Arzneimittel und Therapie

Neue Targets für Impfung und Therapie

Jährlich infizieren sich weltweit etwa 2,7 Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus. In den Industrienationen können die Infizierten dank neuer Therapien ein fast normales Leben führen. Diese Fortschritte haben bei uns dazu geführt, dass viele junge Menschen diese Krankheit für heilbar halten. Das ist jedoch noch lange nicht der Fall, und auch ein Impfstoff liegt in weiter Ferne. In vielen Ländern der Welt haben die Menschen keinen Zugang zu den modernen Arzneimitteln, vor allem in Afrika südlich der Sahara, aber auch in Asien und Osteuropa.

Wer sich heute in Deutschland mit HIV infiziert, kann mit einer annähernd normalen Le-benserwartung rechnen, muss sich aber darauf einstellen, sein gesamtes Leben lang ein- bis zweimal täglich Medikamente einzunehmen. Außerdem treten bei HIV-Positiven zusätzlich andere Erkrankungen auf, weshalb regelmäßige Kontroll- und Früherkennungsuntersuchungen notwendig sind. Dazu gehören Erkrankungen des zentralen Nervensystems, Depressionen und Krebs. Durch die ständige Alarmbereitschaft des körpereigenen Immunsystems werden Alterungsprozesse beschleunigt. Viele HIV-Positive klagen zudem über Müdigkeit.

Viele Angriffspunkte im Vermehrungszyklus

Moderne antiretrovirale Arzneimittel unterdrücken die Virusvermehrung und halten die Infektion in Schach. In Kombinationstherapien (auch antiretrovirale Therapie = ART bzw. hoch aktive ART = HAART) können sie das Leben von Menschen mit HIV deutlich verlängern und die Lebensqualität verbessern. Die gegen HIV gerichteten Wirkstoffe setzen an verschiedenen Punkten an. Reverse-Transkriptase-Inhibitoren wie Zidovudin und Efavirenz sind die am längsten verwendeten antiretroviralen Wirkstoffe. Sie hemmen das Enzym Reverse Transkriptase und verhindern dadurch die Umschreibung der einsträngigen viralen RNA in zweisträngige DNA.

Integrase- und Protease-Inhibitoren

Integrase-Inhibitoren hemmen die Integrase. Diese ist neben der Reversen Transkriptase und der Protease eines der essenziellen Enzyme, die das HI-Virus für seine Replikation und Ausbreitung im menschlichen Körper benötigt. Sie katalysiert den Einbau der viralen Erbinformation in das Genom der menschlichen Zelle, indem sie die beiden Stränge der humanen DNA im Zellkern zerschneidet. Anschließend werden virale und menschliche DNA-Enden kovalent miteinander verknüpft, und das virale Erbgut in Form eines Provirus in das Erbgut der menschlichen Zelle eingebaut. Raltegravir (Isentress®) ist der erste Vertreter dieser Stoffklasse. Wird die Integrase durch Raltegravir gehemmt, können keine neuen infektiösen Viruspartikel mehr gebildet werden, und neue Infektionszyklen werden verhindert. Raltegravir wurde Anfang 2008 eingeführt, zunächst für die Kombinationsbehandlung von HIV-infizierten Patienten, bei denen eine andere antiretrovirale Therapie versagt hat. Mittlerweile kann Raltegravir zur Kombinationsbehandlung sowohl für therapienaive als auch therapieerfahrene Patienten angewendet werden. Protease-Inhibitoren wie Saquinavir, Indinavir und Ritonavir hemmen das Virus-Enzym, das die Virusproteine auf die richtige Länge schneidet und verhindern dadurch, dass neue HIV-Viren zusammengesetzt werden.

Attachment-Inhibitoren

Andere Wirkstoffe, die sogenannten Entry-Inhibitoren verhindern, dass das Virus in die Zelle aufgenommen wird. Sie blockieren unter anderem Rezeptoren oder Korezeptoren an der Zelloberfläche, die HIV benötigt, um den Prozess des Eindringens vorzubereiten. Unter dem Oberbegriff Entry-Inhibitoren werden Attachment-Inhibitoren, Korezeptor-Antagonisten und Fusions-Inhibitoren zusammengefasst.

Das Andocken des HIV-Glykoproteins gp120 an den CD4-Rezeptor ist der erste Schritt beim Eintritt in die Zelle. Dieser Andockvorgang kann durch verschiedene Mechanismen gehemmt werden. Der neue monoklonale Antikörper TNX-355 bindet direkt an den CD4-Rezeptor und verhindert so den Eintritt von HIV. TNX-355 kann nur intravenös verabreicht werden und wird derzeit klinisch geprüft. BMS-488043 ist ein weiterer neuer Attachment-Inhibitor. Er bindet spezifisch und reversibel an gp120 von HIV und verhindert dessen Andocken an die CD4-Zelle.

Korezeptor-Antagonisten

Zusätzlich zum CD4-Rezeptor benötigt das HI-Virus Korezeptoren, um in die Zelle eindringen zu können. Dazu gehören die Chemokinrezeptoren CXCR4 und CCR5. Nach dem Rezeptortropismus werden HIV-Varianten, die CCR5 verwenden, als R5-Viren bezeichnet; Viren, die CXCR4 nutzen, als X4-Viren. R5-Viren infizieren vorwiegend Makrophagen (M-trope Viren), X4-Viren befallen T-Zellen (T-trope Viren).

CCR5- und CXCR4-Antagonisten blockieren analog zu den natürlichen Chemokinen den jeweiligen Korezeptor. Die Entwicklung von CCR5-Antagonisten ist weiter fortgeschritten als die der CXCR4-Antagonisten. So ist bereits Maraviroc (Celsentri®) auf dem Markt, das selektiv den menschlichen Chemokinrezeptor CCR5 blockiert und somit das Andocken von HI-Viren an menschliche Zellen verhindert, insbesondere Makrophagen. Als Folge wird die Zelle nicht infiziert. Die Wirkung von Maraviroc ist auf CCR5 nutzende (R5) HI-Viren beschränkt.

Fusions-Inhibitoren

Fusions-Inhibitoren wie Enfuvirtid (Fuzeon®) verhindern die Verschmelzung von HIV-1 mit der Wirtszelle. Die ersten Schritte dieser Fusion bestehen in der Anlagerung des Oberflächenproteins gp120 an den CD4-Rezeptor und einen Korezeptor. Diese Anlagerung bewirkt Konformationsänderungen des Proteins, wodurch gp41 freigelegt wird und ebenfalls eine Konformationsänderung durchläuft. Dadurch gelangen die Membran der Zielzelle und die des Virus in Kontakt und verschmelzen miteinander, wodurch das Virus in die Zelle eindringen kann. Enfuvirtid verhindert die Konformationsänderung durch Andocken an gp41 und somit die Infektion.

Welt-Aids-Tag 2009

Das Symbol des Welt-Aids-Tags ist die rote Schleife. Sie steht für Respekt und Solidarität und stellt die Betroffenen in den Mittelpunkt. Deshalb lautet das Motto des diesjährigen Welt-Aids-Tags "Ganz Deutschland zeigt Schleife". Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) führt dazu gemeinsam mit der Deutschen Aids-Hilfe, der Deutschen Aids-Stiftung und dem Bundesministerium für Gesundheit viele Aktionen durch. Denn immer noch gilt es auch in Deutschland, Ausgrenzung und Stigmatisierung zu bekämpfen. Menschen mit HIV und Aids nicht allein lassen – dies ist ein wichtiges Anliegen des Welt-Aids-Tags. Daher hilft die Deutsche Aids-Stiftung jährlich mehr als dreitausend infizierten und aidskranken Menschen in Deutschland in akuten Notlagen oder mit Hilfsprojekten.

Kombinationstherapien sind gut wirksam

In der Regel werden antiretrovirale Arzneimittel in Kombinationen eingesetzt, weil das Virus ansonsten durch Mutationen rasch resistent wird. Bei der Gabe von drei Wirkstoffen lässt sich in der Regel die Bildung von Resistenzen lange Zeit verhindern. Im Idealfall wird die Bildung neuer Viren durch die Therapie vollständig unterdrückt, und die Zahl der freien Viren im Blut, die Viruslast, nimmt ab. Im optimalen Fall ist HIV nicht mehr nachweisbar, und die Zahl der Helferzellen nimmt zu, das Immunsystem erholt sich. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Therapie von Anfang an gut geplant und vorschriftsmäßig eingenommen werden. Wird sie abgesetzt, kehrt das Virus in voller Stärke zurück. Eine gute Therapie schützt auch den Partner des Infizierten. Bei sexuellen Kontakten ist eine HIV-Übertragung sogar ohne Kondom unwahrscheinlich, wenn die Viruslast des HIV-positiven Partners seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt, die antiretroviralen Arzneimittel konsequent eingenommen werden und bei den Sexualpartner-(inne)n keine Schleimhautdefekte vorliegen, zum Beispiel als Folge anderer sexuell übertragbarer Infektionen.

Nebenwirkungen sind belastend

Natürlich haben auch die mo dernen Arzneimittel Nebenwirkungen. Kurzzeitnebenwirkungen wie Diarrhö und Kopfschmerzen gehen meist nach einigen Wochen zurück und sind in der Regel gut behandelbar. Bei Langzeitnebenwirkungen wie Neuropathien oder Störungen des Fettstoffwechsels kann ein Wechsel der Kombination helfen. Dennoch sind die unerwünschten Wirkungen in vielen Fällen für die Patienten belastend und werden auch nach außen sichtbar, zum Beispiel die Lipodystrophie, eine Störung der Fettverteilung.

Übertragung von der Mutter auf das Kind verhindern

Kinder von HIV-positiven Frauen können während der Schwangerschaft und beim Stillen, vor allem aber während der Geburt angesteckt werden. Das Übertragungsrisiko hängt dabei wesentlich von vorbeugenden Maßnahmen ab. Unter optimalen Bedingungen kann die Übertragungsrate von etwa 20% (ohne Schutzmaßnahmen) auf unter 2% gesenkt werden: durch die Einnahme von Arzneimitteln gegen HIV, um die Viruslast im Blut der Mutter unter die Nachweisgrenze zu senken, durch eine vorsorgliche mehrwöchige Behandlung des Neugeborenen mit antiretroviralen Medikamenten und durch den Verzicht aufs Stillen. Um das Risiko einer Übertragung bei der Geburt zu minimieren, werden Kinder HIV-infizierter Mütter meist durch Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Liegt die Viruslast der Mutter stabil unter der Nachweisgrenze, kann das Kind auch durch eine natürliche Geburt zur Welt gebracht werden. Schwangeren wird heute im Rahmen der Vorsorge auch der HIV-Test angeboten. Jährlich infizieren sich aber vor allem in den ärmeren Ländern über 400.000 Kinder mit HIV.

Neue Hoffnung auf einen Impfstoff

Einen Impfstoff gegen HIV gibt es immer noch nicht. Der Grund liegt in der Vielfalt und in der Veränderbarkeit des Virus: Verschiedene Subtypen mit verschiedenen Bauplänen, Mischtypen dieser Subtypen und die genetische Wandelbarkeit des Virus machen eine Impfstoffentwicklung schwer. Im Wissenschaftsmagazin Science wurden im Oktober 2009 bislang unbekannte Antikörper gegen das HI-Virus beschrieben, die einen neuen Ansatzpunkt für die Impfstoffherstellung schaffen. US-Forscher haben im Blut eines Langzeit-HIV-Infizierten zwei Breitband-Antikörper gefunden, die vermutlich erklären, warum der Mann auch ohne Therapie nicht an Aids erkrankt. Schon seit Längerem wird vermutet, dass körpereigene Breitband-Antikörper (broadly neutralizing antibodies, bNAb) vor HIV schützen können, denn es gibt Infizierte, bei denen es auch ohne Therapie nicht zu einem Abfall der CD4-Zellen kommt. Sie werden als "Elite controller" bezeichnet und erkranken auch viele Jahren nach einer HIV-Infektion nicht an Aids. Das Immunsystem dieser Menschen bildet offenbar Antikörper, die das Virus in Schach halten, obwohl es sich genetisch ständig verändert. Diese Antikörper binden an Regionen auf der Zelloberfläche des Virus, die keiner Veränderung unterliegen. Mit neuen Verfahren durchsuchten die Forscher unter Federführung des Scripps Forschungsinstituts im kalifornischen La Jolla Blutproben von mehr als 1800 HIV-Trägern aus der ganzen Welt gezielt nach derartigen Antikörpern. Bei einem afrikanischen HIV-Patienten, einem "Elite controller", stießen sie auf zwei Antikörper, die das Virus offenbar weit effektiver blockieren als die bisher bekannten. Die neu entdeckten Antikörper binden an ein Epitop des Oberflächenproteins gp120 und neutralisierten im Laborversuch mehr als 75% aller HI-Viren. Die Forscher hoffen, mit diesem Epitop einen möglichen Ansatzpunkt für die Impfstoffentwicklung gefunden zu haben. Ob ein Impfstoff mit diesem Bestandteil allerdings auch bei anderen Menschen in der Lage ist, die Breitband-Antikörper zu bilden, die sie bei einer Infektion vor einer Erkrankung schützen würde, bleibt abzuwarten. hel

 

Quellen

Pressematerial der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Deutschen Aids-Stiftung und der Deutschen Aids-Hilfe e.V. zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember.

Pozniak A, Arribas JR, Walmsley S, Satellitensymposium: Initiating HIV therapy: open a world of possibilities; Köln, 11. November 2009, 12. Europäischer Aids-Kongress, veranstaltet von MSD Sharp & Dohme GmbH, Haar.

Walker LM, Phogat SK, Chan-Hui PY, et al.: Broad and potent neutralizing antibodies from an african donor reveal a new HIV-1 vaccine target. Science 2009: 326 (5950); 285-289.

 

Infektionsverlauf Nach einer Infektion vermehrt sich das HI-Virus sehr schnell im Körper, die T-Helferzellen nehmen stark ab. Ohne eine konsequente HAART würde sich das HI-Virus nach einer Latenzphase ungehindert ausbreiten und das gesamte Immunsystem zerstören: die Immunschwäche Aids bricht aus. Im Idealfall wird die Bildung neuer Viren durch die Therapie vollständig unterdrückt, und die Zahl der freien Viren im Blut nimmt ab.
Kampf gegen Aids Der Lebenszyklus eines HI-Virus bietet viele therapeutische Angriffspunkte. Das Virion bindet an Rezeptoren auf der Zelloberfläche und induziert die Fusion von Virushülle und Membran der Wirtszelle – hier greifen Fusionsinhibitoren an. Die virale DNA wird durch die Reverse Transkriptase in provirale DNA umgeschrieben – Ziel der nukleosidischen und nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibito­ren. Angriffspunkt der Integraseinhibitoren ist die sich anschließende Integration der viralen DNA in das Wirtsgenom. Protease-Inhibitoren hemmen eine virale Protease und verhindern die Reifung der Viruspartikel. Die vielen Therapiemöglichkeiten haben dazu geführt, dass die Krankheit fälschlicherweise für heilbar gehalten wird. [Grafik: Immunologie. Grundlagen und Wirkstoffe. A. Vollmar, Th. Dingermann, WVG, Stuttgart (2005).]

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