Juristen zum Antikorruptionsgesetz

Apotheker sollten sich nicht in Sicherheit wiegen

Stuttgart - 18.04.2016, 15:20 Uhr

Bald droht das Strafrecht: Heilberufler sollten zukünftig vorsichtig prüfen, welche Leistungen sie annehmen.(Foto: megaflopp / Fotolia)

Bald droht das Strafrecht: Heilberufler sollten zukünftig vorsichtig prüfen, welche Leistungen sie annehmen.(Foto: megaflopp / Fotolia)


Wie bewerten Juristen das nun verabschiedete Antikorruptionsgesetz? Die Kritik der Kassen findet Gesundheitsrechtler Hilko J. Meyer unsachlich, während laut Staatsanwalt Alexander Badle die weitgehende Herausnahme von Arzneimittelgeschäften eine relevante Einschränkung für die Strafverfolgung werden kann.

Nach einem jahrelangen Gesetzgebungsprozess hat der Deutsche Bundestag am vergangenen Donnerstag das Antikorruptionsgesetz verabschiedet. Am 13. Mai soll es im Bundesrat behandelt werden, doch muss dieser nicht mehr zustimmen. Der Bezug auf die berufsrechtlichen Pflichten zur heilberuflichen Unabhängigkeit wurde auf der Zielgeraden noch gestrichen, wie auch die Abgabe und der Bezug von Arzneimitteln, die nicht zur direkten Anwendung durch den Heilberufler vorgesehen sind. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt äußerte sich zufrieden über das Gesetz, während Oppositionspolitiker, manche Krankenkassen oder auch Transparency International die endgültige Fassung stark kritisierten. Doch wie glücklich sind die Juristen?

„So eine emotionale Bindung zu Gesetzen baue ich nicht auf“, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Badle von der hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen (ZBVKG). Er hatte zuvor gesagt, das Gesetz führe zu „dramatischen Veränderungen“ im milliardenschweren Gesundheitsmarkt. Für den beabsichtigten Zweck sei es handwerklich gut gemacht: „So wie das Gesetz am Ende aussieht, ist einiger Ballast über Bord geworfen worden“, sagt Badle.

Romantische Vorstellungen

Den Verweis auf die berufsrechtlichen Pflichten fand er zu unbestimmt. Der Bezug auf Standesordnungen sei zwar ein üblicher Vorgang, doch durch die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Regelungen sei der Gesetzgeber gut beraten gewesen, dies wieder zu entfernen. „Das habe ich als problematisch gesehen“, sagt Badle.

Dass das Gesetz nun in erster Linie den Wettbewerb schützt, und nur indirekt die Patienten, ist für ihn kein Geburtsfehler: Oft bestünden „völlig falsche“, romantische Vorstellungen, wie beispielsweise ein Arzt handeln muss. „Der Arzt ist immer auch Unternehmer, er hat einen Praxisbetrieb und muss Gewinne erwirtschaften“, sagt Badle. „Es ist wichtig, dass auf diesem Markt Lauterkeit herrscht.“ Ansonsten könnten diejenigen, die sich korrekt verhalten, irgendwann nicht mehr am Wettbewerb teilnehmen.

Das Gesetz greife in fast allen Fällen

Dabei seien Strafrechtslücken nicht zu vermeiden: „Sie können mit einem Straftatbestand natürlich nie alle denkbaren Konstellationen im Gesundheitsmarkt abdecken“, so Badle. Er glaubt jedoch, dass es in fast allen Konstellationen greifen wird. Das neue Gesetz deckt Korruption bei Monopolstellungen zwar nicht mit ab, doch dies würde nur „in Extremfällen“ zum Zug kommen. „Das Gesetz ist so gut und schlecht, wie die Anwendung in der Praxis sein wird“, sagt der Staatsanwalt.

Eine schwierige Frage ist für ihn, welche Auswirkungen die weitgehende Herausnahme der Abgabe und des Bezugs von Arzneimitteln haben wird, die viele Apotheker sehr erfreute. „Diese Streichung kann durchaus praktische Relevanz besitzen“, sagt Badle. Eine Möglichkeit seien unlautere Leistungen an einen Apotheker, die dazu führen sollen, dass er bestimmte OTC-Präparate vermehrt empfiehlt.

Unsachliche Kritik der Kassen

Anders sieht dies Hilko J. Meyer, Professor für Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Die Streichung sei unter dem Gesichtspunkt, dass das Strafrecht nur die Ultima Ratio sein sollte, sehr zu begrüßen. „Insbesondere zur Durchsetzung der Preis- und Erstattungsregelungen für Arzneimittel gibt es ein umfangreiches preis-, wettbewerbs- und sozialrechtliches Instrumentarium, das in der Praxis wirksam angewandt wird“, sagt der einstige ABDA-Jurist. „Die Kritik der gesetzlichen Krankenkassen am neuen Korruptionstatbestand ist daher unsachlich und nach meinem Eindruck durchsichtige Stimmungsmache gegen die Apotheker“, so Meyer. Er vermutet einen Zusammenhang zum laufenden Schiedsverfahren zur Begrenzung der Nullretaxation.

Im Umkehrschluss sollten Apotheker sich aber auch nicht in Sicherheit wiegen, sondern aus dem laxen Umgang der Ärzteschaft mit dem schon lange bestehenden berufsrechtlichen Zuwendungsverbot lernen. Denn es sei klar, „dass eine mangelnde Selbstkontrolle der Freien Berufe früher oder später zu strafrechtlichen Konsequenzen führen wird“, sagt Meyer.

Gefährlicher Trugschluss: Was das Strafgesetz nicht verbietet, ist erlaubt

Bei dem verabschiedeten Gesetz befürchtet er, dass sein Ultima-Ratio-Charakter nicht deutlich genug zu erkennen sei. Dies „könnte das falsche Signal aussenden, dass künftig alles erlaubt sei, was strafrechtlich nicht verboten ist“, so Meyer. Das sei keineswegs der Fall. „Die Preis- und Erstattungsregelungen ebenso wie die berufsrechtlichen Vorschriften der Apotheker und Ärzte und die umfangreichen sozialrechtlichen Sanktionen sind weiterhin in Kraft und müssen eingehalten werden“, sagt er.

Eine Aussage in der Begründung des Gesetzes hält Meyer in ihrer Allgemeinheit „für einen Skandal“: Dort heißt es, die Strafbarkeit entfalle, wenn ein Arzt die ihm beim Bezug gewährten Rabatte und sonstigen Vorteile zugunsten des zuständigen Kostenträgers annimmt, um sie an diesen weiterzureichen. Wenn es wirklich darum gehe, das Vertrauen der Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen zu schützen, könne dieses sehr wohl dadurch zerstört werden, dass Ärzte ihre Entscheidungen für den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln von Kosteneinsparungen der Krankenkassen abhängig machen. Er verlasse sich darauf, dass die Rechtsprechung auf die standesrechtlichen Pflichten zur heilberuflichen Unabhängigkeit zurückgreift, um zu bestimmen, inwiefern Heilberufler lauter handeln.

Vereinfachte Einteilung in Gut und Böse

Während im Antikorruptionsgesetz die Heilberufler im Fokus stehen, sind in Bezug auf den Patientenschutz auch für Staatsanwalt Badle die Entscheidungen von Krankenkassen ein wichtiges Thema: Rabattverträge aufseiten der Kostenträger müssten „kritisch gesehen werden unter dem Aspekt, ob der Patient die beste medizinische Behandlung bekommt“, sagt er. „Dies war ein Fehler in den letzten Jahren: Man hat den Gesundheitsmarkt immer in Gut und Böse unterteilt“, so Badle. Als „böse“ gelte oft allein die Pharmaindustrie. „Das wird immer sehr stark vereinfacht“, sagt er.

Beide Juristen wollen noch jeweils einem möglichen Irrtum vorbeugen: Für Meyer ist dies, dass Apotheker durch die Streichung der Abgabe und des Bezugs von Arzneimitteln nicht mehr vom Antikorruptionsgesetz betroffen sind. Sie können sich durchaus strafbar machen: Beispielsweise, wenn sie von Ärzten bestochen werden, um ihnen Patienten zuzuweisen, oder – andersherum – wenn sie Ärzte Vorteile zukommen lassen, um deren Entscheidungen zugunsten ihrer Apotheke zu beeinflussen. Die in vielen Fällen durchaus erwünschte Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker müsse daher in den nächsten Wochen noch einmal sehr genau geprüft werden, um zu ermitteln, „wo die Grenze zwischen erlaubter und verbotener Kooperation künftig genau verlaufen wird“.

Es zählen nur Taten nach der Stunde null

Staatsanwalt Badle betont, dass das neue Gesetz nur zukünftige Taten bestraft: „An dem Tag, an dem das Gesetz in Kraft kommt, ist eine Stunde null“, sagt er. „Die Vergangenheit ist vergeben und vergessen“ – zumindest was das Antikorruptionsgesetz betrifft. Badle ist zuversichtlich, dass die meisten kritischen Geschäftsmodelle und Kooperationen bereits umgestellt wurden. „Der Markt hat ja nicht geschlafen“, so Badle. Es würde mindestens einige Monate oder eher noch ein Jahr dauern, bis die ersten Fälle verhandelt werden. 


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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