Arzneimittel und Therapie

Neue Wirkstoffe in der Entwicklung

Zur Therapie einer Hepatitis C stand über viele Jahre hinweg nur eine Standardtherapie zur Verfügung, die mit schlechter Verträglichkeit, hohen Abbruchraten und ungenügender Wirksamkeit einhergeht. Nun ist Bewegung in den Markt für neue Hepatitis-C-Medikamente gekommen, von denen voraussichtlich einige bereits im nächsten Jahr zugelassen werden.

Im Jahr 2010 wurden die Leitlinien zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der HCVInfektion aktualisiert. In den letzten Jahren wurden für die Hepatitis C Therapiekonzepte entwickelt, die die Heilungschancen deutlich erhöht haben. Grundlage der Behandlung einer akuten Hepatitis C bildet Interferon α, während für die Therapie der chronischen Hepatitis C pegyliertes Interferon und Ribavirin empfohlen werden. Es wurde angenommen, dass in Deutschland für ca. 50% der HCV-Infizierten eine Therapieindikation zur antiviralen Behandlung gestellt werden könnte. Die Adaptierung der Therapie erfolgt in Abhängigkeit vom Genotyp und dem Ausmaß der Virämie sowie ein optimiertes Nebenwirkungsmanagement. Durch eine individuelle antivirale Therapie mit pegyliertem Interferon in Kombination mit Ribavirin wird in über 60% der Fälle eine dauerhafte Viruseradikation erreicht. Prognostisch bedeutsame Faktoren für ein Ansprechen auf die antivirale Therapie sind:

  • Genotyp (Subtyp 1b weist ein schlechteres Ansprechen auf), Ausmaß der Organveränderung, Krankheitsdauer,
  • Alter und Geschlecht der Patienten sowie
  • die Viruskonzentration.

Mit pegyliertem Interferon und Ribavirin – der jetzigen Standardtherapie – ist Hepatitis C in 40% (bei Vorliegen der Genotypen 1 und 4) bis 80% (bei Vorliegen eines Genotyp 2 und 3) aller Fälle heilbar. Da die Therapie schlecht verträglich ist und die Non-Responder-Raten ansteigen, sind dringend neue Therapien erforderlich. Die Pipeline für neue Hepatitis-C-Medikamente ist gut gefüllt und es werden zahlreiche Studien zur Therapie der Hepatitis C durchgeführt – allein im amerikanischen Studienregister (Register des US National Institutes of Health) sind 1085 Einträge [Stand Dezember 2010] zu finden.

Die neuen Wirkstoffe können in zwei große Gruppen (A und B) unterteilt werden:

  • Gruppe A: Direkt antiviral wirksame Stoffe (DAAs = HCV Direct Acting Antivirals; auch als STAT-C-Agents bezeichnet; STAT-C= specifically targeted antiviral therapy for HCV)
  • Gruppe B: Indirekt wirksame Stoffe (not DDAs)

Die wichtigsten und zahlreichsten Vertreter der Gruppe A sind

  • NS3/4A Protease-Inhibitoren
  • NS5B Polymerase-Inhibitoren (NS5B RNA-abhängige RNA-Polymerase Inhibitoren). Bei diesen werden nukleosidische Polymerase-Inhibitoren mit Bindung im aktiven Zentrum und nicht-nukleosidische Inhibitoren mit Bindung an allosterische Regionen unterschieden.
  • NS5A-Inhibitoren

Vertreter der Gruppe B gehören inhomogenen Wirkstoffgruppen an. Untersucht werden unter anderem Immunmodulatoren, Impfstoffe, Zytostatika (Doxorubicin in einer Phase-III-Studie), langwirksame oder oral einsetzbare Interferone, Cyclophillin-Inhibitoren, anti-inflammatorische Wirkstoffe und micro-RNA.


Direkt antiviral wirksame Arzneistoffe in der Entwicklung (Auswahl)

[Quelle: www.hcvadvocate.org]
Wirkstoffgruppe
Vertreter
Studienphase
Entwicklung/Hersteller
NS3/4A Protease-
Hemmer
Telaprevir
Boceprevir
Danoprevir (R7227)
Vaniprevir (MK7009)
III
III
II
II
Vertex
Merck
Intermune/Roche
Merck
NS5B Polymerase-Inhibitoren
nukleosidische
RG7128
II
Pharmasset/Genentech
nicht-nukleosidische
Filibuvir
ANA598
Tegobuvir (GS9190)
II
II
II
Pfizer
Anadys Pharmaceuticals
Gilead
NS5A-Inhibitoren
BMS-790052
II
Bristol-Myers Squibb

Im Focus: Polymerase- und Protease-Inhibitoren

Vielversprechend erscheinen derzeit Protease- und Polymerase-Inhibitoren, also Vertreter der Gruppe A. Sie werden gegenwärtig in Studien der Phase I und Phase II in Kombinationen und in der Monotherapie untersucht. Für zwei Protease-Inhibitoren – für Telaprevir und Boceprevir – liegen bereits Phase-III-Studien vor und man rechnet mit ihrer baldigen Markteinführung. Beide haben, jeweils in Kombination mit pegyliertem Interferon und Ribavirin, bei rund 70% der Patienten eine dauerhafte Virussuppression (SVR = sustained virological response) erzielt. Sie waren auch bei Vorliegen eines schwer ansprechenden Genotyps (Typ 1) wirksam. Bei beiden Substanzen handelt es sich um NS3/A4-Protease-Inhibitoren, die folgenden Wirkmechanismus aufweisen: Bei einer HCV-Infektion spielen bei der Vermehrung Virus-eigene, spezifische Proteasen eine wichtige Rolle. In der HCV-infizierten Leberzelle werden während des Replikationszyklus neue Viruspartikel gebildet. Hierfür sind mehrere Virus-spezifische Enzyme notwendig, wie etwa die HCV-Protease, die die translatierten HCV-Vorläufer-Poly-Proteine in die endgültigen Einzelproteine zerschneidet. Durch die Hemmung der Protease kann so die HCV-Replikation unterbunden werden.

Telaprevir

Telaprevir ist ein hochspezifischer Inhibitor der NS3/4A-Protease. Für ihn liegen drei Phase-III-Studien mit unterschiedlicher Fragestellung (wie etwa erforderliche Therapiedauer, Ansprechraten bei ehemaligen non-Respondern etc.) vor. Die ADVANCE-Studie mit 1095 therapienaiven Patienten (Genotyp 1), die ILLUMINATE-Studie mit 504 therapienaiven Probanden (ebenfalls Genotyp 1) und die REALIZE-Studie mit 662 Teilnehmern. In allen drei Studien lag die SVR- oder Heilungsrate unter der Dreiertherapie (pegyliertes Interferon, Ribavirin und Telaprevir) bei therapienaiven Patienten zwischen 69% und 75%. Bei Patienten, die auf eine vorherige Standardtherapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin nicht oder nur partiell angesprochen hatten, führte die Dreiertherapie zu SVR- oder Heilungsraten zwischen 31% und 86%. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Müdigkeit, Juckreiz, Übelkeit, Anämie, Hautausschlag und Kopfschmerz.

Boceprevir

Boceprevir ist ein HCV-Protease-Inhibitor mit reversibler Bindung an die NS3/A4 Protease und antiviraler Aktivität im Replikonsystem. Für Boceprevir liegen zwei Phase-III-Studien vor, in denen bei therapienaiven Patienten (SPRINT-2 mit 1097 Probanden) bzw. Patienten mit Therapieversagen (RESPOND-2 mit 403 Teilnehmern) unterschiedliche Therapieregime miteinander verglichen wurden. Alle Probanden erhielten während einer vierwöchigen lead-in-Phase pegyliertes Interferon und Ribavirin, anschließend weiterhin die Standardtherapie oder die Standardtherapie plus Boceprevir (Dreiertherapie) bzw. eine Response-gesteuerte Therapie. Die jeweiligen Therapieregime führten zu folgenden SVR-Raten: Kontrollgruppe: 38%, Dreiertherapie: 66%, Reponse-gesteuert: 63%. In der RESPOND-II-Studie mit vorbehandelten Patienten nach Therapieversagen betrugen die SVR-Raten für die Kontrollgruppe 21%, für Probanden der Dreiertherapie 66% und für Teilnehmer der Response-gesteuerten Therapie 59%. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Müdigkeit, Kopfschmerz, Übelkeit, Anämie, schlechter Geschmack und Fieber. Boceprevir hat jetzt von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und der European Medicines Agency (EMA) Priorität bei der Prüfung der Zulassung zur Behandlung der Hepatitis C erhalten. Einen sogenannten "Priority Review Status" gewähren die Arzneimittelbehörden Medikamenten, die einen erheblichen Fortschritt für die Behandlung einer Krankheit darstellen oder wenn es für die Erkrankung bisher keine adäquate Behandlungsoption gibt. Die entsprechende beschleunigte Zulassungsprüfung durch die FDA dauert in diesem Fall sechs Monate.


Hepatitis C


Hepatitis C breitete sich weltweit insbesondere im späten 20. Jahrhundert aus. Eine parenterale Übertragung erfolgte vor allem über zwei Ausbreitungswege: die in diesem Zeitraum zunehmende Verwendung von – häufig unsterilen – Injektionsutensilien, vorwiegend in nicht-industrialisierten Ländern, und den des i. v. Drogenkonsums in industrialisierten Ländern. Noch heute spielen kontaminierte Injektionen in einzelnen Ländern, in denen eine Mehrfachnutzung von Spritzen vorkommt, für die Weiterverbreitung von Hepatitis C eine große Rolle. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2000 weltweit 2,0 Millionen neue Hepatitis-C-Infektionen durch verunreinigte Kanülen verursacht wurden. Obwohl Deutschland zu den Ländern mit niedriger Prävalenz für Hepatitis C zählt, ist die Zahl der Betroffenen dennoch beträchtlich. Für das Jahr 2009 wurden insgesamt 5412 Fälle von erstdiagnostizierter Hepatitis C übermittelt. Die bundesweite Inzidenz betrug 6,6 Erstdiagnosen pro 100.000 Einwohner. Seit 2005 weist die bundesweite jährliche Inzidenz übermittelter Fälle einen sinkenden Trend auf.

[Quelle: Robert Koch-Institut Epidemiologisches Bulletin Nr. 20, 25. Mai 2010.]

Wie sieht die Therapie der nächsten Jahre aus?

Welche Wirkstoffe werden als nächstes verfügbar sein und welche neuen therapeutischen Strategien werden derzeit verfolgt? Nach Boceprevir und Telaprevir werden voraussichtlich weitere Protease- und Polymerase-Inhibitoren auf den Markt kommen. Um Resistenzen vorzubeugen, werden Kombinationstherapien bevorzugt. Ferner werden sich Auswahl und Dauer der Therapie nach prognostischen Faktoren wie etwa dem Genotyp richten. Dies hat zur Folge, dass Ansprechraten (SVR; dauerhafte Virussuppression) steigen, Abbruch-, Rückfall- und Non-Responder-Raten fallen.


Quelle:

Thompson A., et al.: Directly acting antivirals for the treatment of patients with hepatitis C infection: A clinical development update addressing key futures challenges. Journal of Hepatology 50, 184 – 194 (2009).

McHutchison J., et al.: Telaprevir for previously treated chronic HCV infection. N Engl J Med 362, 1292 – 1303 (2010).

Thomas D.: Curing hepatitis C with pills: a step toward global control. Lancet 376, 1441 – 1442 (2010).

Forestier N., et al.: Aktuelle Entwicklungen bei der HCV-Therapie. Hepatitis & more 1, 16 – 23 (2008).

Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts Nr. 20, 25. Mai 2010.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2011, Nr. 6, S. 44

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