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Nahrungsergänzungsmittel – zwischen Ernährung und Arznei

"Nahrungsergänzungsmittel - zwischen Ernährung und Arznei" war der Titel einer vom 23. bis 24.Februar in Würzburg von der Arbeitsgemeinschaft für pharmazeutische Verfahrenstechnik (APV) durchgeführten Veranstaltung. Ziel des vor allem von Industrievertretern besuchten Seminars war es, die aktuellen Aspekte des Themas aus verschiedenen Perspektiven kontrovers zu diskutieren und einen Überblick über die derzeitigen Tendenzen zu vermitteln.

Lebensmittelrechtliche Kriterien

Für Nahrungsergänzungsmittel liegt nach wie vor keine Legaldefinition vor. Dr. Günther Hanke, Präsident der APV und Apotheker in Heilbronn, erläuterte, dass sich in der Praxis hierdurch für den Apotheker immer wieder Probleme ergeben. Nahrungsergänzungsmittel sind nach § 25 Nr. 6 der ApBetrO im Gegensatz zu "normalen" Lebensmitteln als apothekenübliche Ware anzusehen.

Der Apotheker ist aber verpflichtet, sich über die ordnungsgemäße Verkehrsfähigkeit zu informieren und diese gegebenenfalls selbst zu prüfen. Dies ist vielfach sehr schwierig und stellt selbst für vereidigte Sachverständige und die Gerichte kein einfaches Unterfangen dar. Bei vielen Produkten muss geprüft werden, ob sie als Lebensmittel anzusehen oder aber z.B. als Arzneimittel oder Medizinprodukt einzustufen sind. Lebensmittel dienen nach § 1 LMBG der Ernährung und/oder dem Genuss. Da Nahrungsergänzungsmittel vielfach keinen Genusswert besitzen, ist der Nährwert zu prüfen. Dabei sei der Begriff Nährwert weiter zu fassen als vielfach angenommen. Nach dem Lebensmittelrechtskommentar von Zipfel sei davon auszugehen, dass alle Stoffe, die aufgrund ihrer Beschaffenheit der Energiegewinnung, der Synthese und dem Ersatz von Körpersubstanzen dienten, einen Nährwert besitzen. Auch funktionserhaltende Stoffe wie die Ballaststoffe sind demnach Lebensmittel.

Hanke erläuterte die Problematik am Beispiel von Kieselerde und Chitosan. Kieselerde dient der Versorgung des Organismus mit Silicium und ist ein makromolekularer Naturstoff, der nur mit Hilfe physikalischer Verfahren gewonnen wird. Damit sei Kieselerde ein Lebensmittel. Chitosan demgegenüber besitze als nicht verwertbare Substanz zwar Ballaststoffcharakter und damit einen Nährwert. Da der Stoff aber durch chemische Modifikation von Chitin gewonnen werde, sei er nicht mehr natürlichen Ursprungs und damit kein Lebensmittel. Er müsse vielmehr als nicht verkehrsfähiger Zusatzstoff angesehen werden.

Hanke riet den Apothekern, nur Produkte von seriösen Firmen zu führen, da deren Anwälte die Verkehrsfähigkeit der Produkte im Vorfeld mit großer Wahrscheinlichkeit geprüft hätten. Von diffusen Angeboten aus dem Internet riet er dagegen massiv ab.

Kampf gegen Grauzonenprodukte

Mit der ernährungsphysiologischen Eignung von Nahrungsergänzungsmitteln und deren Abgrenzung zu Arzneimitteln beschäftigte sich Prof. Dr. Burkhard Viell vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Berlin. Es bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Bedeutung Nahrungsergänzungsmittel besitzen. So werden darunter auf der einen Seite ausschließlich Produkte mit Vitaminen und Mineralstoffen verstanden, die der gezielten Ergänzung mit ernährungsphysiologisch relevanten Mikronährstoffen dienen.

Auf der anderen Seite wird die Auffassung vertreten, dass Nahrungsergänzungsmittel einer über die übliche Ernährung hinausgehenden unspezifischen Ergänzung dienen und ein "zusätzliches Plus" verschaffen. Viell vertrat die Auffassung, dass nach derzeitigem Stand der Wissenschaft eine Ergänzung der Ernährung, wenn überhaupt, nur mit anerkannten Nährstoffen vorgenommen werden sollte, für die Zufuhrempfehlungen existieren und bei denen tatsächlich eine Unterversorgung vorliegt. Dies gelte beispielsweise für Iod und Folsäure.

Er sprach sich gegen die derzeitige Tendenz aus, zunehmend auch solche Substanzen in Nahrungsergänzungsmitteln einzusetzen, bei denen kein ernährungsphysiologischer Ergänzungszweck erkennbar ist oder die bisher dem Arzneimittelbereich vorbehalten waren. Für solche Stoffe wie z.B. Lecithin, Probiotika, bestimmte Fettsäuren, Coenzym Q10, Taurin oder Zitrusbioflavonoide fehlten sowohl Erkenntnisse zu effektiven Mindestdosierungen als auch zu möglichen Überdosierungen. Hinzu kämen bei verschiedenen Stoffen Identitäts- und Spezifitätsmängel. Hier setze auch die Funktion seiner Behörde ein, deren Aufgabe es sei, den Verbraucher vor Irreführung und möglichen Gesundheitsschäden zu schützen. Aus diesem Grund hat das BgVV auf Basis ernährungsmedizinischer und toxikologischer Erwägungen Obergrenzen für den Vitamin- und Mineralstoffgehalt von Nahrungsergänzungsmitteln herausgegeben.

Viell sprach sich zusammenfassend dafür aus, Nahrungsergänzungsmittel zu einer sinnvollen Lebensmittelgruppe zu entwickeln, deren Nutzen für den Verbraucher erkennbar und erfahrbar werde. Es müsse verhindert werden, dass die Gesundheits- und Fitnesswelle mit wirkungslosen Produkten bedient werde und sich unter Nahrungsergänzungsmitteln mehr und mehr undefinierte Grauzonenprodukte ansammeln.

Auch die gesundheitsbezogene Aussage muss belegt sein

Möglichkeiten und Grenzen von Aussagen zu Nahrungsergänzungsmitteln aus juristischer Sicht stellte Dr. Marc Stuckel, Stuttgart, dar. Er hob nochmals hervor, dass die lebensmittelrechtlichen Werbeverbote uneingeschränkt auch für Nahrungsergänzungsmittel gelten. Dabei sind vor allem die Verbote der Irreführung nach § 17 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) und der krankheitsbezogenen Werbung nach § 18 LMBG zu beachten. Eine Irreführung kann insbesondere dann gegeben sein, wenn ein bei ausgewogener Ernährung nicht bestehender Bedarf suggeriert wird oder wenn Lebensmitteln Wirkungen beigemessen werden, die ihnen nach dem Stand der Wissenschaft nicht zukommen. Dabei trägt der Werbende die Verantwortung für die Richtigkeit der Behauptungen.

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG regelt das Verbot der krankheitsbezogenen Werbung, gesundheitsbezogene Aussagen sind hingegen erlaubt. Das Grundproblem besteht dabei in der Unterscheidung zwischen Gesundheits- und Krankheitsbezug. Ein Krankheitsbezug liegt bereits dann vor, wenn die Krankheit nicht konkret genannt wird, sondern z.B. anhand von Symptomen für den Verbraucher eine Assoziation mit der Erkrankung besteht. Tab. 1 zeigt Beispiele für als zulässig bzw. unzulässig angesehene Aussagen aus der Rechtsprechung.

Grundsätzlich gilt aber, dass die Aussagen, auch wenn sie nach §18 LMBG zulässig wären, nicht gegen §17 LMBG verstoßen dürfen. Dies bedeutet beispielsweise, dass die entsprechende gesundheitsbezogene Aussage auch wissenschaftlich belegt sein muss. Stuckel wies darauf hin, dass die bisherige, teils überzogen strenge Rechtsprechung sich langsam verändert. Ein wesentlicher Grund hierfür sei die Abkehr vom bisherigen Verbraucherleitbild. In der bisherigen in Deutschland üblichen Rechtsprechung wurde vielfach vom überkommenen Bild eines oberflächlichen, flüchtigen Durchschnittsbetrachter ausgegangen. Demgegenüber gehen neuere Urteile vermehrt vom europäischen Verbraucherleitbild aus. Danach werden die Erwartungen eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers zugrunde gelegt.

Ausnahmegenehmigung für nicht zugelassene Stoffe möglich

Die Abläufe für die Verfahren nach § 37 und § 47a LMBG schilderte Walter Weege vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Nahrungsergänzungsmittel (und auch andere Lebensmittel) mit in Deutschland nicht zugelassenen Inhaltsstoffen können auf diesem Weg unter bestimmten Voraussetzungen dennoch in Verkehr gebracht werden. Voraussetzung dafür ist, dass für das entsprechende Produkt beim BMG ein Antrag nach den entsprechenden Vorschriften gestellt wird. § 37 LMBG regelt Ausnahmegenehmigungen für Einzelfälle, die es ermöglichen, ein entsprechendes Lebensmittel für zunächst drei Jahre auf den Markt zu bringen, wobei die Genehmigung dreimal verlängert werden kann. Die Ausnahmegenehmigung gilt somit immer nur für das Produkt, für das sie erteilt wurde. Eine Allgemeinverfügung nach § 47a LMBG ermöglicht es hingegen, Produkte, die in einem anderen EU-Land rechtmäßig in Verkehr sind, nach Deutschland zu importieren und zu verkaufen. Die Genehmigung bezieht sich auf alle gleichartigen Produkte, auch von anderen Unternehmen.

Weege stellte klar, dass es sich bei beiden Verfahren um Verwaltungsakte handelt, für die kein Rechtsanspruch besteht. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bzw. einer Allgemeinverfügung setzt verschiedene Bedingungen voraus. So darf beispielsweise keine Gesundheitsgefährdung bestehen. Das BMG gibt die Unterlagen u.a. zur fachlichen Bewertung an das BgVV. Bei den Anträgen nach § 47a sei auffällig, dass die meisten Versagungen einer Allgemeinverfügung heute nicht mehr aus Gründen des Gesundheitsschutzes (z.B. wegen zu hoher Dosierungen) erfolgen, sondern weil es sich bei den Produkten nach deutscher Verkehrsauffassung nicht um Lebensmittel handele.

Nahrungsergänzungsmittel oft den Altarzneimitteln überlegen

Die Bedeutung von Nahrungsergänzungsmitteln aus ernährungsphysiologischer Sicht bewertete Hochsch.-Doz. Dr. Andreas Hahn vom Institut für Lebensmittelwissenschaft der Universität Hannover. Nahrungsergänzungsmittel müssen mit Blick auf die physiologische Bedeutung der Ernährung gesehen werden. Lange Zeit wurde der Begriff Ernährung nur im Hinblick auf die Versorgung des Menschen mit essenziellen Nährstoffen und die Vermeidung von Mangelerscheinungen gesehen.

In den letzten Jahren ist ein Paradigmenwechsel zu verzeichnen. Eine adäquate Ernährung sichert nicht nur die Versorgung mit Nährstoffen, sie trägt zudem durch vielfältige Schutzstoffe dazu bei, Krankheiten zu vermeiden und besitzt damit auch präventive Effekte. Aus diesem Grund umfasst die Palette der physiologisch bedeutsamen Nahrungsinhaltsstoffe nicht nur die bekannten Nährstoffe, sondern alle Substanzen, die Gesundheit und Wohlbefinden fördern bzw. Krankheiten vermeiden, so z. B. die vielfältigen sekundären Pflanzenstoffe. Entsprechend sollte auch das Spektrum der in Nahrungsergänzungsmitteln zulässigen Substanzen weiter gefasst werden. So gebe es zunehmend Untersuchungen, die den Wirkmechanismus bestimmter sekundärer Pflanzenstoffe belegen. Interventionsstudien am Menschen zu den gesundheitsfördernden Wirkungen fehlen zwar noch, es gebe aber ein hohes Maß an Plausibilität für die entsprechenden Wirkungen.

Wegen der vielfach noch unklaren Toxikologie müssten sich die in Nahrungsergänzungsmitteln enthaltenen Mengen an diesen Substanzen als Obergrenze aber in jedem Fall daran orientieren, welche Mengen mit einer gesunderhaltenden Ernährung aufgenommen werden. Wegen der präventiven Bedeutung der Ernährung sei außerdem die juristisch notwendige Grenze zwischen Lebens- und Arzneimitteln nicht haltbar.

Entscheidend dafür, was ein Produkt leiste, so Hahn, sei nicht dessen rechtlicher Status, sondern die Zusammensetzung. Dabei seien Nahrungsergänzungsmittel vielfach Altarzneimitteln überlegen. Wenn die Sinnhaftigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln in Frage gestellt werde, dann müsse gleichermaßen geprüft werden, welcher gesundheitliche Nutzen tatsächlich von vielen Altarzneimitteln und insbesondere von traditionellen Arzneimitteln ausginge.

Hahn sprach sich gleichzeitig deutlich dafür aus, die Entwicklung sinnvoller Nahrungsergänzungsmittel zu fördern, gleichzeitig aber nutzlose und irreführende Produkte wie beispielsweise Apfelessig-, Pu-Erh-Tee- oder Olivenölkapseln als "Pseudoprodukte" zu bekämpfen. Er wies auch darauf hin, dass es ein weitverbreiteter Irrtum sei, Verwender von Nahrungsergänzungsmitteln verstünden die Produkte als Alibi für eine ungesunde Ernährungs- und Lebensweise verwendeten. Untersuchungen zeigen vielmehr, dass es gerade gesundheitsbewusste Menschen sind, die verstärkt zu den Produkten greifen.

Nahrungsergänzungsmittel sind keine Nahrungsersatzmittel. Daher sind sie auch nicht in der Lage, eine fettreiche, hyperkalorische Ernährung in eine gesunderhaltende Ernährungsform zu verändern. Hahn vertrat die Auffassung, dass es in jedem Fall besser sei, ernährungsbedingte Mangelerscheinungen und Risikofaktoren durch Supplemente zu beseitigen, als sie gar nicht zu beheben. So könne beispielsweise durch die Gabe der Vitamine Folsäure, B6 und B12 der Homocysteinspiegel gesenkt und damit das kardiovaskuläre Risiko vermindert werden.

Wirksamkeitsnachweis schwierig

Dr. Christian Steffen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Berlin zeigte anhand umfangreicher Beispiele, aufgrund welcher Stoffe und werblichen Aussagen in der Vergangenheit Produkte als Arzneimittel klassifiziert wurden. Insbesondere der Hinweis auf präventive oder heilende Wirkungen führt zur Einstufung als Arzneimittel, das dann der Zulassungspflicht unterliegt. Entsprechend ergeben sich für den Antrag auf Zulassung klare Anforderungen an Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit.

Bei essenziellen Nährstoffen gestaltet sich der Wirksamkeitsnachweis für Anwendungsgebiete, die über die Prophylaxe und Therapie eines Nährstoffmangels hinausgehen, als schwierig. Belege müssen im allgemeinen durch klinische Interventionsstudien erbracht werden, nicht aber durch epidemiologische Daten. Steffen führte dies am Beispiel des Zusammenhangs zwischen Vitamin E und dem Risiko für Tod durch koronare Herzkrankheit auf. So ist anhand epidemiologischer Studien erwiesen, dass Frauen, die mit der Nahrung höhere Mengen an Vitamin E aufnehmen, ein geringeres Sterblichkeitsrisiko aufweisen. Die zusätzliche Aufnahme von Vitamin E zeige jedoch keine Wirkung.

Auch die vielfach propagierte leistungssteigernde Wirkung durch VitaminE hielt Steffen für wissenschaftlich nicht belegt. Er zeigte anhand einschlägiger Publikationen die methodischen Mängel, insbesondere bei der Statistik auf und verdeutlichte mit eigenen Reanalysen, dass das BfArM auf der Basis solcher Daten keinen Wirksamkeitsnachweis sehe und eine Zulassung nicht erteilen könne.

Würzburger Deklaration verabschiedet

Zum Abschluss der Veranstaltung präsentierte Hahn den Entwurf einer von Hanke und ihm initiierten und von allen Referenten unterzeichneten "Würzburger Deklaration zu Nahrungsergänzungsmitteln" (siehe Seite 87). Mit dieser Erklärung solle die inhaltliche Diskussion über die Produktgruppe in einer Form voran gebracht werden, die die unterschiedlichen Interessen und Standpunkte von Industrie, Behörden und Wissenschaft vereinigt und zu konstruktiven Gesprächen über die weitere Entwicklung führt.

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