Deutscher Apothekertag 2009

Von Verantwortung, Grundrechten und Eigeninteressen

Von Spannung auf den Ausgang der Bundestagswahl war die diesjährige Eröffnung der Expopharm gekennzeichnet. Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), stellte seine Rede unter das Motto des Apothekertags 2009 und machte deutlich, dass die Apotheker – unter welcher Regierung auch immer – mehr Verantwortung bei der Arzneimittelversorgung übernehmen wollen. Allerdings müssten dafür die Rahmenbedingungen stimmen. Hier gebe es noch einigen Verbesserungsbedarf. Zu viel Bürokratie, der zu hohe Apothekenabschlag, Pick-up-Stellen, Probleme im Zusammenhang mit den Rabattverträgen und die Unklarheiten bei der Austauschbarkeit waren Beckers Kritikpunkte. Vielfach deckte sich die Kritik mit der seiner Nachredner aus der pharmazeutischen Industrie. Bei einigen Aspekten wie dem Belieferungsanspruch des Großhandels gab es jedoch erwartungsgemäß Kontroversen.
Fritz Becker Austauschbarkeit bei Rabattarzneimitteln regeln.

Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Mai 2009, das das Fremdbesitzverbot und die inhabergeführte Apotheke in Deutschland bestätigt hat, bleibe die pharmazeutisch objektive Beratung das vorrangige Kriterium der Arzneimittelversorgung, erklärte Becker. "Für uns unabhängige Apotheker muss jetzt das Ziel sein, das in uns gesetzte Vertrauen auszubauen und damit weiter zu stärken." Voraussetzung dafür sei, dass die Kompetenz als Heilberufler im Kontakt mit den Patienten gelebt werde. Das Qualitätsmanagement spielt Becker zufolge in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Hier gebe es noch Verbesserungspotenzial. Als Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes werde er sich mit Nachdruck für die Akzeptanz eines eigenen QMS-Systems für die deutschen Apotheken einsetzen.

Wirkstoffverordnung und Zielpreismodell

"Wir wollen aber nicht nur bestehende Aufgaben verbessern. sondern unsere Rolle als Heilberuf und Partner im Gesundheitswesen weiterentwickeln", meinte Becker. "Deshalb sind wir bereit, die Ärzte dort, wo es für alle Beteiligten sinnvoll ist, durch die Übernahme von Verantwortung zu entlasten." Denkbar ist seiner Aussage nach in diesem Zusammenhang z. B. die Wirkstoffverordnung durch den Arzt. Die Apotheken könnten dadurch Kosteneinsparungen für die Krankenkassen erzielen und mehr Flexibilität für die Patienten ermöglichen und die Ärzte würden unabhängiger von wirtschaftlichen Zwängen. Verstärken ließen sich die Vorteile der Wirkstoffverordnung Becker zufolge, wenn sie an das Apotheker-Zielpreismodell gekoppelt würden. Vorstellbar ist für ihn zudem die Ergänzung des Kollektivvertrages durch einzelvertraglich vereinbarte, pharmazeutische Zusatzdienstleistungen.

Senkung des Apothekenabschlags gefordert

Im Gegenzug für die Übernahme von mehr Verantwortung forderte Becker eine Absenkung des Apothekenabschlags. Der DAV habe bei Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband bereits einen Kompromiss erreicht. Das Verhandlungsergebnis von 1,70 Euro sei dann im Nachhinein von Seiten des GKV-Spitzenverbands jedoch wieder infrage gestellt worden. Nun werde die Schiedsstelle in den kommenden Wochen entscheiden. Becker dazu: "Ich fordere nun eine Entscheidung, die die Apotheken endlich von den entstandenen Zusatzkosten entlastet und zudem die Erhöhung des Jahres 2007 von 2 Euro auf 2,30 Euro zurücknimmt."

Kritik an AOK-Rabattverträgen

Kritik übte der DAV-Vorsitzende an den AOK-Rabattverträgen, die nur einen Rabattpartner pro Wirkstoff und Gebietslos vorsehen. Nach wie vor fordere der DAV mindestens drei Zuschläge je Wirkstoff und Gebietslos. Becker freute sich darüber, dass das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen diese Forderung mit seinem am 3. September ergangenen Urteil wieder auf eine rechtlich verbindliche Basis gestellt hat, nachdem die 2. Vergabekammer des Bundes drei Zuschläge je Wirkstoff und Gebietslos zuvor für nicht konform mit dem Vergaberecht erklärt hatte. "Drei Rabattpartner je Wirkstoff sind rechtlich zulässig", bekräftigte er. Diejenigen, die ihre Entscheidungen bislang ausschließlich an kurzfristigen Kosteneinsparungen ausgerichtet hätten, forderte Becker mit Nachdruck erneut auf, den vorhandenen, nunmehr rechtssicheren Spielraum auch zu nutzen.

Austauschbarkeit regeln

Einen raschen Dissens mahnte Becker bezüglich der Austauschbarkeit von Arzneimitteln ohne vollständige Indikationsgleichheit an. Jede Neuregelung im Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung müsse dabei unbedingt gewährleisten, dass das konkrete Arzneimittel, das der Patient erhält, auch für das Anwendungsgebiet zugelassen ist, das der Erkrankung des Patienten entspricht. Der DAV habe bereits eine sinnvolle Verfahrensmöglichkeit vorgeschlagen, um dieses unverzichtbare Kriterium auch bei mehr Flexibilität in der Substitution zu erfüllen.

Absage an Pick up

Eine deutliche Forderung an die Politik stellte Becker in puncto Pick-up-Stellen. Die AMG-Novelle enthält hierzu keine Änderungen. Unverändert, so Becker, sei es möglich, die strikten gesetzlichen Vorgaben an die Arzneimittelversorgung in Apotheken zu umgehen und Medikamente neben dem Wühltisch, der Zapfsäule und dem Dönerspieß auszuliefern. "Dieser beratungsfreie und grenzenlose Vertrieb von Arzneimitteln, bei dem das Potenzial für Neben- und Wechselwirkungen völlig unberücksichtigt bleibt, ist in höchstem Maße unverantwortlich", schimpfte er. Die Politik sei aufgefordert, nach der Bundestagswahl die Themen Rezeptsammlung und Pick up unverzüglich anzugehen. Das von der ABDA in Auftrag gegebene Rechtsgutachten stelle klar, dass dem Verbot dieser "unsäglichen Praktiken" verfassungsrechtlich nichts entgegenstehe.

Änderung der Großhandelsvergütung: ja, aber

Becker ging in seiner Rede auch auf die in der 15. AMG-Novelle enthaltenen Änderungen für den Großhandel ein. Die vom Phagro geforderte Umstellung der bislang preisdegressiven Vergütung auf ein Modell bestehend aus einer variablen Komponente und einem Fixentgelt ist dagegen nicht in den Regierungsentwurf aufgenommen worden. Aus Sicht des DAV, so Becker, war dies konsequent. Denn die "fünf vor zwölf" vom Bundesgesundheitsministerium vorgeschlagene Ausgestaltung der variablen und fixen Entgeltkomponenten sei so sehr zweckentfremdet gewesen, dass das eigentliche Ziel der Vergütungsumstellung nicht erreicht worden wäre. Die BMG-Vorschläge hatten Subventionen für die GKV in Höhe von 500 Mio. Euro vorgesehen. Die Funktionsfähigkeit des vollsortierten Großhandels wäre Becker zufolge so nicht gewährleistet und der Wettbewerb quasi abgeschafft worden. Damit hätten die BMG-Vorschläge auch die Apotheken belastet und so die wohnortnahe und flächendeckende Arzneimittelversorgung gefährdet. Becker dazu: "Unser Standpunkt in dieser Angelegenheit ist unverändert. Eine neue Vergütung des Großhandels muss den Zweck erfüllen, die bisherigen Fehlanreize zu korrigieren. Eine finanzielle Belastung der Apotheken, die durch eine überzogene Einschränkung des variablen Vergütungsteils resultieren würde, untergräbt aus unserer Sicht den GKV-Abschlag in voller Höhe."

Plischke: Eingriff in die Berufsfreiheit

Positiv nannte Becker dagegen die Aufnahme des Belieferungsauftrags und -anspruchs des Großhandels in der AMG-Novelle. Das sah Dr. Wolfgang Plischke, Vorstandsvorsitzender des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA), ganz anders. Wie er in seinem Grußwort zur Expopharmeröffnung sagte, sollte es dem Hersteller überlassen werden, welchen Vertriebsweg er für sein Arzneimittel am besten geeignet hält. Entscheidend sei dabei nur, dass die Sicherheitsanforderungen eingehalten würden und ein ordnungsgemäßer Transport erfolge. Der VFA rede im Übrigen keineswegs dem Direktvertrieb als alleinigem Vertriebskanal das Wort. "Aber die Wahl des Vertriebswegs muss zunächst beim Arzneimittelhersteller liegen und dann gemeinsam mit seinen Partnern, also den Apotheken und dem Großhandel, umgesetzt werden", meinte Plischke. Die letzte AMG-Novelle sei aus Sicht des VFA daher ein problematischer Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmen. Plischke: "Wir sollten gemeinsam wachsam sein, wenn an unseren Grundrechten gerüttelt wird – Apotheken genauso wie die pharmazeutische Industrie."

Trümper: Grundrecht Belieferungsanspruch

"Auch wir kleinen Pharmagroßhändler haben Grundrechte", ging Dr. Thomas Trümper, Vorsitzender des Bundesverbands der pharmazeutischen Großhändler (Phagro), zu Beginn seines Grußworts auf seinen Vorredner Plischke ein. Es könne nicht sein, dass jemand aus dem Markt ausgeschlossen werde. "Wir wollen am Markt teilhaben. Das wiegt schwerer als monetäre Wünsche einzelner Hersteller", meinte er. Dass der Vorschlag des Phagro zur Änderung der Großhandelsvergütung doch kein Gehör gefunden hat, bedauerte Trümper. Er warnte davor, dass der Großhandel bei Ausbleiben einer entsprechenden Regelung bald nicht mehr in der Lage sei, den Versorgungsauftrag für die Apotheken im gewohnten Umfang zu erfüllen. "Wir brauchen angemessene Margen", mahnte er und appellierte an den DAV, sich weiter hierfür einzusetzen.

Hoffmann: Das Grüne Rezept wirkt

Erfreuliches hatte Hans-Georg Hoffmann, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), in seinem Grußwort zu berichten. Über die Ärzte Zeitung hatte der BAH gemeinsam mit dem DAV im Februar dieses Jahres eine Kampagne zur weiteren Verbreitung des Grünen Rezepts gestartet. Im Rahmen der Aktion wurden den Ärzten auf Bestellung durch den BAH bzw. durch Weiterleitung von Apotheken an interessierte Ärzte, sechs Millionen Rezeptblätter zur Verfügung gestellt. Den Ärzten sollte mit der Kampagne die therapeutische Sinnhaftigkeit von rezeptfreien Arzneimitteln verdeutlicht werden, erklärte Hoffmann. Dies sei offenbar gelungen. "Das Grüne Rezept wird von den Ärzten gut angenommen", freute sich Hoffmann. Vier Monate nach Beginn der Kampagne, im Juni 2009, war die erste Auflage der bereitgestellten Rezepte aufgebraucht. Der Anteil der Grünen Rezepte an allen Verordnungen im OTC-Bereich stieg im ersten Halbjahr 2009 um acht Prozent. Der BAH habe deshalb beschlossen, die Kampagne fortzusetzen, bis definitive Aussagen über die ökonomische Wirkung des Rezeptes getroffen werden könnten. Die bis jetzt vorliegenden Marktdaten und ihre Analyse würden Anlass zu der Annahme geben, dass das Grüne Rezept ökonomisch positiv wirke, so dass dann ab nächstem Jahr die begünstigten und interessierten Firmen die Aktion in eigener Verantwortung fortführen könnten.

Das wichtigste an der Aktion ist laut Hoffmann, dass ausschließlich der Arzt darüber entscheidet, ob er das Grüne Rezept verwendet und welches rezeptfreie Arzneimittel er mit dieser Verordnung empfiehlt. Die Apotheker hätten sich dabei in vorbildlicher Form an die Abgabe genau des verordneten Arzneimittels gehalten. Der BAH führt dies auf eine "offene und vorurteilsfreie Diskussion zu diesem Thema" zurück.

Auf die Unterstützung der Apothekerschaft setzt Hoffmann bezüglich der Diskussion um die Austauschbarkeit. Die Hersteller halten an ihrer Position fest, dass ein Austausch wirkstoffgleicher Präparate ohne vollständige Indikationsgleichheit nicht rechtens ist. Die extensive Auslegung des BMG diesbezüglich verlagere das Haftungsrisiko auf Ärzte und Apotheker und könne dazu führen, dass Patienten mit Arzneimitteln versorgt werden, die für die Behandlung ihrer Krankheit nicht zugelassen sind.

Ammer: 98 ist nicht gleich 100

Hiervor warnte auch Dr. Dr. Richard Ammer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des

Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI). Er griff zudem die Problematik der Packungsgrößen auf. Die AOK hat beim Wirkstoff Omeprazol den Zuschlag an einen Hersteller erteilt, der die Normgröße N3 in einer Packungsgröße von 98 Tabletten anbietet. In der Apotheke führe dies zu einem weiteren Austauschproblem, denn gesetzlich vorgeschrieben ist, dass nur Arzneimittel mit identischer Packungsgröße ausgetauscht werden dürfen. Stehen 100 Tabletten auf dem Rezept, darf der Apotheker keine 98er Packung abgeben, denn "98 sind eben nicht 100". Für die AOK, so Ammer, sei jedoch N3 gleich N3. "Wir haben aber sogar einen Hersteller, der Omeprazol mit 58 Stück in der Packung N3 anbietet. Spätestens hier wird deutlich, wesen Geistes Kind die Logik der AOK ist", kritisierte der BPI-Vorstandsvorsitzende. ral

Dr. Wolfgang Plischke Vertriebsweg ist Sache der Hersteller.
Dr. Thomas Trümper Wir brauchen angemessene Margen.
Hans-Georg Hoffman Arzneimittel ohne Indikationsgleichheit nicht austauschbar.
Dr. Dr. Richard Ammer N3 = 98 oder 100 oder 58.
Eröffnung der Expopharm Zuviel Bürokratie, Probleme mit Rabattverträgen.

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