Arzneimittel und Therapie

Auf „Wolke sieben“ mit Loperamid

FDA warnt erneut vor Missbrauchspotenzial

Es gehört in jede gut ausgestattete Reiseapotheke: Loperamid. Wer bereits einmal unter der Reisekrankheit mit Diarrhö gelitten hat, wird das rezeptfreie Medikament zu schätzen wissen. Die andere Seite der Medaille ist, dass es auch Wege gibt, Loperamid zu Rauschzwecken zu missbrauchen. Bereits 2016 warnte die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA vor ernsten gesund­heitlichen Schäden durch den Missbrauch. Nun warnt die FDA erneut und strebt in Zusammenarbeit mit den Herstellern weitere Sicherheitsmaßnahmen an. Doch was steckt aus pharmakologischer Sicht hinter dem Missbrauchspotenzial?

Bei Loperamid (Imodium®) handelt es sich um einen synthetischen Agonisten an den μ-Opioid-Rezeptoren. Im Gegensatz zu anderen Opioiden wie Morphin hat die Substanz bei therapeutischer Dosierung jedoch keine Effekte auf das zentrale Nervensystem (ZNS). Bekannte Wirkungen der Opioid-Therapie wie Sedierung, Atemdepression, Analgesie und Euphorie bleiben also aus. Lediglich die μ-Opioid-Rezeptoren des Darms werden aktiviert, was zu einer Obstipation durch Hemmung der propulsiven Peristaltik führt.

Foto: Innovated Captures – stock.adobe.com
Bei extremer Überdosierung oder durch das gezielte Ausnutzen von Interaktionen kann mit Loperamid eine zentrale Opioid-Wirkung erzielt werden.

Nicht ZNS-gängig bei normaler Dosierung

Daher kann Loperamid zur symptomatischen Therapie der Diarrhö eingesetzt werden. Für die fehlenden zentralen Wirkungen sind mehrere Faktoren verantwortlich: Zum einen ist die gastrointestinale Absorption gering. Zum anderen sorgt der aus­geprägte First-pass-Metabolismus (besonders durch CYP 3A4 und CYP 2C8) in der Leber dafür, dass nur geringe Mengen des Wirkstoffs im systemischen Blutkreislauf ankommen und die Bioverfügbarkeit bei etwa 0,3% liegt. Des Weiteren ist Loperamid ein Substrat für P-Glykoprotein (PGP), welches auch als Multidrug-Resistance-Protein 1 (MDR1) bekannt ist. Das Membranprotein gehört zur Klasse der ATP-bindenden Cassette (ABC)-Transporter und übernimmt eine wichtige Funktion in den Endothelzellen der Blut-Hirn-Schranke. Durch den PGP-Transporter werden unter Verbrauch von ATP aktiv Fremdstoffe aus den Zellen ausgeschleust, welche die Barriere sonst durch passive Diffusion überwinden würden. Auch in anderen Zellen ist das Protein zu finden und führt teilweise zu unerwünschten Effekten wie der Ausschleusung von Zytostatika aus Tumorzellen oder von Antibiotika aus Bakterien. PGP-Inhibitoren sind daher Gegenstand der aktuellen Forschung.

Erhöhte Loperamid-Spiegel durch Interaktionen

Es sind verschiedene Interaktionen zwischen Arzneistoffen und Enzymen denkbar, die zu einer stark erhöhten Plasmakonzentration nach der Einnahme von Loperamid führen. Nach einer Hemmung der für den Abbau verantwortlichen Enzyme CYP 3A4 und CYP 2C8 in der Leber ist mit einer gesteigerten Bioverfügbarkeit zu rechnen. Dieser Effekt ist auch bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion zu berücksichtigen. Eine andere Möglichkeit ist die Erhöhung der Absorption im Magen-Darm-Trakt. Verschiedene Wirkstoffe sind außerdem in der Lage, den PGP-Transporter zu hemmen. Dies hat zur Folge, dass Loperamid verstärkt durch die Blut-Hirn-Schranke diffundieren kann. Einige wichtige Arzneimittel, auf die eines der genannten Kriterien zutrifft, sind in der Tabelle aufgelistet. Neben den aufgelisteten Wirkstoffen zählt auch Chinin, das etwa in Tonic Water enthalten ist, zu den PGP-Inhibitoren.

Tab.: Verschiedene Substanzen interagieren mit Enzymen, die am Transport und Metabolismus von Loperamid beteiligt sind. Dies kann deutlich erhöhte Wirkstoffspiegel zur Folge haben.
Substanz
Handelsname (Beispiel)
Substanzklasse
Interaktion
Verapamil
Isoptin®
Antiarrhythmikum
inhibiert PGP und CYP 3A4
Itraconazol
Sempera®
Antimykotikum
inhibiert PGP und CYP 3A4
Ketoconazol
Nizoral®
Antimykotikum
inhibiert PGP und CYP 3A4
Ritonavir
Norvir®
HIV-Proteaseinhibitor
inhibiert PGP
Chinidin
Cordichin®*
Antiarrhythmikum
inhibiert PGP
Clarithromycin
Klacid®
Antibiotikum
inhibiert CYP 3A4
Gemfibrozil
Gevilon®
Lipidsenker
inhibiert CYP 2C8
Desmopressin
Minirin®
Antidiuretikum
erhöht die gastro­intestinale Absorption

* Kombination mit Verapamil

Missbrauch durch Über­dosierung und Interaktionen

Nach der einmaligen Gabe von 2 mg Loperamid werden maximale Plasmakonzentrationen von 0,24 ± 0,12 ng/mL gemessen. Bei akuten Durchfällen gilt für einen Erwachsenen eine Tageshöchstdosis von 16 mg. In solch therapeutischer Dosierung ist eine klinische Bedeutung der Kombination von Loperamid mit PGP-Inhibitoren bisher nicht bekannt. Wird das Medikament jedoch maßlos überdosiert, sind durchaus zentrale Opioid-Wirkungen zu erwarten. Dies hat sich unter Abhängigen herumgesprochen, die das rezeptfreie Arzneimittel in hohen Dosen einsetzen, um Entzugssymptome zu mildern oder sogar ein „High“ zu erzeugen. Aus den USA sind Fälle von Konsumenten dokumentiert, die über einen längeren Zeitraum täglich mehrere hundert Tabletten zu je 2 mg einnahmen und nach Absetzen Symptome eines Opioid-Entzuges zeigten. Bei einem Patienten wurde nach Aufnahme von 400 mg Loperamid eine Plasmakonzentration von 120 ng/mL gemessen. Die Kombination mit PGP-Hemmern wird in Internetforen der Drogenszene ebenfalls diskutiert. Diese Art des Konsums ist aufgrund von unkalkulierbaren Wechselwirkungen besonders risikobehaftet. Die FDA warnt in diesem Zusammenhang vor schweren kardialen Nebenwirkungen.

Schwere kardiale Neben­wirkungen bei Überdosierung

Fälle von Synkope, QT-Verlängerung, Torsade-de-Pointes-Tachykardie, schweren Arrhythmien und Herzstillstand konnten mit Loperamid-Überdosierungen in Verbindung gebracht werden. Aus den USA wurden bereits mehrere Todesfälle bekannt. Bei unerklärlichen Arrhythmien sollte daher eine Loperamid-Überdosierung in Betracht gezogen werden. Kardiologische Vorerkrankungen sollten bedacht werden und Loperamid bei solchen Patienten nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Da Loperamid nicht von immunologischen Drogentests als Opioid erkannt wird, ist bei Verdacht eines Missbrauchs eine Blutanalytik notwendig. Im Falle einer Überdosierung muss außerdem die lange Halbwertszeit der Substanz beachtet werden, die bei Dosen größer als 16 mg über 40 Stunden betragen kann. |

Quelle

FDA Drug Safety Communication: FDA warns about serious heart problems with high doses of the antidiarrheal medicine loperamide (Imodium), including from abuse and misuse (07. Juni 2016), www.fda.gov, Abruf am 14. Februar 2018

FDA Drug Safety Communication: FDA limits packaging for anti-diarrhea medicine Loperamide (Imodium) to encourage safe use (31. Januar 2018), www.fda.gov, Abruf am 14. Februar 2018

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Dierksen J et al. Poor Man‘s Methadone; A Case Report of Loperamide Toxicity. Am J Forensic Med Pathol 2015;36(4):268-270

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Streel B et al. Validation of a liquid chromatographic-tandem mass spectrometric method for the determination of loperamide in human plasma. J Chromatogr B 2005;814(2):263-273

Vakkalanka JP et al. Epidemiologic Trends in Loperamide Abuse and Misuse. Ann Emerg Med 2017;69(1):73-78

Wightman RS et al. Not your regular high; Cardiac dysrhythmias caused by loperamide. Clin Toxicol (Phila) 2016;54(5):454-458

Ulrich Schreiber, B.Sc. Chemie, M.Sc. Toxikologie

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