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Nuklearmedizin

Strahlende Arzneimittel

Herstellung und Einsatz von Radiopharmaka

„Ach, wenn es doch ein Mittel gäbe, den Menschen durchsichtig zu machen wie eine Qualle.“ Dieses Zitat aus dem Märchen Elektra [1] des deutschen Mediziners Ferdinand Ludwig Hopf stammt aus dem Jahr 1892 und erschien damit drei Jahre vor der Entdeckung der Röntgenstrahlung durch Wilhelm Conrad Röntgen. Der Einsatz dieser Röntgenstrahlung zur medizinischen Diagnostik begann schon wenige Jahre nach deren Entdeckung [2] und stellt bis heute einen Grundpfeiler der Radiologie dar. | Von Kurt Grillenberger

Die Nuklearmedizin, ein eigenständiges medizinischen Fachgebiet, setzt im Gegensatz zur künstlich erzeugten Röntgenstrahlung offene radioaktive Strahler „in vivo“ zur Diagnostik und Therapie zahlreicher Erkrankungen ein und blickt auf eine wesentlich kürzere Geschichte zurück. Die ersten nuklearmedizinischen Abteilungen entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zunächst an amerikanischen Universitäten, später auch in Europa.

Alpha, Beta, Gamma

Die Emission von radioaktiver Strahlung ist die Folge eines spontan ablaufenden Prozesses im Atomkern. Instabile Kerne, also Kerne mit einem „ungünstigen“ Neutronen/Protonen-Verhältnis, stabilisieren sich durch Umwandlung von Elementarteilchen ineinander und durch Aussendung von energiereicher korpuskulärer oder elektromagnetischer Strahlung. Die bei einem einzigen derartigen Zerfallsprozess frei werdenden Energiebeträge sind (absolut betrachtet) sehr gering und charakteristisch für den jeweiligen individuellen radioaktiven Zerfall. Die Quantifizierung der Strahlungsenergie erfolgt in der Regel in der Einheit Elektronenvolt (eV), wobei 1 eV einer Energie von 1,6 × 10-19 J entspricht.

Die wesentlichen radioaktiven Zerfallsarten sind der α-Zerfall, β--Zerfall, β+-Zerfall, γ-Zerfall sowie der Elektroneneinfang (electron capture, EC) (s. Tab. 1).

Tab. 1: Kernphysikalische Vorgänge beim radioaktiven Zerfall
Zerfallsart
Kernprozess
Strahlungsart
emittierte Strahlung
α-Zerfall
Abspaltung von 2 × 10n und 2 × 11p+
korpuskulär
42He (Helium-Kerne)
β--Zerfall
10n → 11p+ + 0-1e + ν
(ν = Antineutrino)
korpuskulär
0-1e (Elektronen)
β+-Zerfall
11p+10n + 01 e+ + ν
(ν = Neutrino)
korpuskulär
01e+ (Positronen)
γ-Zerfall
Übergang von angeregtem Zustand in energieärmeren Zustand
elektromagnetisch
γ-Strahlung
Elektroneneinfang (EC)
11p+ + 0-1e-10n
elektromagnetisch
Röntgenstrahlung

Die Art und Energie der emittierten Strahlung ist ausschlaggebend für deren wesentliche Eigenschaften wie die Reichweite der Strahlung bzw. die Intensität der Wechselwirkung mit Materie, die wiederum die Grundlage darstellen für einen medizinischen Einsatz der unterschiedlichen ­Strahlungsarten.

So geht α-Strahlung aufgrund der zweifach positiven Ladung und der relativ großen Masse der emittierten 42He-Kerne in sehr großem Umfang Wechselwirkungen mit Materie ein. Bei jeder „Kollision“ der großen α-Teilchen mit Materie-Teilchen wird ein Teil der Strahlungsenergie abgegeben, so dass die Reichweite in Luft mit ca. 10 cm verhältnismäßig gering ist. Da die Zahl der Wechselwirkungen und damit auch die Reichweite zum einen abhängig ist von der Strahlungsenergie und zum anderen von der Dichte der Materie, nimmt die Reichweite mit zunehmender Materiedichte ab und beträgt für α-Strahlung im Körpergewebe somit nur noch weniger als 1 mm.

Die aus der Umwandlung eines Neutrons in ein Proton (und ein Antineutrino) resultierenden deutlich kleineren Elektronen der β--Strahlung interagieren mit Materie in wesentlich geringerem Umfang. Ihre Reichweite beträgt in Luft wenige Zentimeter (beispielsweise 8 cm bei H-3 mit einer Energie von 19 keV) bis zu mehrere Meter (z. B. über 7 m bei P-32 mit einer Energie von 1710 keV) und liegt in menschlichem Gewebe im cm-Bereich.

Die nicht korpuskuläre γ-Strahlung ist in der Regel die Folge eines zuvor stattgefundenen α- oder β-Zerfalls. Das daraus resultierende Tochternuklid entsteht zunächst in einem angeregten, das heißt energiereichen Zustand und gibt seine „überschüssige“ Energie im Anschluss in einem oder mehreren Schritten unter Übergang in einen weniger angeregten Zustand oder in den Grundzustand als elektromagnetische γ-Strahlung ab. Ein solcher Zerfallsvorgang ist in Abbildung 1 am Beispiel des β--Zerfalls von Kobalt-60 in Nickel-60 dargestellt.

Abb. 1: β--Zerfall von Co-60 in Ni-60 (nach [3])

Nicht in jedem Fall zieht ein α- oder β-Zerfall die Entstehung von γ-Strahlung nach sich. Es gibt auch reinen α- oder β-Zerfall, bei dem das Tochternuklid unmittelbar im (nicht angeregten) Grundzustand entsteht. Und in seltenen Fällen emittieren Radionuklide auch ausschließlich γ-Strahlung. Da die hochenergetische, nicht korpuskuläre γ-Strahlung kaum Wechselwirkung mit Materie eingeht, findet während der Flugbahn der Photonen oder γ-Quanten nur sehr wenig Energieübertragung statt, so dass ihre Reichweite in Luft energieabhängig bis zu mehrere Hundert Meter betragen kann. In menschlichem Gewebe durchdringt γ-Strahlung den gesamten Körper.

Der Nachweis von β+-Strahlung erfolgt in der Regel nicht direkt, sondern über die aus der Wechselwirkung der Positronen mit Materie resultierende sogenannte „Vernichtungsstrahlung“. Diese entsteht, sobald ein von einem β+-Strahler emittiertes Positron auf sein Antiteilchen, also ein Elektron, trifft. Da Elektronen in jeder Art von Materie vorkommen, tritt die gegenseitige Vernichtung der beiden Antiteilchen gemäß folgender Gleichung bereits nach einer extrem geringen Flugstrecke des Positrons ein:

Die Masse der beiden Elementarteilchen wird dabei in Energie umgewandelt und in Form von elektromagnetischer Strahlung freigesetzt. Gemäß der Masse-Energie-Äquivalenz E = mc2 entspricht die Masse eines Elektrons (und somit auch die Masse des massegleichen Positrons) einer Energie von jeweils 8,187 × 10-14 J bzw. von 511 keV. Als Resultat der Vernichtung eines Positrons (mit einem Elektron) werden daher zwei γ-Quanten mit jeweils 511 keV emittiert, die aufgrund des Impulserhaltungssatzes exakt im Winkel von 180° abgestrahlt werden. Die Reichweite der aus einem β+-Strahler freigesetzten Positronen beträgt in menschlichem Gewebe nur Bruchteile eines Millimeters. Die beiden als Vernichtungsstrahlung emittierten γ-Quanten jedoch durchdringen den Körper und können bei der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) außerhalb des Körpers detektiert werden. Das Verhalten der einzelnen radioaktiven Strahlungsarten und ihr daraus resultierender medizinischer Einsatz sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Tab. 2: Reichweite und medizinischer Einsatz der ­unterschiedlichen Strahlungsarten
Strahlungsart
Reichweite in Gewebe
medizinischer Einsatz
α-Strahlung
< 1 mm
β-Strahlung
wenige cm
zur Therapie
β+-Strahlung
< 1 mm
Vernichtungsstrahlung: mehrere m
zur Diagnostik (Positronen-Emissions-Tomografie, PET)
γ-Strahlung
mehrere m
zur (konventionellen) Diagnostik

Radiopharmaka in der Nuklearmedizin

In der Nuklearmedizin werden radioaktive Strahlungsquellen in Form von Radiopharmaka in den menschlichen Körper appliziert. Die emittierte Strahlung soll entweder – bei kurzen Reichweiten – einen therapeutischen Effekt auf das bestrahlte Gewebe ausüben oder – bei größeren Reichweiten – nach möglichst selektiver Anreicherung in erkrankten Zellen und Geweben aus dem Körper austreten und außerhalb dessen mithilfe geeigneter Detektionsmethoden zu diagnostischen Zwecken nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu wird bei radiologischen Diagnostikverfahren wie der Radiografie (= konventionelles Röntgen) oder der Computertomografie (CT) der Körper von in einer externen Apparatur künstlich erzeugter (Röntgen-)Strahlung durchstrahlt und nach teilweiser Absorption ebenfalls extern wieder detektiert.

Die nuklearmedizinisch einsetzbaren Strahlungsarten sind im Wesentlichen die β--Strahlung zu therapeutischen Zwecken sowie γ-Strahlung zur Diagnostik. Therapeutisch verwendete Betastrahler sind beispielsweise Iod-131, Yttrium-90 oder Rhenium-186. In der sogenannten konventionellen Diagnostik werden γ-strahlende Radionuklide wie Technetium-99m, Iod-123 oder Indium-111 verwendet. Und zur Diagnostik mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) werden Positronenstrahler wie Fluor-18, Kohlenstoff-11 oder Gallium-68 angewendet.

Sowohl im diagnostischen als auch im therapeutischen Einsatz muss klar zwischen den beiden Begriffen „Radionuklid“ und „Radiopharmakon“ unterschieden werden:

  • Unter dem Radionuklid wird das radioaktiv zerfallende Element, also z. B. F-18, verstanden.
  • Das Radiopharmakon, also das radioaktive Arzneimittel, umfasst sowohl das Radionuklid als auch das (meist organische) Molekül bzw. den Komplex, an das das Radio­nuklid gebunden ist, also z. B. [F-18]-Fluordesoxyglucose ([F-18]-FDG).

Das Radionuklid ist für den radioaktiven Zerfall und somit für die Freisetzung der radioaktiven Strahlung verantwortlich. Die Aufgabe des Radiopharmakons insgesamt besteht darin, das Radionuklid möglichst selektiv an den Ort des Krankheitsgeschehens zu transportieren.

Die meisten Radiopharmaka werden als wässrige Lösung intravenös appliziert. In wenigen Fällen, z. B. bei der Radioiod-Therapie, werden diese oral (als Kapsel) eingenommen, und in Spezialanwendungen ist auch eine inhalative Anwendung gasförmiger Radiopharmaka möglich.

Herstellung von Radionukliden

Vor der Synthese von radioaktiven Arzneimitteln steht zunächst die Erzeugung der radioaktiven Nuklide. Je nach Art des Nuklids erfolgt diese entweder in sogenannten Radionuklid-Generatoren, in medizinischen Teilchenbeschleunigern (Zyklotron) oder durch Neutronenbestrahlung an einem Kernreaktor. Die am wenigsten aufwändige Gewinnung, die somit auch in niedergelassenen nuklearmedizinischen Praxen möglich ist, ist die Elution des Radionuklids von einem Radionuklid-Generator. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Technetium-99m-Generator. Ganz allgemein ist bei diesen Generatoren das langlebige Mutternuklid (hier Molybdän 99Mo) als ionische Verbindung (hier als Molybdat 99MoO42-) auf einer Ionenaustauscher-Säule gebunden. Das gebundene Mutternuklid zerfällt mit einer gewissen Halbwertszeit (hier 66 Stunden) in das nuklearmedizinisch verwendete Tochternuklid (hier 99mTc), das in gewissen Zeitabständen ebenfalls in ionischer Form (hier als Pertechnetat 99mTcO4-) mit physiologischer Kochsalzlösung eluiert werden kann. Der zugrunde liegende Zerfallsvorgang wird wie folgt beschrieben:

Auf dem Generator wird das kurzlebige Tochternuklid also vom längerlebigen Mutternuklid durch fortwährenden radioaktiven Zerfall ständig nachproduziert und kann über einen längeren Zeitraum immer wieder erneut von diesem eluiert werden.

Die meist wesentlich kurzlebigeren in der PET verwendeten Positronenstrahler können aufgrund ihrer sehr kurzen Halbwertszeit (z. B. F-18 mit 110 Minuten oder C-11 mit 20 Minuten) in der Regel nicht auf Vorrat produziert werden, sondern müssen meist patientenindividuell an einem medizinischen Zyklotron durch eine entsprechende Kernreaktion erzeugt werden. So erfolgt die Gewinnung von [F-18]-Fluorid zum Beispiel durch den Beschuss von [O-18]-Wasser mit im Zyklotron beschleunigten Protonen unter Entstehung eines Neutrons nach folgender Kernreaktion:

Das in der Radioiod-Therapie verwendete Iod-Isotop I-131 beispielsweise wird durch den Neutronen-Beschuss von Te-130 an einem Kernreaktor mit hohem Neutronen-Wirkungsquerschnitt nach folgender Kernreaktion erzeugt:

Die Radionuklidgewinnung in einem Zyklotron oder gar einem Kernreaktor ist aufgrund des beträchtlichen apparativen Aufwands naturgemäß nur speziellen Einrichtungen vorbehalten, so dass der nuklearmedizinische Einsatz derartig hergestellter Radionuklide nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Herstellung von Radiopharmaka

Bis auf wenige Ausnahmen findet das Radionuklid in der Regel nicht in der chemischen Form, in der es aus dem Radionuklid-Generator bzw. aus dem Zyklotron eluiert wird, seinen medizinischen Einsatz, sondern muss in einer folgenden radiochemischen Synthese erst zum eigentlichen Radiopharmakon umgesetzt werden. Bei metallischen Radionukliden wie z. B. Tc-99m, Re-188 oder Ga-68 findet in der Regel eine koordinative Bindung an komplexbildende Liganden statt. Die Synthese dieser Radionuklid-Komplexe ist vergleichsweise einfach und kann häufig mittels kommerziell erhältlicher Markierungs-Kits in herkömmlichen nuklearmedizinischen Einrichtungen von medizinischem Personal (z. B. medizinisch-technischen Radiologieassistenten, MTRA) durchgeführt werden.

Wesentlich aufwändiger und deshalb in der Regel speziellen radiochemischen Laboreinrichtungen vorbehalten ist die präparative Einbindung nichtmetallischer Radionuklide wie der PET-Nuklide F-18, C-11 oder N-13 in meist organische Tracer-Moleküle. Unter einem Radiotracer (engl. trace = Spur) versteht man eine radioaktiv markierte körpereigene oder körperfremde Substanz, die nach Applikation in den lebenden Körper an dessen Stoffwechsel teilnimmt. Da sich die applizierten Mengen des Radiotracers im nano- bis picomolaren Bereich bewegen, führt dieser selbst zu keinerlei pharmakologischem Effekt. Die Messung der Stoffwechselbeteiligung des Radiotracers bzw. dessen Anreicherung in verschiedenen Geweben erlaubt in der nuklearmedizinischen Diagnostik einen quasi nicht-invasiven Einblick in krankheitsbedingte Stoffwechselveränderungen.

Das radioaktive Nuklid wird in einer organisch-präparativen Synthese unter Ausbildung einer kovalenten Bindung an eine Synthese-Vorstufe, den sogenannter Precursor, angeknüpft. Am Beispiel des wichtigsten PET-Radiopharmakons [F-18]-Fluordesoxyglucose ([F-18]-FDG) ist dieser Precursor ein vierfach acetyliertes Mannose-Molekül mit einer Trifluormethansulfonyl(= Triflat)-Schutzgruppe in Position 2. Durch nukleophile Substitution dieser Triflat-Gruppe durch im Zyklotron produzierte [F-18]-Fluorid-Ionen entsteht unter Waldenscher Umkehr zunächst eine vierfach acetylierte, an Position 2 fluorierte Glucose und nach deren Des­acetylierung das Zielmolekül [F-18]-Fluordesoxyglucose.

Typischerweise können radiochemische Synthesen wie die beschriebene [F-18]-Fluordesoxyglucose-Synthese aufgrund der enormen Strahlenexposition nicht manuell durchgeführt werden. Bedingt durch die kurze Halbwertszeit von Fluor-18 mit 110 Minuten muss die radioaktive Markierung des Precursors zum einen möglichst rasch erfolgen, es muss aber zum anderen dennoch mit einem Mehrfachen der gewünschten Endaktivität in die Synthese eingestiegen werden, um ausreichende Produkt-Aktivitäten zu gewährleisten. Die daraus resultierende Strahlenbelastung für das radiochemische Personal macht eine manuelle Handhabung des Syntheseansatzes unmöglich. Vielmehr wird die Synthese in vollautomatisierten oder ferngesteuerten Synthesemodulen in speziellen, mit zentimeterdicken Bleiabschirmungen versehenen Räumen, den sogenannten heißen Zellen (hot cells) durchgeführt (s. Abb. 2). Die Synthesemodule werden vor dem Überleiten der radioaktiven Ausgangskomponenten mit allen erforderlichen Materialien und Chemikalien bestückt. Durch ferngesteuerte Ventile und Schlauchverbindungen können im Lauf der Synthese Flüssigkeiten transportiert und im Reaktionsgefäß gerührt, erhitzt, gekühlt, evakuiert und abdestilliert werden. Zur Abtrennung bzw. Reinigung werden häufig Festphasen-Kartuschen verwendet, die selektiv bestimmte Komponenten adsorbieren, die durch geeignete Lösungsmittel wieder von der Kartusche eluiert werden können. Häufig schließt sich an die eigentliche Synthese noch eine Aufreinigung des Produkts durch (ebenfalls in der Heißen Zelle durchgeführte) präparative HPLC an. Am Schluss wird die wässrige Lösung des Radiopharmakons durch Zusatz einer entsprechenden Menge Kochsalz(lösung) isotonisiert und über einen Sterilfilter in das Endgefäß abfüllt.

Abb. 2: Heiße Zellen zur radiochemischen Synthese (mit freundlicher Genehmigung der Eckert & Ziegler Strahlen- und Medizintechnik AG [4])

Qualitätskontrolle und Arzneibuchanalytik

Da auch Radiopharmaka prinzipiell den Anforderungen des Arzneimittelgesetzes unterliegen, muss sich an deren Herstellung vor der Freigabe zur Anwendung am Patienten eine Qualitätskontrolle anschließen. Im Europäischen Arzneibuch Ph.Eur. 10.4 findet sich – neben 83 Einzelmono­graphien zu konkreten Radiopharmaka und deren Ausgangsverbindungen – auch eine allgemeine Monographie „Radioaktive Arzneimittel“. In dieser sind die wesentlichen Aspekte der Reinheitsprüfungen im Rahmen der Qualitätskontrolle aufgeführt und beschrieben (s. Tab. 3). In den jeweiligen Einzelmonographien sind dann die spezifischen Durchführungsvorschriften und Anforderungen der konkreten Radiopharmaka zu finden.

Die Durchführung und Auswertung einiger Reinheitsprüfungen vor der Freigabe der Charge zur Anwendung kann schwierig oder gar unmöglich sein, wenn die Halbwertszeit des Radionuklids sehr kurz ist, so wie es bei einigen PET-­Radionukliden der Fall ist. In der Einzelmonographie des jeweiligen Radiopharmakons wird dann auf Prüfungen hingewiesen, die nicht vor der Freigabe zur Verwendung abgeschlossen sein müssen. In diesem Fall stellt die Prüfung eine Kontrolle der Qualität des Herstellungsprozesses dar.

Tab. 3: Reinheitsprüfungen von radioaktiven Arzneimitteln nach Ph.Eur. [5]
Prüfung
Definition
Methoden
chemische Reinheit
Verunreinigungen mit nicht radioaktiven Substanzen (z. B. Lösungsmittel-Rückstände)
  • Flüssigchromatografie
  • Dünnschichtchromatografie
  • Gaschromatografie
Radionuklid-Reinheit
prozentuales Verhältnis zwischen der Radioaktivität des Radionuklids und der Gesamtradioaktivität des radioaktiven Arzneimittels
  • Gammaspektrometrie
radiochemische Reinheit
prozentuales Verhältnis zwischen der Radioaktivität des Radionuklids in der angegebenen chemischen Form und der Gesamtradioaktivität des Radionuklids im radioaktiven Arzneimittel
  • Papierchromatografie
  • Dünnschichtchromatografie
  • Elektrophorese
  • Ausschlusschromatografie
  • Gaschromatografie
  • Flüssigchromatografie
pharmazeutische Reinheit
radioaktive Arzneimittel zur parenteralen Anwendung müssen steril und pyrogenfrei sein
  • Prüfung auf Sterilität
  • Prüfung auf Bakterien-Endotoxine
  • Prüfung auf Pyrogene

Radioaktive Zucker, Aminosäuren und DNA-Basen zur Krebsdiagnostik

Die größte Bedeutung hat die nuklearmedizinische Diagnostik sicher in der Onkologie. Und das am meisten eingesetzte Radiopharmakon ist hier die bereits beschriebene [F-18]-Fluordesoxyglucose, kurz [F-18]-FDG. Diese wird als Glucose-Analogon in alle Zellen aufgenommen. Zellen mit einem erhöhten Glucosebedarf, so wie viele Krebszellen, nehmen auch mehr von der radioaktiven [F-18]-FDG auf. In den Zellen erfolgt – analog dem Glucose-Stoffwechsel – eine Phosphorylierung zum [F-18]-FDG-6-phosphat, das dann jedoch im Gegensatz zum Glucose-6-phosphat nicht mehr weiter verstoffwechselt werden kann. Es kommt zu einer Anreicherung der radioaktiven Glucose in den Tumorzellen. Diese Radioaktivitätsanreicherung kann dann im Rahmen der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) gemessen werden: Die von den F-18-Atomen ausgesandten Positronen erzeugen nach Bruchteilen eines Millimeters im Gewebe nach Wechselwirkung mit Elektronen die aus zwei γ-Quanten bestehende Vernichtungsstrahlung, die von dem Tomografen detektiert und in ein dreidimensionales Bild umgewandelt wird.

Aufgrund des physiologisch hohen Glucose-Umsatzes im Gehirn ist [F-18]-FDG zur Detektion von Hirntumoren nicht geeignet. Alternative PET-Radiodiagnostika wären hier beispielsweise das Aminosäureanalogon [F-18]-Fluorethyltyrosin (FET) oder der radioaktiv modifizierte DNA-Baustein [F-18]-Desoxy-fluorthymidin (FLT). Zur Diagnostik von Schilddrüsenkarzinomen oder Insulinomen wird [F-18]-­Fluordopa eingesetzt.

Radiotherapeutika

Das radioaktive Iod-Isotop I-131 wird seit mehr als 50 Jahren im Rahmen der Radioiod-Therapie zur Behandlung von malignen Schilddrüsenkarzinomen sowie anderer benigner Schilddrüsenerkrankungen eingesetzt. Weitere β--strah­lende Therapienuklide sind z. B. Y-90, Re-186 oder Sr-89. Der α-Strahler Ra-223 reichert sich aufgrund seiner Ähnlichkeit zu Calcium-Ionen selektiv in Knochen an und kann zur Therapie von Knochenmetastasen eingesetzt werden.

Typischerweise sind die Halbwertszeiten von Therapie-Nukliden deutlich länger als die von Diagnostik-Nukliden. Während sich die Halbwertszeiten vor allem der PET-Nuklide F-18, C-11 und N-13 im Bereich weniger zig Minuten bewegen und damit die mit der diagnostischen Untersuchung verbundene Strahlenbelastung für den Patienten möglichst gering halten, soll bei den Radiotherapeutika mit Halbwertszeiten zwischen zwei und 14 Tagen eine ausreichend lange therapeutische Wirkung auf das Zielgewebe gewährleistet werden. Dass sich bei Halbwertszeiten von bis zu zwei Wochen die ungewollte Strahlenschädigung dennoch in einem vertretbaren Maß hält, ist in der biologischen Halbwertszeit der applizierten Radiopharmaka begründet. Während die physikalische Halbwertszeit die ausschließlich durch den radioaktiven Zerfall verursachte Aktivitätsabnahme beschreibt, beinhaltet die biologische Halbwertszeit, dass die verabreichten radioaktiven Strahler durch die natürlichen Ausscheidungswege zusätzlich aus dem Körper eliminiert werden. Die effektive Halbwertszeit setzt sich aus der physikalischen und der biologischen Halbwertszeit zusammen. Sie ist entscheidend für die Beurteilung der Strahlendosis, die auf den Organismus einwirkt.

Markierte Antikörper

Sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie von Tumorzellen finden radioaktiv markierte Antikörper Einsatz. Der wesentliche Vorteil ist die hohe Selektivität spezifischer Antikörper gegen bestimmte Tumorzell-Antigene. Dies ermöglicht vor allem im therapeutischen Einsatz ein deutlich reduziertes Nebenwirkungspotenzial. So wird der Y-90-­markierte Antikörper Ibritumomab-Tiuxetan (Zevalin®) zur Radioimmuntherapie des positiven follikulären Non-Hodgkin-Lymphoms eingesetzt [6].

Bisher war die radioaktive Markierung von Eiweißmolekülen wie Antikörpern sehr zeitaufwendig und nur schwer zu automatisieren. So muss das Antikörper-Protein zunächst in mehreren Stufen gereinigt werden, um dann an eine metallbindende chemische Substanz gekoppelt und anschließend radioaktiv markiert zu werden. Im Jahr 2020 hat Prof. Jason P. Holland an der Universität Zürich eine neue photochemische Methode entwickelt, um Antikörper-Moleküle wesentlich schonender in weniger als 20 Minuten mit Radionukliden wie z. B. Ga-68 zu markieren [7, 8]. Die von der Forschergruppe entwickelte Gruppe der Arylazide verbindet sich unter UV-Bestrahlung mit einem Protein, etwa einem Antikörper, und kann mittels chemischer Modifikationen gleichzeitig ein Radionuklid binden [9]. Diese von den Schweizer Wissenschaftlern entwickelte Methode ist nicht nur wesentlich schneller, sondern auch automatisierbar durchzuführen.

Rechtliche Einordnung

Nach § 7 Arzneimittelgesetz (AMG) ist es zunächst grundsätzlich verboten, radioaktive Arzneimittel in Verkehr zu bringen, es sei denn, dass dies durch Rechtsverordnung zugelassen ist. Diese Rechtsverordnung stellt die „Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel“, kurz AMRadV, dar. Darin sind von dem Verkehrsverbot ausgenommen sowohl zugelassene radioaktive Arzneimittel als auch radioaktive Rezeptur-Arzneimittel.

Darüber hinaus gilt das Verkehrsverbot ebenfalls nicht für Radiodiagnostika, die „in einer klinischen Einrichtung auf der Grundlage einer Herstellungserlaubnis nach § 13 des Arzneimittelgesetzes hergestellt und dort für nicht mehr als 20 Behandlungsfälle in der Woche nach dem anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf Grund einer patientenbezogenen ärztlichen Verschreibung angewendet werden“ [10]. Diese Ausnahme gilt ausschließlich für den diagnostischen Einsatz und ausdrücklich nicht für Radiotherapeutika.

Und schließlich auch „radioaktive Arzneimittel, die in einer Krankenhausapotheke oder krankenhausversorgenden Apotheke ausschließlich auf der Grundlage zugelassener Radionuklidgeneratoren, Radionuklidkits oder Radionuklidvorstufen nach den Anweisungen des jeweiligen pharmazeutischen Unternehmers zubereitet werden“ sind vom Verkehrsverbot des AMG ausgenommen [10].

Von der Diagnostik zur Theranostik

In den Anfängen der Nuklearmedizin lag der Schwerpunkt ganz eindeutig auf der diagnostischen Seite. Mit der Entdeckung immer neuer molekularer Zielstrukturen wie zum Beispiel spezifischer Oberflächenproteine erweiterte sich das Spektrum der diagnostischen Möglichkeiten ausgehend von der Onkologie zu stetig neuen Einsatzgebieten auf dem Gebiet der Neurologie, der Endokrinologie und weiteren Fachgebieten. In den letzten wenigen Jahrzehnten kam es dann auch zunehmend zu neuen Entwicklungen auf der Seite der Radiotherapie.

Der neueste Trend versucht nun, den diagnostischen und den therapeutischen Ansatz zu verbinden, was unter dem Begriff der Theranostik in immer mehr nuklearmedizinischen Einrichtungen etabliert wird [11]. Ist doch in beiden Fällen der physiologische Ansatz der gleiche: Durch möglichst spezifische Tracer soll das (diagnostische oder therapeutische) Radionuklid möglichst selektiv an molekulare Strukturen des Krankheitsherdes herangeführt werden. Ein sehr erfolgreiches und bereits seit Langem etabliertes Verfahren im Bereich der Theranostik ist die Radioiod-Diagnostik bei Schilddrüsentumoren und deren Behandlung mittels Radioiod-Therapie. Mehr als 90% der betroffenen Patienten werden durch diese nuklearmedizinische Behandlung geheilt. Auch gegen das Prostata-spezifische Membran-­Antigen (PSMA) wurden in den letzten Jahren verschiedene Biomarker des Prostatakrebs entwickelt, die sich mit radioaktiven Isotopen sowohl zur Bildgebung als auch zur Therapie kombinieren lassen. Und weitere theranostische Methoden sind unter anderem für das Pankreaskarzinom, das Mammakarzinom und das Nierenzellkarzinom in der Entwicklung. |

 

Literatur

 [1] Philander, Elektra. Ein physikalisch-diagnostisches Märchen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Medizinische Märchen, Stuttgart 1892, S. 189

 [2] Büttner O, Müller K. Technik und Verwerthung der Röntgen‘schen Strahlen im Dienste der ärztlichen Praxis und Wissenschaft (Encyklopädie der Photographie; Heft 28), Halle a. d. S. 1897, S. 3

 [3] Grillenberger K. Radioaktive Arzneimittel. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003, S. 28

 [4] mit freundlicher Genehmigung der Eckert & Ziegler Strahlen- und Medizintechnik AG, Robert-Rössle-Str. 10, 13125 Berlin

 [5] Europäisches Arzneibuch Ph.Eur. 10.4. Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart

 [6] Zevalin 1,6 mg/ml Kit für ein radioaktives Arzneimittel zur Infusion. Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/zevalin-epar-product-information_de.pdf

 [7] Guillou A, Earley DF, Patra M, Holland JP. Light-induced synthesis of protein conjugates and its application in photoradiosynthesis of 89Zr-radiolabeled monoclonal antibodies. Nature Protocols 2020;15(11):3579-3594

 [8] Klingler S, Fay R, Holland JP. Light-induced radiosynthesis of 89ZrDFO-azepin-onartuzumab for imaging the hepatocyte growth factor receptor. Journal of Nuclear Medicine 2020;61(7):1072-1078

 [9] Eisenach C. Krebsforschung: Strahlende Tumoren. Informationen der Universität Zürich vom 18. August 2021, www.news.uzh.ch/de/articles/2021/radiotracer.html

[10] Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMRadV). www.gesetze-im-internet.de/amradv/

[11] Rauscher I, Eiber M, Horn T, Weber W. Nuklearmedizin – highlighted. Bay Ärzteblatt 2019;11:544-549

Autor

Prof. Dr. Kurt Grillenberger, Pharmaziestudium und Promotion in Erlangen; Forschungstätigkeit in der Abteilung Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Ulm; seit 1997 Dozent am Berufskolleg für PTA und an der Hochschule der Naturwissenschaftlich-technischen Akademie Prof. Dr. Grübler gGmbH; Lehrbeauftragter für Chemie an der Hochschule Kempten

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