Praxis aktuell

ApBetrO trifft Rezeptur

Auslegung in Schleswig-Holstein

Unter den vielen Veranstaltungen zur neuen Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) war diejenige in Lübeck rekordverdächtig: Bereits etwa 1200 Teilnehmer meldeten sich bei der Apothekerkammer Schleswig-Holstein für die Fortbildung "ApBetrO trifft Rezeptur" an – und das in einem Bundesland mit etwas mehr als 700 Apotheken. Zu den geplanten acht Vortragsabenden in vier Städten kommen noch vier Zusatztermine hinzu. Dort vermitteln Prof. Dr. Hartwig Steckel und Dr. Regina Scherließ, Pharmazeutische Technologie der Universität Kiel, praktische Ratschläge für die Rezeptur und zur Umsetzung der neuen Regeln.
Prof. Dr. Hartwig Steckel Foto: DAZ/tmb

Die Veranstaltung wurde in enger Zusammenarbeit mit der Apothekerkammer und der zuständigen Aufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein erarbeitet, erklärte Prof. Steckel beim Vortragsabend am 13. November in Lübeck. Die dargestellten Positionen der Überwachungsbehörde betrafen also den derzeitigen Stand in Schleswig-Holstein, aber Steckel deutete an, dies müsse bei einzelnen kritischen Fragen nicht die letztgültige Position bleiben.

Abweichend von früheren Aussagen aus Schleswig-Holstein erklärte er, die dortige Behörde verlange für den Rezepturarbeitsplatz eine dreiseitige Abtrennung, die bis zur Decke reicht. Augentropfen könnten mit einer Sterilfiltration hergestellt werden. Eine Laminar-flow-Bank sei daher nicht erforderlich, folgerte Steckel.

Hygieneplan

Der Hygieneplan werde zu einem Teil des Qualitätsmanagementhandbuchs und solle sich an den Forderungen des Arzneibuchs für die herzustellenden Arzneimittel orientieren, empfahl Steckel, sodass im hergestellten Produkt typischerweise weniger als 100 koloniebildende Einheiten pro g oder ml enthalten sein dürfen.

Zum Hygieneplan gehören Regelungen über den Herstellungsraum, die eingesetzten Geräte, das Personal, die Ausgangsstoffe und ihre Verpackungen, die Herstellung sowie den Umgang mit Abfällen und Gefahrstoffen. Neben grundsätzlichen Hygieneregeln für den Herstellungsraum und den Ablauf der Herstellung sei festzulegen, was womit und wie oft gereinigt wird.

Zur zusätzlichen inhaltlichen Orientierung empfahl Steckel den Hygieneleitfaden der Gesellschaft für Dermopharmazie (siehe Surftipp).

Surftipp


Einige Hilfsmittel der Gesellschaft für Dermopharmazie (GD) zur Rezeptur erhalten durch die neue ApBetrO zusätzliche Bedeutung, insbesondere der Hygieneleitfaden und die Wirkstoffdossiers zu vielen rezepturüblichen Stoffen. Alle diese Hilfsmittel finden Sie unter: www.gd-online.de

Tipps zur Plausibilitätsprüfung und Konservierung

Steckel verdeutlichte, dass die viel diskutierte Plausibilitätsprüfung auch früher schon durchgeführt wurde, nun aber auch dokumentiert werden muss. Dabei sei insbesondere zu klären, ob die Verordnung leserlich und eindeutig ist, ob bedenkliche Substanzen verordnet werden, ob die Inhaltsstoffe kompatibel sind, ob die Wirkstoffe plausibel dosiert sind und ob die Zubereitung konserviert werden muss.

Eine Rezepturverordnung ist ohne Gebrauchsanweisung unvollständig und darf nicht beliefert werden, betonte Steckel. Auf jeden Fall muss sich der Apotheker vergewissern, dass der Patient die vom Arzt gewünschte Anwendung kennt. Wenn der Patient die Anweisung unabhängig vom Rezept erhalten hat, könne der Apotheker diese Angaben auf dem Rezepturetikett vermerken und auf dem Rezept handschriftlich ergänzen. Eine solche Ergänzung wird gemäß einer Information des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein auch von den Krankenkassen akzeptiert.

Mikrobiell anfällige Rezepturen müssen konserviert werden (oder die Haltbarkeit muss stark begrenzt werden). Sogar in antibiotikahaltigen Zubereitungen kann eine Konservierung nötig sein, weil beispielsweise Erythromycin nicht gegen Hefen oder Pilze wirkt. Steckel empfahl jeder Apotheke, ein kleines Repertoire an Konservierungsmitteln mit unterschiedlichen pH-Optima zu definieren, z. B. Sorbinsäure, Benzylalkohol, Phenoxyethanol und PHB-Ester. Mit Blick auf Allergiker riet er, bei der Plausibilitätsprüfung nach möglichen Allergien zu fragen. Für wirkstoffbezogene Anregungen zur Plausibilitätsprüfung empfahl Steckel die Wirkstoffdossiers der Gesellschaft für Dermopharmazie (siehe Surftipp).

Kosmetische Grundlagen können in Rezepturen nur verarbeitet werden, wenn sie nach GMP-Regeln hergestellt werden, so Steckel. Apotheker müssten dazu beim Hersteller eine aussagekräftige Bescheinigung anfordern, die renommierte Hersteller für diesen Zweck bereithalten. Beim Einsatz von Fertigprodukten müsse stets deren Konservierung hinterfragt werden.

Zur Festlegung der Aufbrauchfrist empfahl Steckel den diesbezüglichen Entscheidungsbaum im NRF. Wenn Fertigprodukte verarbeitet werden, könne die Rezeptur höchstens so lange haltbar sein, wie deren Aufbrauchfrist reicht. Reine Ausgangsstoffe können dagegen auch am letzten Tag ihrer Verwendbarkeitsfrist noch zu einer Rezeptur verarbeitet werden, ohne dass dies die Haltbarkeit der Zubereitung begrenzt.

Dokumentation und Kennzeichnung

Zur Erstellung der Herstellungsvorschrift für Rezepturen verwies Steckel auf Vorlagen für gängige Darreichungsformen, aus denen mit einigen Ergänzungen rezepturspezifische Vorschriften erstellt werden können. Dies wird noch einfacher, wenn dabei auf standardisierte Herstellungsvorschriften verwiesen werden kann.

Zu gängigen Darreichungsformen hat auch Steckel für die Apothekerkammer Schleswig-Holstein Vorlagen für Herstellungsanweisungen erarbeitet. Das Herstellungsprotokoll enthält dabei folgende Angaben: Bezeichnung des Stoffes, Chargenbezeichnung, Faktorisierung, Waagentyp, Soll- und Ist-Einwaage sowie zwei Spalten für Namenszeichen. Denn die zuständige Behörde in Schleswig-Holstein erwartet, dass alle Einwaagen für Rezepturen nach dem Vier-Augen-Prinzip dokumentiert werden, erklärte Steckel, während etliche Teilnehmer der Veranstaltung sich entsetzt darüber zeigten. Steckel ergänzte jedoch, dass die zweite Person nicht zwangsläufig zum pharmazeutischen Personal gehören muss. Außerdem stelle ein automatisches Wägeprotokoll eine Alternative dar.

Als mögliche einfache Inprozesskontrollen für Rezepturen nannte Steckel die Prüfung des pH-Werts mit pH-Papier und Prüfungen auf Klarheit von Lösungen, Färbung oder Homogenität. Zur Dokumentation der Kennzeichnung empfahl er, eine Kopie des Etiketts in das Herstellungsprotokoll zu kleben. Neue verpflichtende Angaben für die Kennzeichnung seien die Gebrauchsanweisung, das Enddatum der Verwendbarkeitsfrist und Warnhinweise zu physikalischen Gefahren. Die Deklaration des Konservierungsmittels sei gute Praxis. Dagegen solle der Hinweis "cortisonhaltig" in Schleswig-Holstein nicht verwendet werden. Denn dieser sei falsch, weil dermatologische Rezepturen kein Cortison (sondern allenfalls ein topisch wirksames Glucocorticoid) enthalten, und außerdem nicht hilfreich für die Compliance. Die zuständige Behörde und Steckel seien daher gegen die Verwendung des Hinweises "cortisonhaltig".

Probleme mit Defekturarzneimitteln

Zur Defektur erklärte Steckel, er habe den ausdrücklichen Auftrag zu vermitteln, dass die Defektur aus Sicht der zuständigen Behörde nicht tot ist. Im Auditorium machte sich jedoch Skepsis breit, ob dies angesichts der Auslegung der ApBetrO durch die Behörde realistisch ist. Denn die Behörde betrachtet alle im Voraus hergestellten Produkte, die in abgabefertige Packungen abgefüllt sind oder die einen Wirkstoff enthalten (also auch Stammverreibungen), als Defekturarzneimittel. Diese müssen nach den neuen Vorschriften dokumentiert und geprüft werden – und dies bedeutet in Schleswig-Holstein eine Gehaltsbestimmung, erklärte Steckel. Er verwies auf einfache quantitative Prüfungen für einfache Produkte wie den Brechungsindex oder die Dichte für 70%igen Isopropanol.

Unproblematisch sei auch das Abfüllen im Rahmen von Standardzulassungen. Denn beispielsweise eine Teedroge wird durch das Abfüllen nicht verändert, weshalb auf die vorherige Prüfung nach dem Wareneingang verwiesen werden kann. Im Zusammenhang mit der Defektur sei es nur sinnvoll, die Ergebnisse der durchgeführten Arbeitsschritte zu prüfen, beim einfachen Abfüllen also die Verpackung und Kennzeichnung.

Das Problem der Gehaltsbestimmung betrifft also Defekturen, in denen Wirkstoffe verarbeitet werden. Hier helfen die Gehaltsbestimmungen des Arzneibuchs meist nicht weiter, weil die Wirkstoffe in einer Zubereitung zu prüfen sind. Laut Steckel arbeitet das NRF derzeit an neuen geeigneten Prüfvorschriften. Außerdem verwies er auf Literatur zu apothekengerechten Prüfvorschriften (z. B. Rohdewald et al.) und die USP, die Prüfmethoden für Zubereitungen enthält.

Steckel deutete jedoch an, dass noch Änderungen vorstellbar sind. Denn das Bundesgesundheitsministerium erkenne mittlerweile, dass die Apotheken bei strenger Auslegung der ApBetrO keine Defektur mehr machen; dies sei aber nicht das Ziel der neuen Regeln.

Viel einfacher ist dagegen der Umgang mit im Voraus hergestellten Zwischenprodukten ohne Wirkstoff, denn diese sind nach der Sichtweise der Behörde in Schleswig-Holstein keine Arzneimittel und daher auch keine Defekturarzneimittel. Dies betrifft beispielsweise Salbengrundlagen, Tween-Lösungen oder verdünnte Alkohole. Solche Produkte müssen daher nach anerkannten pharmazeutischen Regeln hergestellt, aber nicht nach den neuen Vorschriften dokumentiert oder geprüft werden. Steckel empfahl allerdings eine vereinfachte Dokumentation, da diese Zwischenprodukte später in Rezepturen eingehen sollen.

Außerdem erklärte Steckel zur Defektur, alle eingesetzten Ausgangsstoffe müssten gemäß GMP-Regeln hergestellt sein. Dies müssten die Lieferanten auf den Prüfzertifikaten bescheinigen. Auf eine Frage aus dem Auditorium wurde geklärt, dass einzeln abgefüllte Teedrogen keine Defekturarzneimittel sind. Sobald der Beutel jedoch mit dem Etikett einer Standardzulassung versehen wird, gelten die Regeln für Defekturarzneimittel.


tmb



DAZ 2012, Nr. 47, S. 88

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