Feuilleton

Glossay Urea*… ist nicht etwa die Mutter oder Schwester des Urgottes Uranus, sondern der archaisch und wohlklingende, wissenschaftlich etwas antiquierte Name für den Biomüll Harnstoff.

Gegen trockene, rissige Haut …
Foto: Beiersdorf

Urea ist nicht zu verwechseln mit dem Hauptmann Uria , dem Gatten der Bathseba, die von König David verführt wurde. Um sie seinem Harem als Witwe eingliedern zu können, schickte David seinen getreuen Soldaten an die gefährlichste Stelle der Kriegsfront – mit Erfolg.

Urea ist auch nicht zu identifizieren mit dem Propheten Uria , der seinem Zeitgenossen Jeremias nahestand und ebenfalls auf Geheiß seines Königs frühzeitig das Zeitliche segnete.

Urease

… klingt so nach Tante oder Nichte von Urea, ist aber ein Enzym, das Harnstoff in Ammoniak und Kohlendioxid spaltet und in verschiedenen Samen (z. B. in Sojabohnen und in Jackbohnen), in Pilzen, in wirbellosen Tieren und vor allem in verschiedenen Bakterien vorkommt.

Auf der Ammoniakbildung durch die Aktivität der Urease beruht der Ammoniakgeruch von Mist und Jauche. Welch ein Glück, dass die Urease im Organismus der Wirbeltiere nicht zu finden ist. Wenn es im Pferdestall dennoch stark nach Ammoniak riecht und man deshalb früher den an bronchialen Beschwerden leidenden Menschen einen zeitweiligen Aufenthalt an solchen Orten empfohlen hat, dann müssen dafür bestimmte Bakterien im Organismus dieser edlen Tiere zur Verantwortung gezogen werden. Auf einer anderen Ebene dient Urease auch zur quantitativen Bestimmung von Harnstoff im Blut.

Der größte Teil des technisch gewonnenen Harnstoffs wird heute als Düngemittel verwendet, wobei die in den Mikroorganismen des Bodens vorhandene Urease die Umwandlung in Ammoniumsalze via Ammoniak verursacht, die für die Pflanzen assimilierbare Stickstoffquellen darstellen.

Nützlich macht sich die Urease heute auch bei der Käsebereitung, indem sie die kleinen Harnstoffmengen, die in der Milch und im Quark anzutreffen sind, rasch und sicher eliminiert.

Notabene gehört die Urease – ein Metalloenzym mit Nickelzentrum und einer relativen Molmasse von ca. 480.000 – auch ins Guinness-Buch der Rekorde, denn sie ist das erste Enzym, das in reinem kristallinem Zustand dargestellt wurde. Das geschah im Jahr 1929 durch J. B. Summer, der dafür 1946 auch den Nobelpreis für Chemie erhielt (zusammen mit J. H. Northrop und W. M. Stanley).

Und was verbirgt sich hinter dem Begriff Ureide ? Dem in der griechischen Mythologie bewanderten Leser wird sich der Vergleich mit den Nereiden aufdrängen, den meerbewohnenden 50 Töchtern des Nereus.

Nüchtern betrachtet sind Ureide jedoch nur N-Acyl-Derivate des Harnstoffs. Der ältere und erfahrene Pharmazeut wird jetzt sogleich an die Sedativa und Hypnotika Bromisoval und Carbromal denken, die mittlerweile aus dem Arzneischatz verschwunden sind. Doch kommen wir zurück zum Harnstoff.

Der Mensch und die Säugetiere bilden zusammen als Ureotelier (abgeleitet von Urea und griech. télos = Ziel, Ende) eine Gruppe von Lebewesen, die Harnstoff als Endprodukt des Eiweißstoffwechsels und der Ammoniak-entgiftung ausscheiden. Der erwachsene Mensch bringt es dabei auf 20 bis 30 Gramm täglich. Gebildet wird der Harnstoff in der Leber aus Ammoniak und Kohlendioxid im sog. Harnstoffzyklus.

Wiederkäuer besitzen die besondere Fähigkeit, Harnstoff als Stickstofflieferant zu verdauen, was mit Hilfe der im Pansen lebenden Bakterien geschieht. Deshalb wird Harnstoff heute auch dem Futter für Rinder als sog. Eiweiß-Supplement zugesetzt.

Wöhlers epochale Synthese

Friedrich Wöhler hat 1828 durch die Umlagerung von anorganischem Ammoniumcyanat in Harnstoff bewiesen, dass es möglich ist, ohne die hypothetische "vis vitalis", die in einem lebenden Körper (Organismus) agierende "Lebenskraft", eine organische Verbindung herzustellen. Damit war eine Verknüpfung der "anorganischen" mit der "organischen" Chemie erreicht, wenngleich man damals die beiden Bereiche anders abgrenzte, als dies heute geschieht (das Kriterium war nicht die molekulare Struktur, die man damals ja noch nicht kannte, sondern die Genese).

Carbonyldiamid

Harnstoff ist aus nur einem Kohlenstoff-, einem Sauerstoff-, zwei Stickstoff- und vier Wasserstoffatomen zusammengesetzt. Er ist das Diamid der Kohlensäure und zählt nach heutiger Definition zu den anorganischen Verbindungen, weil er kein Derivat eines Kohlenwasserstoffs darstellt (es gibt jedoch Chemiker, die die Kohlensäure als Hydroxyameisensäure und somit als eine organische Verbindung ansehen).

Harnstoff gehört wie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Methan, Methylchlorid, Dichlormethan, Chloroform, Tetrachlorkohlenstoff, Bromoform, Iodoform, Trifluormethan und Tetrafluormethan zu den C1 -Körpern, die Vertreter von Naturstoffen (Methan, Kohlendioxid), Arzneistoffen (Chlorofom, Iodoform), Umweltbelastern (Methan, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid), industriellen Abgasen (Kohlenmonoxid, Kohlendioxid) und industriellen Edukten (Dichlormethan, Trifluormethan, Tetrafluormethan) darstellen.

Eigenschaften und Verwendung

Zählen wir die wesentlichen Eigenschaften von Harnstoff auf:

  • preiswert, untoxisch, hygroskopisch, wasserlöslich, biodegradierbar, reaktiv, bifunktionell, symmetrisch.

Auf die Frage, wozu der Harnstoff heute gebraucht wird, gibt es eine Reihe von Antworten unterschiedlicher Bedeutung und aus ganz verschiedenen Bereichen. Wie im Zusammenhang mit den Urease-Aktivitäten schon erwähnt, dient die größte Menge des Harnstoffs aufgrund seines hohen Stickstoffgehaltes (46 %) als Düngemittel. Zur Verzögerung der Auflösung, d. h. zur Erzielung eines Depoteffektes, wird der Dünger-Harnstoff durch chemische Aufbereitung wie Überziehung mit einem Polymerfilm oder Derivatisierung schwerer wasserlöslich gemacht.

Harnstoff dient als Edukt für die Herstellung von Kunstharzen (Aminoplaste), Leimharzen und Holzklebstoffen. In der Papier- und der Textilindustrie wird Harnstoff als Hilfsmittel und als Mattierungsmittel beim Textildruck verwendet.

Große Bedeutung in der Technik der Trennmethoden haben die Harnstoff-Einschlussverbindungen. Harnstoff bildet kanalförmige Wirtsmoleküle, in die geradkettige Kohlenwasserstoffe als Gastmoleküle einschlüpfen können, stark verzweigte Moleküle jedoch nicht. So wird z. B. n-Octan eingebaut und Iso-Octan nicht. Technisch nutzt man diese Eigenschaft des Harnstoffs zur Entparaffinierung von Erdölfraktionen.

Ein wesentlicher Schritt bei der Produktion von chinesischem Porzellan bestand darin, dass die mit der Herstellung beschäftigten Arbeiter in den angematschten Ton pinkelten. Wer jetzt an einen rituellen Akt, eine mystische Handlung oder daran denkt, dass die Arbeiter sich für einen zu schlechten Lohn hätten rächen wollen, liegt total daneben. Ohne diesen "Zuschlag" bzw. "Abschlag" war es nämlich nicht möglich, Porzellan von jener buchstäblichen Feinheit herzustellen, wie es das chinesische eben ist. Harnstoff ist zur Verbesserung der Grundmassen-Struktur absolut notwendig.

Nebenbei bemerkt: Mit fein gepulvertem Harnstoff kann man auch Wolken animpfen, um künstlich Regen zu erzeugen.

Harnstoff in Dermatika

Ein Anwendungsbereich von wachsendem Interesse ist der Einsatz von Harnstoff in der Kosmetik und Dermatologie. Aufgrund seiner hygroskopischen Eigenschaften bindet er schon in geringen Konzentrationen die Feuchtigkeit der Haut und kann dadurch auch Juckreiz mildern. Höhere Konzentrationen sind speziellen medizinischen Indikationen vorbehalten:

1- bis 2%ig ist Harnstoff in vielen kosmetischen Zubereitungen enthalten.

2%ige dermatologische Zubereitungen gelten als granulationsfördernd.

5- bis 10%ig werden die hygroskopischen Effekte in der Dermatologie zur Behandlung der Ichthyosis (Fischschuppenkrankheit), der Psoriasis (Schuppenflechte) und der Neurodermitis (atopisches Ekzem) genutzt.

10%ig , in wässriger Lösung wirkt Harnstoff bakterizid.

20%ig , appliziert als Salbenverband, dient er zur Ab- und Auflösung von pilzbefallenen Nägeln (Onychomykose).

Fazit: "Verachtet mir den Harnstoff nicht!" Schließlich war der Ausgangspunkt für dieses Glossay der Spot "mit kostbarer Urea", den man derzeit unfreiwillig und fortgesetzt sehen und hören muss, sodass einem Hören und Sehen vergehen könnten.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth

Friedrich-Naumann-Str. 33 76187 Karlsruhe

info@h-roth-kunst.com

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