Arzneimittel und Therapie

Moderne Immunsuppressiva bei überschießender Reaktion

Bei Autoimmunerkrankungen wie etwa Psoriasis, rheumatoider Arthritis oder multipler Sklerose liegt eine fehlerhafte Regulierung des Immunsystems vor, was sich in chronischen Entzündungen und degenerativen, destruktiven Prozessen niederschlägt. Einblicke in die Pathophysiologie der zugrunde liegenden Vorgänge haben zu neuen Therapieansätzen geführt, die beim diesjährigen Heidelberger Herbstkongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg vorgestellt wurden.

Bei Autoimmunerkrankungen ist die Kommunikation zwischen den körpereigenen Abwehrzellen gestört. Sie werden aktiv, obwohl kein Angriff körperfremder Substanzen vorliegt. T-Zellen verwechseln körpereigenes Gewebe mit potenziell schädlichen Agentien. Angreifende Makrophagen und weitere Abwehrzellen führen zu teilweise irreversiblen Zerstörungen.

Bei der Psoriasis laufen die fehl geregelten Vorgänge vornehmlich in den Keratinozyten ab. Eine aberrante Aktivierung von T-Lymphozyten, die in die Haut einwandern, führt zu Entzündungen, die eine überschüssige Proliferation der Keratinozyten verursacht. Die überschießende Immunantwort kann durch Glucocorticoide, klassische Immunsuppressiva oder immunsuppressiv wirkende Makrolide unterdrückt werden. Zu diesen zählen etwa Tacrolimus, Pimecrolimus, Rapamycin und Everolimus, die die Interleukin vermittelte T-Zell-Aktivierung unterdrücken. Seit 2004 werden bei schweren Psoriasisformen Antikörper oder Fusionsproteine eingesetzt, die relativ spezifisch in Entzündungsvorgänge eingreifen. Es sind dies die Tumornekrose-alpha-Blocker Etanercept, Infliximab, Adalimumab und Golimumab. Mit Ustekinumab steht ein Antikörper zur Verfügung, der gegen eine gemeinsame Untereinheit der Zytokine IL 12 und IL 23 wirkt.

TNF-alpha-Blocker und Interleukin(IL)-Rezeptor-Antagonisten bei Autoimmunerkrankungen
WirkstoffWirkmechanismusHandelsnameIndikation
InfliximabTNF-alpha-BlockerRemicade®

Psoriasis, Psoriasisarthritis

rheumatoide Arthritis

Morbus Crohn

Colitis ulcerosa

EtanerceptTNF-alpha-BlockerEnbrel®

Psoriasis, Psoriasisarthritis

rheumatoide Arthritis

AdalimumabTNF-alpha-BlockerHumira®

Psoriasis, Psoriasisarthritis

rheumatoide Arthritis

Morbus Crohn

GolimumabTNF-alpha-BlockerSimponi®Psoriasisarthritis
UstekinumabIL-12- und IL-23-BlockerStelara®Psoriasis
TocilizumabIL-6-Rezeptor-AntagonistRoActemra®rheumatoide Arthritis
AnakinraIL-1-Rezeptor-AntagonistKineret®rheumatoide Arthritis
Certolizumab PegolTNF-alpha-AntikörperCimzia®rheumatoide Arthritis

TNF-alpha-Blockade bei rheumatoider Arthritis

Auch bei der Behandlung einer rheumatoiden Arthritis soll der Tumornekrosefaktor alpha abgefangen werden, um Entzündungen zu lindern und Destruktionen zu vermeiden. Die neueren Arzneistoffe wirken entweder direkt gegen den Tumornekrosefaktor alpha oder gegen Interleukin 1 und Interleukin 6. Eine weitere Möglichkeit ist die Blockade von CD20-Zellen, um die humorale Aktivierung zu unterbinden. Durch die Bindung des monoklonalen Antikörpers Rituximab (Mabthera®) an CD 20 entsteht ein Immunkomplex, der das Komplementsystem aktiviert und zu einer Lyse von B-Zellen führt. Weitere Präparate sind in der klinischen Erprobung, so etwa IL-17-Antikörper, G-CSF-Antikörper, CD22-Antikörper, Denosumab (Rank Ligand), aber auch Tyrosinkinaseinhibitoren, die oral gegeben werden können.

Pathogenese von Autoimmunerkrankungen

  • genetische Disposition
  • akute Auslöser (Bakterien, Viren)
  • Umweltfaktoren
  • unbekannte Faktoren

Multiple Sklerose

Bei der multiplen Sklerose durchdringen Lymphozyten und Makrophagen die Blut-Hirn-Schranke. Zytotoxische T-Zellen richten sind gegen Proteine der Myelinschicht und stimulieren die Bildung von Autoantikörpern und eine Aktivierung von Komplement und Makrophagen, welche die Myelinschicht der Nervenzellen schädigen. Wesentliche Mediatoren dieser Prozesse sind CD4-positive T-Zellen und Zytokine. Aufgrund der Heterogenität der Erkrankung gibt es viele intraindividuelle histopathologische Merkmale. Die entzündlichen Komponenten sowie immunologische Charakteristika können variieren.

Die gegenwärtigen therapeutischen Strategien sehen eine frühzeitige und konsequente antientzündliche Immuntherapie vor. Eine erwiesene Wirksamkeit auf den Langzeitverlauf einer schubförmigen multiplen Sklerose haben Betainterferone, Glatirameracetat (Copaxone®), Natalizumab (Tysabri®), Mitoxantron, Azathioprin und hoch dosierte Immunglobuline (ohne Zulassung hierfür).

Bei ungenügendem Ansprechen der beiden Basismedikamente Betainterferon und Glatirameracetat kann eine Eskalationstherapie mit Natalizumab eingeleitet werden. Der monoklonale Antikörper Natalizumab hemmt über mehrere Schritte die Transmigration von Immunzellen durch die Bluthirnschranke in das Zentralnervensystem. Da unter der Therapie das Risiko einer opportunistischen Infektion des ZNS besteht (vereinzelt sind Fälle einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie aufgetreten), ist eine strenge Indikationsstellung und Überwachung der Patienten erforderlich. Mögliche zukünftige Alternativen sind die monoklonalen Antikörper Rituximab und Alemtuzumab, die zu einer raschen und anhaltenden Depletion von B-Zellen (Rituximab) oder diverser Immunzellen (Alemtuzumab) führen.

 

Quelle

Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt; Prof. Dr. Ina Kötter, Tübingen; Prof. Dr. Brigitte Wildemann, Heidelberg, Prof. Dr. Matthias Goebeler, Gießen, 32. Heidelberger Kongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg am 21. und 22. November 2009.

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

Zum Weiterlesen

Neue Biologika zur Therapie chronisch-entzündlicher und autoimmuner Erkrankungen .

Arzneimitteltherapie 2007; 25:95-102.

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