Lancet-Studie in Großbritannien

HIV-Präexpositionsprophylaxe könnte kosteneffektiv sein – irgendwann

Remagen - 18.10.2017, 09:00 Uhr

Eine Präexpositionsprophylaxe könnte sich laut einer aktuellen Untersuchung auf lange Sicht lohnen. (Foto: mbruxelle / Fotolia)

Eine Präexpositionsprophylaxe könnte sich laut einer aktuellen Untersuchung auf lange Sicht lohnen. (Foto: mbruxelle / Fotolia)


Antivirale Medikamente zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) für Männer, die Sex mit Männern und damit ein hohes Risiko für eine HIV-Infektion haben, könnten sich auf lange Sicht kosteneffektiv auswirken. Das haben Forscher jetzt anhand eines Modells für Großbritannien herausgefunden. Bis zu eine von vier HIV-Infektionen könnte damit insgesamt verhindert werden, so ihr Fazit. 

Die Zahl der neuen HIV-Diagnosen bei Männern, die Sex mit Männern haben, ist in Großbritannien mit mehr als 3000 pro Jahr seit mehreren Jahren auf hohem Niveau. Eine medikamentöse Präexpositionsprophylaxe könnte hier vielleicht helfen, aber sie ist auch mit immensen Kosten verbunden. Ein Wissenschaftler-Team aus London hat in einer Modelling-Studie untersucht, ob und wann sich eine national umgesetzte medikamentöse HIV-Präexpositionsprophylaxe für die Kostenträger rechnet. Ihre Ergebnisse wurden in „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht.  

Die Studie ging von einem PrEP-Programm aus, bei dem Männer, die Sex mit Männern haben, eine medikamentöse Prophylaxe bekämen, wenn sie in den vorangegangenen drei Monaten einen analen Geschlechtsverkehr ohne Kondom, einen negativen HIV-Test bei Studienbeginn und einen negativen HIV-Test im Jahr davor hatten. Dies trifft auf weniger als fünf Prozent aller Männer, die Sex mit Männern haben, zu.  

Die Autoren gingen davon aus, dass danach in Großbritannien im Jahr 2016 zwischen 8400 und 12.200 Männer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren für das Programm infrage kämen. Nach dem Modell würden im ersten Jahr des Roll-Outs 4000 Männer die PrEP nehmen, nach fünf Jahren 16.600, und 15 Jahre nach Einführung der PrEP in Gesamt-UK wären 38.900 Männer dabei. Die durchschnittliche Einnahmezeit wurde auf 4,5 Jahre geschätzt. 

Komplexes Einnahmeregime

Das verwendete PrEP-Präparat, eine Kombination von zwei Anti-HIV-Medikamenten (Emtricitabin und Tenofovir) sollte „um die sexuelle Aktivität herum“ eingenommen werden, das heißt zum Beispiel zwei Tabletten vor einer sexuellen Handlung, eine pro Tag an jedem Tag mit Sex ohne Kondom und eine pro Tag über zwei Tage nach dem Sex. Dieses Regime soll sich bei Sex unter Männern als sehr effektiv und billiger erwiesen haben als eine tägliche Einnahme. 

Kein Zweifel an der Wirksamkeit der PrEP

Als Ergebnis stellten die Forscher fest, dass durch die Einführung eines solchen Programms zwar unmittelbar Kosten entstehen würden, aber nach 40 Jahren oder mehr sollte es kosteneffektiv werden. Ausgehend von einer 80-Jahres-Perspektive könnten Kosteneinsparungen und ein Rückgang der HIV-Infektionen um ein Viertel (davon 42 Prozent direkt durch die PrEP) erwartet werden. „Es gibt keinen Zweifel an der Wirksamkeit der PrEP“, sagt die Autorin Valentina Cambiano vom Institute for Global Health am University College London. „Neben einem erheblichen gesundheitlichen Nutzen legt unsere Arbeit nahe, dass die Einführung der Präexpositionsprophylaxe letztlich zu einer Einsparung von Kosten führt, weil es dadurch weniger Männer gibt, die eine lebenslange HIV-Behandlung brauchen.“ 

Vielleicht schon viel eher kosteneffektiv

Die Zeitspanne bis zum Erreichen der Kosteneffektivität könnte sich aber auch noch verkürzen, wenn die Medikamente für die PrEP und antiretrovirale Therapien kostengünstiger würden. Bei einer Preissenkung um 80 Prozent würden sie zum Beispiel schon innerhalb von 20 Jahren kosteneffektiv. Die Autoren heben diesen Gesichtspunkt besonders hervor, weil der Patentschutz für die Medikamente, die zu diesem Zweck eingesetzt werden, in Europa zwischen 2017 und 2018 ausläuft. Danach könnten bereits im Jahr 2019 billigere Generika verfügbar sein. Co-Autorin der Studie Alison Rodger, ebenfalls vom University College London, fügt hierzu an: „Dies könnte zu einer drastischen Kostensenkung für die Prophylaxe führen, was wiederum das Budget des NHS weniger belasten würde. Die PrEP könnte damit in einer relativ kurzen Zeit kosteneffektiv werden.“ Die Autoren räumen allerdings ein, dass die genauen Kosten, die der NHS für antiretrovirale Medikamente ausgibt, vertraulich sind, so dass diese nur geschätzt werden könnten. Ebenso unsicher sei das Ausmaß der Kostensenkung durch die Patentabläufe.  

Mit den Herstellern günstige Preise aushandeln

„Die Ergebnisse rufen die politischen Entscheidungsträger beim NHS dazu auf, mit den Herstellern günstige Preise auszuhandeln und weitsichtig zu sein, jetzt investieren und langfristig Gewinne ernten“, schreibt Paul Revill von der University of York, UK in einem Kommentar zu der Studienpublikation. „Mit einer Kombination aus häufigen HIV-Tests, sofortiger Behandlung und der Verfügbarkeit der Präexpositionsprophylaxe gibt es jetzt eine Hoffnung, die Kurve der HIV-Neuinfektionen nach unten zu biegen, was vor wenigen Jahren noch nicht machbar erschien.“

In Deutschland ist man was die Senkung der Kosten angeht schon ein wenig weiter. Hierzulande sind bereits Generika auf dem Markt, die zum Teil auch zur PrEP zugelassen sind. Zudem gibt es im Rahmen eines Projektes die Möglichkeit, ein Truvada-Generikum, zugelassen für die PrEP  sehr kostengünstig zu beziehen. Dieses Präparat kostet dann nur ein Zehntel davon, was die auch zur HIV-Behandlung zugelassenen Präparate kosten. Es soll in der Startphase in sieben deutschen Städten zu haben sein. Dahinter steckt der Kölner Apotheker Erik Tenberken, der den Generika-Hersteller Hexal gewinnen konnte, sein Truvada-Generikum im Rahmen des Projektes zu vertreiben.

WHO: PrEP für alle Hochrisikogruppen 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt in ihren konsolidierten Leitlinien zum Einsatz antiretroviraler Arzneimittel zur Behandlung und Prophylaxe einer HIV-Infektion aus dem Jahr 2016 sogar eine umfassende Präexpositionsprophylaxe für alle Gruppen mit hohem Risiko für eine HIV-Infektion (HIV-Inzidenz von 3 auf 100 Personenjahre oder höher ohne PrEP). Im Jahr 2014 war die Empfehlung noch auf Männer beschränkt gewesen, die Sex mit Männern haben. 

Die starke Empfehlung wird laut WHO von einer qualitativ hochwertigen Evidenz gestützt. Zur Kosteneffektivität trifft die Weltgesundheitsorganisation keine klare Aussage und begründet dies mit der inhomogenen Ausgangssituation. Der Schwellenwert für die HIV-Inzidenz zur Implementierung der medikamentösen PrEP werde wahrscheinlich variieren, heißt es in der aktuellen Guideline. In vielen Situationen könne davon ausgegangen werden, dass die Prophylaxe bei einem Schwellenwert von 3 auf 100 Personenjahre kostensparend wirke, aber dies könne auch noch unterhalb dieses Schwellenwertes zutreffen. Im Übrigen sollte monetäre Erwägungen hier nicht allein ausschlaggebend sein, betont die WHO. 




Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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