Gesundheitspolitik

Biotop und Bastion, Monopol und Zunftwesen

Das Apothekenurteil im Spiegel der Medien

STUTTGART (diz). Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit und zum Fremdbesitzverbot löste in den deutschen Medien erwartungsgemäß eine lebhafte Beschäftigung mit dem deutschen Apothekenwesen aus. Nach Durchsicht verschiedener Tageszeitungen lässt sich feststellen: Viele Beiträge und Kommentare im deutschen Blätterwald drücken ihr Mitgefühl für die geplanten und nun nicht mehr möglichen Apothekenketten von DocMorris und den Drogeriemärkten aus. Bei vielen Beiträgen lässt sich Bedauern herauslesen, dass es nicht zu Apothekenketten kommt, dass es keine Verstärkung des Wettbewerbs unter Apothekern und keine billigen Arzneimittel geben wird. Bei manchen Kommentatoren bleibt der Eindruck, dass sie die Materie des Urteils und des Fremdbesitzverbots nicht verstanden haben.

Vollkommen daneben lag beispielsweise die "Stuttgarter Zeitung", die als Unterzeile zu ihrer Schlagzeile auf Seite 1 schrieb: "Versandapotheken und Discountketten bleiben verboten". Die zuständigen Redakteure hatten sichtlich nicht begriffen, dass es in diesem Urteil nicht um den Versand- und Discounthandel ging.

Das "Handelsblatt" betrachtet das Urteil aus der DocMorris-Perspektive und titelte "Desaster für DocMorris". In seinem Beitrag befasst sich das Wirtschaftsblatt mit den Auswirkungen auf die Celesio-Aktie und mit den zukünftigen Plänen von DocMorris. Zitiert wird Celesio-Chef Oesterle: "Für uns hat sich der Kauf von DocMorris auch ohne eine Öffnung des deutschen Apothekenmarktes gelohnt. Ich bin froh, dass wir mit DocMorris die stärkste Apothekenmarke in Deutschland haben. Ich wäre stinksauer, wenn DocMorris heute einem unserer Konkurrenten gehören würde." Im Kommentar spricht das "Handelsblatt" von einem "Biotop für Apotheken". Der EU sei die Gesundheit ihrer Bürger lieb und teuer, "vor allem teuer". Das Urteil passe nicht in die Brüsseler Verbraucherpolitik, den Apothekern habe man ein Biotop spendiert "mit haarstäubender Begründung: Ein approbierter Apotheker sei weniger vom Gewinnstreben angetrieben und damit unabhängiger als ein von Nicht-Apothekern betriebenes Unternehmen. Da mag es überraschen", schreibt der Kommentator weiter, "dass viele Apotheken auch ohne Gewinnstreben in der Vergangenheit gute Geschäfte machten." Die Apotheker schaffen es, ihre Umsätze jährlich um 4,5 Prozent in die Höhe zu treiben, die Zeche zahlen die Krankenkassen. Und: "Auch die Preise geraten unter Druck, wo mächtige Handelsketten gegen die Pharmaindustrie antreten." Allein dieser Kommentar im "Handelsblatt" zeigt, wie schwer es den Wirtschaftsjournalisten fällt, das Besondere des Apothekenmarkts zu erkennen und zu verstehen.

Als "irritierend" empfindet der Kommentator der "Frankfurter Rundschau" das Luxemburger Urteil, insbesondere die Argumentation der EuGH-Richter löse Verwunderung aus. Die Kernargumente fasst der Kommentar wie folgt zusammen: "Arzneimittel sind spezielle Waren. Solche risikobehafteten Produkte dürfen nur von Menschen verkauft werden, die ein ,gezügeltes‘ Gewinnstreben haben. Und das unterstellen die Juristen selbstständigen Apothekern – nicht jedoch ihren Kollegen, die Angestellte einer Filialkette sind. Diese Argumente machen den deutschen Apotheker zu einer speziellen Spezies von Geschäftsmann. Genau daran sind Zweifel erlaubt." Seine Zweifel begründet der Kommentar mit den negativ ausgefallenen Apothekentests der Stiftung Warentest und fragt: "Wer weiß, ob nicht auch dort schlechter Service vom Streben nach höherem Gewinn kommt." Außerdem glaubt die "Frankfurter Rundschau", dass das Urteil Preisnachlässe bei bestimmten Medikamenten und Nachahmerprodukten verhindere, für die DocMorris hätte sorgen können.

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kommentiert das Urteil mit der Überschrift "Bastion gehalten": die deutsche Apotheke bleibe eine Bastion der Apotheker. Aus Sicht der FAZ ist das Urteil nicht überzeugend und interpretiert es so: "Ein Apotheken-Manager erliege leichter der Profitgier, während Apotheker als Freiberufler gegen solch niedere Instinkte gefeit seien." Die Apotheker hätten den Bürgern und Politikern Angst gemacht vor den kostengünstigen Ketten. Nach Ansicht der FAZ-Kommentatorin verdiene die Apotheke nur dann gesetzlichen Konkurrenzschutz, wenn dies für die Gesundheit der Bürger unverzichtbar wäre. Aber dafür habe das Gericht keinen Beweis geliefert.

Dass es weiterhin Veränderungen im Apothekenmarkt geben wird, davon zeigten sich die "Stuttgarter Nachrichten" überzeugt. Die Apothekenlandschaft wandele sich seit Jahren, diese Entwicklung könne auch das aktuelle EuGH-Urteil nicht aufhalten. "Das Urteil der Europarichter beschert der Branche allerhöchstens eine Atempause."

"Apothekerin setzt DocMorris matt" – mit dieser Schlagzeile im Saarbrücker Regionalteil glänzt die "Bild". Der Beitrag beschäftigt sich in erster Linie mit dem Schicksal der Saarbrücker DocMorris-Apotheke, die in Fremdbesitz ist. Der Leser erfährt auch den Unterschied zu den DocMorris-Apotheken, die sich dem Franchise-Konzept angeschlossen haben.

Sachlich analysiert die "Saarbrücker Zeitung" das Urteil unter der Überschrift "Das rote A behält seinen Glanz". Die Analyse erkennt, dass trotz des Urteils, das das Fremdbesitzverbot bestätigte, für den Verbraucher und die Apotheken nicht alles beim Alten bleiben wird. Denn der neue Wettbewerb in Form von Kooperationen und Franchisemodellen gehe weiter. "Das Luxemburger Urteil macht es Apothekern also nicht leichter", meint die "Saarbrücker Zeitung".

Die "Berliner Zeitung" erklärt das Urteil ihren Lesern wie folgt: "In ihrer Begründung unterscheiden die Richter zwischen dem angestellten und dem selbstständigen Apotheker. Beide verfolgten das Ziel Gewinn zu erwirtschaften. Dem Selbstständigen unterstellen sie aber, dass er seine Apotheke nicht nur mit rein wirtschaftlichen Zielen betreibt, sondern auch eine gesundheitspolitische Beraterfunktion erfüllt. Er wird also nach Ansicht der Richter nicht auf Teufel komm raus verkaufen wollen, sondern sich auch am Wohl des Kunden orientieren. So werde sein Interesse am Profit ,gezügelt‘. Anders beim angestellten Apotheker. Der sei den Zielen des Konzerns, der ihn beschäftige, verpflichtet. Womöglich gibt noch ein fachfremdes Management die Richtlinien vor … Nach diesem Urteil werden die Expansionspläne von DocMorris und anderen Apothekenketten vorerst in den Schubladen bleiben."

Positiv kommentiert die "Südwest-Presse": "Für Verfechter des freien Marktes mag es enttäuschend sein, dass Kapitalgesellschaften hierzulande keine Apotheken besitzen dürfen. Doch sie sollten eines lernen: Es gibt Bereiche, die nicht mit dem Prinzip der Gewinnmehrung funktionieren dürfen. … Nur gut, dass die Richter in Luxemburg die Niederlassungsfreiheit weniger wichtig einstufen als den Gesundheitsschutz der Verbraucher und die Arzneimittelsicherheit."

"Fragwürdiges Urteil" kommentiert dagegen die "Rheinische Post". Zwar meint die Kommentatorin, dass das Urteil zunächst eine vernünftige Entscheidung gewesen sei. Auch sie glaubt, dass Medizin eine besondere Ware sei, für deren Verkauf besondere Regeln gelten müssten. Aber sie versteht nicht, warum dies nicht auch eine DocMorris-Kette hätte erfüllen können, "in denen die Apotheker nur angestellt sind, nicht aber als Selbstständige arbeiten". Ihr Fazit: "Solange für Ketten gleiche Regeln gelten wie für den bewährten Einzel-Apotheker, gibt es keinen Grund für ein Verbot."

Reißerisch macht die "Münchner Abendzeitung" das Thema auf: "Rezept zum Abkassieren". Der Artikel zeigt, dass der Redakteur nur bedingt verstanden hat, worum es bei dem Apothekenurteil geht. Nach seiner Meinung um viel Geld, nämlich um 35 Milliarden Euro, "die sich laut Deutschem Apothekerverband 21.600 unabhängige Apotheken teilen". Und dies werde nach dem Luxemburger Urteil auch so bleiben, mit dem die qualifizierte Betreuung der Patienten in Arzneimittelfragen gesichert werden soll. Dass dies so nicht stimmt, dafür wird der "Gesundheitsökonom" Gerd Glaeske zitiert. Er bezeichne es als völligen Unsinn, dass inhabergeführte Apotheken mehr Qualität böten: "Ein Drittel der Apotheken schneidet bei der Beratungsqualität regelmäßig schlecht ab." Das Urteil stütze sowohl das Zunftwesen der Apotheker als auch deren Monopol. Die Apotheke habe es sich darin gemütlich gemacht, die Einzelapotheke denke nicht an Wettbewerb. Die "Abendzeitung" kennt die Folgen für den Kunden: "DocMorris will trotzdem expandieren, die Verbraucher können also mit günstigen Pillen rechnen." Dem Leser wird der Unterschied zwischen Franchise und echter Kette allerdings nicht nahegebracht. Die "Abendzeitung" geht auch nicht darauf ein, dass es schon längst günstigere Anbieter als DocMorris gibt.

Von Sachkenntnis geprägt schreibt dagegen Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung": "Also bleibt im deutschen Apothekenwesen erst einmal alles beim Alten. Jede Apotheke hat ihren Apotheker, dem der Laden gehört und der die Verantwortung dafür trägt. Das ist gut so, denn nicht alles, was alt ist, ist veraltet. Das Urteil ist etwas ganz Besonderes, ein neues europäisches Signal: Nicht der Markt, nicht Kapital- und Niederlassungsfreiheit sind die höchsten Werte, denen sich alles unterzuordnen hat. Die EU-Richter respektieren, dass es andere Werte gibt und diese höher zu bewerten sein können – Werte nämlich, die Tradition heißen und Vertrauen. Warum soll ein System dereguliert werden, das gut funktioniert? Die Apotheke ist, wie Rathaus und Kirche, ein Stückchen Heimat. Europa ist nicht dafür da, das den Leuten wegzunehmen." Er schreibt weiter: "Der Spruch aus Luxemburg allein wird aber die Apotheken nicht erhalten; er liefert nur die rechtliche Grundlage dafür. Erhalten müssen sie sich selber, indem sie das Hauptdefizit des Gesundheitswesens ausgleichen: Es krankt am mangelnden ,Sich kümmern‘. Beratung, Hilfe und Reden kann so wichtig sein wie das Medikament."

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