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Nahrungsergänzungsmittel: Arzneimittel oder Lebensmittel?

Nahrungsergänzungsmittel sind in aller Munde. Dies gilt sowohl für die Verbreitung dieser Produkte als auch für den immer häufiger gebrauchten Begriff. Doch ist die rechtliche Einordnung der Nahrungsergänzungsmittel schwierig. Diese Problematik und ihre praktischen Konsequenzen für den Apothekenalltag waren am 3. November 1998 Inhalte einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Hamburg, bei der Apothekerin Brigitte Hambrecht, Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Hamburg, referierte.

Rechtliche Grundlagen


Der einzige Hinweis auf Nahrungsergänzungsmittel im Lebensmittelrecht ist in der amtlichen Begründung zu §1 Abs. 3 der Nährwertkennzeichnungsverordnung zu finden. Sie unterliegen den Begriffsbestimmungen des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) und müssen mangels einer eigenen Legaldefinition die Eigenschaften eines Lebensmittels erfüllen. Demnach müssen sie einen Nährwert haben, weil unverdauliche Füll- und Quellstoffe keine Lebensmittel sind. Auch Produkte mit einem Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen, der deutlich über den Ernährungsbedarf hinausgeht, sind von dieser Definition nicht abgedeckt.
Bei allen Lebensmitteln sind Bestimmungen zum Schutz vor Täuschung und das Verbot der gesundheitsbezogenen Werbung (§§17 und 18 LMBG) zu beachten. Verboten sind irreführende Bezeichnungen, insbesondere wenn dadurch der Anschein erweckt wird, das Produkt sei ein Arzneimittel. Das Verbot der gesundheitsbezogenen Werbung unterbindet u. a. Werbung, die über Angstgefühle wirkt. Dies kann sich nach Einschätzung von Hambrecht auch auf den Schutz vor Krebs durch "Radikalfänger" beziehen. Einige Ausnahmen betreffen diätetische Lebensmittel, die die Definition in §1 der Diätverordnung erfüllen und entsprechend gekennzeichnet sind.
Auf jeden Fall aber sind alle Lebensmittel einschließlich der Nahrungsergänzungsmittel von den Arzneimitteln abzugrenzen, da ein Fertigprodukt entweder Arznei- oder Lebensmittel ist. Für die Abgrenzung sind die gesetzlichen Definitionen, aber nicht die Deklaration des Herstellers maßgeblich. Demnach kann ein Produkt, das den Aufdruck "Nahrungsergänzungsmittel" trägt, aufgrund seiner tatsächlichen Eigenschaften ein Arzneimittel und damit zulassungspflichtig sein. Hier ist die Apotheke gefordert, gegebenenfalls die Abgabe eines Produktes zu verweigern, da das Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels strafbar ist. Nach Auffassung von Hambrecht wäre es nicht nachzuvollziehen, wenn in Apotheken solche Produkte in größerer Zahl verkauft würden, deren arzneiliche Zweckbestimmung für den Apotheker deutlich erkennbar ist.

Wie erkennt man ein "echtes" Nahrungsergänzungsmittel?


Entscheidend für die Einstufung als Lebensmittel ist die Anwendung für die Ernährung oder den Genuß. Dabei muß es der allgemeinen Ernährung - also nicht z. B. speziell der Haut oder den Haaren - dienen oder Nährstoffe zuführen, deren Mangel einen Schaden hervorrufen würde. Die überwiegende Zweckbestimmung kann im allgemeinen nach objektiven Maßstäben ermittelt werden, für die die sogenannte allgemeine Verkehrsauffassung wesentlich ist. Diese ergibt sich aus den nachfolgenden Kriterien:

  • Aufmachung der Packung,
  • Packungsbeilage,
  • Produktname, der evtl. auf einen Verwendungszweck hinweist,
  • Pharmazentralnummer, die in Problemfällen die Identifizierung des Herstellers erleichtert,
  • Name des Herstellers,
  • Darreichungsform,
  • Werbung,
  • Angabe des Verfallsdatums (bei Arzneimitteln) bzw. des Mindesthaltbarkeitsdatum (bei Lebensmitteln),
  • Anwendungshinweis,
  • Preis,
  • Hinweis "nur in Apotheken".


Nach den Erfahrungen von Hambrecht weisen Packungsbeilage und Produktname vieler vermeintlicher Nahrungsergänzungsmittel bereits auf den arzneilichen Zweck hin. Eindeutig als Arzneimittel sei ein Riechstift zu charakterisieren, da dieser nicht verzehrt werden kann, wie es bei einem Lebensmittel möglich sein muß. Auch Mantel- und Retardtabletten seien nur als Arzneimittel vorstellbar. Einen Verdacht auf ein verkapptes Arzneimittel sollte der Hinweis auf die Apothekenexklusivität oder ein Preis über DM 50,- begründen.
Die objektive Zweckbestimmung ist das entscheidungsrelevante Abgrenzungskriterium bei solchen Produkten, deren Inhaltsstoffe anerkanntermaßen als Arzneimittel oder auch als Lebensmittel verwendet werden können. Dies betrifft z.B. Hefe, Nachtkerzenöl, Knoblauch, Vitamine und Mineralstoffe. Aufgrund von Gerichtsurteilen hat sich bei Vitaminen und Mineralstoffen eine klare Abgrenzung herausgebildet. Enthalten die Zubereitungen bis zum Dreifachen der von der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) empfohlenen Tagesdosis, dienen sie der Ernährung, so daß sie Lebensmittel sind. Bei höheren Dosierungen ist dagegen eine arzneiliche Zweckbestimmung anzunehmen.
Ein weiteres, sehr wichtiges Kriterium ist die Werbung, die zur subjektiven Zweckbestimmung überleitet. Insbesondere bei neuen Produkten, die erstmals in den Handel kommen, gibt es noch keine allgemeine Verkehrsauffassung und kaum herstellerunabhängiges Erkenntnismaterial. Hier kann die Werbung die Erwartungshaltung der Verbraucher beeinflussen und damit den subjektiven Verwendungszweck bestimmen. Hinweise auf verschiedene Krankheiten in der Werbung begründen dabei die Arzneimitteleigenschaft. Entsprechendes gelte z. B. für "Fettabsorber", die keine Nährstoffe zuführen, sondern die Nährstoffzufuhr verhindern sollen und daher keine Lebensmittel sein können.

Nicht die Wirksamkeit,


sondern der Zweck zählt
Wie Hambrecht betonte, muß bei der Beurteilung in der Apotheke nicht geprüft werden, ob die Produkte therapeutisch wirken oder ob die Werbeaussagen zu Krankenheiten inhaltlich zutreffen. Dies ist allein Sache des Zulassungsverfahrens bei Arzneimitteln. Entscheidend für die Einstufung als Arzneimittel ist dagegen die beabsichtigte arzneiliche Zweckbestimmung, unabhängig davon, ob die Werbeaussagen zutreffend sind oder nicht.
Wenn sich ein Produkt als nicht zugelassenes Arzneimittel herausstellt, sei die zuständige Behörde zu informieren. Die juristischen Folgen treffen in erster Linie den Hersteller und ggf. den Großhandel. Doch muß auch die Apotheke bei Abgabe eines nicht zugelassenen Arzneimittels mit juristischen Konsequenzen rechnen, insbesondere wenn das Produkt wider besseres Wissen vorsätzlich abgegeben worden ist.

Beispiele und Fragen aus der Praxis


Als Beispiele für nicht zugelassene Arzneimittel, die unzulässigerweise als vermeintliche Nahrungsergänzungsmittel in Verkehr waren, nannte Hambrecht Produkte mit überhöhtem Vitamingehalt, mit Füll- oder Quellstoffen oder Enzymen, die typischerweise arzneiliche Wirkungen haben. In sehr vielen Fällen ergebe sich die Arzneimitteleigenschaft zwangsläufig aus den Indikationen in den Packungsbeilagen, die arzneiliche Wirkungen beschreiben. Diese gingen oft sogar noch über die nachgewiesenen Indikationen tatsächlich zugelassener Produkte mit den gleichen Inhaltsstoffen hinaus, so z. B. bei Nachtkerzenöl oder Ginseng.
Auch Melatonin und DHEA sind Arzneimittel, ebenso alle Produkte mit verschreibungspflichtigen Inhaltsstoffen. Als neueste Entwicklung wies Hambrecht auf angebliche Sportlernahrung aus den USA hin, die einen Aromataseinhibitor enthalten, der die Biosynthese von Östrogenen aus Testosteron hemmt und so den Testosteronspiegel erhöht. Dies sei eindeutig als arzneiliche Wirkung anzusehen.
In der anschließenden Diskussion, bei der sich auch Regierungsdirektor Volker Sielaff den Fragen stellte, appellierte Hambrecht an die Apothekerschaft, die Behörden bei der Identifizierung nicht zugelassener Arzneimittel zu unterstützen. Angesichts der Innovationsgeschwindigkeit auf seiten der Hersteller seien die Behörden auf Hinweise aus der Praxis angewiesen. Hervorgehoben wurde, daß auch die ärztliche Verschreibung eines nicht zugelassenen Fertigarzneimittels dieses keineswegs verkehrsfähig machen kann.
Einige Stimmen im Auditorium verlangten, die Beurteilung der Produkte und die damit verbundene Verantwortung aus der Apotheke zu verlagern. Doch hielt Kammerpräsident Dr. Hans-Jochen Gelberg dem entgegen, daß die Apotheker sich auch hier als Arzneimittelfachleute profilieren müßten und sich daher nicht hinter anderen Akteuren im Gesundheitswesen verstecken dürften.tmb

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