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Baustellen

Der deutsche Apothekertag 2005 ist vorüber. Er befasste sich vornehmlich mit den Richtungen, in die der Apotheker in Zukunft gehen kann, nämlich Mitwirkung auf den Gebieten der Pharmakoökonomie, der Pharmakovigilanz und den Hausapothekenverträgen. Angesichts solcher großen Themen kamen die (noch) kleinen aktuellen Probleme und Baustellen fast ein wenig zu kurz. Eine solche Baustelle ist beispielsweise das Avie-Franchise-Konzept.

Das vom baden-württembergischen Beilstein aus gesteuerte "System-Partner-Konzept" lässt sich beim besten Willen nicht mehr nur unter den Einkaufskooperationen einordnen. Avie mit seinen mittlerweile 33 Avie-Apotheken ist schon verdammt nahe an der Kette dran. Die 33. Apotheke eröffnete erst in diesen Tagen in bester Stuttgarter City-Lage, es ist mittlerweile die vierte Avie-Apotheke in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Schon die Namensgebung dieser Apotheken lässt erahnen, dass es sich dabei um mehr als nur einen Einkaufsring handelt, denn der individuelle Apothekenname tritt - anders als beispielsweise bei den Linda- oder vivesco-Apotheken - an die zweite Stelle: Zunächst einmal ist es eine "Avie-Apotheke".

Verkauft wird das Konzept als "System-Partner-Konzept für selbstständige Apotheker" - schaut man sich die an die Öffentlichkeit gelangten Verträge an, wundert dieser Untertitel allerdings schon. Denn wie selbstständig ist der Apothekeninhaber tatsächlich noch, wenn er sich mit seiner Unterschrift an die Avie-Zentrale bindet?

Sicher, eine Zentrale kann ähnlich einem Steuerbüro gewisse Dienstleistungen für die Apotheke ausführen wie Buchführung, Steuern, Einkauf oder auch Marketing-Aktionen koordinieren wie Werbemaßnahmen und Schaufensterdekorationen. Doch wenn meine Entscheidungsfreiheit als Pharmazeut tangiert wird - und dazu gehört beispielsweise schon der Einkauf von Präparaten, die ich - und nicht die Zentrale - als empfehlenswert beurteile, dann wird die Sache heikel. Als Apothekenleiter muss ich das letzte Wort darüber haben, was in meinen Regalen steht, in meinen Schubladen liegt und in meinem Schaufenster angepriesen wird. Überhaupt lassen sich in einer Apotheke viele Entscheidungen nicht unbedingt in eine rein kaufmännische und eine rein pharmazeutische trennen, die Übergänge sind fließend.

Avie tritt von der Wahrnehmung her bereits als Kette auf. Nur die bisher geringe Mitgliedsanzahl von 33 Apotheken insgesamt verhindert, dass Avie von der Bevölkerung als Kette wahrgenommen wird. Aber: Wird Stuttgart zur Avie-Hochburg? Das Stuttgarter Regierungspräsidium hat alle Betriebserlaubnisse der vier Avie-Apotheken genehmigt. Da reibt man sich schon verwundert die Augen. Haben die Stuttgarter Behörden hier nicht richtig hingesehen? Hatten sie Einsicht in alle Verträge, die eine Avie-Apotheke mit der Zentrale schließen muss, auch in die ergänzenden Handbücher, die Details regeln? Ist ihnen dabei nichts aufgefallen? Stört es sie nicht, wenn diese Apothekengruppe sich nach außen bereits als Kette geriert?

Laut Avie-Geschäftsführer Birkle wollte man innerhalb von drei Jahren bereits 1000 Apotheken unter die Fittiche der Avie-Zentrale genommen haben. Fehlanzeige. Trotz Geld von der Kohlpharma, die Avie finanziert, blieb der große Erfolg für das Franchise-Konzept aus. Zur Verstärkung haben sich nun Birkle und Kohl den Chef des Bundesverbands deutscher Versandapotheken, Thomas Kerckhoff, ins Boot geholt. Will er seine Versand-Apotheken von Avie überzeugen? Warum sollten sie sich, warum sollte sich überhaupt eine Apotheke dem Diktat von Avie unterwerfen? Warum sollte man einer Zentrale Einblick in seine Bücher gewähren und sich bei Entscheidungen für den Betrieb bevormunden lassen? Warum sollte ich mich als selbstständiger und freier Unternehmer in eine Avie-Abhängigkeit begeben? Die Baustelle Avie wird uns noch beschäftigen müssen.

Offene Baustellen liegen auch noch zwischen Karlsruhe und Berlin, zwischen Pfizer und dem Großhandelsverband Phagro. Noch nicht ausgestanden ist der Versuch des Karlsruher/US-Unternehmens, eine neue Form der direkten Arzneimitteldistribution einzuführen, bei der der Großhandel auf die Stufe eines reinen Logistikers herabgesetzt wird und die Warenlieferungen bis in die Apotheke hinein verfolgt werden sollen (siehe hierzu unsere früheren Berichte und Kommentare) - mit allen negativen Folgen für das bisher bewährte Distributionssystem. Nach einem ersten dreiseitigen Gespräch zwischen Pfizer, dem Phagro und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) schien sich eine vorsichtige Annäherung anzubahnen. Doch vermutlich bekommt Karlsruhe massiven Druck von der US-Mutter. Denn Pfizer ruft derzeit verschiedene Apotheken an und versucht augenscheinlich, direkt für sein neues Modell zu werben. Es soll sichtlich mit aller Gewalt durchgesetzt werden. Soweit darf es nicht kommen. Selbst die SPD-Bundestagsabgeordnete Schaich-Walch wandte sich gegen das neue Pfizer-Modell und warnte davor, den hohen Qualitätsstandard unseres Vertriebssystems zur Mehrung des wirtschaftlichen Nutzens eines Unternehmens zu zerschlagen. Die Gespräche zwischen Pfizer, Phagro und DAV sollen am 10. Oktober fortgesetzt werden. Jetzt heißt es für Großhändler und Apotheken: hart bleiben und keine falschen Zugeständnisse machen.

Peter Ditzel

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