Arzneimittel und Therapie

Leukozyten-Apherese: Neue Therapieoption bei CED

Ursachen und Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen sind trotz zahlreicher neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nach wie vor ungeklärt. Ein neuartiges Therapieprinzip besteht in der Leukozyten-Apherese. Diese gezielte Entfernung von Zellen der Immunabwehr aus dem Blut könnte eine nichtmedikamentöse Option bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen werden. In Japan konnten umfangreiche klinische Erfahrungen mit dem Zell-Apherese-System Adacolumn® bei Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gesammelt werden, es liegen auch erste Ergebnisse einer europäischen Studie vor.

Die Erforschung der Pathogenese der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) konzentrierte sich in den vergangenen 10 bis 15 Jahren auf die T-Zell-Immunologie. So sehr mittlerweile gesichert ist, dass das Krankheitsgeschehen T-Zell-vermittelt ist, so sehr ist aber gewiss, dass die eigentlichen Effektorzellen im entzündeten Gewebe die Granulozyten und Makrophagen sind. Sie sind es, die über die Produktion von TNF-alpha, Matrixmetalloproteinasen, etc. letztlich den Gewebeschaden herbeiführen.

So zeigt die Histologie bei der Colitis ulcerosa ein dichtes submucöses, epitheliales und fast ausschließlich granulozytäres Infiltrat mit Kryptenabszessen und Epithelschäden. Dieses korreliert sehr gut mit der Aktivität der Erkrankung, sichtbar in der Endoskopie. Einen weiteren Hinweis auf die wichtige Rolle der Leukozyten bei der Entstehung von Gewebeschäden bei CED-Patienten liefert der erfolgreiche Einsatz des monoklonalen Antikörpers Natalizumab.

Durch die Hemmung von Adhäsionsmolekülen wie zum Beispiel VCAM-1 und MAdCAM-1 wird bei diesem Therapieprinzip der Einstrom von Granulozyten und Lymphozyten in den entzündeten Darm deutlich reduziert. Parallel bessert sich das klinische Bild signifikant. Auch die therapeutische Wirksamkeit der Gabe des Leukozytenwachstumsfaktors GMCSF widerspricht nicht der These der zentralen Rolle der Leukozyten in der CED-Pathophysiologie. Im Gegenteil: durch die Gabe des Wachstumsfaktors werden vermehrt unreife Monozyten in die Zirkulation gebracht und damit alte, aktivierte Leukozyten verdrängt.

Leukozyten – die Blutpolizei

Als Leukozyten oder weiße Blutkörperchen bezeichnet man alle kernhaltigen Blutzellen, die kein Hämoglobin enthalten. Bei einer Färbung des Blutausstrichs nehmen sie die Farbe nicht an und erscheinen deshalb unter dem Mikroskop hell bis weiß. Leukozyten sind amöboid beweglich und können aktiv die Blutbahn verlassen. Ihre Hauptaufgabe ist die Erkennung und Zerstörung von Fremdkörpern und Krankheitserregern. Das Blut enthält 4000 bis 11 000 Leukozyten/µl Blut. Bei Infektionen und Entzündungen steigen die Werte auf über 30 000 an. Mithilfe eines Differenzialblutbildes werden Leukozyten in Granulozyten (62%), Lymphozyten (31%) und Monozyten (7%) unterteilt.

Die Granulozyten sind die zahlenmäßig stärkste Art der weißen Blutkörperchen. Sie sind die wichtigsten Funktionsträger im unspezifischen Abwehrsystem des Blutes. Besonders zu Beginn einer Infektion nehmen die neutrophilen Granulozyten im Blut rasch zu.

Monozyten sind die größten Leukozyten, sie bleiben zwei bis drei Tage im Blutkreislauf und wandern danach in das umgebende Gewebe ein. Sie sind vor allem in Lymphknoten, Lunge, Leber, Milz und Knochenmark zu finden. Gemeinsam mit den basophilen Granulozyten vermitteln und fördern sie allergische Reaktionen.

Lymphozyten sind die eigentlichen spezifischen Abwehrzellen des menschlichen Körpers, sie sind die kleinsten weißen Blutkörperchen. Nur 4% der Lymphozyten befinden sich im Blutkreislauf, rund 95% der im Knochenmark und in den lymphatischen Organen gebildeten Lymphozyten sind auch dort gespeichert. Bei Bedarf werden sie in die Blutbahn abgegeben.

Extrakorporale Immunmodulation

Den umgekehrten Weg geht nun die Leukozyten-Apherese. Für die Behandlung wird aus einer peripheren Armvene Blut entnommen und über ein extrakorporales Schlauchsystem kontinuierlich mittels einer Blutpumpe durch eine Adsorptionssäule geleitet. Die in der Säule enthaltenen Zellulose-Acetat-Perlen veranlassen das durchströmende Blut das Komplementsystem zu aktivieren. Nach Markierung der als fremd erkannten Perlen durch Immunglobuline und Komplementfragmente haften sich Granulozyten und Monozyten an diese adhärierten immunologischen Bestandteile. Dort gehen sie nach Aktivierung der Tyrosinkinase letztlich infolge von Apoptose zugrunde. Die Fließgeschwindigkeit der Apherese beträgt 30 ml/min. Bei einer Apheresedauer von 60 Minuten kommt pro Sitzung ein behandeltes Blutvolumen von 1800 ml zusammen.

Da dies im Verhältnis zum gesamten Blutvolumen eine geringe Menge darstellt, lassen sich die nachweislichen therapeutischen Effekte nicht aus einer etwaigen "Blutwäsche" erklären. In tierexperimentellen und klinischen Untersuchungen der letzten Jahre konnte vielmehr gezeigt werden, dass die Apherese direkte immunmodulatorische Effekte vermittelt.

Abwehr von Krankheitserregern

Durch die gesteigerte Apoptoserate der Leukozyten kommt es nämlich zu einer vermehrten Neubildung junger, noch nicht aktivierter Leukozyten im peripheren Blut. Und dies führt wiederum zu einer Verminderung proinflammatorischer Zytokine. So konnte bei CED-Patienten der Nachweis erbracht werden, dass nach Apherese die Expression der Zytokine TNF-alpha, IL-1, IL-6 und IL-8 im Serum vermindert ist. Außerdem wird die Expression von Adhäsionsmolekülen auf den Leukozyten moduliert: L-Selectin wird herunter-, Mac-1 hochreguliert. Die dadurch verminderte Adhäsion von Leukozyten an Endothelzellen führt somit zu einer reduzierten Einwanderung von Entzündungszellen in die betroffene Mucosa.

Andererseits kommt es durch die Leukozyten-Apherese nicht zu einer Veränderung von Immunglobulin-Subklassen oder zu Komplementveränderungen. Dazu sind die Flussrate und das Gesamtvolumen während einer Sitzung zu gering. Auch die Lymphozytenzahlen sind nicht wesentlich verändert. Eine japanische Untersuchung aus dem Jahre 1999 zeigte, dass nach einer Apherese etwa 25% der Granulozyten und 19,5% der Monozyten, aber nur 6,5% der Lymphozyten, 0,5% der Erythrozyten und 5,7% der Thrombozyten aus dem gesamten Blut eliminiert werden.

Die immunmodulatorischen Effekte der Leukozyten-Apherese liefern auch einen Erklärungsansatz für den verzögerten Wirkeintritt der Behandlung. Nach ein bis zwei Apherese-Sitzungen ist nämlich noch keine klinische Besserung der CED-Beschwerden festzustellen. Nach fünf Apheresen jedoch kommen zum Abschlussbesuch in der sechsten Woche einer neuesten europäischen Studie mehr als 40% der Patienten in Remission. Die Remissionsrate steigerte sich im Follow-up ohne weitere Apheresen im vierten Monat sogar auf über 65%.

Der therapeutische Effekt hielt im weiteren Verlauf nicht nur an, sondern verbesserte sich kontinuierlich über die Nachbeobachtungszeit von bis zu zwölf Monaten. Bei Patienten, die sich während der Nachbeobachtungszeit verschlechterten, konnten weitere Einzelanwendungen der Apherese schnell wieder zur Remission oder zumindest zu klinischer Besserung führen.

Martin WIehl, Erfurt

Quelle 
Prof. Dr. Jürgen Schölmerich, Regensburg; Priv.-Doz. Dr. Max Reinshagen, Braunschweig; Prof. Dr. Axel Uwe Dignass, Berlin; Prof. Dr. Wolfgang Kruis, Köln: Symposium „Die zentrale 
Bedeutung der Leukozyten in der Pathogenese und Therapie der CED – Update der klinischen Entwicklung“ im Rahmen der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen, Leipzig, 3. September 2004, veranstaltet von der Otsuka Pharma GmbH, Frankfurt/M.

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