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Palmfarne und andere "lebende Fossilien"

Vor 200 Millionen Jahren gab es etwa 300.000 Palmfarnarten. Heute sind Palmfarne nur noch in 289 Spezies vertreten und vom Aussterben bedroht. Diese Entwicklung hat offenbar schon der Gründer der Gruson Gewächshäuser Magdeburg vor über hundert Jahren geahnt und dort eine "genetische Ressource" geschaffen.

Echinocactus grusonii und Grusonia bradtiana: Zwei Kakteenarten, die an die Verdienste von Hermann August Jacques Gruson als Wissenschaftler erinnern. Der Magdeburger Industrielle (1821–1895) hatte in jahrzehntelanger Sammeltätigkeit eine umfangreiche Sammlung vom Aussterben bedrohter exotischer Pflanzen zusammengetragen. Allein der Bestand an Kakteen und anderen Sukkulenten umfasste mehrere tausend Pflanzen und wurde als "reichhaltigste und vornehmste Sammlung des Kontinents" gerühmt. Darüber hinaus sammelte Gruson aber viele andere Pflanzengattungen aus den Tropen und Subtropen.

Nach dem Tod des Unternehmers ging die Sammlung in das Eigentum der Stadt Magdeburg über, mit der testamentarischen Bestimmung, sie in seinem Sinn zu erhalten und durch die Einrichtung eintrittsfreier Tage als Bildungsstätte für jedermann zugänglich zu machen. Im April 1896 wurden im Friedrich-Wilhelms-Garten an der heutigen Schönebecker Straße die "Gruson Gewächs- und Palmenhäuser der Stadt Magdeburg" mit neun Schauhäusern eröffnet.

Während der beiden Weltkriege erlitten Gewächshäuser und Pflanzenbestände schwere Schäden. Doch schon im September 1945 konnten die ersten drei Häuser mit den geretteten Sukkulenten, Palmfarnen und kleinen Palmen wieder für Besucher geöffnet werden. Ab den 50er-Jahren wurde die Einrichtung auch wieder für Ausstellungen und Sonderveranstaltungen genutzt.

Heute wachsen in den "Gruson Gewächshäusern Magdeburg – Exotische Pflanzensammlung" unter 4000 Quadratmetern Glas in zehn Abteilungen 3000 Spe–zies und Formen tropischer und subtropischer Pflanzen aus 400 Gattungen – darunter 1500 Kakteen- und andere Sukkulentenarten, 500 Bromelienarten und -hybriden sowie 80 Farnarten und -formen. Zudem werden im Magdeburger "Garten unter Glas" auch elf Spezies der seltenen Palmfarne kultiviert.

Genetische Ressourcen Offenbar war schon dem Gründer der Sammlung der Seltenheitswert der Palmfarne bewusst. Aus seinem Nachlass überdauerten ein 160-jähriges Exemplar von Cycas circinalis, zwei über hundertjährige Dioon edule sowie eine Ceratozamia mexicana sogar den Zweiten Weltkrieg. Von Cycas revoluta und anderen Arten, die einst der Zerstörung zum Oper fielen, wur–den mittlerweile wieder stattliche Exemplare herangezogen.

Heute sind in tropischen Gebieten der Neuen Welt, Afrikas und Australiens noch 289 Palmfarnarten anzutreffen. Sie werden drei (oder vier) Familien und elf Gattungen zugeordnet. Neubeschreibungen sind kaum noch zu erwarten.

Vor 200 Millionen Jahren waren Palmfarne in den warmen Zonen der Erde noch in etwa 300.000 Spezies verbreitet. Von manchen Arten, die Jahrmillionen lang überdauerten, gibt es heute nur noch wenige hundert Exemplare, und fast alle Bestände der "lebenden Fossilien" sind in ihrer Existenz akut bedroht. In–sofern sind die Palmfarne in der Magdeburger Sammlung "genetische Ressourcen".

Fliegende Hunde: Genuss mit Reue Zwar sind Palmfarne durch das Washingtoner Artenschutzabkommen streng geschützt. Dies verhindert jedoch nicht, dass manche Population infolge veränderter Umweltbedingungen ausstirbt. Andere Bestände wurden durch menschlichen Raubbau dezimiert. So wird aus den Stämmen einiger Arten wie zum Beispiel Cycas circinalis und Cycas revoluta ein sagoähnliches Produkt gewonnen. Auch der Name der Gattung Encephalartos (Brotpalmfarn, wörtlich "Brot im Kopf") verweist auf den Stärkereichtum vieler Palmfarne (hier: der Samen).

Wissenschaftler um Paul Alan Cox, Direktor des National Tropical Botanic Garden auf Hawaii, entdeckten einen Zusammenhang zwischen dem Genuss von Palmfarnstärke und dem Amyotrophic Lateral Sclerosis/Parkinsonism Dementia Complex (ALS/PDC), einem Krankheitsbild mit Symptomen von amyotropher Lateralsklerose, Parkinson-Krankheit und Alzheimer-Demenz. ALS/PDC tritt bei Bewohnern der Pazifikinsel Guam auffallend häufig auf, auch bei solchen Personen, die schon vor Jahrzehnten das Eiland verlassen haben. Ursache für die Hirnschädigung ist die seltene, neurotoxische Aminosäure β-Methylamino-alanin (BMAA). Sie wird von Cyanobakterien der Gattung Nostoc synthetisiert, die in den Wurzeln von Palmfarnen leben. Von dort gelangt BMAA auch in die Früchte der Wirtspflanzen, von denen sich Fliegende Hunde (Verwandte der Fledermäuse) ernähren. Diese werden wiederum von den einheimischen Bewohnern Guams gejagt und verzehrt. Es konnte nachgewiesen werden, dass BMAA zuweilen anstatt anderer Aminosäuren in Proteine eingebaut wird und aus diesen oft mit großer zeitlicher Verzögerung wieder freigesetzt wird – womit geklärt ist, warum die Gehirnschäden oft erst so spät nach der Aufnahme von BMAA auftreten.

Mit Ginkgo und Koniferen verwandt Die Palmfarne stellen eine alte, taxonomisch isolierte Abteilung im Pflanzenreich dar; sie gehören zu den Nacktsamern (Spermatophyta) und sind mit Ginkgo biloba und den Koniferen verwandt, während sie sowohl den Farnen als auch den Palmen sehr fern stehen. Sie haben sich im Perm (spätes Erdalteraltertum) entwickelt und waren eine wichtige Nahrungsquelle der Saurier. Die rezenten Arten verteilen sich größtenteils auf zwei Familien und sind allesamt zweihäusig. Bei den 195 zu den Zamiaceae gehörenden Spezies haben sowohl männliche als auch weib–liche Exemplare zapfenförmige Blütenstände, während bei den 91 Arten der Cycadaceae ausschließlich die männlichen Pflanzen Zapfen bilden; die weiblichen Pflanzen hingegen bringen einen Kranz kleiner fertiler Blätter hervor, an deren Rändern sich nach der Befruchtung die Samen entwickeln.

Weil vom Keimen des Samens bis zur ersten Blüte mindestens zwei Jahrzehnte vergehen, können sich dezimierte Bestände nur langfristig unter besonderen Schutzmaßnahmen verjüngen. So zum Beispiel in Mexiko: Dort wurden in einem Projekt des Instituto de Ecología am Botanischen Garten Xalapa in Kooperation mit der Universität Veracruz Bauern angeleitet, in ihrer Heimatregion Samen von Palmfarnen zu sammeln und daraus Jungpflanzen zu ziehen. Zehn Prozent der Jungpflanzen werden in den Beständen, in denen die Samen gesammelt wurden, ausgepflanzt in der Hoffnung, dass die Bestände sich regenieren. Die anderen Jungpflanzen werden verkauft – auch nach Europa, wo Palmfarne längst beliebte Zierpflanzen sind.

Info

Gruson Gewächshäuser, Schönebecker Straße 129a, 39104 Magdeburg, Tel. 03 91/4 04 29 10, www.gesellschaftshaus-magdeburg.de Geöffnet: ganzjährig von dienstags bis sonntags 9.00–17.00 Uhr

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