Zu hohe Distributionskosten für Generika?

Nach 25 Jahren weckt der Arzneiverordnungs-Report noch immer reges Interesse

Berlin (ks). Auch in diesem Spätsommer kommt der alljährlich erscheinende Arzneiverordnungs-Report (AVR) zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Krankenkassen in der Arzneimittelversorgung viel Geld sparen könnten. 29,2 Mrd. Euro hat die GKV 2008 für Medikamente ausgegeben – mindestens 6,1 Mrd. Euro weniger könnten es sein, erklärte AVR-Herausgeber Prof. Ulrich Schwabe bei der Vorstellung des nunmehr im 25. Jahr publizierten Reports am 17. September in Berlin. Vorausgesetzt, wir hätten englische Generikapreise und bei einigen patentgeschützten Arzneien amerikanische Preise.

Bleiben wir bei unseren deutschen Preisen, so beläuft sich das von den AVR-Autoren berechnete Einsparpotenzial immerhin noch auf 3,4 Mrd. Euro: Bei Generika sehen sie Spielraum für 1,1 Mrd. Euro, 1,7 Mrd. könnten gehoben werden, wenn auf Analogpräparate ohne Zusatznutzen verzichtet würde und weitere 0,6 Mrd. Euro, wenn die Verordnung umstrittener Arzneimittel unterbliebe. Dabei erkennen die Autoren durchaus an, dass Generika bereits kräftig zur Entlastung der GKV beigetragen haben und die Preise in diesem Segment 2008 abermals gesunken sind. Auch Rabattverträge zeigten ihre Wirkung – auch wenn die geschätzten 300 Mio. Euro Entlastung das vorhandene Einsparpotenzial bei Weitem nicht ausschöpften. Dennoch: Um fast 313 Mio. Euro ging der Generika-Umsatz im letzten Jahr zurück – und das obwohl die Verordnungszahl im Vergleich zu 2007 um 2,1 Prozent anstieg, erläuterte Prof. Dieter Paffrath. Die Nachahmerprodukte könnten jedoch "noch erfolgreicher sein, wenn sie nicht mit hohen Distributionskosten belastet würden", monierte sein Herausgeber-Kollege Schwabe. Ließen wir uns in Deutschland etwa auf englische Preise ein, wo der Apotheker pro abgegebener Packung nur 90 Pence erhalte, könnten nicht nur 1,1 Mrd. sondern gar 3,4 Mrd. Euro gespart werden, erklärte er. Er verwies darauf, dass ein Generikahersteller in Deutschland beispielsweise für Simvastatin (100 Tbl. 20 mg zum Verkaufspreis von 15,46 Euro) nur 4,24 Euro erhalte, der Apotheker mit 8,24 Euro hingegen fast doppelt so viel.

Dafür, dass die GKV im vergangenen Jahr 5,3 Prozent mehr für Arzneimittel ausgegeben hat als 2007 machen die AVR-Autoren aber in erster Linie wenige Arzneimittelgruppen, die Patentschutz genießen, verantwortlich. Im Vergleich zu 2007 stieg etwa der Umsatz bei Angiotensinhemmstoffen um 113 Mio. Euro, bei Antidiabetika um 125 Mio. Euro, bei Immuntherapeutika um 429 Mio. Euro und bei Tumortherapeutika um 235 Mio. Euro. Auch wenn die AVR-Herausgeber anerkennen, dass ohne Patentschutz keine neuen Arzneimittel entwickelt werden können, so sehen sie es doch kritisch, dass die Hersteller die Preise für diese neuen Präparate weitgehend frei bestimmen können. So schlugen Spezialpräparate 2008 bei den Kassen mit 7 Mrd. Euro zu Buche, das sind fast ein Viertel der GKV-Gesamtausgaben für Arzneimittel. Ihr Verordnungsanteil am Gesamtmarkt belief sich allerdings nur auf 2 Prozent. Auch die Impfstoffverordnungen, die 2008 Mehrausgaben von 230 Mio. Euro verzeichneten, fallen in ihrer Gesamthöhe von nunmehr 1,5 Mrd. Euro ins Gewicht. Schwabe verwies auf die HPV-Impfstoffe, die in Deutschland hochpreisig wie in keinem anderen Land seien. Während hierzulande 477 Euro für eine Grundimmunisierung zu zahlen sind, koste die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs in den USA nur 247 Euro, in der Schweiz 314 Euro. Angesichts dieser Entwicklungen widmet der AVR den Impfstoffen in diesem Jahr ein Schwerpunktkapitel.

DAV: Frei erfundene Apotheken-Honorare

Der Deutsche Apothekerverband (DAV) wies es von sich, dass die Apotheken für eine Verteuerung von Generika sorgten. "Professor Schwabe nennt frei erfundene Apothekenhonorare, ohne aber die gesetzlichen Zwangsrabatte an die Kassen in Abzug zu bringen. Das ist ebenso peinlich wie unseriös", monierte der DAV-Vorsitzende Fritz Becker. Er betonte, dass die Apothekerinnen und Apotheker im laufenden Jahr für Milliarden-Einsparungen bei den Krankenkassen sorgten – doch diese habe man bei der Vorstellung des AVR unter den Tisch fallen lassen. Becker betonte: "Fakt ist: Apotheken sind für das Ausgabenwachstum bei Arzneimitteln nicht verantwortlich. Sie sind weder an der Preisbildung noch an der Verschreibung beteiligt."

Das Echo aus der Industrie

Bei Pro Generika sieht man durch Schwabes Vorwürfe gar das System der Arzneimittelversorgung durch Apotheken in seiner jetzigen Form in Frage gestellt. Bei seinen Preisberechnungen im Vergleich zu Großbritannien verkenne der Heidelberger Pharmakologe die Systematik der Arzneimittelpreisverordnung, kritisierte der Sprecher des Branchenverbandes, Thomas Porstner. Seine Zahlen seien daher unvollständig und deshalb falsch. Er verschweige nicht nur die von den Apotheken an die Kassen abzuführenden Rabatte, sondern erwähne ebenso wenig, dass die im Jahr 2004 eingeführte Honorierungsregelung auch für sehr hochpreisige Arzneimittel gilt, die dadurch erheblich günstiger wurden. Darüber hinaus hinke der Vergleich mit Großbritannien, weil deutsche Apotheker anders als ihre britischen Kollegen nur Arzneimittel und Gesundheitsprodukte verkaufen dürfen, erläuterte Porstner.

Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), erklärte, der AVR erwecke einmal mehr den Eindruck, "dass Ausgaben für Arzneimittel per se schlecht sind". Dass sie Ausgaben in anderen Bereichen sparten und die Lebensqualität von Menschen verbesserten, lasse der AVR gerne unter den Tisch fallen. Fahrenkamp: "Es ist schade, dass diese sehr ausführliche Datenerhebung Jahr für Jahr die Chance vergibt, eine Versachlichung der Debatte zu erreichen." Beim BPI sieht man es jedoch positiv, dass der AVR zumindest ansatzweise verdeutlicht, dass die Arzneimittelausgaben auch ihre Distribution sowie die Mehrwertsteuer umfassen.

Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa), gab sich gelassen und sieht die AVR-Erkenntnisse positiv: "Das Versorgungsniveau im Arzneimittelsektor steigt und das ist gut so!" Patienten bekämen nun Arzneimittel, die ihnen besser helfen als Vorgängerprodukte. Einst tödliche Krankheiten würden durch moderne Medikamente zu chronischen Krankheiten. "Wer meint, diese Entwicklung gebe Anlass zur Sorge, weil sie unser Gesundheitssystem sprengen wird, dem kann ich nur entgegenhalten, dass der Anteil der Arzneimittelausgaben am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland über die Jahre gleichbleibend unter 2 Prozent liegt", betonte Yzer. Mit dezentralen Verhandlungen zwischen Industrie und Kassen sei der Ausgabenblock unter Kontrolle zu halten. Mit zentraler Preisfestsetzung trete man dagegen den endgültigen Marsch in die Rationierung an.

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