Arzneimittel und Therapie

Immunologie: Bewährte und neue Immunsuppressiva bei Organtransplantationen

Mit der Immunsuppression bei Organtransplantationen sollen Immunreaktionen des Empfängers gegen das fremde Transplantat geschwächt werden. Gleichzeitig muss genügend Abwehrkraft gegen opportunistische Infektionen und bösartige Tumoren erhalten bleiben. Bewährte Immunsuppressiva werden häufig kombiniert eingesetzt. Viele neue Immunsuppressiva greifen spezifisch an Rezeptoren oder Enzymen der Lymphozyten an. Das Ziel ist letztlich die Transplantations-Toleranz, also eine spezifische Hemmung der gegen den Spender gerichteten Immunabwehr, die alle übrigen adaptiven Immunfunktionen intakt lässt. Sie könnte eine chronische Gabe von Immunsuppressiva überflüssig machen.

Bekannte Immunsuppressiva verfolgen eine von drei Strategien:

  • Sie hemmen die Zellproliferation.
  • Sie verringern den T-Lymphozyten-Bestand.
  • Sie beeinflussen Zytokine: ihre Produktion, ihre Aufnahme durch Oberflächenmoleküle oder die durch Zytokine ausgelöste Signalübertragung.

Proliferationshemmend wirken Azathioprin, aber auch Mycophenolatmofetil und die als Immunsuppressiva noch nicht zugelassenen Substanzen Brequinar und Leflunomid (als Antirheumatikum: Arava). Problematisch an Proliferationshemmern sind die Knochenmarksuppression mit der Gefahr von Virusinfektionen und die zahlreichen toxischen Wirkungen.

Den T-Zell-Bestand reduzieren Antilymphozytenglobuline, und zwar sowohl polyvalente Antilymphozytenseren als auch monoklonale Antikörper. Diese Präparate werden nur etwa zwei Wochen lang gegeben, weil die intensive Immunsuppression mit zahlreichen Problemen (Infektions- und Lymphomrisiko) behaftet ist.

Wirkung auf Zytokine

Die Ära der Zytokin-wirksamen Immunsuppressiva begann mit Ciclosporin und setzte sich mit Tacrolimus und Sirolimus und den monoklonalen Antikörpern gegen CD25 fort.

Neue immunsuppressive Strategien sind:

  • Verringern von Transplantatverletzungen durch Ischämie und Reperfusion, indem die Anhäufung von Lymphozyten und ihr Durchtritt durch die Kapillarwand verhindert wird.
  • Hemmen kostimulatorischer Wege
  • Transplantations-Toleranz

Glucocorticoide

Glucocorticoide gehören zu den ältesten Immunsuppressiva bei Transplantationen. Trotz zahlreicher Nebenwirkungen sind sie noch immer Bestandteil der meisten immunsuppressiven Regime bei Transplantationen. Sie hemmen die Bildung von Interleukin-1 und -6 sowie der ebenfalls proentzündlichen Substanzen Prostaglandine, Leukotriene, plättchenaktivierender Faktor und Tumornekrosefaktor alpha (TNF-alpha). Außerdem greifen sie direkt in die Antigen-Erkennung auf den antigenpräsentierenden Zellen ein.

Am häufigsten werden Hydrocortison, Prednison, Prednisolon und Methylprednisolon eingesetzt, weil sie eine hohe antientzündliche und eine geringe mineralocorticoide Wirkung ausüben. Sie werden rasch und mit hoher Bioverfügbarkeit (etwa 80%) aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert. Da sie in der Leber metabolisiert werden, hängt ihre Elimination von der Leberfunktion ab.

Glucocorticoide werden nicht nur für die langfristige Immunsuppression, sondern auch in der Frühphase nach der Transplantation ("Induktion") und hochdosiert zur Behandlung akuter Abstoßungsreaktionen gegeben. Allerdings kommen schwere Nebenwirkungen vor, insbesondere eine Lähmung der unspezifischen Immunabwehr und lebensbedrohliche Infektionen durch Bakterien, Viren oder Pilze. Des Weiteren können Gewichtszunahme, Hypertonie, Diabetes mellitus, Osteoporose, Katarakt, Myopathie und gastrointestinale Blutungen auftreten.

Azathioprin

Azathioprin (Imurek) ist ein Imidazol-Derivat des 6-Mercaptopurins. Als Antimetabolit hemmt es die Nucleinsäure-Synthese. Darüber hinaus scheint der Imidazolrest die Antigen-Erkennung zu blockieren, indem er Thiolgruppen auf der Oberfläche von T-Zellen alkyliert. Zellen mit hoher Zellteilungsrate, wie T- und B-Lymphozyten, aber auch Darm-Endothelzellen und Knochenmarkzellen, sind besonders empfindlich gegenüber der proliferationshemmenden Wirkung.

Nach oraler Gabe wird Azathioprin rasch resorbiert. Seine Bioverfügbarkeit liegt bei rund 50%. Es wird zu 6-Mercaptopurin abgebaut, durch Xanthinoxidasen oxidiert und zu verschiedenen aktiven Metaboliten methyliert.

Die häufigste und schwerste Nebenwirkung ist die Knochenmarksuppression, insbesondere die Leukopenie. Die Leukozytenzahl muss überwacht werden. Sinkt sie unter 3000/ml, muss die Dosis reduziert oder das Medikament abgesetzt werden. Da Xanthinoxidase-Hemmer wie Allopurinol die Knochenmarksuppression verstärken, dürfen sie nur unter sorgfältiger Kontrolle eingesetzt werden.

Azathioprin kann hepatotoxisch wirken. Selten kommt es zu einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung unbekannter Ursache. Fieber, das auf eine allergische Reaktion hinweist, erfordert das Absetzen. Nebenwirkungen, die auf der Proliferationshemmung beruhen, sind unter anderem Haarausfall, Geschwüre im Mund, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Maligne Tumoren kommen mit Azathioprin seltener vor als mit anderen Immunsuppressiva.

Mycophenolatmofetil

Mycophenolatmofetil (CellCept) ist ein synthetisches Derivat der Mycophenolsäure, die von mehreren Penicillium-Arten produziert wird. Das Prodrug wird zur aktiven Substanz Mycophenolsäure hydrolysiert und in der Leber zum Glucuronid inaktiviert. Wie Azathioprin ist auch die Mycophenolsäure ein Proliferationshemmer, soll jedoch spezifischer auf T- und B-Lymphozyten wirken. Sie hemmt selektiv und reversibel die Inosinmonophosphat-Dehydrogenase.

Die Nebenwirkungen zeigen jedoch, dass auch andere Zellen unter der Proliferationshemmung leiden: Es kommt zu Knochenmarksuppression und Magen-Darm-Reizung. Mit Mycophenolatmofetil treten opportunistische Infektionen, besonders mit dem Zytomegalievirus, sowie Lymphome häufiger auf als mit Azathioprin.

Polyvalente Antilymphozytenseren

Seit vielen Jahren ist die Behandlung mit Seren immunisierter Tiere (Kaninchen, Pferd, Ziege) Bestandteil immunsuppressiver Protokolle. Die Kaninchenseren sind wirksamer, aber auch toxischer als die Pferdeseren. Polyvalente Antilymphozytenseren wirken vor allem durch Komplement-abhängige Zellauflösung. Ziel ist eine T-Zellzahl von etwa 150/ml (im Gegensatz zu Normwerten von 1100 bis 2100/ml).

Monoklonale Antikörper gegen T-Zellen

Die zweite Generation der gegen T-Lymphozyten gerichteten Antikörper bilden monoklonale Antikörper. Am bekanntesten ist OKT3, das sich gegen die Epsilon-Kette des CD3-Markers richtet (eines Bestandteils des T-Zell-Antigen-Rezeptor-Komplexes). Es wird in der Regel intravenös bis zu drei Wochen lang gegeben. Bildet der Organismus Antikörper gegen OKT3, versagt die Therapie.

Antilymphozytäre Antikörper rufen grippeähnliche Nebenwirkungen hervor, die auf einer Zytokinfreisetzung beruhen. In schweren Fällen können Atemnot, Tachykardie, Gelenkschmerzen, Hypotonie/Hypertonie oder ein Lungenödem auftreten. Auch eine aseptische Hirnhautentzündung sowie Leukopenie und Thrombopenie kommen vor. Eine niedrige Anfangsdosis und eine Prämedikation mit Glucocorticoiden, fiebersenkenden Mitteln und Antihistaminika mildern das "Zytokinfreisetzungssyndrom".

Basiliximab und Daclizumab

Zwei neue monoklonale Antikörper führen nicht zum Zytokinfreisetzungssyndrom: Basiliximab (Simulect) und Daclizumab (Zenapax). Sie sind gegen die kurze Alpha-Kette (CD25) des Interleukin-2-Rezeptors gerichtet, die nur von aktivierten T-Lymphozyten gebildet wird. Beide Antikörper haben eine lange Halbwertszeit und führen nicht so leicht zur Bildung neutralisierender Antikörper. Die monoklonalen Antikörper gegen den Interleukin-2-Rezeptor werden vor allem zur Prophylaxe akuter Abstoßungsreaktionen eingesetzt. Für die Therapie reicht ihre Wirksamkeit nicht.

Ciclosporin

Ciclosporin, eine aus Pilzen gewonnene Substanz, wirkt vor allem auf T-, aber auch auf B-Lymphozyten. Im Zellplasma bindet Ciclosporin an Cyclophilin und hemmt die Calcineurin-Phosphatase. So unterdrückt es die Bildung der Zytokine Interleukin-2, -3, -6 und -7 sowie Interferon gamma. Das Mikroemulsionspräparat (Neoral) hat eine höhere und zuverlässigere Bioverfügbarkeit als das ursprüngliche Präparat (Sandimmun).

Der Abbau von Ciclosporin in der Leber wird durch das Cytochrom-P450-System katalysiert. Daher beschleunigen Enzyminduktoren, wie Phenytoin, Valproinsäure oder Rifampin, den Abbau von Ciclosporin, während Enzymhemmer, wie Ketoconazol, Diltiazem oder orale Kontrazeptiva, ihn verlangsamen. Die Einführung von Ciclosporin hat die Transplantationserfolge sprunghaft verbessert.

Allerdings ist die Anwendung mit schweren Nebenwirkungen behaftet, unter anderem:

  • Nierentoxizität (dosisbegrenzend). Es gibt eine akute, subakute und eine chronische Form.
  • Hypertonie
  • Neurologische Nebenwirkungen, wie Tremor, Kopfschmerzen, Halluzinationen. Sie sind durch Drug-Monitoring selten geworden.
  • Reversible Lebertoxizität
  • Nebenwirkungen auf den Stoffwechsel: Hyperglykämie, Hypomagnesiämie, Hypercholesterolämie
  • Hirsutisums und Zahnfleischhypertrophie
  • Erhöhtes Risiko für virusabhängige maligne Tumoren, wie Kaposi-Sarkom und durch Epstein-Barr-Virus induzierte Lymphome

Tacrolimus

Tacrolimus (Prograf), ein makrozyklisches Lacton-Antibiotikum, hemmt die Calcineurin-Aktivität, bindet aber anders als Ciclosporin an das FK-bindende Protein 12 (FKBP12). Tacrolimus und Ciclosporin wirken antagonistisch, weil sie ein gemeinsames Angriffsziel haben.

Wegen der intra- und interindividuell schwankenden Pharmakokinetik ist therapeutisches Drug-Monitoring unerlässlich. Da Tacrolimus mithilfe des Cytochrom-Systems metabolisiert wird, geht es dieselben Wechselwirkungen ein wie Ciclosporin.

Tacrolimus hat eine ausgeprägte Neurotoxizität und eine diabetogene Wirkung. Seine Nierentoxizität ist mit der von Ciclosporin vergleichbar. Das Infektions- und das Malignomrisiko sind erhöht. Tacrolimus führt weniger zu Hypercholesterolämie als Ciclosporin. Hirsutismus und Zahnfleischhyperplasie fehlen ganz.

Sirolimus

Sirolimus (Rapamycin, Rapamune), ein makrozyklisches Lacton, ist mit Tacrolimus verwandt. Immunsuppressiv wirkt es über einen anderen Mechanismus als die Calcineurin-Inhibitoren Ciclosporin und Tacrolimus: Gebunden an FKBP12 hemmt Sirolimus die Kinase TOR (Target of Rapamycin) und verhindert so den Übergang der T-Zelle von der G1- in die S-Phase.

Sirolimus wird rasch aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert, allerdings mit schwankender Bioverfügbarkeit. Es wird mithilfe des Cytochrom-Systems verstoffwechselt. Seine wichtigste Nebenwirkung ist die Hypertriglyzeridämie; zu den weiteren Nebenwirkungen zählen Magen-Darm-Reizung und vorübergehende Knochenmarksuppression. Therapeutisches Drug-Monitoring verringert die Schwere der Nebenwirkungen. Sirolimus scheint nicht toxisch auf die Nieren zu wirken.

Sirolimus und Ciclosporin wirken möglicherweise synergistisch; die Kombination reduziert die Rate akuter Abstoßungen stärker als jede Substanz für sich. Die Kombination ermöglicht außerdem eine Verringerung der Ciclosporin-Dosis und ein frühes Absetzen der Glucocorticoide.

Eingriff in Ischämie, Reperfusion und Leukozyten-Migration

Mit neuen Therapien nach Transplantationen versucht man Ischämie- und Reperfusionsverletzungen im Transplantat zu verhindern. Eine Schlüsselrolle hierbei spielt die Anheftung von Leukozyten und ihr Durchtritt durch die Gefäßwand.

Selektin-Antagonisten verhindern den ersten Kontakt zwischen Leukozyten und Gefäßendothel. An drei Strategien für Selektin-Antagonisten wird gearbeitet:

  • Monoklonale Antikörper, wie KPL1
  • Antagonistisch wirkende Selektin-Analoga, wie CY-1503 und TBC-1269
  • Substanzen, die den Abbau von Selektin-Rezeptoren fördern

In Zukunft könnten Selektin-Antagonisten Bestandteil eines multimodalen Behandlungskonzeptes sein.

ICAM-1 ist ein wichtiges Adhäsionsmolekül, das die Bindung der Leukozyten ans Endothel vermittelt. Antisense-Oligodesoxynukleotide gegen ICAM-1 verhindern die Translation der mRNS in das ICAM-1-Protein. Sie haben ein charakteristisches Nebenwirkungsprofil: Sie verlängern die partielle Thromboplastinzeit und aktivieren Komplement-Komponenten geringfügig.

Vermutlich genügen Antisense-ICAM-1-Oligodesoxynukleotide allein nicht, um die Bindung der Leukozyten ans Endothel zu verhindern; hierfür dürfte ein regelrechter "Oligodesoxynukleotid-Cocktail" nötig sein. Außerdem muss die hohe negative Ladung der Oligonukleotide durch chemische Veränderung oder Verkapseln in Liposomen überwunden werden, damit die Substanzen in die Zellen eindringen können. Zurzeit müssen Antisense-Oligodesoxynukleotide intravenös verabreicht werden.

Um den Durchtritt von Leukozyten durch die Gefäßwand zu verhindern, kann möglicherweise FTY720 gegeben werden. Im Tierversuch wirkte es synergistisch mit Ciclosporin und/oder Sirolimus. Phase-II-Studien mit FTY720 haben begonnen.

Literatur: Kilic, M., B. D. Kahan: New trends in immunosuppression. Drug of Today 36, 395-410 (2000).

Mit der Immunsuppression bei Organtransplantationen sollen Immunreaktionen des Empfängers gegen das fremde Transplantat geschwächt werden. Gleichzeitig muss genügend Abwehrkraft gegen opportunistische Infektionen und bösartige Tumoren erhalten bleiben. Bewährte Immunsuppressiva werden häufig kombiniert eingesetzt. Viele neue Immunsuppressiva greifen spezifisch an Rezeptoren oder Enzymen der Lymphozyten an. Das Ziel ist letztlich die Transplantations-Toleranz, also eine spezifische Hemmung der gegen den Spender gerichteten Immunabwehr, die alle übrigen adaptiven Immunfunktionen intakt lässt. Sie könnte eine chronische Gabe von Immunsuppressiva überflüssig machen.

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