Aus Kammern und Verbänden

Heilpflanzen des Mittelalters

Von Arnika bis zur Weißen Seerose

Das Wissen und die Anschauungen unserer Vorfahren über Heilpflanzen sind immer wieder ein beliebtes Thema. Am 20. Juli sprach die Pharmaziehistorikerin Prof. Dr. Christa Habrich, Gießen, in Oberrot bei Schwäbisch Hall über „Heilpflanzen des Mittelalters“. Sie führte in eine faszinierende Welt ein, räumte aber zugleich mit falschen romantischen Vorstellungen auf.
Gelbe Seerose oder Teichmummel aus dem Kräuterbuch von Leonhart Fuchs (1543).

Den Rahmen des Vortrags bildete die von der Forschergruppe Klostermedizin in Würzburg konzipierte Wanderausstellung „Die Pflanzen der Klostermedizin“, die bis zum 16. September in Oberrot zu sehen ist. Mit Hinblick auf die künstlerisch reizvollen Pflanzenabbildungen im Kräuterbuch des Benediktinermönchs Vitus Auslasser (1479), deren Reproduktionen in Oberrot ausgestellt sind, konstatierte Habrich ernüchternd: „Die Idylle des Klosterlebens existierte nicht.“ Das Leben war von ständigen Unannehmlichkeiten wie Ungeziefer und von immer wiederkehrenden Katastrophen geprägt. Eine öffentliche medizinische Versorgung gab es nicht. Der Mensch musste versuchen, seine Lebensverhältnisse so zu gestalten, dass er möglichst nicht krank wurde. Dazu gehörte natürlich auch eine möglichst gesunde Ernährung. Die heutige Trennung von Arznei- und Lebensmitteln galt damals nicht.

Sinnvolles neben Unsinnigem

Krankheiten wurden symptomatisch behandelt. Die Entscheidung, welches Kraut und welche Wurzel indiziert waren, beruhte sowohl auf Erfahrung als auch auf unwissenschaftlichen Vorstellungen. Insofern findet man aus heutiger Sicht Sinnvolles neben Unsinnigem. Man kann deshalb auch kein allgemeines Urteil über "die Klostermedizin" fällen, die das volkstümliche Wissen tradierte und mit dem antiken Wissen, soweit es damals bekannt war, verband, sondern muss die Anwendungen von Fall zu Fall prüfen. Die mittelalterliche Praxis kann schon deshalb nicht ungeprüft als Vorbild dienen, weil damals auch Pflanzendrogen verwendet wurden, die toxisch sind und mehr schaden als nützen können.

Wacholder statt Pfeffer

Habrich stellte einige Heilpflanzen, die im Mittelalter hoch im Kurs standen, exemplarisch vor:

Wacholderbeeren waren zu Zeiten, als Pfeffer nur einer sehr kleinen Oberschicht verfügbar war, eins der wichtigsten Gewürze. Aufgrund seiner antiseptischen Wirkung beugt er Infektionskrankheiten des Magen-Darm-Traktes vor, die aufgrund der schlechten Hygiene früher sehr häufig waren. Hatte die Zutat von Wacholderbeeren aber nicht die erwünschte Wirkung gebracht, kurierte man das Bauchgrimmen gern mit einem Kamillentee. Die Kamille war den antiken Ärzten nicht bekannt. Sie wurde dort angewendet, wo sie wächst, also z. B. in den Getreidefeldern Mitteleuropas, aber nicht exportiert.

Zur Behandlung einer Diarrhö verwendete man zum Beispiel Elsbeeren, die Früchte eines einheimischen, aber mittlerweile sehr selten gewordenen Gehölzes. Es enthält Polysaccharide (Schleim, Pektin) wie einige andere Drogen, die heute noch in dieser Indikation üblich sind. Es ist bekannt, dass Martin Luther einmal seinen Arzt bat, er solle ihm Elsbeeren senden, weil seine Frau unter Durchfällen litt.

Arnika war schon im Mittelalter eins der beliebtesten Mittel, um Wunden zu behandeln, wobei es innerlich und äußerlich angewendet wurde. Es kam erst durch den Tübinger Medizinprofessor und Verfasser eines Kräuterbuches Leonhart Fuchs (1501 – 1566) in den Arzneischatz der Schulmedizin. Laut Habrich hat Fuchs eine „wundervolle Bestandsaufnahme des Arzneischatzes“ seiner Zeit geleistet, indem er die Simplicia vorurteilslos und ohne Rücksicht darauf, ob sie schon den antiken Autoritäten Dioskurides und Galen bekannt waren oder „nur“ volksmedizinisch verwendet wurden, prüfte.

Bei Fieber trank schon der mittelalterliche Mensch gern Holunderblütentee. Ein Holunder wuchs damals praktisch neben jedem Haus, weil man glaubte, dass er auf magische Weise Haus und Hof schützen könne. Die Stammpflanze war also überall verfügbar, es kam nur darauf an, zur rechten Zeit die Blüten zu sammeln und sich einen Jahresvorrat anzulegen.


Ausstellung


Die Klostermedizin in Darstellung und Anwendung

Äskulap-Info-Zentrum

Rottalstraße 62, 74420 Oberrot

Tel. (0 71 71) 6 22 07

www.klostermediz.in

Geöffnet: sonntags 13 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung

Signaturenlehre

Das Schöllkraut erweckte wegen seines gelben Saftes naturgemäß die Aufmerksamkeit der Menschen. Sie verglichen den Saft mit dem ebenfalls gelben Gallensaft und deuteten ihn als Zeichen (lat. signum), dass Gott das Kraut erschaffen habe, damit die Menschen mit ihm ihre Gallenleiden kurieren können. Darüber hinaus reizte der gelbe Saft dazu, ihn auf Warzen zu träufeln. Zufällig war diese Anwendung nicht ganz unsinnig, denn Schöllkraut enthält zytostatische Substanzen, die das Wachstum von Warzen hemmen.

Eine weitere Pflanze, die der Signaturenlehre ihre Wertschätzung verdankte, ist die Weiße Seerose. Da die Blüte weiß wie die Unschuld ist, wies sie angeblich darauf hin, dass die Pflanze einen keuschen Lebenswandel fördert. Offizinell waren die Wurzeln sowie die (weißen und auch die gelben) Blüten, aus denen ein Dekokt bzw. ein Sirup bereitet wurde. Habrich berichtete, dass bei kürzlich vorgenommenen Ausgrabungen in Ingolstadt ein Apothekengefäß von 1571 zur Aufbewahrung von Seerosensirup (Sirupus nenupharinus) gefunden wurde und dass dieser Sirup auch in den Arzneitaxen jener Zeit steht – typisch für eine Stadt, die damals voll mit Klerikern war.


cae



DAZ 2012, Nr. 30, S. 76

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