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Sachverstand unerwünscht?

Klaus G. Brauer

Am 1. April (für fünf Wirkstoffe schon am 1. März) tritt er in Kraft – der novellierte, nach § 129 Abs. 2 SGB V abzuschließende Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung, ausgehandelt zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband (DAV). Jeder, der einmal dabei war, weiß: Solche Verhandlungen sind oft Freistilübungen im Krötenschlucken. Wenn es gut läuft, trifft es beide Seiten in gleicher Weise – was die Menge, die Größe und die Verdaulichkeit der Kröten angeht. Damit kann man leben, sofern es nur um das Geben und Nehmen in wirtschaftlicher Hinsicht geht. Problematisch wird‘s, wenn eine Seite genötigt wird, um des Vertragsabschlusses willen den eigenen Sachverstand an der Garderobe abzugeben und zur Einmottung freizugeben.

Dies scheint dem DAV widerfahren zu sein. Im Zusammenhang mit den Regelungen zur "Auswahl preisgünstiger Arzneimittel" (§ 4) durch den Apotheker wurden unsere Vertreter zu unangenehmen Zugeständnissen bewegt. Sie können uns so richtig auf die Füße fallen – weil sie unsere fachliche Glaubwürdigkeit untergraben.

Fachlich inakzeptabel ist zum Beispiel, dass wir Darreichungsformen als "gleich" anzuerkennen haben, nur weil sie in der Lauertaxe gleich bezeichnet sind. Die genuin pharmazeutische Fragestellung, ob zwei Darreichungsformen "austauschbar" sind, über einen Hinweis auf Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses zu erledigen, in dem die Apothekerschaft nicht vertreten ist, ist fachlich ebenfalls ein Witz (§ 4 Abs. 1 d; vgl. AZ Nr. 7/2008, S. 1). Ein Blick in die immer noch aktuelle DPhG-Leitlinie zur "Guten Substitutionspraxis" macht dies jedem deutlich (DAZ Nr. 10/2002, S. 129 ff.).

Ein weiteres Problem ist, wann bei der Auswahl preisgünstiger Arzneimittel von "gleichen Wirkstoffen" auszugehen ist. Nach § 4 Abs. 1 (a) haben verschiedene Salze (nun ja), Ester (?), Ether (?), Isomere (?), Mischungen von Isomeren (?), Komplexe und Derivate (?) eines Wirkstoffs in der Regel als so weit gleich zu gelten, dass sie einem Austausch nicht im Wege stünden – "es sei denn, ihre Eigenschaften unterscheiden sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erheblich hinsichtlich der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit". Die zitierte Einschränkung ist auf den ersten Blick erfreulich – sie stellt aber das Regel-/Ausnahmeverhältnis schlicht auf den Kopf. Pharmazeuten sollten gelernt und nicht vergessen haben, dass z. B. eine Veresterung eine Verbindung sehr oft nachhaltig verändert. Das gilt auch für verschiedene Ester des gleichen Grundmoleküls. Dass Isomere in der Regel als gleich gelten sollen, deutet auf ahnungsloses Hantieren mit chemischen Begriffen hin. Für Konstitutionsisomere gilt das sicher nicht; auch nicht für diastereomere Stereoisomere. Selbst "nur" spiegelbildisomere – enantiomere – Stereoisomere unterscheiden sich in der Regel pharmakodynamisch und/oder pharmakokinetisch. Deshalb können auch Wirkstoff-Razemate in der Regel nicht mit reinen Enantiomeren in einen Topf geworfen werden. Zumindest die Dosis muss angepasst werden. Ausnahmen wie bei Ibuprofen (dort gibt es in vivo eine enzymatische Inversion der schwach wirkenden R-Form in die stark wirkende S-Form) sind relativ selten.

Vor diesem Hintergrund müssten Apotheker insistieren: Ester, Ether und Isomere von Wirkstoffen sind als pharmakodynamisch und/oder pharmakokinetisch verschieden anzusehen, solange Gleichheit nicht nachgewiesen ist. Die Beweislast wäre also – im Gegensatz zu den Vorgaben des neuen Rahmenvertrages – umzukehren. Das gilt auch für die vorschnelle Festlegung, dass "Komplexe und Derivate eines Wirkstoffes" als ein und derselbe Wirkstoff gelten können.

Pacta sunt servanda – darüber dürfen wir uns nicht leichtfertig hinwegsetzen. Aber wir Apotheker dürfen auch nicht stillschweigend exekutieren, was fachlich erkennbar haarsträubend ist. Zumindest sollten wir im konkreten Einzelfall Bedenken und Widerspruch anmelden. Sehen wir dies als Chance, Kompetenz zu zeigen!

Wenn wir konkreten Schaden für unsere Patienten befürchten müssen, sollten wir zur Not sogar einen Regress riskieren. Das ist, ich weiß, leicht gesagt – angesichts des wirtschaftlichen Drucks. Gegen Regresse kann man sich aber wehren. Unsere Verbände würden uns in solchen Fällen wohl kaum im Regen stehen lassen. Ziemlich sicher bin ich auch, dass die Kassen sehr vorsichtig sein werden, Regresse gegen Apotheker zu exekutieren, die konkret zu befürchtenden Schaden von ihren Versicherten abgewendet haben. Notfalls müssten wir der Einsicht ein wenig nachhelfen, indem wir öffentlich machen, was Patienten zugemutet werden soll. Wo wir als DAZ dazu einen Beitrag leisten können, tun wir das gern.


Klaus G. Brauer

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