Arzneimittel und Therapie

RS-Virus gefährdet Risikopatienten und Ältere

Erwachsene mit chronischer Herz- oder Lungenerkrankung und Senioren erkranken häufiger und schwerer an Atemwegsinfektionen durch das RS(Respiratory-Syncytial)-Virus, als bislang angenommen wurde. 

Das Respiratory-Syncytial-Virus ist seit fast 50 Jahren als häufiger Erreger unterer Atemwegserkrankungen bekannt. Zunächst wurden nur bei Säuglingen und Kleinkindern Erkrankungen beschrieben. Erst in den 70er Jahren wurden auch Krankheitsausbrüche in Alten-Pflegeheimen gemeldet. US-amerikanische Wissenschaftler untersuchten kürzlich die Bedeutung von RS-Virusinfektionen bei nicht in Heimen wohnenden Senioren und erwachsenen Hochrisikopersonen. Dabei wurden in vier aufeinander folgenden Wintern die Atemwegserkrankungen folgender Personengruppen erfasst:

  • gesunder Menschen ab 65 Jahre;
  • Erwachsener ab 21 Jahre mit chronischer Herz- oder Lungenkrankheit;
  • Menschen ab 65 Jahre, die mit akuten Atemwegssymptomen ins Allgemeinkrankenhaus von Rochester, New York, eingeliefert worden waren.

Moderne Virusdiagnostik

Infektionen mit dem RS-Virus (RSV) sowie Infektionen mit Influenza-A-Viren wurden mittels Viruskultur, Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion und serologisch nachgewiesen. Die Influenza-Infektionen dienten als Vergleichswert.

608 gesunde Senioren und 540 Erwachsene mit chronischer Herz- oder Lungenerkrankung wurden ein bis zwei Winter lang prospektiv beobachtet. 1388 stationäre Patienten wurden während ihres Krankenhausaufenthalts und bei einer Nachuntersuchung nach vier bis sechs Wochen erfasst.

Jährliche Inzidenz höher als erwartet

Insgesamt wurden 2514 Atemwegsinfektionen ausgewertet. In den prospektiven Kohorten traten 102 RS-Virusinfektionen auf: 46 bei ansonsten gesunden Senioren und 56 bei Hochrisikopersonen. Von den 1388 Krankenhauspatienten litten 142 an RSV-bedingten Atemwegserkrankungen.

Zum Vergleich: An Influenza A erkrankten 24 bisher gesunde Senioren und 20 chronisch kranke Erwachsene, also etwa halb so viele. Außerdem waren 154 der 1388 stationären Patienten mit Influenza A infiziert, etwa genauso viele wie mit RSV.

Der Virusnachweis erfolgte in den meisten Fällen (76%) mit allen drei diagnostischen Methoden. Das RS-Virus trat in Form der Stämme A (45%) und B (55%) mit gleich bleibender Häufigkeit auf.

Die jährliche Inzidenz RSV-bedingter Atemwegserkrankungen war höher als erwartet: Pro Jahr erkrankten 3 bis 7% der gesunden Senioren und 4 bis 10% der erwachsenen Hochrisikopersonen an RS-Virusinfektionen. Eine frühere Studie in Großbritannien hatte nur 3% RSV-Infektionen bei Senioren ergeben.

Atemwegserkrankungen durch RSV keine Lappalie

89% der RSV-Infektionen in den prospektiven Kohorten waren symptomatisch. Die Atemwegserkrankungen dauerten durchschnittlich zwei Wochen. Ein Teil der Erkrankten nahm medizinische Hilfe in Anspruch, insbesondere die erwachsenen Hochrisikopersonen. Sie benötigten bei RSV-Infektionen ähnlich häufig medizinische Hilfe wie bei Influenza-A-Virus-Infektionen: Gut die Hälfte der RSV-infizierten Hochrisikopatienten konsultierte einen Arzt (teilweise telefonisch), 9% besuchten eine Notaufnahme und 16% mussten ins Krankenhaus aufgenommen werden. Zwei Hochrisikopatienten (4%) starben infolge einer RSV-Infektion. Von den bisher gesunden Senioren benötigte im Zusammenhang mit einer RSV-Infektion ein Drittel einen Arzt. Die Notaufnahme oder das Krankenhaus musste keiner aufsuchen.

Hohe Sterblichkeit im Krankenhaus

Bei den stationären Patienten wirkte sich die RSV-Infektion ähnlich schlimm aus wie die Influenza-A-Infektion; Aufenthaltsdauer im Krankenhaus, Notwendigkeit eines Aufenthalts auf der Intensivstation (15% gegenüber 12%) und die Sterblichkeit (8% gegenüber 7%) waren vergleichbar. Die Sterblichkeit an RSV-bedingten Atemwegserkrankungen lag übrigens bei stationären Patienten, die aus Pflegeheimen überwiesen worden waren, weit höher als die Sterblichkeit bei Patienten, die selbstständig gelebt hatten (38% gegenüber 3%). Die Sterblichkeit an Influenza-A-Infektionen unterschied sich dagegen nicht zwischen den beiden Gruppen.

RSV-Infektionen waren die Ursache von 11% aller Klinikaufenthalte wegen Pneumonie. Außerdem gingen 11% der Klinikaufenthalte wegen chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung, 7% wegen Asthma bronchiale und 5% wegen Stauungsinsuffizienz auf das Konto des Virus.

Fazit

Die Studie zeigt, dass das RS-Virus bei Senioren und erwachsenen Hochrisikopersonen ein wichtiger Krankheitserreger ist, der ernst genommen werden muss. Die jährliche Inzidenz von RSV-Infektionen blieb über vier Winter relativ konstant. Fast alle Infektionen verliefen symptomatisch; viele Patienten mussten medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Die RSV-Infektionen verliefen bei gesunden Senioren leichter, bei erwachsenen Hochrisikopersonen aber ähnlich schwer wie eine Influenza-A-Infektion. RSV-Infektionen waren eine häufige Ursache von Klinikaufenthalten wegen akuter Atemwegserkrankungen und führten bei einem Teil der Patienten zum Tode.

Die Ergebnisse dieser Studie sollten Anlass dazu geben, wirksame Impfstoffe für den Schutz von Erwachsenen gegen RSV zu entwickeln.

Apothekerin Susanne Wasielewski

 

Quelle

Falsey, A. R., et al.: Respiratory syncytial virus infection in elderly and high risk adults. N. Engl. J. Med. 352, 1749 – 1759 (2005).

Sethi, S., Murphy, T. F.: RSV infection – not for kids only. N. Engl. J. Med. 352, 1810 – 1811 (2005).

Steckbrief des Respiratory-Syncytial-Virus (RSV)

  • RNA-Virus aus der Familie der Paramyxoviren, Gattung Pneumoviren
  • bekannt als häufigste Ursache für Infektionen der Atemwege bei Kindern bis zu drei Jahren
  • weltweit verbreitet, jährliche Häufung von Infektionen zwischen Januar und März
  • Übertragung durch Tröpfcheninfektion, Mensch-zu-Mensch-Kontakt sowie kontaminierte Gegenstände
  • häufig Symptome einer banalen Erkältung, aber auch Entwicklung von Tracheobronchitis, Bronchiolitis und Lungenentzündung
  • noch keine Impfstoffe zur Prophylaxe verfügbar; Kleinkinder mit hohem Risiko können prophylaktisch mit Palivizumab (Synagis®) behandelt werden.

Prävention mit Palivizumab

Der humanisierte monoklonale Antikörper Palivizumab (Synagis®) setzt sich aus 95% humanen und 5% murinen Antikörpersequenzen zusammen. Er richtet sich gegen den antigenen A-Teil des Fusionsproteins auf der Hülle des Respiratory-Syncytial-Virus. Palivizumab besitzt eine neutralisierende und fusionsinhibitorische Aktivität gegenüber den beiden RSV-Untertypen A und B und ist der erste rekombinante Wirkstoff, der in einer Form der passiven Immunisierung eingesetzt wird.

Anwendungsgebiet ist die Prävention der durch das RS-Virus hervorgerufenen schweren Erkrankungen der unteren Atemwege, die Krankenhausaufenthalte erforderlich machen.

In Deutschland ist Palivizumab indiziert bei Kindern mit hohem Risiko für RSV-Erkrankungen:

  • Kinder, die in der 35. Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind;
  • Kinder unter zwei Jahren, die innerhalb der letzten sechs Monate wegen bronchopulmonaler Dysplasie behandelt wurden;
  • Kinder unter zwei Jahren mit hämodynamisch signifikanten angeborenen Herzfehlern.

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