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Pharmaziegeschichte: Balsamträger und Versandhandel im 17. Jahrhundert

Unter Olitäten verstand man Balsame, Öle, Teemischungen und einfache Pillen, die von Laboranten hergestellt und durch Balsamträger oder Buckelapotheker in medizinisch unterversorgten Gebieten im 17. und 18. Jahrhundert verkauft wurden. Ihre Geschichte war ein Vortragsthema auf der diesjährigen gemeinsamen Regionalveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie in Rhens am Rhein.

Die Parapharmazie der Buckelapotheker

Dr. Sabine Bernschneider-Reif entführte die Zuhörer in den Thüringer Wald, zu einer Zeit, als dort aus heutiger Sicht die "Parapharmazie" erblühte. Aus schwefel-, blei- und antimonhaltigen Mineralien, die im Bergbau gewonnen wurden, Pflanzen aus den Wäldern und auch einer Reihe importierter Ausgangsstoffe, wie Opium oder Purgantien, wurden durch Pottaschesieder, Laboranten und Destillateure einfachste Arzneimittel hergestellt. Die Rezepturen wurden vor allem unter dem Aspekt der Beschaffungsmöglichkeiten zusammengestellt und nicht gemäß bewährter Vorschriften.

Diese Herstellung genügte daher kaum irgendwelchen Kriterien zu Qualität und Wirksamkeit. Erst unter Friedrich II. mussten Hersteller solcher Olitäten mit einem Examen ihr Können nachweisen. Damit begann der Niedergang dieser Berufsgruppe, da sich die Laboranten kaum auf eine gemeinsame Basis einigen konnten. So waren doch eine Vielzahl der Rezepturen "geheim" und von Generation zu Generation vererbt. Daneben wurden zum Examen auch eine Reihe weiterer amtlicher Verpflichtungen auferlegt, wie Versiegeln der Arzneimittel und das Anmelden der Rezepturen beim Amtsarzt, der sie auch prüfen konnte.

Die meisten Rezepturen entsprachen der Tradition der Humoral- und Qualitäten-Pathologie. Man versuchte die Säfte im Körper in Gleichklang zu bringen und bediente sich Quintessenzia und Composita. Diese heute der Volksheilkunde zuzuordnende empirische Medizin wich dann nach der Blütezeit im 18. Jahrhundert mehr und mehr einem wissenschaftlichen Ansatz.

Das Literaturstudium, das bei Laboranten unüblich war, versetzte Apotheker in die Lage, wirksamere und vor allem standardisierte Rezepturen herzustellen. Die Variation der Inhaltsstoffe, die sich aus regionalen, religiösen oder auch soziopolitischen Umständen bei den Olitäten ergeben konnte, fiel weg. Arzneibücher und Rezeptursammlungen wurden der Mindeststandard in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Einige der Olitätenhersteller erkannten allerdings die Zeichen der Zeit und legten die Basis für die industrielle Herstellung von Arzneimitteln.

Panazeen für das Volk

Neben den Buckelapothekern gab es im 17. Jahrhundert auch den Panazeen-Versand, eine Art Arzneimittelversand. Dr. Norbert Marxer stellte im zweiten Vortrag der Veranstaltung den Arzt Johann Hiskia Cardilucius vor (1630 – 1697). Cardilucius wurde in Thüringen geboren und unternahm als junger Mann verschiedene Bildungsreisen nach Schweden, Finnland und England. In den Niederlanden soll er angeblich Medizin studiert haben.

1664 erreichte Amsterdam die Pestwelle und Cardilucius floh. Zudem versuchte er sich mit sehr schwefelhaltigem Wein und Trochisci aus Kröten, die er als Kette um den Hals trug, vor der Pest zu schützen. Ab 1667 lebte er in Mainz, freundete sich mit Leibniz an und erhielt dort von Johann Christian von Boineburg einen Doktortitel der Medizin verliehen.

Seit 1670 übersetzte Cardilucius medizinische und pharmazeutische Werke in die deutsche Sprache, mit dem Ziel, Laien aufzuklären. Sie sollten durch seine Schriften in die Lage versetzt werden, Quacksalberei von redlicher Wissenschaft unterscheiden zu können. Dies tat er natürlich nicht ohne einen gewissen Eigennutz.

Er selbst stellte, vor allem nach dem Umzug nach Frankfurt und später nach Nürnberg, eine Reihe antimon- und quecksilberhaltiger Arzneimittel her. In einfachen Katalogen für Laien stellte er sie vor, und wer wollte, konnte die Mittel bei ihm bestellen – gegen Vorauskasse. Er belieferte dann per Post oder über reisende Kaufleute. Es sind Handelsbeziehungen nach Erfurt und Wien bekannt. Um auch Lösungen zu verkaufen, bot er diese als Pulver an, das der Patient in Wasser oder Wein auflösen sollte.

Auch Apotheker und Ärzte zählten zu seinen Kunden. Der Ärzteschaft in Nürnberg war er natürlich ein Dorn im Auge. So erhielt er keine offizielle Erlaubnis als Arzt zu praktizieren. Der Rat der Stadt Nürnberg bat Cardilucius um eine Stellungnahme zur Pestprophylaxe, die von den ärztlichen Kollegen größtenteils heftigst kritisiert wurde.

Lediglich der Stadtarzt Fabricius aus Nürnberg empfahl die Medizin von Cardilucius. Die Apotheker sahen übrigens keinen Konkurrenten in ihm, verstand er es doch hervorragend, auch auf Mittel der Apotheken hinzuweisen, die die Wirkung seiner eigenen Präparate noch verbessern würden. Zudem konnten die Apotheken bei ihm direkt bestellen, um die Mittel dann weiter zu vertreiben.

Cardilucius kann man sicherlich als einen der erfolgreichsten Ärzte und Medizinhändler seiner Zeit bezeichnen. Nicht nur, dass er medizinisches Wissen allen Bildungsschichten durch seine Übersetzungen näher brachte, sondern auch seine als Arcana bezeichneten Heilmittel; zum Beispiel waren Febrifugum magnum und Centaurium minerale noch lange über seinen Tod hinaus begehrt.

Kastentext Literaturtipp

Sabine Bernschneider-Reif: Laboranten, Destillatores, Balsamträger: das laienpharmazeutische Olitätenwesen im Thüringer Wald vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. 564 Seiten, 65,40 Euro. Lang Verlag, Frankfurt am Main 2001 (Pharmaziehistorische Forschungen, Bd. 3). ISBN 3-631-37848-3

Norbert Marxer: Praxis statt Theorie! Leben und Werk des Nürnberger Arztes, Alchemikers und Fachschriftstellers Johann Hiskia Cardilucius (1630-1697). 285 Seiten, 45,– Euro. Palatina Verlag, Heidelberg (Studien und Quellen zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Bd. 1). ISBN 3-932608-07-0

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