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Arzneimittelsicherheit: Experten beklagen Defizite

BERLIN (ks). In den vergangenen Monaten zeigte sich wiederholt, dass auch Medikamente, die als gut verträglich galten, unerwünschte Wirkungen haben können. So wurde im September 2004 das Rheumamittel Vioxx vom Markt genommen, im Dezember folgte ein Studienstopp beim Konkurrenzprodukt Celebrex. Den Ursachen dieser Entwicklung haben sich die in der "International Society of Drug Bulletins" (ISDB) zusammengeschlossenen pharma-unabhängigen Arzneimittelzeitschriften angenommen. Am 21. Januar wurde das Ergebnis ihrer Arbeit, die "Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz", vorgestellt. Hierin werden Lücken in der Arzneimittelsicherheit beschrieben und Verbesserungsvorschläge gemacht.

Entstanden ist die 32-seitige Deklaration unter der Federführung der deutschen Zeitschriften arznei-telegramm, Arzneimittelbrief, Arzneiverordnung in der Praxis und Pharma-Brief. Die Erklärung zeigt insbesondere Schwachstellen bei der Zulassung, der Aufsicht, der Veröffentlichung von Studienergebnissen sowie der Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen auf. Breiten Raum nimmt auch die Forderung nach mehr Transparenz in allen Bereichen der Arzneimittelsicherheit ein.

Risiken des globalen Marktes

Als risikoträchtig werten die Pharma-Experten, dass neue Arzneimittel heutzutage in vielen Ländern gleichzeitig zugelassen werden und rasch breiten Absatz finden. Diese Globalisierung des Marktes gehe nicht mit international gebündelten Maßnahmen zur Erkennung und Abwehr von Arzneimittelrisiken einher. "Die europäische Arzneimittelbehörde EMEA hat auf dem Gebiet der Erfassung und Erkennung von Arzneimittelrisiken bislang keine wirkliche Erfahrung und Kompetenz", betonte Bruno Müller-Oerlinghausen ("Arzneiverordnung in der Praxis" – herausgegeben von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft). Die Situation werde zudem durch ein zunehmend aggressives Marketing der Firmen verschärft, die ihre Neuerungen schnell auf dem Markt durchsetzen wollen. Dabei würden Risiken all zu oft verharmlost.

Ärzte und Apotheker zu wenig motiviert

Auch bei der Meldung unerwünschter Wirkungen sehen die Herausgeber der Arzneimittelzeitschriften Defizite. Ärzte und Apotheker seien nicht genügend motiviert, zur Verbesserung der Pharmakovigilanz beizutragen, heißt es in der Deklaration. Sie würden hierzu auch nicht genügend ermuntert. So meldeten Ärzte allenfalls zwei bis fünf Prozent aller auftretenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Auch die meisten Apotheker hätten in ihrer Ausbildung oder in der Berufspraxis nicht gelernt, diese zu melden.

Bemängelt wird zudem, dass viele Klinikapotheker nicht oder zu wenig in Pharmakovigilanz-Aktivitäten eingebunden seien. Dabei könnten sie besonders auf "pharmazeutische" Signale achten, beispielsweise wenn Ärzte auffällig häufig neue Arzneimittel oder solche mit ungünstigem Risikoprofil verwenden. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich häufig niemand zuständig fühlt: "Arzneimittelnebenwirkungen sind heimatlose Waisenkinder", sagte Walter Thimme (Der Arzneimittelbrief). Dabei sei die Last unerwünschter Arzneimittelwirkungen bedrückend: drei bis sieben Prozent aller Einweisungen in eine Klinik werden auf sie zurückgeführt. In der Deklaration wird als Gegenmittel unter anderem vorgeschlagen, Pharmakovigilanz bereits früh in Studien- und Ausbildungsplänen zu berücksichtigen.

Unzureichende Datentransparenz

Weiterhin wird in der Erklärung moniert, dass die öffentlich zugänglichen Daten für Arzneimittel unvollständig seien. So würden positive Studienergebnisse für ein Medikament oft mehrfach veröffentlicht, während negativ ausgefallene Studien eher in den Archivschränken der Firmen verschwänden. Die Arzneimittel-Experten fordern, dass die vollständigen präklinischen und klinischen Daten spätestens bei der ersten Markteinführung öffentlich zugänglich sein müssen. Die von Herstellerverbänden in Aussicht gestellte freiwillige Anmeldung klinischer Studien in ein Register hält Wolfgang Becker-Brüser (arznei-telegramm) für unzureichend.

Es sei nicht akzeptabel, dass die Firmen klinische Studien bis spätestens ein Jahr nach der Zulassung eines Arzneimittels in ein Register aufnehmen lassen wollen. "Gerade im ersten Jahr der Vermarktung und damit in der Phase der intensiven Einführungswerbung müssen die Behauptungen zu Nutzen und Verträglichkeit der Medikamente jederzeit kontrollierbar sein", so Becker-Brüser.

VFA: Viele Forderungen sind schon aufgegriffen

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) reagierte kritisch auf die Deklaration. Nur einige der Vorschläge seien geeignet, die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen. VFA-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer betonte, dass sich die Hersteller bereits seit Jahren in der Zusammenarbeit mit den Behörden bei der raschen Erfassung von Risiken und dem Einleiten von Gegenmaßnahmen engagierten. "Arzneimittelsicherheit ist in Deutschland und weltweit also keineswegs ein Waisenkind. Vielmehr wird hierfür aufwändig und personalintensiv gearbeitet und die Ergebnisse auch mit anderen Ländern ausgetauscht", so Yzer.

Meldungen von Verdachtsfällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen sollte man nach Auffassung des VFA auch nicht national sondern auf europäischer Ebene zusammenführen. "Nur europäische Lösungen verbessern die Arzneimittelsicherheit wirklich." Entsprechende Datenbanken, Melde- und Bewertungseinrichtungen würden gerade geschaffen. Auch die in der Deklaration geforderte öffentlich zugängliche Publikation aller Studiendaten, die zu einem Medikament gewonnen wurden, sei gerade im Aufbau, erklärte Yzer. Ein großer Teil der Studienergebnisse sei bereits heute unmittelbar nach der Zulassung auf der Website der EMEA als so genannte Öffentliche Bewertungsberichte (EPARs) zugänglich.

Die "Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz" finden Sie im Internet unter: www.bukopharma.de/Aktuelles/Berliner_ Deklaration_zur_Pharmakovigilanz_Januar_2005.pdf

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