Mikronährstoffe

Vitamin B2 zur Prophylaxevon Migräneattacken

Viele Patienten mit Migräne fragen in der Apotheke nach natürlichen Alternativen zu den gängigen Migräneprophylaktika. Die Ergebnisse aktueller Studien an Patienten mit Migräne belegen, dass auch Mikronährstoffe, die in den mitochondrialen Energiestoffwechsel eingreifen, in der Lage sind, die Dauer, Schwere und Häufigkeit von Migräneattacken zu reduzieren. Dazu zählt neben Coenzym Q10 und Magnesium das Vitamin B2 (Riboflavin) [1, 2].
Abb. 1: Energiegewinnung in den Mitochondrien Neben anderen Mikronährstoffen spielt Vitamin B2 als ­Coenzym in zwei Enzymkomplexen eine ­bedeutende Rolle in diesem lebenswichtigen Prozess.

Migräne ist ein anfallsartig, häufig halbseitig auftretender Kopfschmerz von mäßiger bis schwerer Intensität, der mit typischen autonomen Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu, Geräusch- und Geruchsempfindlichkeit einhergeht. Mit einer Prävalenz von 12 bis 17% in der weiblichen und 6 bis 8% in der männlichen Bevölkerung ist die Migräne eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen überhaupt.

Ziel der Migräneprophylaxe ist es, die Häufigkeit und Schwere der Migräneanfälle zu vermindern sowie die Wirkung der Akutmedikation zu verbessern. Als nichtmedikamentöse Maßnahmen wird den Betroffenen vor allem ein geregelter Schlaf, Abbau von Stress, eine Reduktion des Alkoholkonsums und die Meidung von Triggerfaktoren empfohlen.

ADP → ATP

Eine einzige menschliche Zelle enthält bis zu 2000 Mitochondrien, die ADP in ATP umwandeln. Der Körper gewinnt auf diese Weise über 90% seiner Energie.

Funktion von Vitamin B2

Vitamin B2 oder Riboflavin ist den Lesern als gelblicher Farbstoff, der häufig in der Lebensmittelindustrie unter der Bezeichnung E 101 eingesetzt wird, bekannt. Es spielt eine zentrale Rolle als Biokatalysator (Coenzym) in der mitochondrialen Atmungskette. In den Mitochondrien, den "Kraftwerken der Zellen", werden Makronährstoffe (Fett, Kohlenhydrate, Eiweiße) zur Gewinnung purer Stoffwechselenergie (in Form des Adenosintriphosphats, ATP) verbrannt. ATP ist der Kraftstoff für alle energieabhängigen Prozesse in unserem Körper (Abb. 1).

Darüber hinaus ist Vitamin B2 als Coenzym der Glutathion-Reduktase wesentlich für die Regeneration von L-Glutathion aus oxidativ verbrauchtem Glutathiondisulfid (GSSG) verantwortlich. Zusammen mit Eisen ist es zudem an der Produktion der roten Blutkörperchen beteiligt, die alle Körperzellen mit Sauerstoff versorgen. Zu den Arzneimitteln die den Vitamin-B2 -Stoffwechsel stören, zählen vor allem orale Kontrazeptiva und trizyklische Antidepressiva. Bemerkenswert ist, dass Letztere zum Teil auch zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden [3].

Für Prävention und Therapie

Vitamine, Mineralstoffe und andere Mikronährstoffe spielen eine große Rolle bei der Prävention und Therapie ernährungsassoziierter Krankheiten. Eine chronische Unterversorgung an essenziellen Mikronährstoffen kann komplexe metabolische Störungen auslösen, auf deren Boden sich im Lauf der Jahre handfeste Zivilisationserkrankungen entwickeln. In dieser Serie werden die wesentlichen, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse über Mikronährstoffe kurz und übersichtlich zusammengefasst. Nutzen Sie das Wissen bei der Beratung in der Apotheke!

Aktuell

Klinische Studien zum Einsatz von Vitamin B2

Bei der Pathogenese der Migräne wird unter anderem auch eine Störung des mitochondrialen Energiestoffwechsels diskutiert [4]. Da Vitamin B2 als Coenzym in der Atmungskette (Komplex I und II) fungiert, untersuchten belgische Wissenschaftler im Jahre 1998 in einer randomisierten und doppelblinden klinischen Studie an 55 Patienten mit Migräne, ob Vitamin B2 die Häufigkeit und Schwere der Migräneattacken reduzieren kann. Die Patienten erhielten über einen Zeitraum von drei Monaten täglich 400 mg Vitamin B2 oder ein Placebo. Danach war die Häufigkeit der Attacken in der Placebogruppe unverändert, in der Verumgruppe hingegen von 3,8 auf 1,8 pro Monat gesunken (p = 0,0001). Auch die Dauer und der Schweregrad der Attacken wurden durch Vitamin B2 signifikant verringert [5].

Ähnliche Ergebnisse liefert eine aktuelle Studie an 41 Kindern und Heranwachsenden, die 200 mg bzw. 400 mg Vitamin B2 täglich während drei, vier oder sechs Monaten erhielten. Auch hier wurden Häufigkeit und Intensität der Migräneattacken durch Vitamin B2 gesenkt (p < 0,01) [6].

Aufgrund seiner guten Wirksamkeit und seines günstigen Nebenwirkungsprofils ist Vitamin B2 auch ein sinnvolles Adjuvans zur medikamentösen Migräneprophylaxe mit Betablockern (z. B. Metoprolol, Propranolol). Seine volle Wirkung entfaltet es erst nach mehrmonatiger Einnahme.

Neben Vitamin B2 haben sich auch andere Mikronährstoffe wie Coenzym Q10 und Magnesium in der Prophylaxe der Migräne als hilfreich erwiesen [7]. Diese können mit Vitamin B2 kombiniert werden, da sie sich in ihrer Funktion im mitochondrialen Stoffwechsel sinnvoll ergänzen (siehe Tab. 1).

Kompakt*

AnwendungsgebieteEmpfohlene DosierungApplikation
Allgemeine Prävention5 – 20 mg/dp.o.
Aids/HIV-Infektion50 –100 mg/d als B-Komplexp.o.
Migräne, Anfallsprophylaxe200 – 400 mg/d (z. B. 2 x 200 mg/d, 
auch Kombination mit Magnesiumcitrat, Coenzym Q10 oder Betablockern)
p.o.
Myopathien (z. B. Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel)100 – 200 mg/d
(zusätzlich Acetyl-L-Carnitin)
p.o.
Katarakt10 – 50 mg/d als B-Komplexp.o.
Lactatazidose, mitochondriale Dysfunktion
(z. B. NRTI-induzierte)
50 – 100 mg/d (als B-Komplex, v. a. mit 
Vitamin B1 und Vitamin B12)
p.o.
Langzeittherapie mit oralen Kontrazeptiva, Phenothiazinen, trizyklischen Antidepressiva oder Tamoxifen20 – 100 mg/d (auch Kombination mit Coenzym Q10 und Niacin)p.o.
Methämoglobinämie, rezessive kongenitale20 – 120 mg/dp.o., i.m.
Phototherapie (Blaulichtbestrahlung) bei Neugeborenen mit Hyperbilirubinämie0,5 mg/kg KG/dp.o., i.m.
Sichelzellenanämie10 – 20 mg/dp.o.

Weitere Anwendungsgebiete:

Anämie, Diabetes mellitus, Fatigue, Hämodialyse, Hyperhomocysteinämie, Präeklampsie, parenterale Ernährung

Vitamin B2 (Riboflavin)

Funktionen: Coenzymatisch aktive Formen sind Flavinmononucleotid (FMN) und Flavinadenindinucleotid (FAD); sie zählen zu den wichtigsten Elektronen-Akzeptoren und -Donatoren biologischer Redoxsysteme.

  • Mitochondrialer Energiestoffwechsel (Atmungskette): Intermediärstoffwechsel und energetische Verwertung von Kohlenhydraten, Fett und Proteinen,
  • Antioxidanz (GSH-Reduktase): Reduktion von oxidiertem (GSSG) zu reduziertem Glutathion (GSH),
  • Xenobiotika-Entgiftung (Flavoprotein-Monooxygenase): Arzneimittel, Pestizide, Karzinogene,
  • Immunsystem (NADPH-Oxidase): Phagozytose, Abwehr bakterieller Infektionen und Tumorzellen,
  • Coenzym im Stoffwechsel von Folsäure, Niacin, Vitamin B6 und Vitamin K,
  • Homocystein-Stoffwechsel: Coenzym der 5,10-Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR): 5,10-Methylen-THF → 5-Methyl-THF,
  • Hämatopoese: Eisen-Utilisation, Erythropoese,
  • Nebennierenmarkhormone: Synthese von Adrenalin,
  • Purinabbau (Xanthinoxidase): Oxidation von Hypoxanthin zu Harnsäure,
  • Fettsäurenstoffwechsel (Acyl-CoA-Dehydrogenase): Erster Dehydrierungsschritt bei der β-Oxidation,
  • Aminosäurenabbau: Oxidative Desaminierung.

 

Empfohlene Zufuhr: (laut D-A-CH): Jugendliche und Erwachsene 1,2 bis 1,5 mg/d, Schwangere und Stillende 1,5 bis 1,6 mg/d.

 

Vitamin-B 2 -Status: a) Aktivität der erythrozytären Glutathion-Reduktase (EGR) nach In-vitro-Stimulation mit FAD (Mangel): > 1,2;

b) renale Riboflavin-Exkretion (Mangel): < 40 µg/g Kreatinin;

c) Vitamin-B2 -Konzentration im Vollblut (normal): 80 bis 200 µg/l.

Praktische Hinweise: Nüchternblut (12 Stunden Nahrungskarenz), venöse Blutentnahme, Vollblut (Heparinröhrchen oder EDTA, 0,5 ml), EGR-Aktivität (Erythrozytenhämolysat), Lichtschutz (z. B. Alufolie).

 

Interaktionen mit Arzneimitteln/Nährstoffen:

Erhöhung des Bedarfs: Antidepressiva, Nucleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI, z. B. Zidovudin), orale Kontrazeptiva, Phenothiazine, Proteasehemmer, Zytostatika (z. B. Anthracycline). Erhöhte renale Exkretion: Diuretika (z. B. Thiazide), Borsäure. Störung der Resorption/Utilisation: Trizyklische Antidepressiva und Phenothiazine (z. B. Chlorpromazin; → Hemmung der Riboflavinkinase), Antacida (z. B. Aluminium-haltige), Antibiotika (z. B. Tetracycline), Antimalariamittel, Barbiturate (z. B. Phenobarbital), Celecoxib, Probenecid, Thyroxin, Zytostatika (z. B. Doxorubicin).

Erhöhter Bedarf:

Schwangerschaft, Stillzeit, Leistungssportler, Operationen, Traumen, Phototherapie Neugeborener mit Hyperbilirubinämie. Ernährung/Lebensstil: Einseitige Ernährung (z. B. Fast Food), Alkoholabusus, keine Milchprodukte (Lactoseintoleranz), hohe Verluste bei Lichtexposition (bis zu 50% in Milch aus Klarglasflaschen). Erkrankungen: Aids/HIV, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Darmmykosen, Defekte der Atmungskette (z. B. Acyl-CoA-Dehydrogenase), Diabetes mellitus (Verlust über den Urin), Hämodialyse, Hypothyreose, Karpaltunnel-Syndrom, Krebs, Migräne, mitochondriale Myopathien, Methämoglobinämie, Präeklampsie, Sichelzellenanämie, Sprue.

 

Mangelsymptome:

Augen: Lichtempfindlichkeit, brennende Augen, Keratitis, Vaskularisierung der Cornea, Trübungen der Linse und des Glaskörpers, erhöhtes Kataraktrisiko. Blut: normochrome normozytäre Anämie mit Retikulozyto-, Leuko-, Thrombozytopenie, Hyperhomocysteinämie, Anstieg des Pyruvat- und Lactatspiegels, Lactatazidose, Methämoglobinämie. Haut/Schleimhaut: Cheilosis, Rötung, Schuppung, seborrhoische Dermatitis in Nasolabialfalte, Ohren und Genitalbereich, Entzündungen der Mundschleimhaut und Zunge (Glossitis), Mundwinkelrhagaden. Muskuläre/Neurologische Störungen: Muskelschwäche, Fatigue, periphere Neuropathien, Depression, Lethargie. Schwangerschaft: Skelettanomalien beim Fetus. Stoffwechselstörungen: Mitochondriale Dysfunktion und Myopathien, Störungen im Eisen-, Folsäure-, Niacin-, Vitamin-B6 -, Vitamin-B12 - und Vitamin-K-Stoffwechsel.

 

Einnahme: Zwischen oder zu den Mahlzeiten; Tagesdosis über den Tag verteilt einnehmen.

Nebenwirkungen und Toxizität: Vitamin B2 besitzt eine geringe Toxizität. Über unerwünschte Wirkungen wurde selbst bei hoher Dosierung nicht berichtet. Eine starke Gelbfärbung des Urins zeigt eine erhöhte Riboflavinexkretion an und ist harmlos.

Höchste unschädliche Aufnahme (NOAEL): 200 mg.

Spezifische Wechselwirkungen

  • Antacida, Aluminium-haltige: Sie bilden mit Vitamin B2 schwerlösliche Komplexe.
  • Antidepressiva: Trizyklika und Phenothiazine (z. B. Chlorpromazin) hemmen die Riboflavinkinase und damit den Einbau von Vitamin B2 in FAD und FMN (Flavinantagonisten).
  • Calcium, Eisen und Zink: Ihre Resorption ist bei Vitamin-B2 -Mangel beeinträchtigt.
  • Kontrazeptiva, orale: Ihre langfristige Einnahme kann zu Störungen im Vitamin-B2 -Status führen.
  • Phenobarbital: Es fördert den Abbau von Vitamin B2 über Leberenzyme und erhöht das Risiko für einen Vitamin-B2 -Mangel.
  • Probenecid: Es kann bei gleichzeitiger Einnahme die Vitamin-B2 -Resorption vermindern.
  • Schilddrüsenhormone: Sie fördern die Bildung von FAD und FMN aus Vitamin B2 .
  • Tamoxifen beim Mammakarzinom: Aktuelle Studien lassen vermuten, dass die zusätzliche Gabe von Vitamin B2 zusammen mit Nicotinamid und Coenzym Q10 das Risiko der Rezidiv- und Metastasenbildung verringern kann.
  • Zytostatika: Anthracycline (z. B. Doxorubicin) hemmen die Riboflavinkinase und damit den Einbau von Vitamin B2 in FAD und FMN (Flavinantagonisten).

Literatur
[1] Maizels M, et al. A combination of riboflavin, magnesium, and feverfew for migraine prophylaxis: a randomized trial. Headache 2004;44(9):885 – 890.
[2] Sandor PS, et al. Prophylactic treatment of migraine with beta-blockers and riboflavin: differential effects on the intensity dependence of auditory evoked cortical potentials. Headache 2000;40:30 – 35.
[3] Gröber U. Mikronährstoffe – Metabolic Tuning – Prävention – Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, in Vorbereitung.
[4] Panetta J, et al. Effect of high-dose vitamins, coenzyme Q and high-fat diet in paediatric patients with mitochondrial diseases. J Inherit Metab 2004;27(4):487 – 498.
[5] Schoenen J, et al. Effectiveness of high-dose riboflavin in migraine prophylaxis. A randomized controlled trial. Neurology 1998;50:466 – 470.
[6] Condo M, et al. Riboflavin prophylaxis in pediatric and adolescent migraine. J Headache Pain 2009;10(5):361 – 365.
[7] Sandor PS, et al. Efficacy of coenzyme Q10 in migraine prophylaxis: a randomized controlled trial. Neurology 2005;64(4):713 – 715.


Autor
Uwe Gröber, Akademie & Zentrum für Mikronährstoffmedizin, Zweigertstraße 55, 
45130 Essen
www.mikronaehrstoff.de


* Aus Uwe Gröber: Mikronährstoff-Beratungsprogramm. CD-ROM, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2008.
Tab. 1: Mikronährstoffe zur Migräneprophylaxe. Dosierungsempfehlungen pro Tag
Mikronährstoff
Dosierung
Vitamin B2
200 – 400 mg
Magnesium
400 – 900 mg
Coenzym Q10
90 – 300 mg

Literaturtipp

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Gröber, Uwe
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2. Auflage, 384 S., flex. 22,– Euro

Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2006 ISBN 978-3-8047-2270-5

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