autoimmunerkrankungen wurden von Dr. Ilse Zündorf, Frankfurt, vorgestellt.

Inhaltsverzeichnis: "48. Internationale Fortbildungswoche der Bundesapothekerkammer in Meran"


Angelika Vollmar

Foto: DAZ/pj

Eine wichtige, für das Leben unabdingbare Aufgabe des Immunsystems ist die Unterscheidung zwischen fremd und eigen. Fremde Bestandteile wie etwa pathogene Erreger müssen vernichtet, körpereigene Strukturen unversehrt bleiben. Ferner müssen fremde, aber harmlose Stoffe wie etwa Nahrungsmittel toleriert werden. Bei einem Verlust der immunologischen Toleranz kann das Immunsystem nicht mehr zwischen fremd und eigen differenzieren, was Autoimmunreaktionen hervorruft und in Autoimmunerkrankungen gipfeln kann. Die wichtigsten Effektoren bei Autoimmunerkrankungen sind neben Autoantikörpern autoreaktive T-Zellen. Bei Autoimmunerkrankungen versagen Mechanismen zur Kontrolle dieser autoreaktiven T-Zellen und die immunologische Toleranz ist gestört.

Immuntoleranz und Autoimmunität


  • Ein gesundes Individuum ist gegen seine eigenen Antigene tolerant und es kommt zu keiner Immunantwort.
  • Man unterscheidet zwischen zentraler und peripherer Toleranz.
  • Autoimmunität resultiert aus dem Versagen der Selbsttoleranz.
  • Die Ursachen für die Autoimmunität sind vielseitig; man kennt genetische Faktoren, Umweltfaktoren und insuffiziente immunologische Mechanismen.

[Quelle: Vollmar, Dingermann: Immunologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2005].

Immunologische Toleranz

Unter immunologischer Toleranz versteht man alle Vorgänge, die zur Neutralisierung oder Eliminierung autoreaktiver Lymphozyten führen. Die Ausschaltung dieser autoreaktiven Lymphozyten ist erforderlich, da es ansonsten zu Gewebezerstörungen – Autoimmunerkrankungen – kommt. Die Ausbildung der immunologischen Toleranz kann auf zwei Wegen erfolgen und man spricht von der

  • zentralen Toleranz, die zu einer sofortigen Elimination führt und der
  • peripheren Toleranz, der neutralisierende Vorgänge zugrunde liegen.

Zur zentralen Toleranz: Im Thymus werden Vorläuferzellen der T-Zellen gebildet, die noch keinen funktionsfähigen T-Zellrezeptor (TCR) besitzen. Aus diesen Vorläuferzellen werden nach dem Zufallsprinzip durch somatische Rekombinationen zwischen 108 und 1011 unterschiedliche T-Zellen mit funktionsfähigem Rezeptor gebildet. Doch nur ein kleiner Bruchteil von ihnen (das sind die Zellen mit mittlerer Affinität zum Komplex aus MHC und körpereigenen Peptiden) verlässt den Thymus. Die anderen T-Zellen werden einer Kontrolle unterzogen und Zellen mit fehlendem Antigensignal und Zellen mit einer hohen Affinität werden durch Apoptose vernichtet (siehe Abbildung 1). Trotz dieser zentralen Regulation werden autoreaktive Zellen gebildet, die nun durch weitere Mechanismen, durch sogenannte periphere Toleranzmechanismen (den "doppelten Boden") neutralisiert werden.

Zur peripheren Toleranz: Autoreaktive Zellen können zudem durch passive und aktive Toleranzmechanismen neutralisiert werden. Passive Mechanismen sind Ignoranz (Vorliegen einer anatomischen Barriere), Deletion (Einleiten der Apoptose) und Inhibierung (die autoreaktive Zelle wird "zahnlos"); ein aktiver Vorgang ist die Suppression. Diese wird durch eine Subpopulation der T-Zellen, durch die sogenannten regulatorischen T-Zellen (Treg-Zellen) vermittelt. Man unterscheidet zwischen natürlichen Treg-Zellen, die im Thymus gebildet werden und die Oberflächenantigene CD4 und CD25 tragen und induzierten Treg-Zellen, die in der Peripherie gebildet werden und nur CD4 aufweisen. Diese regulatorischen T-Zellen spielen bei der Regulierung der immunologischen Homöostase eine wichtige Rolle und werden derzeit intensiv untersucht. Ein möglicher therapeutischer Ansatz ist die Induktion regulatorischer T-Zellen, um ein gestörtes immunologisches Gleichgewicht wieder herzustellen.

Ilse Zündorf

Foto: DAZ/pj

Wie kommt es zu Autoimmunerkrankungen?

Trotz unterschiedlicher Möglichkeiten, eine immunologische Toleranz aufrecht zu erhalten und die Bildung autoreaktiver T-Zellen und autoreaktiver Antikörper zu verhindern, entstehen Autoimmunerkrankungen. Dieser "Zusammenbruch" der immunologischen Toleranz kann durch mehrere Faktoren herbeigeführt oder begünstigt werden:

  • Bakterielle und virale Infektionen, die durch eine molekulare Mimikry zur Aktivierung autoreaktiver Immunantworten führen (z. B. können Streptokokkeninfektionen rheumatisches Fieber hervorrufen).
  • Genetische Prädispositionen (einige Autoimmunerkrankungen entstehen durch Mutationen in einem einzelnen Gen, die meisten entwickeln sich durch das Zusammenspiel verschiedenster Gene, die unter anderem für Zytokine, Korezeptoren, Apoptosefaktoren und kostimulierende Moleküle kodieren).
  • Störungen bei der Immunregulation (z. B. Störungen bei den Treg-Zellen.

Therapie von Autoimmunerkrankungen

Der Verlauf vieler Autoimmunerkrankungen ist ähnlich und beginnt mit einer ersten, fehlgeleiteten Immunreaktion. In deren Folge werden Entzündungsmediatoren freigesetzt, die weitere Immunzellen anlocken und so die Entzündung in Gang halten. Diese Vorgänge führen zu klinischen Reaktionen wie Schwellungen, Schmerzen, Rötungen, Fieber und Funktionseinschränkungen. Zur symptomatischen Therapie werden entzündungshemmende und immunsuppressive Stoffe eingesetzt. Eine verbesserte Kenntnis der zugrundeliegenden Pathophysiologie hat zur Entwicklung spezifisch wirksamer Pharmaka geführt. Diese richten sich vorwiegend gegen die Interleukine IL-1 und IL-6 sowie gegen den Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α). Da diese proinflammatorischen Zytokine bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielen, werden sie bei unterschiedlichen Indikationen wie etwa chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, der Psoriasis und der rheumatoiden Arthritis eingesetzt (siehe Tabelle).

Neue Therapien bei Autoimmunerkrankungen

Wirkstoff
Wirkmechanismus
Handelsname
Indikation
Infliximab
TNF-α -Blocker
Remicade®
Psoriasis, Psoriasisarthritis
rheumatoide Arthritis
Morbus Crohn
Colitis ulcerosa
Etanercept
TNF-α -Blocker
Enbrel®
Psoriasis, Psoriasisarthritis
rheumatoide Arthritis
Adalimumab
TNF-α -Blocker
Humira®
Psoriasis, Psoriasisarthritis
rheumatoide Arthritis
Morbus Crohn
Golimumab
TNF-α -Blocker
Simponi®
Psoriasisarthritis
Rituximab
Anti-CD-20
Mabthera®
onkologische Indikationen,
rheumatoide Arthritis
MS (off-Label)
Tocilizumab
IL-6-Rezeptor-Antagonist
RoActemra®
rheumatoide Arthritis
Anakinra
IL-1-Rezeptor-Antagonist
Kineret®
rheumatoide Arthritis
Certolizumab Pegol
TNF-α -Antikörper
Cimzia®
rheumatoide Arthritis
Abatacept
Inhibitor der T-Zell-Kostimulation
Orencia®
rheumatoide Arthritis
Natalizumab
Blockade der Interaktion zwischen α4-Integrin und VCAM-1
Tysabri®
multiple Sklerose
Alemtuzumab
Anti-CD52
Mabcampath®
multiple Sklerose (off label)

Auch die Therapie der multiplen Sklerose (MS) orientiert sich an den zugrundeliegenden pathophysiologischen Vorgängen. Bei dieser Erkrankung durchdringen Lymphozyten und Makrophagen die Blut-Hirn-Schranke. Zytotoxische T-Zellen richten sind gegen Proteine der Myelinschicht und stimulieren die Bildung von Autoantikörpern und aktivieren Komplement und Makrophagen, welche die Myelinschicht der Nervenzellen schädigen. Wesentliche Mediatoren dieser Prozesse sind CD4-positive T-Zellen und Zytokine. In der MS-Therapie wird der monoklonale humanisierte Antikörper Natalizumab eingesetzt, der durch die Bindung an ein Adhäsionsmolekül die Einwanderung von Immunzellen aus dem Blutgefäß ins entzündete Gewebe verhindert. Ebenfalls immunologisch wirksam ist Glatirameracetat, ein synthetisch hergestelltes Polypeptidgemisch, das wahrscheinlich über eine Modulation der Antigenpräsentation wirkt. pj

Abb. 1: Zentrale Toleranzmechanismen Im Thymus werden Vorläuferzellen der T-Zellen gebildet, die noch keinen funktionsfähigen T-Zellrezeptor (TCR) besitzen. Aus diesen Vorläuferzellen werden nach dem Zufallsprinzip durch somatische Rekombinationen unterschiedliche T-Zellen mit funktionsfähigem Rezeptor gebildet. Doch nur ein kleiner Bruchteil verlässt den Thymus als reife T-Zellen oder Treg-Zellen. Der Rest wird durch Apoptose entfernt. [Quelle: Prof. Dr. Angelika Vollmar, München]
Abb. 2: Periphere Toleranzmechanismen Durch passive und aktive Mechanismen werden autoreaktive T-Lymphozyten unschädlich gemacht. Passive Mechanismen sind Ignoranz (Vorliegen einer anatomischen Barriere), Deletion (Einleiten der Apoptose) und Inhibierung; ein aktiver Vorgang ist die Suppression. APC = Antigen-präsentierende Zellen, MHC = major histocompatibility complex, Anergie = Zustand fehlender Reaktivität auf Antigene [Quelle: Prof. Dr. Angelika Vollmar, München]

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