Arzneimittel und Therapie

Erster oraler Proteaseinhibitor bei HCV-Infektion zugelassen

Mit Boceprevir (Victrelis®) kommt der erste orale Proteaseinhibitor für die Behandlung der chronischen Hepatitis C auf den Markt. Er ist zugelassen bei therapienaiven und vorbehandelten Patienten mit einer chronischen Hepatitis C vom Genotyp 1 in Kombination mit der bisherigen Standardtherapie und erhöht die Heilungsraten erheblich. Etwa die Hälfte der Patienten entwickelt eine Anämie, die direkt mit dem Ansprechen auf die Behandlung korreliert.
Boceprevir

Die Behandlung der chronischen Hepatitis C (HC) ist nach wie vor unbefriedigend. Die Heilungschancen richten sich wesentlich nach dem Genotyp des HC-Virus, der die Infektion verursacht. Mit der bisherigen Standardtherapie (pegyliertes Interferon plus Ribavirin) lässt sich am schlechtesten der Genotyp 1 behandeln, der in Deutschland 62% der HCV-Infektionen ausmacht. Nur bei etwa der Hälfte der Patienten kann mit dem bisherigen Regime eine sustained viral response (SVR, anhaltendes virologisches Ansprechen) und damit eine Heilung erreicht werden. Mit der Zulassung des ersten oralen Proteaseinhibitors für die Hepatitis-C-Therapie, Boceprevir (Victrelis®), steigen die Chancen auf Heilung drastisch. Boceprevir wird dabei zusätzlich zur bisherigen Standardtherapie gegeben und kann sowohl bei therapienaiven als auch bei Non-Respondern und Relapsern eingesetzt werden. Voraussetzung ist eine Genotyp-1-Infektion. Entscheidend für die Zulassung waren zwei Phase-III-Studien: Die SPRINT-2-Studie mit therapienaiven Patienten und die RESPOND-2-Studie mit erfolglos vorbehandelten Patienten. In beiden Studien führte die Zugabe von Boceprevir zur Standardtherapie zu einer signifikanten Verbesserung der SVR-Raten im Vergleich zur Standardtherapie.

SPRINT 2 und RESPOND 2: dreiarmiges Studiendesign

In die SPRINT-2-Studie wurden insgesamt 1097 therapienaive Patienten eingeschlossen, in die RESPOND-2-Studie 404 Patienten, die auf eine frühere Therapie nicht angesprochen oder ein Rezidiv erlitten hatten. Das dreiarmige Studiendesign war in beiden Untersuchungen nahezu identisch. Nach einer vierwöchigen "Lead-in-Phase" mit der Standardkombination wurden folgende Therapieregimes verglichen:

  • Boceprevir (3 x 800 mg) über 44 Wochen, gefolgt von einem Follow-up bis zur Woche 72

  • Boceprevir (3 x 800 mg) Response-gesteuert (RGT), das heißt, Patienten, die ein frühes virologisches Ansprechen bereits in Woche 8 zeigten und bis zur Woche 24 HCV-negativ blieben, wurden in der SPRINT-2-Studie insgesamt nur 24 Wochen, in der RESPOND-Studie insgesamt nur 32 Wochen mit Boceprevir behandelt. Patienten, die diese Kriterien nicht erfüllten, setzten die Behandlung mit der Standardtherapie fort.

  • Placebo über 44 Wochen, gefolgt von einem Follow-up bis zur Woche 72.

SPRINT-Studie: SVR-Raten deutlich erhöht

Bei therapienaiven Patienten lag die Rate des anhaltenden virologischen Ansprechens unter Boceprevir über 44 Wochen bei 66%, im Response-gesteuerten Therapiearm bei 63% und damit deutlich höher als unter der Standardtherapie mit 38%. Noch günstiger erwies sich Boceprevir bei nicht-afroamerikanischen Patienten mit entsprechenden SVR-Raten von 68% und 67% (Kontrollarm: 40%). Gleichzeitig waren die Relapseraten unter beiden Boceprevir-Regimes niedriger als unter Placebo (23% vs. 9% vs. 8% in der "Non-Black-Kohorte"). Ein frühes positives Ansprechen auf die Therapie mit nicht-nachweisbarer HCV-RNA zwischen Woche 8 und 24, das etwa die Hälfte der Patienten im RGT-Arm erreichte, erwies sich als prädiktiver Faktor für ein anhaltendes virologisches Ansprechen. Bei ihnen lag die SVR-Rate bei 97%.

Auch Non-Responder und Relapser profitieren

Auch bei Patienten, die bereits erfolglos behandelt worden waren, konnte durch die Dreifachtherapie eine etwa dreifache Steigerung der SVR-Rate erreicht werden, nämlich von 21% unter der Standardtherapie auf 66%. Im RGT-Arm lag die SVR-Rate bei 59%. Dabei profitieren Patienten mehr, wenn sie früher schon einmal auf die Standardtherapie angesprochen hatten (Relapser). Bei ihnen wurde eine SVR-Rate von 75% erreicht, bei den Non-Respondern lag sie bei 52%. Auch in der RESPOND-2-Studie konnte der HCV-RNA-Wert nach vierwöchiger Boceprevirtherapie als prädiktiver Faktor für die SVR-Rate identifiziert werden. Im RGT-Arm konnte nach 36 Wochen eine SVR-Rate von 86% erzielt werden. Auch hier erreichte fast die Hälfte der Patienten ein frühes Ansprechen, das eine um zwölf Wochen verkürzte Therapie möglich machte.

Eine Langzeituntersuchung von Patienten, die an einer Phase-II-Studie teilgenommen hatten, zeigte eine langfristige Wirksamkeit der Dreifachtherapie. Keiner der Patienten, die ein anhaltendes virologisches Ansprechen erreicht hatten, erlitt einen verzögerten Relapse.

Einnahmeempfehlung


Die empfohlene Dosierung von Boceprevir beträgt 800 mg dreimal täglich oral zusammen mit Nahrung (eine Mahlzeit oder ein leichter Imbiss). Die maximale Tagesdosis beträgt 2400 mg. Das bedeutet, dass mindestens dreimal täglich vier Kapseln eingenommen werden müssen!

Die Einnahme ohne Nahrung kann mit einem nachhaltigen Wirkungsverlust aufgrund nicht optimaler Verfügbarkeit verbunden sein.

Tripeltherapie: UAW Anämie und Geschmacksstörungen

Entscheidend aber für den Therapieerfolg im Praxisalltag wird es sein, die Patienten bei der Stange zu halten. Bedeutet doch die Behandlung mit Boceprevir täglich zwölf Tabletten zusätzlich einzunehmen, und zwar zusammen mit einer Mahlzeit. Fatigue, Übelkeit, Anämie, Kopfschmerz und Geschmacksstörungen waren insgesamt die häufigsten Nebenwirkungen. Davon traten die Anämie und die Geschmacksstörungen häufiger unter Boceprevir auf (49% vs. 29%; 43% vs. 18%). Die Abbruchraten aufgrund von Nebenwirkungen waren im Vergleich zur Zweifachtherapie leicht erhöht (11 bis 16% versus 9 bis 19%).

Hämoglobinabfall? Hohe Heilungschance!

Interessant ist der Blick auf die Anämie unter der Dreifachtherapie. Denn sie korreliert direkt mit der SVR-Rate, sprich: Je stärker der Hämoglobinwert abfällt, umso besser stehen die Chancen auf Heilung. So erreichten 72% der therapienaiven Patienten, die eine Anämie entwickelten, ein anhaltendes virologisches Ansprechen, dagegen nur 58% der Patienten ohne Anämie. Schwere Anämien mit einem Hb-Wert unter 8 g/dl sind allerdings sehr selten. Wird eine Therapie notwendig, können Erythrozytenkonzentrate appliziert werden. Möglich ist es auch, die Dosis von Ribavirin zu reduzieren, das maßgeblich an der Anämieentwicklung beteiligt ist.

Cave: Interaktion mit Midazolam

Um Wechselwirkungen zu vermeiden, sollten Begleitmedikamente gewählt werden, die renal ausgeschieden werden. Da Boceprevir ein starker CYP3A4/5-Inhibitor ist, muss bei Arzneimitteln, die hauptsächlich über CYP3A4/5 metabolisiert werden, auf Interaktionen geachtet werden (siehe Fachinformation). Als besonders relevant gilt die Wechselwirkung mit Midazolam, das zur Sedierung etwa bei Gastroskopien und Koloskopien eingesetzt wird. Unter Boceprevir steigen die Plasmaspiegel auf 530%. Die gleichzeitige Anwendung ist deshalb kontraindiziert.

Zulassungsstudien nicht gleich Zulassung

Zugelassen ist Boceprevir für die Behandlung therapienaiver und vorbehandelter Patienten mit einer chronischen Hepatitis C vom Genotyp 1 in Kombination mit der bisherigen Standardtherapie. Die Zulassung basiert auf einer retrospektiven Analyse der gepoolten Studiendaten, die zu einer Änderung der Therapieschemata im Vergleich mit den Zulassungsstudien führte. Ziel war es, bestmögliche dauerhafte Ansprechraten bei den verschiedenen Patientengruppen zu erreichen, so beispielsweise auch für Null-Responder und zirrhotische Patienten. Diese Änderungen führten auch zu einer Harmonisierung der Abbruchregeln, die nun für alle Patienten gleich sind: Wird in Woche 12 ein HCV-RNA-Spiegel von 100 IE/ml oder höher nachgewiesen oder ist HCV-RNA zu Woche 24 nachweisbar, ist die Dreifachtherapie abzubrechen.

Last but not least …

… gehört die Therapie der chronischen Hepatitis C in die Hand des erfahrenen Arztes. Auch die Behandlung mit Boceprevir sollte nur von Ärzten begonnen und überwacht werden, die mit der Behandlung der chronischen Hepatitis C vertraut sind.

Steckbrief: Boceprevir


Handelsname: Victrelis

Hersteller: Merck Sharp & Dohme

Einführungsdatum: noch nicht bekannt

Zusammensetzung: 1 Hartkapsel enthält 200 mg Boceprevir. Sonstige Bestandteile: Kapselinhalt: Natriumlaurylsulfat, mikrokristalline Cellulose, Lactose-Monohydrat, Croscarmellose-Natrium, vorverkleisterte Stärke, Magnesiumstearat; Kapselhülle: Gelatine, Titandioxid (E 171), Eisen(III)-hydroxid-oxid (E 172), Eisen(III)-oxid (E 172); rote Aufdruckfarbe: Schellack, Eisen(III)-oxid (E 172).

Packungsgrößen, Preise und PZN: 336 Kapseln (N2), 3986,79 Euro, PZN 9071970.

Stoffklasse: Virostatikum, Proteasehemmer. ATC-Code: noch nicht zugewiesen

Indikation: Zur Behandlung der chronischen Hepatitis C (CHC)-Infektion vom Genotyp 1 in Kombination mit Peginterferon alfa und Ribavirin bei erwachsenen Patienten mit kompensierter Lebererkrankung, die nicht vorbehandelt sind oder die nicht auf eine vorangegangene Therapie angesprochen oder einen Rückfall erlitten haben

Dosierung: 800 mg dreimal täglich zusammen mit Nahrung

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; Autoimmunhepatitis; gleichzeitige Anwendung von Arzneimitteln, deren Clearance in hohem Maße von CYP3A4/5 abhängt und bei denen erhöhte Plasmakonzentrationen mit schwerwiegenden und/oder lebensbedrohlichen Ereignissen assoziiert sind; Schwangerschaft

Nebenwirkungen: Erschöpfung, Anämie, Übelkeit, Kopfschmerz, Dysgeusie.

Wechselwirkungen: Boceprevir wird teilweise durch CYP3A4/5 verstoffwechselt; Wechselwirkungen mit Arzneimitteln, die CYP3A4/5 induzieren oder hemmen oder über dieses Enzymsystem abgebaut werden, sind möglich. Die gleichzeitige Anwendung von Boceprevir mit Rifampicin oder Antikonvulsiva kann den Plasmaspiegel von Boceprevir senken; diese Kombination wird daher nicht empfohlen. Mit Vorsicht sind Arzneimittel anzuwenden, für die eine Verlängerung des QT-Intervalls bekannt ist. Bei Patientinnen, die Drospirenon-haltige Arzneimittel anwenden und bei denen Störungen vorliegen, die diese für eine Hyperkaliämie prädisponieren, oder bei Patienten, die kaliumsparende Diuretika anwenden, ist Vorsicht geboten.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Unter der Therapie mit Peginterferon alfa und Ribavirin kann es zu einer Anämie kommen, das Hinzufügen von Boceprevir kann zu einem weiteren Abfall der Hämoglobin-Konzentration führen; ein großes Blutbild ist vor der Behandlung, in Behandlungswoche 4, in Behandlungswoche 8 sowie anschließend nach klinischem Bedarf zu erstellen; bei einer Hämoglobin-Konzentration < 10 g/dl (oder < 6,2 mmol/l) kann eine Behandlung der Anämie gerechtfertigt sein. Das Hinzufügen von Boceprevir zu Peginterferon alfa-2b und Ribavirin kann zu einer Neutropenien führen; daher ist die Anzahl der neutrophilen Granulozyten vor Beginn der Behandlung und danach in regelmäßigen Abständen zu bestimmen.



Quelle
Fachinformation Victrelis, Stand Juli 2011.
Prof. Dr. Christoph Sarrazin, Frankfurt; Prof. Dr. Michale P. Kraus, Altötting; Prof. Dr. Claus Niederau, Oberhausen; Dr. Jutta Wendel-Busch, München: "Boceprevir: eine neue Option für HCV-Genotyp-1-Patienten", München, 20. Juli 2011, veranstaltet von der MSD Sharp & Dohme GmbH, Haar.

Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2011, Nr. 30, S. 28

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