Feuilleton

Ausstellung: Flechten – Kunstwerke der Natur

Unter dem Motto "Flechten - Kunstwerke der Natur" ist im Naturkundlichen Museum Mauritianum in Altenburg bis zum 16. Juli eine Wanderausstellung des Naturmuseums Senckenberg, Frankfurt am Main, zu sehen. Gezeigt werden Präparate sowie Arzneien und andere Objekte, die aus Flechten hergestellt werden. Historische Dokumente und Fotos ergänzen die Schau.

Heilmittel seit der Antike

Mit Flechten hatte Carl von Linné nicht viel im Sinn: In seinem Werk "Species Plantarum" schmähte der schwedische Arzt und Naturforscher die Lichenes als "rustici pauperimi" (ärmste Landbewohner) der Vegetation. Allerdings zu Unrecht: Schon vor 5000 Jahren wurden die Leichname von Pharaonen mit Extrakten der Flechte Pseudevernia furfuracea (Mousse d'Arbre) mumifiziert. Die Phönizier wussten aus Flechten gewonnene Substanzen zum Vorfärben wertvoller Gewänder zu nutzen. Der griechische Philosoph und Naturforscher Theophrast erwähnte in seiner "Geschichte der Pflanzen" die epiphytisch lebende Bartflechte als Heilmittel. Auch der griechisch-römische Arzt Dioskurides und der Enzyklopädist Plinius Secundus kannten die antibiotische Wirkung der Usnea. Im Mittelalter wurden gelbe Flechten wie beispielsweise Xanthoria parietina in der Behandlung der Gelbsucht eingesetzt. Bartflechten - so glaubte man damals - regenerierten ausbleibenden Haar-wuchs. Und der Hundsflechte Peltigera canina sagte man nach, dass sie gegen Tollwut wirke. Auch waren Flechten, die auf Menschenschädeln wuchsen, einst sehr begehrt. Angeblich sollten sie die Epilepsie verteiben. Cetraria islandica, das "Isländische Moos", wird heute noch für die Herstellung von Arzneien gegen Husten, Heiserkeit, Bronchialkatarrh und Asthma verwertet. Der Extrakt von Strauchflechten der Gattung Roccella, die an den felsigen Meeresküsten warmer Regionen wachsen, ist der Grundstoff für die Herstellung des pH-Indikators Lackmus. Andere Arten werden aufgrund ihres hohen Gehalts an antitumoraktiven Polysacchariden (D-Glucane) in der Krebsforschung getestet.

Symbiose von Alge und Pilz

Sind Flechten schon seit Jahrtausenden als Heilmittel bekannt, interessierten sich die Botaniker indessen erst im 19. Jahrhundert für die Erforschung der Kryptogamen, als mit der fortschreitenden Entwicklung optischer Geräte detaillierte mikroskopische Untersuchungen möglich wurden. Der Frankfurter Arzt und Mykologe Heinrich Anton de Bary identifizierte 1866 zunächst die Gruppe der Gallertflechten als morphologisch neue, untrennbare Einheit von Pilzen und Algen. Nur drei Jahre später vertrat Simon Schwendener in "Die Algentypen der Flechtengonidien" die Hypothese, dass grundsätzlich alle Lichenes als Lebensgemeinschaften heterotropher Pilze mit autotrophen Algen zu definieren sind. Anfangs heftig umstritten, sind die Vermutungen des Schweizer Botanikers längst wissenschaftlich belegt worden: Gewisse Pilzarten, die sich nicht selbstständig ernähren können, bilden mit ihren Hyphen einen Flechtenthallus, in dem sich Algen ansiedeln können. Diese geben dann Kohlenhydrate an den Wirt ab. Die Symbiose nützt beiden Partnern.

Pioniere und Überlebenskünstler

Flechten sind auf dem gesamten Globus verbreitet, und zahlreiche Arten können auch unter extremen Standortbedingungen noch gedeihen. Flechten sind sowohl auf Mauern wie auf Asphalt, auf Eternit und Ziegeldächern anzutreffen. Andere Arten wählen Holzzäune und Bäume als Standorte, wachsen auf Blumenkübeln aus Waschbeton oder aber auf Eisenrohren. Sogar auf Nylonschnüren, alten Reifen oder Autowracks siedeln sich mitunter Flechtenthalli an, und schließlich genügen ihnen zuweilen bleiverglaste Kirchenfenster oder die Ruinen antiker Bauwerke als "Substrate". Überlebenskünstler also, denen nicht einmal das unwirtliche Klima der Antarktis etwas anhaben kann. Dort wachsen zumindest in den vergleichsweise milden maritimen Regionen, in denen winters die Temperaturen nicht unter -30ľC sinken und im Sommer mitunter bis auf +12ľC ansteigen können, an Stellen mit günstigem Mikroklima bis 10 cm hohe Strandflechten der Gattungen Usnea und Himantormia. In den Trockentälern der kontinentalen Antarktis mit einer durchschnittlichen relativen Luftfeuchte von etwa zehn Prozent können Lichenes zumindest als Endolithen noch überdauern. Ebenso schützen sich in den Wüsten Afrikas und Nordamerikas einige Flechtenspezies im Inneren des Felsgesteins gegen Hitze und Trockenheit. Aufgrund ihrer morphologischen, anatomischen wie physiologischen Anpassungsfähigkeit besiedeln Flechten in erstaunlicher Artenvielfalt auch die Hochgebirgsregionen - trotz hoher UV-Strahlung, extremen Temperaturschwankungen, langer Schneebedeckung und Windschliff durch Sand und Schnee. So wurden 1972 in Nepal in einer Höhenlage von 7400 Metern über dem Meeresspiegel Exemplare von Lecanora polytropa und der lagerlosen Carbonea verticosa gefunden. Es sind Arten, die auch in wesentlich tieferen Lagen vorkommen. Auch in den tropischen Regenwäldern ist die Familie der Flechten mit mannigfaltigen Genera präsent. Viele von ihnen schmiegen sich hier indessen nicht wie die mitunter krustenartigen Flechtenthalli an ihre Unterlage, sondern hängen als üppig wuchernde Lianen von den Ästen herab. In der Atacama-Wüste wiederum haben sich Arten wie etwa die leuchtendgelbe Chrysothrix pavonia ähnlich wie die endemische Kakteenflora auf die Gewinnung von Wasser aus Nebel spezialisiert.

Bioindikatoren und Chronometer

Mögen sich mit der Evolution immer wieder neue Flechtenarten entwickelt haben, die sich den jeweiligen Umweltbedingungen anpassen, so werden sie heute vielerorts durch Luftverunreinigungen bedroht. So gesehen sind Lichenes in belasteten Regionen auch Bioindikatoren für schädliche Lebensraumveränderungen infolge Emissionen, klimatischen Faktoren sowie forstlichen Einwirkungen. Darüber hinaus werden Krustenflechten aufgrund ihres langsamen Wachstums bei der Altersbestimmung von Gletschermoränen und archäologischen Funden als Parameter eingesetzt. Lichenes haben Wissenschaftlern sogar verraten, zu welchem Zeitpunkt auf der Osterinsel die Steinriesen errichtet wurden.

Ort: Naturkundliches Museum Mauritianum, Parkstraße 1, 04600 Altenburg, Tel./Fax (03447) 2589 Geöffnet: sonntags 10.00 bis 17.00 Uhr, montags bis freitags 8.00 bis 12.00 und 13.00 bis 17.00 Uhr. Ab dem 13. August wird die Ausstellung in der Veste Coburg gezeigt.

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