Verstoß gegen Zuwendungsverbot

Grenzen für Zuzahlungsverzicht

Berlin - 16.07.2015, 16:55 Uhr

Leistungserbringer sind verpflichtet, von Patienten die Zuzahlung einzufordern. (Foto: stockpics/Fotolia)

Leistungserbringer sind verpflichtet, von Patienten die Zuzahlung einzufordern. (Foto: stockpics/Fotolia)


Im Umgang mit einem Zuzahlungsverzicht ist Vorsicht geboten: Einem Online-Versender, insbesondere für Produkte zur Behandlung von Diabetes, untersagte das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) am 9. Juli, weiterhin für einen Zuzahlungsverzicht entsprechender Produkte zu werben und die Zuzahlung entsprechend seiner Werbung nicht einzuziehen (Az. 2 U 83/14). Allerdings beschränkten die Richter sich dabei auf Beträge ab einem Euro – der vom Bundesgerichtshof (BGH) in früheren Boni-Verfahren festgelegten Spürbarkeitsgrenze. Die Revision ließ das OLG nicht zu, insoweit besteht nun noch die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde.

Die Wettbewerbszentrale hatte den Versender abgemahnt, weil dieser auf seiner Website mit Aussagen warb wie: „Die gesetzliche Zuzahlung müssen Sie bei uns nicht bezahlen“ und „Wir bezahlen diese komplett für Sie“. Der Verein sah hierin einen Verstoß gegen sozialrechtliche Vorgaben (§ 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 43b Abs. 1 SGB V) sowie heilmittelwerberechtliche (§ 7 HWG). Der Online-Versender wehrte sich jedoch mit dem Argument, er sei als Leistungserbringer, dem auch das Inkassorisiko zugewiesen werde, der Inhaber des Zuzahlungsanspruchs, nicht die Kasse. Insoweit sei er auch berechtigt, auf den privatrechtlichen Zuzahlungsanspruch zu verzichten.

Schließlich traf man sich vor dem Landgericht Ulm. Das wies die Klage der Wettbewerbszentrale zunächst ab, wurde jedoch in der nächsten Instanz korrigiert. Einen Verstoß gegen sozialrechtliche Vorschriften lehnten aber auch die OLG-Richter ab: Diese hätten eine Steuerungs- und Finanzierungsfunktion, erklären sie, denn sie sollten die Versicherten durch einen Finanzierungsbeitrag zu einem verantwortungsvollen und schonenden Umgang mit dem Beitragsaufkommen im Interesse der Sicherung des Sozialsystems anhalten. Dies stelle jedoch keine wettbewerbsbezogene Zielsetzung dar, weshalb es sich nicht um Marktverhaltensregeln im Sinne des UWG handele.

Verstoß gegen Zuwendungsverbot

Allerdings verstößt die Werbung für und der Verzicht auf die Zuzahlung nach Meinung der OLG-Richter gegen das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot. Danach sind Werbegaben verboten, die aus Sicht des Empfänger nicht berechnete geldwerte Vergünstigungen, die im Zusammenhang mit der Werbung für ein bestimmtes oder mehrere konkrete Heilmittel gewährt werden. Im vorliegenden Fall handele es sich um eine relevante Werbegabe, heißt es im Urteil. Zudem sei mit einem Betrag von fünf bis zehn Euro die Geringwertigkeitsschwelle auch bei weitem überschritten. Der BGH habe die maßgebliche Wertgrenze bereits ab einem Euro gesehen und so festgelegt.

Zwar gibt es Ausnahmen für Zuwendungen oder Werbegaben, die in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag bestehen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a HWG). Allerdings hielten die OLG-Richter diesen Ausnahmetatbestand angesichts des Gebots der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht für einschlägig. Wenn der Zuzahlungsverzicht im Sozialrecht generell verboten sei, könne er im Heilmittelwerberecht nicht wieder erlaubt sein, nur weil er in einem anderen Regelungszusammenhang stehe. „Der Sondertatbestand eines nur ausnahmsweise möglichen Rabatts kann nicht durch einen gesetzlich verbotenen Rabatt ausgefüllt werden“, stellen die OLG-Richter fest.

Wettbewerbszentrale mahnt zur Vorsicht

Wie diese Entscheidung in der Branche umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. „Vermutlich dürfte es wenig werbewirksam und praktisch auch kaum umsetzbar sein, mit einem Zuzahlungsverzicht bis zu einem Euro zu werben oder Zuzahlungsbeiträge bis zu einem Euro zu erstatten“, erklärt die Wettbewerbszentrale. Sie weist zudem darauf hin, dass Apothekern durch ihre Berufsordnungen auch der teilweise Verzicht auf Zuzahlungen nicht gestattet ist (bspw. § 19 Nr. 4 BO BLAK oder § 19 Nr. 5 BO LAK BaWü). „Das Urteil des OLG Stuttgart sollte also nicht als ‚Freibrief‘ betrachtet werden, mit einem teilweisen Zuzahlungsverzicht zu werben oder auf die Zuzahlung auch nur teilweise zu verzichten.“


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