Arzneimittel und Therapie

Phytotherapie: Dürfen Johanniskraut-Präparate verordnet werden?

Johanniskraut ist bzw. war in der primärärztlichen Therapie von leichten bis mittelschweren Depressionen anerkannt und etabliert. Eine neue Studie belegt nun auch seine erfolgreiche Anwendung bei psychosomatischen Beschwerden. Seit dem 1. April 2004 gilt jedoch, dass nur noch Johanniskrautextrakt-Präparate mit einer Dosierung von mindestens 300 mg hydroalkoholischem Extrakt pro Einzeldosis weiterhin auf Kassenrezept verschrieben werden können, sofern sie zur Behandlung einer mittelschweren depressiven Episode verordnet werden: Der behandelnde Arzt und seine Patienten haben da keine großen Auswahlmöglichkeiten.

Depressionen sind nie Befindlichkeitsstörungen

Dass auch bereits leichte Depressionen frühzeitig und konsequent zur Vermeidung einer Chronifizierung behandelt werden müssen, darin sind sich die psychiatrischen Fachgesellschaften einig. Leichte Depressionen sind keine Befindlichkeitsstörungen! Das betonte Prof. Dr. H.-J. Möller, Ordinarius für Psychiatrie der Universität München, wieder einmal. Gerade am Anfang einer Depression sind die Patienten-Vorbehalte gegen synthetische Psychopharmaka groß und die Toleranz gegenüber Nebenwirkungen klein.

Hier nun entzünden sich die Gemüter: Das GMG erlaubt die Erstattung von Johanniskraut-Präparaten nur noch bei mittelschweren Depressionen. Trotz insgesamt positiver Datenlage auch bei dieser Indikation sind nur das Präparat Jarsin® 300 der Firma Lichtwer und – nach Angabe der Firma Schwabe – Neuroplant® VO dafür zugelassen.

Baldige Neuregelung unumgänglich

Überrascht zeigte sich Prof. Dr. G. Glaeske, Bremen, vom massiven Rückgang der Johanniskraut-Verordnungen. Noch ist nicht klar zu erkennen, wie hier die behandelnden Ärzte auf die neue Gesetzeslage reagieren: Werden sie, um dem Patienten mit einer erstattungsfähigen Johanniskraut-Verschreibung entgegenzukommen, bei ihm automatisch eine mittelschwere Depression diagnostizieren oder ihm einreden, im Zustand einer leichten Depression sei er noch selbst für seine Gesundheit verantwortlich? Und damit auch in Kauf nehmen, dass dabei auf billigere, aber wirkungsschwache Supermarktware zurückgegriffen wird?

Oder wird – und dieser Trend zeichnet sich eher ab – einfach auf die auch bei leichten Depressionen verordnungsfähigen synthetischen, aber auch wesentlich teureren Antidepressiva wie SSRI ausgewichen? Professor Möller forderte mit Vehemenz eine baldige Korrektur dieser Paradoxie: Entweder müssten konsequenterweise auch die synthetischen Antidepressiva bei leichten Depressionen aus der Erstattungsfähigkeit genommen werden – denn ihre klinische Datenlage ist hier keineswegs besser als die von Hypericum – oder für Johanniskrautpräparate bei dieser Indikation neue gesetzliche Regelungen getroffen werden.

Johanniskraut auch bei psychosomatischen Beschwerden

Einen weiteren Einsatzbereich von Johanniskraut eröffnet eine an der Universität Bochum durchgeführte Studie. Patienten mit unklaren körperlichen Beschwerden wurden mit zwei mal 300 mg Johanniskrautextrakt LI160 (Jarsin®) erfolgreich behandelt. Somatoforme Störungen, so die neue Bezeichnung für ein altbekanntes Krankheitsbild, bedeuten eine erhebliche finanzielle Belastung für das Sozialsystem. Die Patienten leiden an multiplen körperlichen Symptomen, die zur Chronifizierung neigen und in Folge häufig zu Arbeitsausfällen und Frühberentung führen.

Eine klare Diagnose ist für den Hausarzt oft schwierig und so durchlaufen solche Patienten nicht selten eine diagnostische Odyssee zu den Spezialisten oder sie wechseln häufig den Arzt, ohne dass ihnen ihre Ängste und Beschwerden genommen werden können. Eine neue an der Universität Marburg entwickelte Bewertungsskala SOMS (Screening für somatoforme Störungen) – vergleichbar der Hamilton Depressionsskala – soll den Hausärzten zukünftig eine korrekte Diagnosestellung erleichtern.

Sie gibt auch konstruktive Verhaltensrichtlinien im Umgang mit solchen Patienten. Erste Hinweise für eine Wirksamkeit von Johanniskraut bei dieser Indikation ergaben sich aus Studien bei Patienten mit depressiven Störungen. Während ihrer Behandlung mit Hypericum besserten sich auch organspezifische Begleitbeschwerden wie Herzrasen oder -klopfen, Müdigkeit oder Kopf- und Muskelschmerzen.

Inzwischen liegen zwei doppelblinde, plazebokontrollierte klinische Studien zu dieser Symptomatik vor (Volz et al. 2002, Müller et al. im Druck). Beide belegen die gute therapeutische Wirksamkeit von Johanniskraut bei allen Formen von somatoformen Störungen. Die jüngere Studie wurde bereits an Hand des neuen SOMS-Index bewertet. Johanniskraut zeigte nach sechswöchiger Behandlung eine signifikante mittlere bis große Überlegenheit gegenüber Plazebo, bei guter Verträglichkeit lag der Anteil der Responder in der Johanniskraut-Gruppe mit 45% etwa doppelt so hoch wie in der Plazebo-Gruppe (21%). Die Besserung war unabhängig vom Vorhandensein depressiver Symptome.

Sind Johanniskraut-Präparate erstattungsfähig?

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat am 16. März in Bonn die Ausnahmeliste von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln beschlossen, die die Kassen künftig weiter erstatten dürfen. Diese Liste, die am 1. April in Kraft trat, enthält lediglich vier Phytopharmaka. Danach gilt, dass Johanniskrautextrakt-Präparate mit einer Dosierung von mindestens 300 mg hydroalkoholischem Extrakt (ethanolisch oder methanolisch) pro Einzeldosis weiterhin auf Kassenrezept verschrieben werden können, sofern sie zur Behandlung einer mittelschweren depressiven Episode verordnet werden.

Nach Firmenangaben entsprechen nur Neuroplant® VO (Schwabe) und Jarsin® 300 (Lichtwer) den Kriterien der Ausnahmeliste und sind damit verschreibungs- und erstattungsfähig.

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