Arzneibuch

Typen pflanzlicher Extrakte

Der größte Anteil, nämlich ca. 70% der marktgängigen Phytotherapeutika in Europa sind pflanzliche Extrakte. Dieser Situation hatte man schon relativ früh Rechnung getragen, indem man eine Rahmenmonographie "Extrakte" mitsamt der Definition des Begriffs ins Europäische Arzneibuch aufgenommen hatte. Daneben gab es im Europäischen Arzneibuch immer schon eine Rahmenmonographie für Tinkturen, was aber vor allem historische Gründe hatte. Da aus technologischer Sicht die galenische Zubereitung einer Tinktur unter dem Begriff "Extrakt" einzuordnen ist, hat die Europäische Arzneibuch-Kommission nunmehr eine neue, umfassendere Rahmenmonographie "Extrakte" erarbeitet. Sie wird in einem Ergänzungsband der 4. Auflage des Europäischen Arzneibuchs implementiert, der Mitte 2002 zunächst in der englischen und französischen Ausgabe, später auch in der deutschen Übersetzung erscheinen wird.

In der letzten Sitzung der Europäischen Arzneibuch-Kommission des Jahres 2001 ist eine von den Expertengruppen 13A und 13B erarbeitete neue Fassung der Rahmenmonographie "Extracts (Extracta)" verabschiedet worden, die grundlegend und richtungweisend für die kommenden Jahre sein sollte. Die den Expertengruppen angehörenden Fachwissenschaftler aus Industrie und Forschung waren dabei bestrebt, allen Aspekten der pharmazeutischen Praxis, insbesondere in der pharmazeutischen Industrie, Rechnung zu tragen.

Da die amtliche deutsche Übersetzung der Monographie von der Redaktionskonferenz für die deutschsprachige Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs erstellt wird, ist die folgende deutsche Übersetzung des englischen Textes als vorläufig zu betrachten.

"Extrakte" – Was ist neu in der Monographie?

Die Monographie gliedert sich im Wesentlichen in die Kapitel "Definition", "Herstellung" und "Beschriftung". Die neuen Inhalte werden im Folgenden abschnittweise vorgestellt.

Definition

Hier lautet die neue Fassung:

"Extrakte sind Zubereitungen von flüssiger (Fluidextrakte und Tinkturen), halbfester (zähflüssige Extrakte) oder fester Beschaffenheit (Trockenextrakte), die üblicherweise aus getrocknetem, pflanzlichem oder tierischem Material hergestellt werden."

In dieser Definition ist neu, dass Tinkturen, die bisher in einer eigenen Monographie behandelt wurden, unter den Begriff Extrakte fallen. Nachfolgend werden drei verschiedene Extrakttypen mit je einem Satz definiert, wobei man die ursprünglich von verschiedenen Autoren vorgeschlagene Bezeichnung mit den Buchstaben A, B, C oder A, B1, B2 verlassen hat:

"Standardisierte Extrakte werden auf einen vorgegebenen Gehalt von Inhaltsstoffen mit bekannter therapeutischer Aktivität innerhalb eines akzeptierbaren Intervalls eingestellt. Standardisierung wird durch Einstellung der Extrakte mit inertem Material oder durch Verschneiden von Extraktchargen mit unterschiedlichem Gehalt durchgeführt."

Was hier als Standardisierung bezeichnet wird, wäre nach deutschem Verständnis eher als Normierung zu definieren, ein Begriff, der jedoch in der englischsprachigen Nomenklatur nicht vorhanden ist. Kandidaten für diesen Extrakttyp wären Senna-Extrakte oder die meisten alkaloidhaltigen Extrakte.

"Quantifizierte Extrakte werden auf einen definierten Bereich von Inhaltsstoffen eingestellt. Diese Einstellungen werden durch Verschneiden von verschiedenen Extraktchargen erreicht." Bei diesen Extrakten sind die Inhaltsstoffe hinsichtlich ihrer klinischen Wirksamkeit nicht definiert. Als Beispiele für diesen Extrakttyp sind Johanniskraut- oder Ginkgoextrakt zu nennen.

"Andere Extrakte sind im Wesentlichen durch den Herstellungsprozess definiert (Zustand des pflanzlichen oder tierischen Materials, Extraktionsmittel, Extraktionsbedingungen)." Als Extrakte dieses Typs, die in der englischen Version als "other extracts" bezeichnet werden, kommen beispielsweise Baldrianextrakt oder Passionsblumenextrakt infrage. Welchem Typ die einzelnen Extraktmonographien zuzuordnen sind, wird künftig ein nicht immer einfach zu lösendes Problem darstellen (s. Tab. 1).

Herstellung

In diesem Kapitel wird nicht wie bisher auf technologisch definierte Methoden eingegangen, sondern nur allgemein angemerkt:

"Extrakte werden durch geeignete Methoden hergestellt, wobei Ethanol oder andere geeignete Extraktionsmittel Verwendung finden sollten. Unterschiedliche Chargen des pflanzlichen oder tierischen Materials können vor der Extraktion verschnitten werden."

Ferner wird darauf hingewiesen, dass die zu extrahierenden Grundstoffe den entsprechenden Drogenmonographien des Arzneibuchs entsprechen müssen. Nachfolgend wurde ein neuer Aspekt der Extrakttechnologie aufgenommen, der insbesondere für Trockenextrakte relevant ist, bei denen nach der Lösungsmittel-Extraktion eine Rückgewinnung der Extraktionsmittel erfolgen kann. Hier wird angeführt, dass die unter kontrollierten Bedingungen nach Verdampfung zurückgewonnenen Lösungsmittel erneut zum gleichen Zweck Verwendung finden können. Dies kommt der pharmazeutischen Praxis entgegen, weil aus ökonomischen und ökologischen Gründen eine Rückgewinnung von organischen Lösungsmitteln sinnvoll ist.

Daran schließt sich ein neuer Zusatz zur Wasserqualität für Extraktionszwecke an, der ebenfalls auf Anregungen aus der Praxis zurückgeht. Und zwar sollte das Wasser für Extraktionszwecke der neu beschriebenen Arzneibuchqualität "Aqua purificata 2002:0008" entsprechen. Wichtig ist der Zusatz, dass auch Trinkwasser als geeignet angesehen werden kann, wenn es definierten Spezifikationen entspricht. Dies wird die Konsequenz haben, dass eine entsprechende Arzneibuchmonographie: "Trinkwasser für Extraktionszwecke" erstellt werden muss.

Eine weitere Ergänzung betrifft ätherische Öle in Extrakten, die während des Herstellungsprozesses verloren gehen können. Demnach können im Ausgangsmaterial ursprünglich enthaltene ätherische Öle dem Produkt nachträglich zugesetzt werden. Schließlich wird in dem Abschnitt "Herstellung" eine weitere Spezifizierung zu den "Standardisierten Extrakten" und "Quantifizierten Extrakten" aufgelistet, die besagt, dass An- oder Abreicherungsschritte definierter Fraktionen bei der Herstellung von Extrakten möglich sind. Solchermaßen modifizierte Extrakte werden als "refined", d. h. als "Raffinierte Extrakte" bezeichnet. (In Deutschland ist zurzeit der Begriff "Spezialextrakt" üblich.)

Prüfung auf Identität, Prüfung auf Reinheit und Gehaltsbestimmung

Nach dem Kapitel "Herstellung" folgen drei neue Kapitel, die aber nicht weiter ausgeführt werden. "Prüfung auf Identität" enthält nur den Hinweis, dass geeignete Methoden für den Identitätsnachweis herangezogen werden sollen. Bei den Reinheitsprüfungen müssen im Einzelfall Überprüfungen der mikrobiologischen Qualität (5.1.4) sowie der Schwermetalle, Aflatoxine und Pestizid-Rückstände (2.8.13) vorgenommen werden. Im Kapitel "Gehaltsbestimmung" wird nur angeführt, dass, wenn immer möglich, Extrakte durch eine geeignete Methode quantifiziert werden sollten.

Beschriftung

Die Beschriftung soll wie bisher Angaben über das verwendete pflanzliche oder tierische Material enthalten. Hinzugefügt werden soll, ob es sich um einen Fluidextrakt, einen zähflüssigen Extrakt, einen Trockenextrakt oder eine Tinktur handelt.

Für "Standardisierte Extrakte" soll der Gehalt der Inhaltsstoffe mit nachgewiesener therapeutischer Aktivität angegeben werden. Für "Quantifizierte Extrakte" soll der Gehalt an Inhaltsstoffen angegeben werden, die für eine Quantifizierung herangezogen werden (Leitsubstanzen). Für alle Extraktformen sollte das Droge/Extrakt-Verhältnis (DEV) aufgelistet werden. Schließlich sind Extraktionsmittel, Hilfsstoffe, Stabilisatoren und Konservierungsmittel anzuführen.

Extraktformen

Nach diesen allgemeinen Kapiteln der Monographie folgen spezifische Angaben zu den einzelnen Extraktformen:

  • Fluidextrakte. Hier sind bei Definition und Herstellung, verglichen mit der früheren Fassung, keine wesentlichen Änderungen vorgenommen worden. Dies betrifft auch die Kapitel "Reinheitsprüfung" und "Lagerung". Bei der Beschriftung ist zusätzlich zu den Angaben, die aus dem allgemeinen Monographienteil (s. o.) zu übernehmen sind, ein Hinweis über den Ethanolgehalt erforderlich.
  • Tinkturen. In der Definition wird lediglich angegeben, dass es sich in diesem Fall um flüssige Zubereitungen handelt, die in der Regel – aus 1 Teil des pflanzlichen oder tierischen Materials und 10 Teilen des Extraktionsmittels oder – 1 Teil des pflanzlichen oder tierischen Materials und 5 Teilen des Extraktionsmittels hergestellt werden. Beim Kapitel "Herstellung" wird angegeben, dass sowohl Mazeration wie Perkolation erfolgen können. Auch die Möglichkeit des Lösens von Flüssig- oder Trockenextrakten in Alkohol entsprechender Konzentration wird im Rahmen der Herstellungsmöglichkeiten für Tinkturen festgeschrieben. Bei den Prüfungen auf Reinheit, ebenso bei Lagerung und Beschriftung, haben sich, verglichen mit der ursprünglichen Monographie, keine wesentlichen Änderungen ergeben.
  • Zähflüssige (Spissum) Extrakte. Hier wird in der Definition angegeben, dass diese Extraktform halbfeste Zubereitungen umfasst, die in der Regel durch Verdampfung oder teilweise Verdampfung des Extraktionsmittels gewonnen werden. Bei den Prüfungen auf Reinheit ist neben der Trockenrückstandsbestimmung (2.8.16) angegeben, dass, wenn erforderlich, Grenzwertprüfungen für relevante Lösungsmittel vorgesehen sind.
  • Trockenextrakte. Die Definition gibt nur an, dass Trockenextrakte feste Zubereitungen sind, die durch Verdampfung des Extraktionsmittels hergestellt werden und einen Trocknungsverlust von nicht mehr als 5% aufweisen sollten. Bei den Prüfungen auf Reinheit ist der Wassergehalt (2.2.13), der Trocknungsverlust (2.8.17) und eine Grenzwertprüfung auf das Extraktionsmittel durchzuführen.

Typisierung einzelner Extrakte

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die wesentlichen Neuerungen dieser Extrakt-Rahmenmonographie insbesondere bei den Kapiteln "Definition" und "Herstellung" zu finden sind. Die seit langem diskutierten Extrakttypen sind somit erstmals amtlich definiert worden.

Die Expertengruppen der Europäischen Arzneibuch-Kommission werden in den kommenden Monaten und Jahren die nicht immer einfache Aufgabe haben, Zuordnungen von bestehenden oder neuen Extraktmonographien zu einem der drei Extrakttypen durchzuführen. Eine Zuordnung kann jedoch nicht auf Dauer erfolgen. Wenn die wissenschaftliche Entwicklung dies erfordert, können Neuzuordnungen in dem Sinne stattfinden, dass aus einem ursprünglich als "Anderer Extrakt" klassifizierten Extrakt ein "Quantifizierter Extrakt" wird oder aus einem "Quantifizierten Extrakt" ein "Standardisierter (normierter) Extrakt". Dies stellt eine permanente Herausforderung für die Forschung dar, sich verstärkt um den Nachweis pharmakologisch relevanter Wirkstoffe zu bemühen, um künftig nachvollziehbare Kriterien zur optimalen Qualifizierung (Typisierung) von Extrakten sicherzustellen.

Neue Extraktmonographien in Bearbeitung

Aufgrund des aktuellen Bedarfs wurden die Expertengruppen der Europäischen Arzneibuch-Kommission mit der Erarbeitung neuer Extraktmonographien beauftragt. Teilweise wurden diese neuen Vorschläge bereits in Pharmeuropa publiziert und in der Folge verabschiedet.

Einige Monographien für hochaktuelle pflanzliche Extrakte (Ginkgo, Johanniskraut, Teufelskralle, Mariendistel) sind jedoch relativ schwierig zu konzipieren, wenn man den verschiedensten Ansprüchen der europäischen Extrakthersteller und pharmazeutischen Unternehmen gerecht werden will. Immerhin ist nach der Verabschiedung der Extrakt-Rahmenmonographie die laufende Erstellung und Anpassung bestehender Monographien pflanzlicher Extrakte wesentlich erleichtert worden. Tabelle 1 gibt den aktuellen Stand der Bearbeitung von Extrakt- und Tinkturmonographien wieder.

Kastentext: Phytopharmaka in Europa

Pflanzliche Arzneimittel umfassen Pflanzen, Pflanzenteile oder besondere Zubereitungen daraus, die in der Regel mit therapeutischen oder prophylaktischen Indikationen versehen sind. In den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind sie mit sehr unterschiedlichem Stellenwert vertreten. Ihr Spektrum reicht von voll zugelassenen Arzneimitteln, deren Wirksamkeit durch klinische Studien oder bibliographische Daten belegt ist, bis zu Produkte, die nur durch die traditionelle Anwendung legitimiert sind. Den EU-Richtlinien folgend, die in allen Mitgliedstaaten in die nationale Gesetzgebung aufgenommen worden sind, müssen alle pflanzliche Arzneimittel, die den Anspruch auf eine medizinische Indikation erheben, in Zukunft eine amtliche Zulassung besitzen. Bei der Entscheidung der zuständigen Arzneimittelbehörden über die Zulassung spielen die Vorgaben des Arzneibuchs eine große Rolle.

Die Europäische Arzneibuch-Kommission hat eine neue Rahmenmonographie für Extrakte erarbeitet, die Mitte dieses Jahres in das EuAB aufgenommen werden soll. Die Extrakte werden, je nach dem Kenntnisstand über ihre wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe, in drei Kategorien eingeteilt. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Deklaration der Präparate.

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