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Arzneimitteltherapiesicherheit

Das schlägt auf den Magen

Gastrointestinale Nebenwirkungen bleiben vielfach unerkannt

Die Liste der Nebenwirkungen von Arzneimitteln ist oft lang. Am häufigsten finden sich auf den Beipackzetteln unerwünschte Effekte auf den Magen-Darm-Trakt: Sodbrennen, Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen – das Spektrum ist breit. Gastrointestinale Nebenwirkungen von tatsächlichen Krankheitsbildern zu unterscheiden ist gar nicht so einfach. Die Symptome ähneln sich häufig und beginnen auch nicht immer unmittelbar mit der Arzneimitteleinnahme. In einer Reise durch den Gastrointestinaltrakt sollen die Nebenwirkungen und ihre möglichen Verursacher näher beleuchtet werden. | Von Tony Daubitz

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung, soviel ist sicher. Oftmals erfassen die unerwünschten Begleiterscheinungen einer Pharmakotherapie den Gastrointestinaltrakt (s. Abb.). Schließlich stellt die orale Route den häufigsten Applikationsweg dar, um ein Arzneimittel nichtinvasiv in den Patienten zu bekommen. Da sich die unerwünschten Arzneimittel­wirkungen variabel ausprägen und den Symptomen gastrointestinaler Erkrankungen ähneln, werden sie bei der Dia­gnosefindung oftmals nicht gleich bedacht. Zum Beispiel in der Speiseröhre: Sodbrennen, Brustschmerzen, Schluck­beschwerden sowie ein Globusgefühl – diese Symptome können schnell als Ausprägungen einer Reflux-Ösophagitis abgetan und behandelt werden. Beginnen die Symptome aber plötzlich und stehen im Zusammenhang mit einer kürzlich begonnenen Medikation, kann sich auch eine medikamenteninduzierte Ösophagitis dahinter verbergen.

Abb.: Wichtige Arzneistoffe bzw. Arzneistoffgruppen, die gastrointestinale Nebenwirkungen auslösen können (nach [2, 3, 13])

Arzneimittel-Ösophagitis oder Reflux?

Zahlreiche Arzneistoffe können die Mukosa der Speiseröhre in Mitleidenschaft ziehen. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID) zählen zu den häufigsten Auslösern, da sie die Schleimhaut lokal reizen können. Aber auch saure Wirkstoffe (z. B. Tetracycline, Eisensulfat und Ascorbinsäure) oder Kaliumchlorid-Präparate, die lokal ein hyperosmolares Milieu erzeugen, greifen die Speiseröhre an [1]. Weitere Beispiele für lokal reizende Arzneistoffe sind außerdem Bisphosphonate (z. B. Alendronsäure), Chinidin, Clinda­mycin und Zytostatika (z. B. Bleomycin, Cytarabin, Methotrexat) [1, 2]. Oft finden sich die durch Arzneimittel hervorgerufenen Läsionen im mittleren Abschnitt der Speiseröhre. Denn dort, wo der Aortenbogen auf die Speiseröhre drückt, bleiben die Tabletten besonders gern hängen [1]. Aber nicht nur der Wirkstoff, der im Arzneimittel enthalten ist, sondern auch wie er formuliert und wie das Arzneimittel eingenommen wird, spielt eine Rolle. Zum Beispiel kleben gelatinehaltige Hartkapseln oder hygroskopische Immediate-Release-Arzneiformen eher an der Ösophaguswand fest [1]. Wer Tabletten und Kapseln mit zu wenig Wasser oder im Liegen einnimmt (Vorsicht bei Bettlägerigen!) riskiert eine Schädigung seiner Speiseröhre. Das auslösende Arzneimittel sollte zunächst abgesetzt werden, damit die Wunden verheilen können. Therapeutisch kann auf die Beschwerden mit Antazida reagiert werden bzw. auch mit Protonen-Pumpen-Hemmern, wenn gleichzeitig eine Reflux-Ösophagitis besteht [2]. Wichtiger ist aber die Prävention, also die Empfehlung, Arzneimittel aufrecht und mit ausreichend Flüssigkeit einzunehmen. Alternativ kann auch auf andere, z. B. flüssige Arzneiformen ausgewichen werden.

Während die medikamenteninduzierte Ösophagitis Reflux-ähnliche Symptome verursacht, die die Diagnosefindung erschweren, existieren andererseits auch Arzneistoffe, die einen gastroösophagalen Reflux auslösen bzw. verschlimmern können. Bestimmte Wirkstoffe reduzieren den Tonus des unteren Ösophagus-Sphinkters und erleichtern so, dass saurer Mageninhalt aufsteigen kann. Zu diesen Wirkstoffen zählen z. B. Anticholinergika (z. B. Biperiden), Calciumkanal-Blocker (z. B. Verapamil), Parkinson-Therapeutika (z. B. Bromocriptin), Methylxanthine wie Theophyllin und Coffein sowie Gestagen-haltige orale Kontrazeptiva und Hormon­therapien [3].

Bauchschmerzen durch nichtsteroidale Antirheumatika

Arzneimittel, die die Speiseröhre schädigen, sind grundsätzlich auch in der Lage, eine Etage tiefer Unheil anzurichten, also im Magen. Die Diagnose in diesem Fall lautet Gastritis – und zwar medikamenteninduziert. Nichtsteroidale Antirheumatika, Bisphosphonate, Tetracycline, Eisensulfat und Zytostatika greifen die Magenschleimhaut an und können im schlimmsten Fall Ulzerationen verursachen [2, 4]. Nicht immer treten dabei Symptome auf. Der eine verspürt gar nichts, andere hingegen leiden unter Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen oder Appetitlosigkeit [4]. Eine gelegentliche Arzneimitteleinnahme wird normalerweise gut vertragen, schädlich wirkt hier vor allem die längerfristige Anwendung der Arzneimittel. Das Paradebeispiel für durch Arzneimittel hervorgerufene Schädigung des oberen Gastrointestinaltraktes sind die nichtsteroidalen Antirheumatika. Im Gegensatz zur Speiseröhre, wo nichtsteroidale Antirheumatika vor allem lokal die Schleimhaut ätzen, spielt im Magen auch die Hemmung der Cyclooxygenasen (COX), insbesondere der COX-1, eine Rolle [2]. Die dadurch verminderte Prostaglandin-Synthese bedeutet, dass mehr Säure und gleichzeitig weniger Hydrogencarbonat und Schleim sezerniert werden, was die Magenschleimhaut anfälliger macht für Schäden und mögliche Blutungen. Systemische Glucocorticoide können die Wundheilung der Magenschleimhaut zusätzlich beeinträchtigen und das Risiko für NSAID-induzierte Ulcera deutlich erhöhen. Das Schadpotenzial der durch die nichtsteroidalen Antirheumatika verminderten Prostaglandin-Synthese betrifft gleichwohl nicht nur den Magen, sondern den gesamten Gastrointestinaltrakt, da vor allem die systemische Wirkung dafür verantwortlich ist. Auch die schädlichen Auswirkungen von Eisensulfat und Kaliumchlorid reichen über den Magen hinaus bis in den Darmtrakt hinein [3].

Einmal als Auslöser einer Gastritis oder Ulzeration erkannt, sollte das betreffende Arzneimittel abgesetzt werden. Protonenpumpen-Inhibitoren haben sich in dem Heilungsprozess als nützlich erwiesen [2]. Gleichwohl soll an dieser Stelle erneut der Stellenwert der Prävention betont werden: Besonders bei Risikopatienten wie älteren Personen sollten nichtsteroidale Antirheumatika nur mit Bedacht eingesetzt werden, was Dosis und Therapiedauer angeht. Bei Bisphosphonaten wiederum kann das Risiko für Speiseröhren- und Magenschäden deutlich reduziert werden, wenn sie ordnungsgemäß eingenommen werden: im Ganzen morgens auf nüchternen Magen mit einem Glas Wasser (mindestens 200 ml) [2]. Mindestens 30 Minuten lang sollen sich die Patienten danach in aufrechter Position befinden.

Ausbleibender Appetit

Wenn Arzneimittel derart auf den Magen schlagen, nimmt das den Betroffenen oft auch den Appetit. Die Lust am Essen trüben können Arzneimittel aber auch unabhängig von einer möglichen Magenschädigung. Viele Arzneistoffe beeinflussen den Geruchs- und/oder Geschmackssinn und beeinträchtigen das Geschmackserlebnis. Oftmals wird diese Nebenwirkung allerdings übersehen. Banalisieren sollte man die Konsequenzen dieser unerwünschten Wirkung allerdings nicht, gerade bei vulnerablen, älteren Patienten mit Polypharmazie. Der getrübte Geschmackssinn führt dazu, dass die Patienten weniger essen und so einen Gewichtsverlust oder eine Mangelernährung riskieren [5]. Andere wiederum versuchen dem Dilemma beizukommen, indem sie intensiver salzen und so ihren Blutdruck nach oben treiben [5]. Wie Arzneistoffe den Geschmack mechanistisch beeinflussen, kann oft nur spekuliert werden. Beispiele für solche Geschmacksverderber sind Chemotherapeutika, Antibiotika (z. B. Metronidazol), Diuretika, Statine oder Antidiabetika wie Metformin [5]. Inhibitoren des Angiotensin Converting Enzyme (ACE-Hemmer) können den Geschmack ebenso verändern. Das könnte in Zusammenhang mit Zink-Ionen stehen, die für die Sinneszellen in den Geschmacksknospen sehr wichtig sind [6]. Captopril z. B. cheliert das Metallion mit seiner Thiol-Gruppe [6]. Als möglicher Therapieversuch könnte deshalb eine Zink-Substitution überlegt werden, auch wenn die Ergebnisse mit dem Mineral in Studien bis jetzt eher durchwachsen waren [5]. Auch trockene Mundschleimhäute, hervorgerufen durch anticholinerge Wirkstoffe, erschweren das Schlucken und können den Genuss beim Essen trüben.

Dass Arzneimittel den Appetit genauso gut steigern können, zeigt wiederum das Beispiel der Psychopharmaka. Schon lange ist bekannt, dass die psychoaktiven Wirkstoffe in unterschiedlichem Maß mit einer Gewichtszunahme assoziiert sind. Besonders deutlich schlägt die Waage bei Anti­psychotika aus. Die zusätzlichen Kilos entstehen auf unterschiedlichen Wegen, z. B. greifen die Wirkstoffe mit ihrer komplexen Pharmakologie direkt in die Regulation von Stoffwechselvorgängen ein. Gleichfalls scheinen die Wirkstoffe aber auch direkt den Appetit anzuregen [7]. Da die Antipsychotika gleichzeitig sedierend wirken, sind die Patienten meist auch weniger aktiv, was sich zusätzlich negativ auf das Gewicht auswirkt. Auch der Stimmungsstabilisator Lithium ist dafür bekannt, den Appetit steigern zu können [7]. Patienten sollten über dieses Risiko der Psychopharmaka aufgeklärt und zu einer gesunden Ernährung und aus­reichender Bewegung angehalten werden.

Erbrechen durch Zytostatika und Opioide

Unter den gastrointestinalen Nebenwirkungen, die durch Arzneimittel hervorgerufen werden können, stehen Übelkeit und Erbrechen an oberster Stelle. Laut der Sider-Nebenwirkungsdatenbank führen knapp 84% der Wirkstoff (Stand 2015) diese Nebenwirkung in ihrer Fachinformation auf [8].

Sider steht für Side Effect Resource und ist eine englischsprachige Datenbank, die Informationen zu den Nebenwirkungen aus Fachinformationen von Arzneimitteln sammelt (http://sideeffects.embl.de/). Meist treten die Beschwerden akut nach der Einnahme auf und entstehen weniger nach einer chronischen Anwendung, sodass der Auslöser relativ einfach identifiziert werden kann. Geringe Dosierungen sorgen für Übelkeit und hohe Dosierungen lösen meist Erbrechen aus – eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Die Physiologie des Erbrechens ist multifaktoriell und integriert verschiedene Stimuli aus dem Magen-Darm-Trakt sowie zentrale Signale, z. B. aus der Area postrema oder dem Vestibularapparat. So verschieden die Angriffspunkte, so individuell funktionieren auch die Mechanismen der „Übeltäter“ unter den Arzneistoffen. Oftmals ist der auslösende Mechanismus auch nicht bekannt. Besonders häufig und gefürchtet ist Arzneimittel-assoziiertes Erbrechen bei der Therapie mit Zytostatika. Die Nebenwirkung tritt so häufig auf, dass man von einem Klasseneffekt spricht und die einzelnen Wirkstoffe anhand ihres emeto­genen Potenzials ordnet (s. Tab. 1). Die Chemotherapeutika schädigen entero­chromaffine Zellen im Darm, die daraufhin Serotonin freisetzen, das 5-HT3-Rezeptoren von Vagus-Afferenzen in der Darmwand stimuliert, die zum Brechzentrum projizieren [9]. Außerdem aktivieren Zytostatika die Chemorezeptoren-Triggerzone der Area postrema im Gehirn. Das Areal liegt außerhalb der Blut-Hirn-Schranke und kann so toxische Reize im Blut detektieren und gegebenenfalls Impulse an das Brechzentrum weiterleiten. Die Zone ist reich an Neurotransmitter-Rezeptoren (5-HT3-, Opioid-, Neuro­kinin-1-, H1-, und Dopamin-Rezeptoren und andere), die auch für eine antiemetische Therapie ausgenutzt werden. Behandelt werden die Zytostatika-assoziierte Übelkeit und das Erbrechen dementsprechend mit 5-HT3-Antagonisten (z. B. Grani­setron, Ribosetron®) und Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Aprepitant, Emend®) [9]. Auch Glucocorticoide, meist Dexamethason, wirken antiemetisch [9].

Die Einnahme von Opioiden ist ebenfalls häufig mit Übelkeit und Erbrechen verbunden. Die Moleküle interagieren direkt mit den Opioid-Rezeptoren in der Chemorezeptoren-Triggerzone und rufen so Erbrechen hervor. Auch kortikale Inputs und Opioid-Rezeptoren am Vestibularapparat scheinen eine Rolle zu spielen. 15 bis 40% der Patienten erfahren diese Nebenwirkungen, wenn sie eine Therapie mit Opio­iden beginnen [10]. Trotz der Häufigkeit treten die Symptome interindividuell sehr unterschiedlich auf, abhängig vom Bindungsmuster des Opioids und der individuellen Expression der Rezeptoren. Das führt dazu, dass manchmal nur bestimmte Opioide nicht vertragen werden. Orale Präparate scheinen häufiger Übelkeit und Erbrechen hervorzurufen als Parenteralia. Transdermale Systeme sind wiederum nicht überlegen [11]. Generell tritt mit der Zeit eine Gewöhnung ein. Höhere Dosierungen können unter Umständen auch antiemetisch wirken. Aufgrund der interindividuellen Unterschiede kann es hilfreich sein, sowohl unterschied­liche Opioide, Dosierungen als auch Applika­tionsrouten zu testen. Auch Antiemetika können eingesetzt werden, z. B. Metoclopramid oder Granisetron.

Tab. 1: Auswahl zytostatischer Wirkstoffe nach ihrem emetogenen Potenzial gemäß MASCC / ESMO-Guideline (Multinational Association of Supportive Care in Cancer/European Society for Medical Oncology) (nach [16])
emetogenes Potenzial
parenterale Zytostatika
orale Zytostatika
hoch
(> 90% der Patienten)
Anthracyclin/ Cyclophosphamid
Carmustin
Cisplatin
Cyclophosphamid > 1500 mg/m2
Streptozocin
Hexamethyl­melamin
Procarbazin
moderat
(30 bis 90% der Patienten)
Alemtuzumab
Bendamustin
Carboplatin
Clofarabin
Cyclophosphamid < 1500 mg/m2
Daunorubicin
Doxorubicin
Epirubicin
Irinotecan
Oxaliplatin
Temozolomid
Bosutinib
Ceritinib
Crizotinib
Cyclophosphamid
Imatinib
Temozolomid
gering
(10 bis 30% der Patienten)
Alfibercept
Belinostat
Bortezumab
Brentuximab
Cabazitaxel
Docetaxel
Etoposid
5-Fluorouracil
Methotrexat
Paclitaxel
Pemetrexed
Topotecan
Capecetabin
Dabrafenib
Dasatinib
Everolimus
Etoposid
Fludarabin
Lapatinib
Nilotinib
Sunitinib
Thalidomid
minimal
(< 10% der Patienten)
Bevacizumab
Bleomycin
Busulfan
Fludarabin
Pembrolizumab
Rituximab
Trastuzumab
Vinblastin
Chlorambucil
Erlotinib
Melphalan
Methotrexat
Sorafenib
Vismodegib

Zahlreiche „Übeltäter“ unter den Arzneistoffen

Neben diesen beiden Wirkstoffgruppen existieren zahlreiche weitere Wirkstoffe, die für die unangenehmen Nebenwirkungen sorgen können (s. Tab. 2). Schon wieder fallen die nichtsteroidalen Antirheumatika in diesem Zusammenhang negativ auf. Da die Substanzen im Gastrointestinaltrakt lokal reizend wirken können, gehören Übelkeit und Erbrechen zu den möglichen Nebenwirkungen [10]. Auch die hormonellen Wirkstoffe, die in oralen Kontrazeptiva enthalten sind, können den Magen reizen. Übelkeit und Erbrechen sind zudem häufige Begleiter einer Therapie mit dem Antidiabetikum Metformin, möglicherweise aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit zu 5-HT3-Agonisten [12]. Es wird angenommen, dass das Molekül entweder direkt mit den 5-HT3-Rezeptoren in der Darmwand interagiert oder den Transport von Serotonin beeinflusst [12]. Auch dopaminerge Wirkstoffe zur Therapie des Morbus Parkinson, also Levodopa und Dopamin-Agonisten wie Bromocriptin, stimulieren direkt die Dopamin-Rezeptoren in der Area postrema und lösen auf diesem Wege Übelkeit und Erbrechen aus [10]. Weitere mögliche Aktivatoren der Chemorezeptoren-Triggerzone sind außerdem manche Antibiotika, Digoxin oder selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) [2, 10]. In vielen Fällen sind die auslösenden Mechanismen allerdings gar nicht genau bekannt, z. B. bei Antiarrhythmika, Antihypertensiva (Betablocker, Calcium-Antagonisten, Diuretika), Antibiotika (z. B. Erythromycin, Tetracyclin, Sulfonamide) oder weiteren Antidiabetika (z. B. GLP-1-Agonisten) [10]. Auch in der Selbstmedikation lauern mögliche Auslöser. Zum Beispiel können Nahrungsergänzungsmittel – ins­besondere Eisen-haltige Präparate – den Magen reizen und Übelkeit und Erbrechen auslösen [2]. Abhilfe schaffen kann in milden Fällen oftmals, das betreffende Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel nach einer Mahlzeit einzunehmen, wenn die Einnahme nicht auf nüchternen Magen erfolgen muss [2]. Auch eine abendliche Einnahme kann die Symptome lindern, da das Brechzentrum im Schlaf nicht durch ein Schwindelgefühl aktiviert werden kann. Nicht immer können die auslösenden Arzneimittel abgesetzt werden, sodass die Übelkeit unter Umständen auch medikamentös behandelt werden muss, z. B. mit H1-Antagonisten oder Meto­clopramid [2].

Tab. 2: Wirkstoffe, die Übelkeit und Erbrechen verursachen können (Beispiele) [2]
Klasse
Arzneistoffe (Beispiele)
Inhalationsnarkotika
Desfluran
Enfluran
Halothan
Lachgas
Injektionsanästhetika
Ketamin
Propofol
Thiopental
Antibiotika
Erythromycin
Metronidazol
Tetracyclin
Tigecyclin
Trimoethoprim / Sulfamethoxzol
kardiovaskuläre Wirkstoffe
Digoxin
Antiarrhythmika (z. B. Procain­amid)
Betablocker
Calcium-Antagonisten
Diuretika
zentral aktive Wirkstoffe
Antiparkinson-Therapeutika (Levodopa, Bromocriptin)
Antiepileptika (Phenytoin, Valproinsäure)
Opioide (Codein, Fentanyl, Hydromorphon)
Antidepressiva (Bupropion, Fluoxetin, Paroxetin)
hormonelle Therapien
Antidiabetika (Metformin, GLP-1-Agonisten)
orale Kontrazeptiva
diverse
Theophyllin
Colchicin
Eisen-Salze

Durchfall hat viele Auslöser

Löst ein Arzneimittel Durchfall aus, kann das unterschiedliche Ursachen haben (s. Tab. 3): Schlecht absorbierbare, osmotisch aktive Wirksubstanzen wie Magnesium-Salze, Lactulose und die Zuckeralkohole Sorbitol und Mannitol binden Wasser und triggern eine osmotische Diarrhö. Sekretorischer Durchfall entsteht dadurch, dass die Aufnahme und Sekretion von Ionen aus und in den Darm aus der Balance gerät und somit zu einem Elektrolyt- und damit Wasserüberschuss führt, z. B. hervorgerufen durch Digoxin, Chemo­therapeutika (Idarubicin, Epirubicin), nichtsteroidale Antirheumatika und Metformin [13]. Außerdem wird vermutet, dass Metformin die Darmflora verändern kann und auf diesem Wege auch Blähungen und Flatulenzen auslöst [14]. Nicht immer müssen die Nebenwirkungen gleich zu Therapiebeginn auftreten. Fallberichte zu Metformin zeigen, dass unter Umständen auch Jahre vergehen können [15].

Antibiotika-assoziierte Durchfälle entstehen in den meisten Fällen auch durch Störungen der Darmflora, die zu sowohl osmotischer und sekretorischer Diarrhö beitragen oder eine mikrobielle Fehlbesiedlung nach sich ziehen können [2]. Schädigen Wirkstoffe die Darmwand, ist häufig eine exsudative Diarrhö die Folge, ausgelöst z. B. durch Chemotherapeutika, bestimmte Antibiotika (z. B. Clindamycin), nichtsteroidale Antirheumatika und Protonenpumpen-Inhibitoren [13]. Ein weiterer Grund für medikamenteninduzierten Durchfall liegt in der Malabsorption von Nahrungsbestandteilen. Zum Beispiel hemmt der Lipase-Inhibitor Orlistat die Spaltung von Triglyceriden und führt zu fettigen Stühlen (Steatorrhö) [13].

Arzneistoffe beeinflussen außerdem die Darmmotilität. Nicht nur vermehrte Darmbewegungen wie z. B. ausgelöst durch Acetylcholinesterase-Inhibitoren (z. B. Donepezil), Erythromycin oder L-Thyroxin führen dabei zum Durchfall, wie man intuitiv annehmen kann [13]. Verursacht durch eine Hypomotilität können Bakterien im Dünndarm vermehrt proliferieren und zu Durchfall führen, z. B. durch die Einnahme von Anticholinergika oder tricyclischen Anti­depressiva [13]. Gestoppt wird der arzneimittelinduzierte Durchfall entweder indem das betreffende Arzneimittel ­abgesetzt und der Durchfall gegebenenfalls symptomatisch behandelt wird. Kann das Arzneimittel nicht abgesetzt werden, muss die Diarrhö diätetisch und symptomatisch therapiert werden. Vorbeugend kann es hilfreich sein, die Arzneimittel langsam aufzudosieren. Auch Probiotika stellen zur Vorbeugung von Antibiotika-induzierten Durchfällen eine Alternative dar [2].

Tab. 3: Mechanismen und Auslöser arzneimittel­induzierter Diarrhö (nach [2, 13])
Mechanismus
Arzneistoffe (Beispiele)
osmotische Diarrhö
Acarbose
Antibiotika (Ampicillin)
Lactulose
Mannitol
Magnesium
Sorbitol
sekretorische Diarrhö
Antibiotika
Calcitonin
Colchicin
Metformin
Misoprostol
nichtsteroidale Antirheumatika
Olsalazin
Venentherapeutika (Flavonoide)
Zytostatika
motilitätsbedingte Diarrhö
Acetylcholinesterase-Inhibitoren (z. B. Donepezil)
Cisaprid
Colchicin
Makrolidantibiotika
exsudative Diarrhö
Antibiotika
nichtsteroidale Antirheumatika
Protonenpumpen-Inhibitoren
Statine
Zytostatika
malabsorptive Diarrhö
Antibiotika (Aminoglycoside, Tetracycline)
antiretrovirale Wirkstoffe
Cholestyramin
Colchicin
Metformin
Orlistat
Diarrhö durch mikrobielle Proliferation
Antibiotika
antiretrovirale Wirkstoffe
Immunsuppressiva
nichtsteroidale Antirheumatika
Zytostatika

Verstopfung nicht nur durch Opioide

Viele Arzneistoffe üben aber auch einen gegenteiligen Effekt auf den Darmtrakt aus und verlangsamen die Passagezeit des Nahrungsbreis. Die Motilität mindern vor allem anticholinerge Effekte und eine opioide Wirkung an µ-Rezeptoren im Darmnervensystem. Anticholinergika wie Amantadin und Biperiden oder Opioid-Analgetika wie Morphin, Codein und Oxycodon sind deshalb klassische Auslöser einer Verstopfung [2]. Psychopharmaka mit ihrer oft komplexen Pharmakologie interferieren ebenso mit diesen Signalsystemen, insbesondere durch anticholinerge Effekte. Deshalb kann eine Verstopfung auch Nebenwirkung einer Therapie mit Antidepressiva (besonders Tricyclica) oder Antipsychotika (z. B. Chlorpromazin, Clozapin) sein [2]. Unter den kardiovaskulären Wirkstoffen sind es vor allem Calciumantagonisten, die die Darmmuskulatur entspannen, sowie Diuretika (z. B. Furosemid), die den Organismus bei zu wenig Flüssigkeitsaufnahme dehydrieren können, und auf diesem Wege die Darmpassage verlangsamen [2]. Weitere mögliche Auslöser, die es zu beachten gilt, sind Antiarrhythmika (z. B. Propafenon, Flecainid, Procainamid), Parkinsontherapeutika (z. B. Levodopa, Ropinirol, Pramipexol) sowie im OTC-Bereich Nahrungsergänzungsmittel mit Eisen- und Calcium-Ionen und Aluminium-haltige Antazida [2]. Vorgebeugt werden kann der Nebenwirkung mit einer ballaststoffreichen Ernährung, Bewegung und ausreichender Flüssigkeitsaufnahme. Nicht immer kann das betreffende Arzneimittel ausgetauscht oder abgesetzt werden, in diesen Fällen kann mit Laxanzien wie Macrogol der Stuhlgang erleichtert werden. Bei Opioid-assoziierter Verstopfung kann es hilfreich sein, die Wirkstoffe transdermal zu applizieren und zwischen verschiedenen Opioiden zu rotieren. In besonders schweren Fällen können periphere Opioid-Antagonisten wie zum Beispiel Methylnaltrexon erwogen werden [2]. |
 

Literatur

 [1] Bytzer P. Medication-induced Esophageal Disease. In: Talley NJ, DeVault KR, Fleischer DE. Practical Gastroenterology and Hepatology: Esophagus and Stomach 2010, 1. Auflage, John Wiley & Sons

 [2] Goriacko P, Veltri KT. Adverse Drug Effects Involving the Gastrointestinal System (Pharmacist Perspective). In: Pitchumoni CS, Dharmarajan, T. Geriatric Gastroenterology 2021, 2. Auflage, Springer

 [3] Philpott HL et al. Drug-induced gastrointestinal disorders. Postgrad Med J 2014;90:411-19

 [4] Liang WY, Lauwers GY. Drug-Induced Gastritis. In: Carneiro F, Chaves P, Ensari A. Pathology of the Gastrointestinal Tract. Encyclopedia of Pathology 2017, 1. Auflage, Springer

 [5] Wang T et al. From the Cover: Drug-Induced Taste Disorders in Clinical Practice and Preclinical Safety Evaluation. Toxicol Sci 2017;156:315-324

 [6] Tsuruoka S et al. Subclinical alteration of taste sensitivity induced by candesartan in healthy subjects. Br J Clin Pharmacol 2004;57:807-812

 [7] Mazereel V et al. Impact of Psychotropic Medication Effects on Obesity and the Metabolic Syndrome in People With Serious Mental Illness. Front Endocrinol 2020;11:573479

 [8] Kuhn M et al. A side effect resource to capture phenotypic effects of drugs. Mol Syst Biol 2010;6:343

 [9] Raboport BL. Delayed Chemotherapy-Induced Nausea and Vomiting: Pathogenesis, Incidence, and Current Management. Front Pharmacol. 2017;8:19

[10] Aung TY, Soo S. Drugs induced nausea and vomiting: an overview. IOSR J Pharm Biol Sci 2016;11:5-9

[11] Maceira E et al. Medication related nausea and vomiting in palliative medicine. Ann Palliat Med 2012;1:161-176

[12] McCreight LJ et al. Metformin and the gastrointestinal tract. Diabetologia 2016;59:426-35

[13] Philip NA et al. Spectrum of Drug-induced Chronic Diarrhea. J Clin Gastroenterol 2017;51:111-117

[14] Nabrdalik K et al. Gastrointestinal adverse events of metformin treatment in patients with type 2 diabetes mellitus: A systematic review, meta-analysis and meta-regression of randomized controlled trials. Front Endocrinol 2022;13:975912

[15] Subramaniam K et al. A Common Drug Causing a Common Side Effect at an Uncommon Time: Metformin-Induced Chronic Diarrhea and Weight Loss After Years of Treatment. Clin Diabetes 2021;39:237-240

[16] Jordan K et al. 2016 Updated MASCC/ESMO consensus recommendations: Emetic risk classification and evaluation of the emetogenicity of antineoplastic agents. Support Care Cancer 2017;25:271-275

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambus-Extrakten; Promotion am Max-­Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen

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