Arzneimittel und Therapie

Wieder eine Horrornachricht: Schmerzmittel erhöhen das Alzheimerrisiko!?

Schmerzmittel bleiben das Lieblingssujet für Horrormeldungen. Hörten wir vor einem halben Jahr, dass die gelegentliche Einnahme von Schmerzmitteln (Cyclooxygenasehemmern) die Herzinfarktrate erhöht [1], so ist es nunmehr die Gefahr, früher an Alzheimer Demenz zu erkranken, wenn man intensiv und regelmäßig – das sei dazugesagt – Cyclooxygenasehemmer einnimmt. Während die erste Horrormeldung in die Laienpresse vordrang und sogar die staatlichen Aufsichtsbehörden irritierte, hat die Mitteilung zur Alzheimer Demenz noch nicht so hohe Wellen geschlagen. Auch hier ist Deeskalation angesagt.

Die zitierte Arbeit von Fosbøl erwies sich bei genauem Hinsehen als im wahrsten Sinne des Wortes wissenschaftlicher Unfug, da die Autoren unterschiedliche Gruppen ganz unterschiedlichen Alters miteinander verglichen und dadurch zu vollkommen falschen Schlüssen kamen [vgl. 2]. Die neue Analyse der Inzidenz der Alzheimer Demenz ist zumindest statistisch sehr viel seriöser [3]. Sie ist interessant, weil lange Zeit geglaubt wurde, die regelmäßige Einnahme von Cyclooxygenasehemmern (Celecoxib und Rofecoxib) könne Alzheimer Demenz verhindern oder zumindest ihren Eintritt verzögern [4]. Dieser Glaube stand ohnehin auf schwachen Füßen [5], und insofern ist die Arbeit von Breitner et al. durchaus von Interesse.

Anlass zur Sorge für Schmerzpatienten und -therapeuten sollte sie aber nicht sein, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Eine erhöhte Inzidenz der Alzheimerkrankheit im späteren Leben (83! Jahre im Mittel) trat nur bei denjenigen Patienten auf, die in den zehn Jahren vorher sehr intensiv Cyclooxygenasehemmer eingenommen hatten.

2. Es lässt sich nicht ausschließen, dass, wie früher behauptet [4], Cyclooxygenasehemmer das Auftreten von Alzheimer Demenz in jüngeren Jahren verzögert. Eine derartige Reduktion des Auftretens von Alzheimer Demenz bei Jüngeren war in der vorliegenden Studie nicht evident (auch aus methodischen Gründen). Sollte sie trotzdem vorhanden sein, wäre vermutlich das Risiko des Auftretens der Krankheit bei Älteren erhöht.

3. Die erhöhte Inzidenz ist aufgrund der großen beobachteten Patientenpopulation zwar statistisch robust, aber insgesamt gering (Steigerung um ca. 50% bei den Intensivschmerzmittelkonsumenten).

4. Schließlich ist anzumerken, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, deren Aussagen, wie immer bei derartigen Studien, dadurch unsicher sind, dass Ärzte unterschiedliche Patienten unterschiedlich behandeln. Dadurch kommt es zu Ungleichgewichtigkeiten (Confounder). Intensiv Cyclooxygenasehemmer brauchende Patienten haben typischerweise rheumatische Erkrankungen, bewegen sich weniger, leben ungesünder etc. als solche ohne Gelenkschmerzen.

Fazit

Cyclooxygenasehemmer schützen weder vor Alzheimer Demenz noch beschleunigen sie das Auftreten wesentlich. Gute Schmerztherapie kann daher weiterhin auch ohne Angst vor Alzheimer Demenz durchgeführt werden – vorausgesetzt, dass nicht unnötig hohe Dosen über unnötig lange Zeit verabreicht werden [vgl. dazu 6].

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes www.dgss.org 

 

Literatur 

[1] Fosbøl E et al.: Risk of Myocardial Infarction and Death Associated With the Use of Nonsteroidal Anti-Inflammatory Drugs (NSAIDs) Among Healthy Individuals: A Nationwide Cohort Study. Clin Pharmacol Ther. Clin Pharmacol Ther. 2009; 85(2): 190-7. Epub 2008 Nov 5.

[2] Brune K, Renner B: Gefährden Cyclooxygenasehemmer auch Gesunde? Dtsch Apoth Ztg 2008; 148(51/52) 5765 ff.

[3] Breitner JC et al.: Risk of dementia and Alzheimer Demenz with prior exposure to NSAIDs in an elderly communitybased cohort. Neurology. 2009 Apr 22.

[4] in t‘ Veld BA et al.: Nonsteroidal antiinflammatory drugs and the risk of Alzheimer‘s disease. N Engl J Med. 2001 Nov 22;345(21): 1515-21.

[5] Arvanitakis Z et al.: Relation of NSAIDs to incident Alzheimer Demenz, change in cognitive function, and Alzheimer Demenz pathology. Neurology. 2008 Jun 3;70 (23): 2219-25.

[6] Hinz B, Brune K: Can drug removals involving cyclooxygenase-2 inhibitors be avoided? A plea for human pharmacology. Trends Pharmacol Sci. 2008 Aug; 29(8): 391-7.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Kay Brune, Doerenkamp-Stiftungsprofessur, Institut für Exp. und Klin. Pharmakologie und Toxikologie, FAU Erlangen-Nürnberg

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