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Digitales für Apotheker

Blutdruck besser eingestellt – dank App?

Hilfe bei Selbstkontrolle und Lebensstilveränderung – „Digitales für Apotheker“ (Folge 7)

Sehr viele Apothekenkunden sind als Bluthochdruckpatienten in ärztlicher Behandlung, jeder Dritte gilt als schlecht eingestellt [1]. Weil mangelnde Therapieadhärenz bei vielen chronischen Erkrankungen ein zentrales Problem ist [2, 3, 4], wächst der Bedarf und das Interesse an ­Beratung zu digitalen Helfern für das ­Leben mit einer chronischen Erkrankung. Was ist dran an Blutdruck-Apps? Sie werden als vielversprechende, neue Werkzeuge diskutiert, um die Selbstbefähigung von Patienten zu stärken. Können sie die Versorgung von Hypertonikern tatsächlich verbessern? | Von Ursula Kramer

Selbstkontrolle wird leichter mit Apps

Die Analyse der im Oktober verfüg­baren 29 deutschsprachigen Blutdruck-Apps zeigt ein klares Bild [5]: Es ist vor allem die Selbstkontrolle des Blutdrucks, die, unterstützt durch diese Apps, einfacher wird. Viele Apps lassen sich mit Blutdruckmessgeräten koppeln, die die Werte per Bluetooth direkt in das digitale Tagebuch übertragen (z. B. „Blutdruckdaten“, Sanitas HealthCoach). Auch die Möglichkeit der Spracheingabe gibt es (z. B. „Blutdrucktagebuch“). Das spart Zeit und verhindert Fehler beim Eintippen von Blutdruckwerten. Den Blutdruck ganz ohne Blutdruckmessgerät nur mit dem Smartphone zu messen ist hingegen mit keiner App möglich, auch wenn ein App-Name wie „Puls Messen & Blutdruck Messen“ dies suggeriert [6]. Um auch bei manueller Eingabe der Blutdruckwerte Fehler zu vermeiden, arbeiten einige Apps mit Plausibilitätschecks, d. h. Werte, die unrealistisch hoch sind oder offensichtlich falsch sein müssen – z. B. Systole ist niedriger als Diastole –, lassen sich gar nicht erst eingeben, was die Qualität der Daten und damit die Aussagekraft der Blutdruckstatistiken verbessert (z. B. x.patient). Wenn Blutdruckpatienten regelmäßig und über einen längeren Zeitraum ihre Werte erfassen, kommen die Vorteile von Apps am deutlichsten zum Tragen: Verlaufsdiagramme, die große Datenmengen einbeziehen, machen Muster und langfristige Trends erkennbar. Durch die zentrale Speicherung der Blutdruckwerte in einer Cloud bleiben die Daten erhalten, auch wenn das Smartphone gewechselt wird oder gar verloren geht. Der Nutzer kann von überall oder zu Hause am Computer darauf zugreifen oder Dritten, z. B. seinem Arzt, Zugriff auf die Daten geben – auch zeitlich begrenzt So generiert eine App (BNK CardioCoach) einen ­sogenannten Visiten-Code, der für 30 Minuten aktiv bleibt und nach dem Arztgespräch die Gültigkeit verliert.

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Blutdruckwissen wird kaum vermittelt

Blutdruck und seinen Krankheitswert besser verstehen, in diesem Punkt bieten Blutdruck-Apps bisher kaum Unterstützung. Zwar legen zwei Drittel aller Apps die Grenzwerte der Deutschen Hochdruckliga für Bluthochdruck zugrunde (140/90), bei der Eingabe der Blutdruckwerte meldet jedoch nur jede dritte App zurück, ob dieser Wert normal, leicht erhöht oder stark erhöht ist.

Die wenigen Blutdruck-Apps, die Gesundheitsaufklärungen zu Blutdruck bieten (z. B. „Blutdruckdaten“), arbeiten noch klassisch mit Lexika und Ratgebern, über die das Wissen bereitgestellt wird. Intelligente Frage-Antwort-Chats, die Wissen, z. B. zur richtigen Anwendung der Arzneimittel, zur korrekten Blutdruckmessung oder zur Umstellung der Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten, individuell und schnell abrufbar machen, sind hier noch Zukunftsmusik. Bei Sym­ptom-Checker-, z. B. Ada – Deine Gesundheitshelferin [7], oder Depressions-Apps, z. B. Wysa: stress, depression, anxiety therapy chatbot [8], erfreuen sich diese sog. „Chat-Bots“ bereits großer Beliebtheit. Hypertoniker, die häufig mehrere Risikofaktoren im Auge behalten müssen, profitieren von Tagebüchern, mit denen auch die Arzneimittel, sowie Gewicht und Blutzucker aufgezeichnet werden können – bei vielen Apps können Erinnerungen eingestellt werden, damit Messungen oder die Arzneimitteleinnahme nicht vergessen wird. Weil der Lebensstil, und damit Bewegung, Gewicht und Kalorienzufuhr, die Höhe des Blutdrucks beeinflussen, lassen sich mit der Mehrheit der Blutdrucktagebücher auch diese Parameter aufzeichnen. Etwa jede dritte Blutdruck-App kann Aktivitätsdaten direkt aus Fitness-Trackern oder Apps wie S-Health bzw. Google Fit übernehmen [5]. Coaching im Hinblick auf Lebensstilveränderung, das bereits zum Angebot einzelner Diabetes-Apps gehört, z. B. mySugr: dein intelligentes Diabetes Tagebuch [9], findet bei Blutdruck-Apps ebenfalls noch keine Anwendung. Einen Schritt in diese Richtung geht die noch recht neue App BNK CardioCoach des Berufsverbands der Niedergelassenen Kardiologen [10]. Ärzte können ihren Patienten einen individuellen Trainingsplan in diese App einstellen, dessen Umsetzung dann mithilfe der App aufgezeichnet und ausgewertet wird. Diese App bietet auch den Visiten-Code zum Zugriff auf die Verlaufsdiagramme und Statistiken der dokumentierten Blutdruckwerte. Im Gegensatz zu allen anderen Blutdruck-Apps, mit denen Tagebuchdaten exportiert und an den Arzt versendet werden können, ist das ein pragmatischer Weg. Denn Patientendaten, die im E-Mail Postfach der Praxis landen, werfen datenschutzrechtlich viele Fragen auf. Das bringt Ärzte auf unsicheres Terrain und hindert sie daran, die App-Daten in die Therapiesteuerung einzubeziehen.

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Puls und Blutdruck messen – ohne Messgerät, nur mit dem Smartphone? Das funktioniert nicht, auch wenn das manche Apps suggerieren.

Mit Daten zur besseren Blutdruckeinstellung?

Und dabei könnten diese Daten gerade in der Phase der Blutdruckeinstellung sinnvoll genutzt werden. Randomisierte, klinische Studien zeigen, dass die Dosisfindung schneller und erfolgreicher verläuft, wenn der behandelnde Arzt auf die Daten aus der Selbstmessung telemedizinisch zugreifen und die Arzneimitteltherapie direkt anpassen kann [11, 12, 13]. Deshalb fordert die Deutsche Hochdruckliga, auch die Daten aus der digitalen Selbstmessung für Ärzte zugänglich zu machen [14]. Auch die Effekte von Apps auf die Therapieadhärenz von Hypertonikern wurde in kontrollierten Studien untersucht. Zwar konnte die Arzneimittel-Adhärenz z. B. mit der App Alarm Medikamenten-Einnahme – medisafe verbessert werden, auf die Blutdruckeinstellung zeigten sich mit und ohne App jedoch keine signifikanten Unterschiede [15]. Komplexe Verhaltensmuster, die Eigenmotivation und Therapieadhärenz bestimmen, lassen sich nicht einfach dadurch verändern, dass Menschen mit Apps an die Medikamenteneinnahme oder die Selbstmessung von Blutdruck erinnert werden [16]. Dazu braucht es Unterstützung auf vielen Ebenen und die therapeutische Begleitung durch Arzt und Apotheker. Weil die Unterstützungsmöglichkeiten vieler Chroniker-Apps schon heute weit über die Aufzeichnung von Messwerten und die Erinnerung an die Tabletteneinnahme hinausgehen und sie sich perspektivisch durch die Nutzung von Algorithmen zu lernenden Unterstützungssystemen entwickeln, könnten sie schon bald auch in Disease-Management-Programmen und strukturierten Patientenschulungen zum Einsatz kommen, um die Versorgungsqualität zu verbessern. |

Literatur

 [1] Epidemiologisches Bulletin 5/2015, Robert-Koch-Institut, Berlin https://www.hochdruckliga.de/tl_files/content/dhl/presse/Bluthochdruck-Zahlen-2017.pdf

 [2] DiMatteo, M. R., Variations in patients adherence to medical recommendations: A quantitative review of 50 years of research. Med. Care 42 [2004] 200-209.

 [3] Partridge, A. H., et al., Adherence to therapy with oral antineoplastic agents. J. Natl. Cancer Inst. 94 [2002] 652-661.

 [4] Gupta S. et al. Clin Lymphoma Myeloma Leuk 2018; 18[3]; Assessing the Effect of Adherence on Patient-reported Outcomes and Out of Pocket Costs Among Patients With Multiple Myeloma.https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29429817

 [5] Blutdruck-Screening 10/2018. HealthOn. https://www.healthon.de/infografiken/2018/11/blutdruck-apps-sinnvolle-bausteine-der-patientenversorgung

 [6] Puls Messen & Blutdruck Messen https://play.google.com/store/apps/details?id=com.devsoldiers.bodytracker.pulse

 [7] Ada - Deine Gesundheitshelferin https://play.google.com/store/apps/details?id=com.ada.app&hl=de

 [8] Wysa: stress, depression & anxiety therapy chatbot https://play.google.com/store/apps/details?id=bot.touchkin

 [9] mySugr: dein intelligentes Diabetes Tagebuch https://play.google.com/store/apps/details?id=com.mysugr.android.companion

[10] BNK CardioCoach https://play.google.com/store/apps/details?id=de.bnk.cardiocoach

[11] McManus R et al. [2018]. Efficacy of self-monitored blood pressure, with or without telemonitoring, for titration of antihypertensive medication [TASMINH4]: an unmasked randomised controlled trial. Lancet Vol. 391, 2018 949

[12] Contreras E. et al. [2018]. Specific hypertension smartphone app to improve medication adherence in hypertension: a cluster-randomized trial. Current Medical Research and Opinion, DOI: 10.1080/03007995.2018.1549026

[13] Bash et al. 6/2017. Overall Survival Results of a Trial Assessing Patient-Reported Outcomes for Symptom Monitoring During Routine Cancer Treatment. https://jamanetwork.com/journals/jama/article-abstract/2630810

[14] Deutsche Hochdruckliga: App-Infos für Ärzte nutzbar machen. Ärzte Zeitung, 03.12.2018. https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/herzkreislauf/bluthochd...

[15] Morawski E. et al. [2018]. Association of a Smartphone Application With Medication Adherence and Blood Pressure Control: The MedISAFE-BP Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2018 Jun 1;178[6]:802-809. doi: 10.1001/jamainternmed.2018.0447

[16] Santo K et al. [2017]. Mobile Phone Apps to Improve Medication Adherence: A Systematic Stepwise Process to Identify High-Quality Apps. JMIR Mhealth Uhealth. 2016 Dec 2;4[4]:e132.

Autorin

Dr. Ursula Kramer, Apothekerin. 2011 Gründung der Informations- und Bewertungsplattform für Health-Apps Healthon.de, das größte Portal für deutschsprachige Gesundheits- und Medizin-Apps. Dreimalige Gewinnerin des Präventions­preises des Wissenschaftlichen Instituts für Prävention im Gesundheits­wesen und der Deutschen Apotheker Zeitung.

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