DAZ aktuell

Arzneimittelfälschungen: Internet als größter Risikofaktor

BONN (hb). Das Thema "Arzneimittelfälschungen" scheint immer drängender zu werden. Der Lehrstuhl für Drug Regulatory Affairs (DRA) der Universität Bonn veranstaltete daher mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Drug Regulatory Affairs (DGRA), der Deutschen Gesellschaft für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) sowie des Wissenschafts- und Wirtschaftsdienstes des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) am 13. und 14. Oktober ein Symposium zu diesen Fragen.

Prof. Dr. Harald Schweim, Inhaber des DRA-Lehrstuhls in Bonn, war vorher Beauftragter für internationale Fragen der Arzneimittelqualität im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) und hat sich während dieser Zeit intensiv mit dieser Problematik befasst (siehe auch DAZ Nr. 32, S. 40). Verdächtige Regionen sind vor allem Osteuropa, China, Indien und Südostasien, aber auch in Europa und in Nordamerika nehmen Fälschungen zu. Obwohl nach Schätzungen der FDA 25% der Medikamente in armen Ländern qualitativ minderwertig oder gefälscht sind, wurde das Problem nach Schweims Literaturrecherchen bisher im Wesentlichen in der englischsprachigen Welt wahrgenommen und behandelt.

Neue Verunreinigungen werden nicht erkannt

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Universität Würzburg, ging auf die Schwierigkeiten der chemischen Identifizierung von Fälschungen ein. Andere Qualität der Ausgangsstoffe, Abweichungen in der Herstellung, andere Prozessführung und Reinigung führen zu bisher unbekannten Verunreinigungen, die mit den üblichen Arzneibuchmethoden nicht detektiert werden. In einem großangelegten Versuch ermittelte ihre Forschergruppe ein Fälschungsprofil des diesbezüglich "anfälligen" Antibiotikums Gentamicin. Hierbei wurden acht verschiedene Komponenten-Muster identifiziert. Proben aus verschiedenen Quellen wiesen ähnliche Muster auf. Sie stammten offensichtlich vom selben Wirkstoffhersteller. Demgegenüber zeigten Proben aus gleichen Quellen verschiedene Muster, d. h., sie stammten von verschiedenen Herstellern, was aufgrund der Zulassung nicht erlaubt ist. Gefahren für die Arzneimittelqualität sieht Holzgrabe vor allem in der Globalisierung der Märkte. So werden nach ihrem Kenntnisstand heute 80% der in Deutschland angewendeten Antibiotika in China und Indien produziert, eine riskante Abhängigkeit, wie die Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) meint.

"Den Verbrauchern muss bewusst gemacht werden, dass sie mit der Beschaffung von Arzneimitteln auf undurchsichtigen Wegen nicht nur ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, sondern möglicherweise auch kriminelle Organisationen, vielleicht sogar terroristische Vereinigungen alimentieren." 
N. Ahmed

Paradoxe Entwicklung

Dr. Lembit Rägo, bei der Weltgesundheitsorganisation zuständig für Qualitätssicherung und Arzneimittelsicherheit, bezeichnet das Internet als möglicherweise größte Herausforderung auf diesem Sektor. "Paradox" nennt er die Tatsache, dass zum einen die Anforderungen an Arzneimittel immer mehr angezogen werden, während zum anderen die Vertriebswege immer mehr liberalisiert werden. Gerade sie sind jedoch nur schwer zu kontrollieren. So können, wie Rägo meint, nach der derzeitigen Rechtslage viele Vorgänge im Zusammenhang mit der Herstellung und Vermarktung gefälschter Arzneimittel durchaus weitgehend legal sein. Besorgt zeigt er sich über den wachsenden Markt an Nahrungsergänzungsmitteln und anderen weniger regulierten Produktgruppen, die wegen ihrer lukrativen Umsätze ein besonderes Ziel für Fälschungen darstellen.

"Fälscher sind sehr pragmatisch. Wenn es einen markt gibt, werden auch billige Arzneimittel gefälscht."
L. Rägo

Seitdem die WHO das Problem Arzneimittelfälschungen vor zwanzig Jahren erstmals als Problem erkannt hat, wurde bereits ein Bündel von Maßnahmen ergriffen, doch die globale Strategie bedarf weiterer Verbesserungen. Als Erstes soll das allgemeine Bewusstsein in Sachen Arzneimittelfälschung gesteigert werden. Trainingsmaßnahmen, vor allem in den Entwicklungsländern und die Ausbildung internationaler Netzwerke müssen folgen. Bei einem Vorsymposium der Internationalen Konferenz der Zulassungsbehörden (ICDRA) im Februar 2004 in Madrid wurde beschlossen, eine Internationale Rahmen-Konvention zu Arzneimittelfälschungen zu verabschieden und die Zulassungsbehörden stärker in die Pflicht zu nehmen. Die Idee soll bei einer weiteren Konferenz im Februar 2006 in Florenz weiterentwickelt werden.

Intransparentes Netz krimineller Kontakte

Die britische Arzneimittelzulassungsbehörde (MHRA) ist die einzige in Europa, die bereits eine Einheit für Strafverfolgung in diesem Bereich eingerichtet hat. Wie Nimo Ahmed, Leiter dieser Einheit, darlegte, waren die in Großbritannien in den letzten zwölf Monaten verzeichneten zwei Fälle verglichen mit fünfzig Fällen in den USA noch vergleichsweise "harmlos", aber die jüngste Entdeckung der ersten Herstellungsstätte für gefälschte Arzneimittel auf britischem Boden (in Wembley) hat die Behörden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Er will nun versuchen, die Zusammenarbeit zwischen den Behörden sowie mit den Gesundheitsberufen, den Herstellern und den Patientengruppen zu verbessern und Überwachungsmaßnahmen fokussiert auf "fälschungsanfällige" Arzneimittelgruppen zu intensivieren.

Ahmed verwies darauf, wie leicht es ist, Fälschungen herzustellen und zu vertreiben: Ausgangsstoffe und Packmittel sind leicht zugänglich und das Risiko der Entdeckung ist gering. So verwundert es nicht, dass mittlerweile auch die organisierte Kriminalität in diesen Sektor eingestiegen ist. Vermutet wird ein intransparentes Netz krimineller Kontakte unter "Pseudo"-Geschäftsleuten, von denen manche noch nicht einmal wissen, dass und in welcher Weise sie in illegale Prozesse eingebunden sind.

Nachbesserung im AMG nicht erforderlich

Dr. Konstantin Keller, Gruppe Internationale Arzeimittelfragen, Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS), stellte die Rechtslage in Deutschland in Bezug auf Arzneimittelfälschungen dar. Seit der 12. AMG-Novelle, die im August 2004 in Kraft getreten ist, beinhaltet das Gesetz ein explizites Verbot, gefälschte Arzneimittel in den Verkehr zu bringen.Verbunden mit einer erhöhten Strafbewehrung und den diesbezüglichen Kontrollinstrumenten bei der Herstellung und in den Vertriebswegen (Großhandelsbetriebsverordnung, Apothekenbetriebsordnung) sieht Keller die gesetzlichen Vorgaben derzeit als ausreichend an. Er verwies in diesem Zusammenhang auf das Merkblatt zum Arzneimittelhandel im Internet, das das BMGS zusammen mit dem "Expertenkommitee Arzneimittelfragen" des Europarates herausgegeben hat (verfügbar auf der Website des Ministeriums: www.bmgs.bund.de/downloads/Arzneimittel-und-Internet-Flyer.pdf).

Wer ruft Fälschungen aus dem Markt zurück?

Dr. Rainer Mohr, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), stellte heraus, dass die Zulassungsbehörde eine Koordinationsstelle "Arzneimittelfälschungen" unterhält, die in der Fachgruppe "Arzneibuch, Standardzulassung" angesiedelt ist. Während der Austausch auf europäischer Ebene teilweise äußerst effektiv ist, hält Mohr die Arbeit im WHO-Netzwerk Arzneimittelfälschung, in dem das BfArM bereits seit 1998 mitarbeitet, noch für ausbaufähig. Ein großes Problem auf nationaler Ebene ist die Frage der Verantwortlichkeit bei Rückrufen von Arzneimittelfälschungen. Die Originalhersteller lehnen die Zuständigkeit hierfür ab. Überhaupt, so meint Mohr, bestehen in der Industrie vielfach erhebliche Widerstände gegen die Auseinandersetzung mit dem Thema.

"Wenn die Hersteller Rückrufaktionen machen, bekommen sie oft mehr zurück, als sie produziert haben."
R. Mohr

Kampf gegen Arzneimittelfälschungen 

Organisationen, die gegen Arzneimittelfälschungen kämpfen 

Europa

  • EMEO = EU Medicines Enforcement Officers, Vertreter der nationalen Behörden mit Zuständigkeit für die Überwachung und Strafverfolgung auf dem Gebiet der Arzneimittelkriminalität
  • CoE = Council of Europe
  • EDQM = European Directorate for the Quality of Medicines
  • OMCL = Official Medicinal Control Laboratory 

Weltweit

  • PFIPC = Permanent Forum on International Pharmaceutical Crime, Strafverfolgungsbehörden mit Zuständigkeit für Arzneimittelkriminalität
  • ILFCM = International Laboratory Forum on Counterfeit Medicines

Siehe auch: www.who.int/medicines/services/counterfeit/en/index.html

Riesige Dunkelziffer vermutet

Klaus Gronwald vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden berichtete, dass dem BKA seit 1996 im Bereich der legalen Verteilerkette national und international 36 Fälle von Arzneimittelfälschung, davon sieben Total-Fälschungen, bekannt geworden sind. Von den 27 Fällen mit Deutschlandbezug waren zwei total gefälscht (Wirkstoff, Verpackung und Packungsbeilage). Im Hinblick auf Schätzungen des Internationalen Suchtstoff-Kontrollrates, wonach jährlich illegal mehrere Milliarden Wirkstoffeinheiten psychotroper Substanzen über das Internet verkauft werden, vermutet er jedoch eine riesige Dunkelziffer im legalen und illegalen Markt.

Imageverlust für die Präparate immens

Neben den Patienten fügen Arzneimittelfälschungen auch der pharmazeutischen Industrie immensen Schaden zu. Der Aufwand für die Kontrolle der Vertriebswege nimmt zu, Verordnungen und Einkäufe gehen zurück, wenn Meldungen über im Umlauf befindliche gefälschte Ware in die Öffentlichkeit und an die Fachkreise gelangen. Neben Umsatzeinbrüchen muss vielfach auch ein Imageverlust des jeweiligen Produktes verkraftet werden. So wurde das Problem bislang eher mit Zurückhaltung behandelt. Im Übrigen, so betonte Dr. Frank Münchberg vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), haben viele kleinere und mittelständische Firmen gar nicht die Ressourcen, um mit dem Problem adäquat umzugehen, das heißt, die Präparate etwa mit technisch aufwändigen und kostspieligen Sicherungselementen zu bestücken.

Thomas Porstner vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) berichtete über ein BPI-Positionspapiers zu Arzneimittelfälschungen, das seit kurzem verfügbar ist.

Internet nicht kontrollierbar

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion wurde der Internethandel einhellig als das zentrale Problem im Zusammenhang mit Arzneimittelfälschungen identifiziert. Schweim glaubt nicht, dass dieses jemals wirksam kontrolliert werden kann. Ein großes Hindernis neben dem eklatanten Mangel ist die unterschiedliche Rechtslage in den Ländern, die ein konzertiertes Vorgehen in Frage stellt. Im Übrigen haben bislang nur die wenigsten Länder in der Welt hierauf spezialisierte Inspektoren. Beim Bundeskiminalamt gibt es zwar eine eigene Gruppe, allerdings befasst sich diese mit anderen Schwerpunktthemen, wie etwa der Kinderpornographie. Immerhin arbeitet das BfArM dem Vernehmen nach bereits gut mit dem Internet-Auktionator e-bay zusammen, wenn es um den Austauch von Informationen über nicht verkehrsfähige Arzneimittel geht.

"Ich halte den Internet-Handel mit Arzneimitteln für das Problem der Zukunft."
H. Schweim

Gefälschte Wirkstoffe

Die weltweit meist gefälschten Wirkstoffe

Antibiotika und Chemotherapeutika: 
Amoxicillin, Ampicillin, Chloramphenicol, Chloroquin, Erythromycin, Mebendazol, Metronidazol, Phenoxymethylpenicillin, Tetracyclin, Trimethoprim/Sulfamethoxazol

Schmerz und entzündungshemmende Mittel: 
ASS, Dexamethason, Metamizol, Paracetamol, Prednisolon

http://www.fda.gov/medwatch/SAFETY/2003/prolene.htm

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