Arzneimittel und Therapie

These über den Ursprung von HIV: AIDS – eine Folge medizinischer Schlamperei?

35 Millionen Menschen sind derzeit weltweit mit HIV infiziert, bereits 14 Millionen an AIDS verstorben. Den Löwenanteil in Bezug auf Krankheitshäufigkeit und Mortalität stellt Afrika: Hier gehen jeden Tag rund 5500 Todesfälle auf das Konto der Immunschwäche. In Malawi, Botswana oder Zimbabwe, um einige der am stärksten betroffenen Länder zu nennen, sind ein Fünftel bis ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung mit HIV infiziert. Etwa 10 Millionen Kinder sind Vollwaisen, weil Vater und Mutter an der Immunschwäche verstorben sind. Allein in Zimbabwe steigt ihre Zahl um rund 60000 pro Jahr - bei einer Gesamteinwohnerzahl von rund 12 Millionen.

AIDS bringt nicht nur unsägliches Leid in eine stetig steigende Zahl afrikanischer Familien. Die Immunschwäche radiert über Generationen gewachsene Dörfer von der Landkarte aus und lässt ganze Landstriche veröden. Handel und Wirtschaft verkümmern, Universitäten und Forschungsinstitutionen verlieren ihr Personal. Selbst die öffentliche Verwaltung verwaist - im Gesundheitsministerium von Malawi beispielsweise gibt es keine Fachabteilung, in der nicht schon mehrere AIDS-Tote zu beklagen sind.

Übertragung durch Tiere

Seit geraumer Zeit gibt es die unterschiedlichsten Erklärungsversuche für die Seuche. Hartnäckig hält sich beispielsweise in Laienkreisen die Vermutung, das HI-Virus sei bei der Entwicklung von Biowaffen aus den Geheimlabors amerikanischer (oder russischer?) Militärs akzidentell, vielleicht sogar mit Absicht freigesetzt worden. Weitgehend unumstritten ist unter Fachleuten die Annahme einer "natürlichen Übertragung" von HIV aus einem Tierreservoir auf den Menschen.

Das Virus, so die These, ist ursprünglich ein Erreger von Affen (HIV-1 des Schimpansen und HIV-2 einer Mangabenart). Wenn diese Affen gejagt, geschlachtet und verzehrt wurden, kam es in Einzelfällen auch zu einer Infektion des Menschen. Solange die Betreffenden in abgelegenen Urwalddörfern lebten und traditionelle Sozialstrukturen noch intakt waren, blieb AIDS auf isolierte Areale beschränkt.

Männliche Migration

Die epidemiologische Situation änderte sich entscheidend nach dem Zweiten Weltkrieg und ganz besonders mit der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien. Immer mehr Straßen durchzogen den Kontinent, und Lastwagen erreichten selbst die entlegensten Weiler. Die Städte wuchsen rasant und zogen wie ein Magnet Scharen junger Männer an, deren Väter noch Brandrodung betrieben und ihre Felder mit der Hacke bestellt hatten. Frauen und Kinder blieben zurück und - wie nicht anders zu erwarten - entwickelten sich Promiskuität und Prostitution im Schlepptau der männlichen Migration. Jeder Fernfahrerrastplatz, jede Arbeitersiedlung, jede Kaserne wurde zur äußerst effektiven Drehscheibe für Erreger von Geschlechtskrankheiten, HIV inklusive.

Weltweite Verbreitung

Ausgangspunkt der AIDS-Epidemie war nach dieser Theorie ein Jäger, der sich am blutigen Fleisch eines erlegten Affen infizierte, wenig später in die Stadt auswanderte - oder zur Armee eingezogen wurde - und durch Promiskuität das Virus auf ein Dutzend Frauen übertrug. Die sorgten dann für die weitere Verbreitung des Erregers. Aus einem nur statistisch berechenbaren Zufall - der Übertragung von HIV von einem Affen auf seinen Jäger, der dann wenig später seine Heimat in Richtung Stadt verlässt - ergab sich aufgrund einer veränderten sozioökonomischen Realität der epidemiologische GAU als quasi zwingende infektionsmedizinische Notwendigkeit.

Logische Lücken in der Theorie

Diese "Natural-transfer"- Theorie ist allerdings nicht ohne logische Lücken. Paläontologen bestätigen, dass Affen in Afrika seit mindestens 50000 Jahren gejagt und verzehrt werden - aber ganze Generationen gut ausgebildeter Tropenärzte haben nie über eine Krankheit berichtet, die im Entferntesten an AIDS erinnert, geschweige eine Häufung solcher Krankheitsfälle gesehen.

Auch ist die Annahme irrig, Afrika sei vor der Unabhängigkeit ein Kontinent inneren Friedens und stabiler Familienbande gewesen. Krieg, Vertreibung, Versklavung und Vergewaltigung, ja sogar Prostitution existierten seit Jahrhunderten. Dadurch wurde das HTLV-1-Virus (ein anderes Retrovirus, das vermutlich ebenfalls von Affen stammt) in und über Afrika hinaus verbreitet. Wieso also nicht HIV?

Bei Affenjägern nicht häufiger

Wenn das HI-Vorläufervirus tatsächlich immer wieder einmal von einem Affen auf den Menschen übertragen wurde, dann müssten jene Bevölkerungsgruppen die höchste Durchseuchung haben, die traditionell Affen jagen, die Pygmäen. In allen bislang untersuchten Pygmäenpopulationen konnten aber weder HIV- noch HTLV-1-Infektionen in nennenswerter Häufigkeit entdeckt werden. Die wenigen heute bekannten HIV-positiven Pygmäen haben sich alle eine Zeit lang in größeren Städten aufgehalten, können sich dort also auf die übliche Weise angesteckt haben.

Folge ärztlichen Fehlverhaltens?

Die offensichtlichen Schwachpunkte des derzeitigen Erklärungsmusters zum Ursprung von AIDS sind einem Kenner der Verhältnisse nicht entgangen: Edward Hooper, ehemaliger Afrika-Korrespondent des BBC und langjähriger UN-Mitarbeiter in Zentralafrika. Seine Recherchen und die darauf basierenden Schlussfolgerungen hat er auf 850 Seiten Text - mit zusätzlich 250 Seiten detaillierter Fußnoten - zu Papier gebracht. In dem in den USA vielbeachteten Werk konfrontiert er die Fachwelt mit einer Hypothese, die auf den ersten Blick so einleuchtend wie brisant ist: Die AIDS-Epidemie, meint Hooper, ist schlicht die Folge eklatanten ärztlichen Fehlverhaltens bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Kinderlähmung, einer Ära der Infektionsmedizin, der bislang der Glorienschein epochaler Wissenschaft sicher war.

Anfang der 50er-Jahre wetteiferten zwei amerikanische Forscher, Hilary Koprowski und Albert Sabin, bei der Herstellung einer Polio-Vakzine. Den Wettlauf gewann letztendlich Sabin (dessen Schluckimpfung bis vor wenigen Jahren weltweit eingesetzt wurde), doch eine Zeit lang hatte Koprowski die Nase vorn. Er hatte die größten Impfstudien durchgeführt und konnte deshalb genaue Zahlen über die Wirksamkeit seiner Vakzine vorweisen.

Menschenversuche in Afrika

Seine Impflinge waren jedoch nicht von Polio bedrohte amerikanische Kinder, sondern nichtsahnende Dörfler im hintersten Afrika, denen schlicht befohlen wurde, in Reih und Glied anzutreten und sich die Impflösung in den Mund träufeln zu lassen. Mit quasi militärischem Kommandoton wurden zwischen 1957 und 1960 etwa eine Million Menschen in den damals belgischen Kolonien Kongo, Ruanda und Burundi zu Versuchskaninchen degradiert.

Virusanzucht auf Affennierenzellen

Damals konnten Polioviren nur auf Affennierenzellen angezüchtet werden, und Woche für Woche mussten Affen getötet werden, um ihnen die für die Viruskultur notwendigen Organe zu entnehmen. Einige Indizien sprechen dafür, so behauptet Edward Hooper, dass als Spender in Einzelfällen auch Schimpansen benutzt wurden, die Koprowski in seinem Feldlabor am Lindi im tiefsten Kongo, in der Nähe der Stadt Stanleyville hielt, um die Wirksamkeit der verschiedenen Impfvirusstämme zu überprüfen.

Koprowski, so führt Hooper kenntnisreich aus, sandte mehrfach Affennieren aus Lindi an sein Impfstofflabor in Philadelphia, die für die Anzüchtung der Polioviren verwendet wurden. Eines - oder mehrere - dieser Affenorgane könnte - ohne das Koprowski es wusste - mit dem HI-Vorläufervirus infiziert gewesen sein. Dieses wurde in Philadelphia vermehrt und gelangte via Polioimpfstoff nach Afrika zurück, wo die Viren einer nichtsahnenden Bevölkerung als Medikament verabreicht wurden.

Unethische Impfstudien

Mikrobiologisch lässt sich diese Sequenz ohne Probleme nachvollziehen (so waren über Jahre Polio-Impfstoffe mit dem aus Rhesusaffen und grünen Meerkatzen stammenden Tumorvirus SV 40 verseucht, das in den 50er-Jahren über die Schluckimpfung auf Millionen von Menschen übertragen wurde), aber auch epidemiologisch sprechen einige Fakten für Hoopers These. So traten die frühesten in Afrika dokumentierten AIDS-Fälle in jenen Regionen des Kongo, Ruandas und Burundis - ja häufig sogar in exakt den Dörfern und Städten - auf, in denen Koprowski seine unethischen Impfstudien durchgeführt hatte. Und die älteste bekannte HIV-positive Blutprobe, aus dem Jahr 1957, stammt von einem Mann in Leopoldville (heute Kinshasa), wobei Ort und Zeit mit der Impfkampagne von Koprowski übereinstimmen.

Nur Indizien

Auch wenn Hooper nur Indizien, aber keine definitiven Beweise für seine Hypothese, dass ein Schimpansenvirus über die Polioschluckimpfung die AIDS-Pandemie in Gang setzte, vorlegen kann, so bringen seine Argumente die medizinische Fachwelt doch in Erklärungsnot. Simon Wain Hobson, ein international anerkannter AIDS-Forscher am Pasteur Institut in Paris, beispielsweise findet das von dem Journalisten skizzierte Szenario "überzeugend". Und Stephen Norley, AIDS-Experte am Paul-Ehrlich-Institut für Sera und Impfstoffe im hessischen Langen, meint, dass die Fakten gut recherchiert sind und dass die Hypothese es wert ist, ernst genommen zu werden.

"Ursprungsdatum" passt

Auch das kürzlich von amerikanischen Wissenschaftlern mit 1931 berechnete "Ursprungsdatum" von HIV steht nicht im Widerspruch zur These von Edward Hooper. Denn aufgrund des wahrscheinlichkeitstheoretischen Ansatzes in dem mathematischen Modell der Forscher vom Los Alamos National Laboratory ist als hypothetisches Datum für das "Überspringen" des Virus vom Affen auf den Menschen auch ein Zeitpunkt zu Anfang der 50er-Jahre möglich.

Schließlich wird auch das Angebot des Wistar-Instituts, für das Koprowski damals arbeitete, in Resten der ehemaligen Impfstoffe nach dem vermuteten Übeltäter zu suchen, aller Voraussicht nach den Disput nicht endgültig entscheiden. Ganze sechs - von vermutlich mehreren Hundert - Chargen der alten Vakzine sind noch vorhanden, sodass ein negative Probe nicht ausschließt, dass eine oder zwei andere Chargen mit dem Virus verunreinigt waren. Außerdem sind die Experten nicht sicher, ob die 50 Jahre alten Reste so gut konserviert sind, dass noch geringste Spuren des ursprünglichen Erregers vorhanden sind.

Übertragung durch Spritzen?

Eine andere, plausible Erklärung für die AIDS-Kalamität wäre ebenfalls eine Ohrfeige für die moderne Medizin: Im ländlichen Afrika wurden noch bis vor wenigen Jahren nicht oder nur unzureichend sterilisierte Spritzen und Kanülen wieder und wieder eingesetzt. Dies ebnete der Übertragung einem Dutzend gefährlicher Krankheitserreger den Weg - von der Malaria über die infektiöse Gelbsucht bis hin zur Syphilis.

Nachweislich hat die größte aller frühen Ebolavirusepidemien im kongolesischen Yambuko ihren Ursprung in einem Missionsspital, in dem nichtsahnende Schwestern Dutzende Patienten mit derselben Spritze traktierten.

Virulenzsteigerung von SIV?

Genausogut kann auch das HI-Vorläufervirus, das so genannte Simian Immunodeficiency Virus (SIV), eines Tages von einer infizierten Person auf diverse andere Menschen übertragen worden sein. Denkbar ist, dass von dem einen oder anderen Patienten innerhalb kurzer Zeit erneut Blut entnommen wurde, beispielsweise für eine Transfusion bei einem Verwandten, und von dieser Person das Virus mit nicht sterilisiertem Injektionsmaterial (zum Beispiel während einer Impfkampagne) nach wenigen Tagen auf weitere Menschen verschleppt wurde.

Dabei ist eine Veränderung des Erregers nicht unwahrscheinlich, die in der Infektionsmedizin als "Virulenzsteigerung durch Mehrfachpassage" bekannt ist. Das Phänomen gilt gleichermaßen für so unterschiedliche Pathogene wie einzellige Parasiten, Bakterien und Viren. Kürzlich konnte auch für gentechnisch modifiziertes SIV gezeigt werden, dass eine rasche Passage des Virus von Affe zu Affe zu einer dramatischen Virulenzsteigerung führt, bei dem sich ein Erreger entwickelt, der in Affen das typische AIDS-Krankheitsbild auslöst.

Austausch durch Körperflüssigkeiten

In Analogie zu den Tierexperimenten lässt sich vermuten, dass eine durch iatrogene, also durch ärztliche Schlamperei verursachte, rasche Mehrfachpassage von SIV aus dem - verhältnismäßig benignen - HI-Vorläufervirus durch Mutation ein tödliches Immunschwächevirus gemacht haben könnte. Die neue Variante war allerdings nicht nur gefährlicher, sondern hatte sich durch eine zufällige weitere Mutation auch einen zusätzlichen Vorteil verschafft: Sie konnte nicht nur durch Blut, sondern durch alle Arten von Körperflüssigkeiten übertragen werden, insbesondere von solchen, die beim Geschlechtsverkehr ausgetauscht werden. Mit der beginnenden wirtschaftlichen Entwicklung taten Migration und Promiskuität ein Übriges, die neue Virusvariante, also HIV, über den afrikanischen Kontinent zu verbreiten.

Literatur: Hooper, Edward: The river: a journey to the source of HIV and AIDS; Little, Brown and Company, Boston 1999. Korber, B., et al.: Timing the ancestor of the HIV-1 pandemic strain, Science 289, 1789-1796 (2000). Butler, B.: Analysis of polio vaccine could end dispute over how AIDS originated. Nature 404, 9 (2000). Joag, S. V., et al. Chimeric simian/human immunodeficiency virus that causes progressive loss of CD4+ T cells and AIDS in pig-tailed macaques. J. Virology 70, 3189-3197 (1996).

Weitgehend unumstritten ist unter Fachleuten die Annahme einer natürlichen Übertragung von HIV aus einem Tierreservoir auf den Menschen. Das Virus, so die These, ist ursprünglich ein Erreger von Affen. Edward Hooper, ehemaliger Afrika-Korrespondent des BBC und langjähriger UN-Mitarbeiter in Zentralafrika, konfrontiert die Fachwelt mit einer anderen Hypothese: Die AIDS-Epidemie, meint Hooper, ist schlicht die Folge eklatanten ärztlichen Fehlverhaltens bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Kinderlähmung.

Prof. Dr. Hermann Feldmeier, Berlin

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