Arzneimittel und Therapie

EU-Zulassung: Natalizumab bei schubförmig-remittierender MS

Der Adhäsionsmolekül-Inhibitor Natalizumab (Tysabri®) hat jetzt von der Europäischen Kommission die Zulassung zur Behandlung der schubförmig-remittierenden multiplen Sklerose (MS) erhalten, wie die Firmen Biogen und Elan mitteilten.

In klinischen Studien verhinderte Natalizumab bei MS-Patienten die Bildung neuer Entzündungsherde im Gehirn und Rückenmark um bis zu 50%. Auch bei Morbus Crohn wurde Natalizumab erprobt. Hier betrug die höchste Remissionsrate 44%, die höchste Ansprechrate lag bei 71%.

Hemmung von Adhäsionsmolekülen Natalizumab hemmt Adhäsionsmoleküle. Dieser Wirkungsmechanismus ist ein neuer Ansatz zur Bekämpfung von Entzündungskrankheiten, bei denen Autoimmunmechanismen eine Rolle spielen.

Adhäsionsmolekül-Inhibitoren verhindern, dass Leukozyten aus dem Blut in das Gewebe einwandern und dort die zelluläre Immunabwehr aktivieren. Dieser Vorgang führt zu lokalen Entzündungen oder Gewebeschäden. Voraussetzung für die Einwanderung, die Migration, ist das Anheften, die Adhäsion, der Leukozyten am Gefäßendothel. Dieses Anheften wird durch Adhäsionsmoleküle vermittelt.

Für Patienten mit hoher Krankheitsaktivität Natalizumab ist für die krankheitsmodifizierende Monotherapie von hochaktiver, schubförmig remittierend verlaufender multipler Sklerose bei folgenden Patientengruppen indiziert: Bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Beta-Interferon oder bei Patienten mit rasch fortschreitender schubförmig remittierend verlaufender MS.

Die Zulassung wurde auf Basis der Zwei-Jahres-Daten aus den klinischen Phase-III-Studien mit Natalizumab sowie den Ergebnissen der Sicherheitsevaluation erteilt. Um Ärzte und Patienten über die Risiken einer Behandlung mit Natalizumab aufzuklären, wurde ein Therapie-Monitoring-Plan entwickelt. Damit soll das Risiko einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) sowie anderer opportunistischer Infektionen minimiert werden.

Tödliche Erkrankung durch JC-Virus Im November 2004 wurde Natalizumab in den USA zur Behandlung der multiplen Sklerose zugelassen. In Deutschland kam es nicht auf den Markt, Patienten hatten jedoch an klinischen Studien teilgenommen. Wenige Monate später stellte der Hersteller die Auslieferung von Tysabri® ein, nachdem zwei Patienten an einer potenziell tödlichen progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) erkrankt waren. Ein dritter Patient, der Natalizumab zur Behandlung eines Morbus Crohn erhalten hatte, starb.

Diese seltene, bisher nicht behandelbare und rasch voranschreitende Entmarkungserkrankung des Gehirns wird durch das JC-Virus verursacht. Die Abkürzung "JC" steht für die Initialen des ersten Patienten, bei dem das Virus beschrieben wurde. Das ubiquitäre humane Polyomavirus kann in der Niere persistieren und Lymphozyten und innere Organe befallen. Bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem verursacht das Virus die progressive multifokale Leukoenzephalopathie. Diese trat bisher nur bei Aids-Patienten oder bei Organtransplantierten auf, da der Erreger normalerweise vom Immunsystem zuverlässig eliminiert wird.

Der Antikörper Natalizumab blockiert die Oberflächen-Rezeptoren auf T-Zellen (Integrine) und verhindert dadurch, dass die T-Zellen in das Gehirn gelangen. Deshalb war unklar, ob die Infektion als Nebenwirkung der Behandlung mit Natalizumab einzuordnen war.

Bisher kein weiterer Fall Der Hersteller untersuchte alle Patienten sorgfältig auf eine Infektion mit dem JC-Virus. Bei mehr als 3000 Patienten gab es keinen weiteren Fall einer Infektion oder PML-Erkrankung, so dass die klinischen Studien fortgeführt wurden. Die Patienten wurden regelmäßig auf eine JC-Virus-Infektion hin kontrolliert. Eine weitere Vorsichtsmaßnahme ist der Verzicht auf eine Kombinationstherapie. Die PML-Fälle sollen bei Patienten aufgetreten sein, die neben Natalizumab auch das Interferon-Präparat Avonex® erhalten hatten.

Insgesamt sind bislang rund 3000 Patienten mit multipler Sklerose, Morbus Crohn und rheumatoider Arthritis in klinischen Studien mit Natalizumab behandelt worden. Bisher waren in den klinischen Studien mit Natalizumab keine Fälle von PML bei MS-Patienten unter Natalizumab-Monotherapie oder bei Patienten mit Morbus Crohn oder rheumatoider Arthritis aufgetreten. hel

Adhäsionsmoleküle

Adhäsionsmoleküle werden in Selektine, Integrine und die Immunglobulin-Superfamilie (ICAM) unterteilt. Selektine vermitteln den ersten Kontakt zwischen dem weißen Blutkörperchen und dem Endothel. Dann rollen die Leukozyten langsam an der Wand der Blutgefäße entlang und heften sich über Integrine auf den Endothelzellen an das Gefäßendothel. Der Durchtritt in das Gewebe wird vor allem über die interzellulären ICAM-Adhäsionsmoleküle ermöglicht.

Natalizumab bindet an die Alpha-Untereinheit von Alpha-4-Integrinen, die sich auf T-Zellen befinden. Die Substanz schiebt sich zwischen die Kontaktstellen, die Rezeptoren von Lymphozyten und den Endothelzellen der Blutgefäße und behindert dadurch die Interaktion der Alpha-4-Integrine mit ihren Liganden VCAM und MadCAM auf Endothelzellen. Als Folge wird das Anheften und das Übertreten von entzündungsbereiten T-Lymphozyten aus der Blutbahn ins Hirngewebe bei der multiplen Sklerose gehemmt.

Efalizumab (Raptiva®) ist ein weiterer Antikörper, dessen Wirkung auf einem vergleichbaren Prinzip basiert. Die Substanz wird bei der Psoriasis eingesetzt und auch bei der Rheumatoiden Arthritis untersucht.

Eine weitere Substanz mit vergleichbarem Ansatzpunkt ist das Präparat Cipizumab oder Medi507 der Firma Medimmun. Es handelt sich hierbei um einen Blocker des transmembranären Glykoproteins CD2, der derzeit in klinischen Studien bezüglich seiner Wirksamkeit in der Behandlung der Psoriasis überprüft wird.

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