Arzneimittel und Therapie

Neue Therapieoption gegen AIDS

Korezeptor-Blockade mit Maraviroc

Im September 2007 hat mit Maraviroc (Celsentri®) ein weiteres antiretrovirales Medikament die europaweite Zulassung erhalten. Maraviroc ist der erste Vertreter der neuen Substanzklasse der CCR5-Inhibitoren und zugleich die erste oral verabreichbare Substanz, die das HI-Virus bereits vor dem Eindringen in die CD4-Zelle angreift.

Trotz großer Fortschritte in der HIV-Behandlung gefährden zunehmende Resistenzen des Virus sowie Langzeit-Toxizitäten der Wirkstoffe immer wieder den Therapieerfolg, sodass kontinuierlich neue Substanzen benötigt werden. Ein therapeutischer Ansatzpunkt, der bisher kaum genutzt wurde, ist die Phase des Eindringens des HI-Virus in seine Wirtszelle. Diese Phase besteht aus drei Stadien: dem Anheften des Virus mit seinem Hüllprotein gp120 an den CD4-Rezeptor, der Bindung an einen Korezeptor und der Fusion mit der Wirtszelle.

Wirkstoffe, die in diesen drei Stadien angreifen, werden zur Gruppe der Entry-Inhibitoren zusammengefasst. Bereits zugelassen ist der Fusionsinhibitor Enfuvirtid, Maraviroc ist der erste Korezeptor-Antagonist.

Die beiden wichtigsten Korezeptoren an der Oberfläche von CD4-Zellen, an die die HI-Viren über das Hüllprotein gp120 zusätzlich binden, sind der Chemokin-Korezeptor 5 (CCR5) und der Chemokin-Korezeptor 4 (CXCR4).

Nach heutigen Erkenntnissen gibt es eine "Vorliebe" der Viren für bestimmte Korezeptoren. Dieses Phänomen wird als Tropismus bezeichnet.

Man unterscheidet zurzeit CCR5-trope Viren, CXCR4-trope Viren, dual-trope Viren und gemischt-trope Viren.

Bindet das Virus zum Eintritt in die CD4-Zelle ausschließlich an den CCR5-Korezeptor, werden die Viren als CCR5-trop oder auch R5-Viren bezeichnet. CXCR4-trope Viren (X4-Viren) dagegen dringen ausschließlich über den CXCR4-Korezeptor in die Zelle ein. Daneben gibt es dual-trope Virus-Varianten, die entweder über den CCR5- oder über den CXCR4-Korezeptor in die Zelle gelangen. Ein Patient mit einem gemischten Tropismus ist mit einer Kombination aus R5, X4 und dual-tropen Viren infiziert.

Tropismus kann sich verändern

Nach heutigem Erkenntnisstand überwiegen in der ersten Phase nach der HIV-Infektion meist CCR5-trope Viren. Allerdings kann sich der Tropismus der Viren im weiteren Verlauf der Krankheit und unter einer medikamentösen Therapie verändern. Klinische Studien haben gezeigt, dass bei therapienaiven Patienten mehr als 80 Prozent der Viren CCR5-trop waren, der Anteil der rein CXCR4-tropen Viren lag unter einem Prozent. Die übrigen Erreger wurden als dual-trop bzw. gemischt-trop klassifiziert. Bei Patienten, die mit antiretroviralen Medikamenten behandelt wurden, verschob sich das Tropismus-Spektrum. Ein reiner CXCR4-Tropismus trat weiterhin relativ selten auf (3 bis 4 Prozent), der Anteil der dual-/gemischt-tropen Viren stieg jedoch an (auf 34 bis 49 Prozent). Der Anteil der CCR5-tropen Viren war mit 47 bis 62 Prozent weiterhin relativ hoch. Bei therapienaiven Patienten traten in den Studien CXCR4-trope Viren vor allem dann häufiger auf, wenn sich die Zahl der CD4-Zellen schnell verringerte und die Infektion einen rapiden progressiven Verlauf nahm. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob CXCR4-trope Viren pathogener und damit direkt für die Krankheitsprogression verantwortlich sind oder ob sie als Ergebnis der Suppression des Immunsystems auftreten.

CCR5-Mutation schützt wahrscheinlich vor AIDS

Darüber hinaus gibt es Menschen, die eine Mutation im CCR5-kodierenden Gen aufweisen, was dazu führt, dass keine funktionsfähigen CCR5-Korezeptoren auf der Oberfläche der CD4-Zellen ausgebildet werden. Trotz dieser Mutation ist das Immunsystem dieser Menschen nicht beeinträchtigt. Homozygote Träger einer CCR5-Mutation (etwa 1 Prozent der weißen Bevölkerung) haben dagegen den Vorteil, resistent gegen eine HIV-Infektion zu sein. Heterozygote Merkmalsträger (etwa 10 bis 15 Prozent der weißen Bevölkerung) bilden zwar CCR5-Korezeptoren, ihre Anzahl ist allerdings verringert. Daher schreitet bei diesen Menschen nach einer HIV-Infektion die Krankheit langsamer fort.

Obligatorischer Test vor Therapiebeginn

Maraviroc bindet ebenfalls an den CCR5-Rezeptor und verändert dessen Molekülstruktur so, dass das HI-Virus nicht mehr andocken kann. Da der Wirkstoff bisher nur für Patienten zugelassen ist, die mit CCR5-tropen Viren infiziert sind, muss vor Beginn der Behandlung ein Tropismus-Test durchgeführt werden. Bisher gibt es nur einen klinisch validierten Test (TrofileTM -Test der Firma Monogram Biosciences Inc.), der auch in den Maraviroc-Zulassungssstudien eingesetzt worden war, um Patienten mit CCR5-tropen Viren zu identifizieren.

Bei den Studien, die zur Zulassung von Maraviroc geführt hatten, handelt es sich um die beiden Placebo-kontrollierten multizentrischen Doppelblindstudien MOTIVATE 1 und 2 (Maraviroc plus Optimized Background Therapy in Viremic Antiretroviral Treatment-Experienced Patients). MOTIVATE 1 wurde in Nordamerika, MOTIVATE 2 in Europa, Australien und den USA durchgeführt. Die wichtigsten Einschlusskriterien für die insgesamt 1076 Patienten waren neben dem Nachweis von R5-tropen Viren ein virologisches Therapieversagen mit einer Viruslast von mehr als 5000 HIV-RNA-Kopien pro ml nach mindestens sechsmonatiger Behandlung mit einer Drei- oder Vierfachkombination oder eine nachgewiesene Resistenz oder Unverträglichkeit von mindestens einem Medikament aus jeder der antiretroviralen Substanzklassen. Alle Studienteilnehmer erhielten – je nach der individuellen Therapie-Vorgeschichte und den Ergebnissen der Resistenzbestimmung – eine optimierte Basistherapie (OBT) aus drei bis sechs zugelassenen antiretroviralen Medikamenten. Maraviroc wurde in einer Dosierung von zweimal täglich 300 mg oder zweimal täglich 150 mg verabreicht. Primärer Endpunkt war der Unterschied in der Viruslast nach 24 und 48 Wochen. Zu den sekundären Endpunkten zählten der Anteil der Patienten mit einer Viruslast von weniger als 400 Kopien/ml und weniger als 50 Kopien/ml sowie die Veränderung der CD4-Zellzahl im Vergleich zum Ausgangswert.

Maraviroc-Therapie war signifikant überlegen

Die Analyse nach 24 sowie 48 Wochen Behandlungsdauer zeigte eine deutliche Überlegenheit der Maraviroc-Therapie. In der gepoolten Auswertung der beiden MOTIVATE-Studien nahm bei den Patienten, die zusätzlich zur OBT zweimal täglich 300 mg Maraviroc erhalten hatten, die Viruslast nach 24 Wochen um fast das Hundertfache (1,96 log-Stufen) und nach 48 Wochen um 1,84 log-Stufen vom Ausgangswert ab (Placebo plus OBT: 0,99 und 0,78 log-Stufen). Der Unterschied war statistisch hoch signifikant. Nach 24 Wochen Therapie hatten im Maraviroc-Arm (61 Prozent) mehr als doppelt so viele Patienten eine Viruslast von weniger als 400 Kopien/ml erreicht als im Placebo-Arm (28 Prozent). Nach 48 Wochen Behandlung mit dem CCR5-Inhibitor vergrößerte sich die Differenz auf 56,1 Prozent der Patienten mit einer Viruslast von weniger als 400 Kopien/ml gegenüber 22,5 Prozent in der Placebogruppe. Auch der Anteil von Patienten, deren Viruslast auf unter 50 Kopien/ml gesunken war, lag im Maraviroc-Arm nach 24 Wochen mit 45 Prozent etwa doppelt so hoch wie im Placebo-Arm (23 Prozent). Noch deutlicher war der Unterschied nach 48 Wochen: Während bei 45,5 Prozent der Patienten unter dem CCR5-Inhibitor das HI-Virus nicht mehr nachweisbar war, traf dies nur noch bei 16,7 Prozent der mit Placebo behandelten Patienten zu. Die mittlere CD4-Zellzahl war im Maraviroc-Arm nach 24 Wochen um 106, nach 48 Wochen um 124 gegenüber dem Ausgangswert gestiegen (Plazebo: +57 und +60). Der Unterschied zwischen dem Maraviroc- (zweimal 300 mg) und dem Placebo-Arm war für alle diese Parameter statistisch hoch signifikant (p < 0,0001).

Verträglichkeit und Interaktionen

In den beiden MOTIVATE-Studien erhöhte die Zugabe von Maraviroc zur optimierten Basistherapie weder die Häufigkeit noch den Schweregrad der unerwünschten Effekte der Behandlung. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren Übelkeit, Durchfall und Kopfschmerzen. Die Behandlung mit zweimal täglich 300 mg Maraviroc wurde nicht häufiger aufgrund von Nebenwirkungen vorzeitig abgebrochen als unter Placebo (Rate je 3,8 Prozent). Einzige substanzspezifische Nebenwirkung scheint eine orthostatische Hypotonie zu sein, die unter üblichen Dosen aber selten vorkommt.

Einer Analyse der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zufolge wurde bei Maraviroc-Behandelten in den geplanten Zwischenanalysen der klinischen Studien nach 24 Wochen weder eine erhöhte Sterblichkeit noch eine erhöhte Malignomrate beobachtet. Auch gibt es keine Anzeichen für eine erhöhte Infektionsrate und eine Verlängerung der QTc-Zeit.

Maraviroc hemmt keines der metabolisch relevanten Cytochrom-P450-Enzyme, ist selbst aber ein Substrat von CYP3A4. Deshalb muss bei Komedikation mit Substanzen, die ihrerseits CYP3A4 hemmen oder induzieren, die Maraviroc-Dosis entsprechend angepasst werden. Bei Kombination mit Proteasehemmern (außer: Tipranavir/Ritonavir, Fosamprenavir/Ritonavir), Clarithromycin, Itra- oder Ketoconazol wird die Maraviroc-Dosis halbiert. Bei Kombination mit Efavirenz oder Rifampicin wird die Maraviroc-Dosis verdoppelt.

Quelle

Dr. Andreas Penk, Karlsruhe, Dr. Tony Wood, Sandwich, UK, Dr. Michael Warmbold, Karlsruhe, Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Bonn: Einführungspressekonferenz "AIDS-Virus erfolgreich blockieren: eine neue Option in der Behandlung der HIV-Infektion", Berlin, 6. November 2007, veranstaltet von der Pfizer Deutschland GmbH, Karlsruhe.

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn
Maraviroc

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