Physiologie

Reflexe

Jeder kennt es: Man sitzt in gemütlicher Runde beim Essen, irgendjemand erzählt eine heitere Begebenheit, man lacht mit vollem Mund, und plötzlich ist es passiert: Man hat sich verschluckt. Zwischen bellenden Hustenstößen ringt man verzweifelt nach Luft, doch die wenigen kurzen Atemzüge, die man keuchend zustande bringt, verschlimmern das Leiden noch. Schließlich wird die Situation so dramatisch, dass man glaubt zu ersticken. Endlich fasst sich einer der Anwesenden ein Herz und schlägt einem Ų hoffentlich nicht zu zaghaft Ų auf den Rücken. Schlagartig ist es mit dem Husten vorbei. Man schnappt noch einige Sekunden nach Luft, dann ist der Spuk überstanden.

Das, was da abgelaufen ist, war ein Reflex, in diesem Fall der Hustenreflex. Ganz allgemein versteht man unter einem Reflex eine immer gleichartig ablaufende, automatische, nicht willentlich zu beeinflussende Reaktion auf einen auslösenden Reiz. Bedeutsam daran ist nicht nur, dass die Reizbeantwortung unwillkürlich, sondern vor allem, dass sie überaus schnell erfolgt. Dies liegt wiederum daran, dass Reflexe im Allgemeinen ohne Beteiligung des Gehirns ablaufen.

Der Reiz löst in einem speziellen Aufnahmeorgan (Rezeptor) einen Impuls aus, der über eine aufsteigende (afferente) Nervenbahn zum Rückenmark geleitet wird. Dort erfolgt nun aber nicht die Weitermeldung an das Gehirn, sondern über eine Schaltstelle zwischen den Nervenfasern (Synapse) die unmittelbare Überleitung auf eine absteigende (efferente) Nervenbahn. An deren Ende löst der Impuls dann blitzartig eine Reaktion aus, meist die Zusammenziehung eines Muskels und damit eine Bewegung, oft aber auch die Tätigkeit einer Drüse und damit die Ausschüttung eines zur Reizbeantwortung erforderlichen Stoffes. Die Einheit "Rezeptor – aufsteigende Nervenbahn – Schaltstelle – absteigende Nervenbahn – reagierendes Organ" nennt man Reflexbogen.

Reflexablauf ohne Beteiligung des Gehirns

Dass das Gehirn hierzu nicht benötigt wird, beweisen Tiere, die selbst mit abgetrenntem Kopf noch zu sinnvollen Aktionen fähig sind. So ist ein Frosch, dem man den Oberkopf abgeschnitten hat, noch eine ganze Weile in der Lage, mit einer schnellen, zielgerichteten Bewegung säuregetränkte Papierstückchen von der Haut zu wischen. Sind reizaufnehmendes und -beantwortendes Organ identisch, wie das vor allem bei der Muskulatur der Fall ist, so spricht man von einem Eigenreflex.

Ein Fremdreflex liegt dagegen vor, wenn ein Organ gereizt wird und ein anderes darauf reagiert. Ein typischer Eigenreflex ist der so genannte Patellarsehnenreflex, den der Arzt dadurch auslöst, dass er mit einem kleinen Hämmerchen auf die Sehne unterhalb der Kniescheibe (Patellarsehne) klopft. Dies führt zu einer kurzzeitigen Dehnung des Streckmuskels an der Vorderseite des Oberschenkels, die auf dem beschriebenen Weg über das Rückenmark eine ebenso kurzzeitige unwillkürliche Zusammenziehung desselben Muskels auslöst: Das Bein wird im Kniegelenk gestreckt und der Unterschenkel nach vorne geschleudert.

Fremdreflex als Schutzreflex

Als Beispiel für einen Fremdreflex sei der Hornhautreflex (Cornealreflex) genannt: Berührt ein Fremdkörper die Hornhaut (Cornea) des Auges, so wird das betreffende Auge blitzschnell geschlossen. Drüsen als reizbeantwortende Organe sind zum Beispiel tätig, wenn allein schon Anblick oder Geruch appetitlicher Speisen Speichel und Magensaft fließen lassen.

Eigenreflexe spielen vor allem im Zusammenhang mit Körperhaltung und -bewegung eine wichtige Rolle, wohingegen ein Großteil der Fremdreflexe in erster Linie die Aufgabe hat, den Körper vor schädigenden Einflüssen zu schützen, weshalb man auch von Schutzreflexen spricht. So verhindert der eingangs beschriebene Hustenreflex, dass ein mit dem Luftstrom in den Kehlkopf gelangter Fremdkörper die Lunge erreicht und dort entzündliche Veränderungen auslöst, und der Hornhautreflex stellt sicher, dass nach dem ersten eingedrungenen Partikel nicht noch weitere das Auge verletzen.

Reflexe, wie die bisher erwähnten, über die der menschliche Körper von sich aus verfügt, die also wie Atmung, Herzschlag und Verdauungstätigkeit von Geburt an vorhanden sind, bezeichnet man als unbedingte Reflexe, wohingegen bedingte Reflexe einen Lernprozess voraussetzen, durch den der Organismus gleichsam trainiert wird, auf einen Reiz ohne Nachdenken oder Willensanstrengung in sinnvoller Weise zu reagieren. Als Beispiel sei hier der Autofahrer erwähnt, der beim überraschenden Auftauchen eines Hindernisses, ohne auch nur einen Sekundenbruchteil überlegen zu müssen, blitzschnell auf die Bremse tritt.

Welches ist der schnellste Reflex des menschlichen Körpers?

Das ist der Reflex, mit dem wir uns vor dem Verbrennen schützen, indem wir den gefährdeten Körperteil blitzartig zurückreißen. Wer mit seiner Hand beispielsweise eine glühend heiße Herdplatte berührt, hat die Hand schon weggezogen, bevor ihm das überhaupt bewusst wird. Die Schmerzempfindung entsteht erst einige Tausendstelsekunden später.

Kann man die Geschwindigkeit von Reflexen durch Training steigern?

Nein, das ist nicht möglich und auch nicht notwendig. Die lebenswichtigen Reflexe laufen auch so schon mit ungeheurer Geschwindigkeit ab. Um noch einmal auf den Schutzreflex vor Verbrennungen zu kommen: Er funktioniert bei einem Menschen, der längere Zeit nicht mit etwas Heißem in Berührung gekommen ist, vor dem er sich hätte schützen müssen, ebenso schnell wie bei einem anderen, der umständebedingt ständig in Gefahr ist, sich zu verbrennen. Der Körper "vergisst" einen Schutzreflex nicht, er steht immer und überall zur Verfügung und läuft jederzeit, wenn er benötigt wird, mit der gleichen, enormen Schnelligkeit ab.

Kann man einen bedingten Reflex wieder "verlernen"?

Ja, das ist möglich. So wie wir einen Großteil dessen, was wir einmal gelernt haben, leider im Lauf der Zeit wieder vergessen, so funktioniert auch ein bedingter Reflex, dem ja ein längerer Lernprozess vorausgeht, nach und nach immer unvollkommener, wenn wir den Handlungsablauf nicht ständig trainieren. Um bei dem Beispiel des bremsenden Autofahrers zu bleiben: Wenn er jahrelang keine Gelegenheit hat, ein Fahrzeug zu lenken, dann dauert es eine ganze Weile, bis er das, was er einst im Schlaf beherrscht hat, wieder ohne nachdenken zu müssen zustande bringt.

Sind sämtliche Fremdreflexe Schutzreflexe?

Nein. So dient der Schluckreflex, der bei Kontakt des Speisebreis mit weichem Gaumen und Rachen ausgelöst wird, ebenso der Nahrungsaufnahme wie der Saugreflex beim Säugling. Weitere, vor allem im Rahmen ärztlicher Untersuchungen wichtige Fremdreflexe sind der so genannte Cremasterreflex, der bei Personen männlichen Geschlechts, denen man die Oberschenkelinnenseite bestreicht, zu einer Anhebung des Hodensacks führt, und der Bauchdeckenreflex, der bei sanfter Berührung der Bauchdecke die darunter gelegenen Muskeln anspannt.

Welche Schutzreflexe außer dem Hornhautreflex gibt es noch?

Unter anderem den Pupillenreflex: Bei grellem Licht zieht sich die Pupille schlagartig zusammen und schützt so das empfindliche Auge. Der Niesreflex hat den Sinn, Staubteilchen aus der Nase zu befördern, bevor sie in die tieferen Atemwege gelangen, und der Tränensekretionsreflex sorgt dafür, dass Fremdkörper aus dem Auge möglichst schnell wieder herausgespült werden.

Worin liegt eigentlich der biologische Sinn des Petellarsehnenreflexes?

Der Reflex führt dazu, dass sich die Muskeln des Oberschenkels nach dem Aufspringen auf den Boden, wobei sie gedehnt werden, blitzartig zusammenziehen, so dass sie das Körpergewicht besser abfangen können.

Was passiert, wenn man auf einen spitzen Gegenstand tritt?

Der Schmerz, der hierbei entsteht, löst ein höchst kompliziertes Reflexgeschehen aus: Die ins Rückenmark gelangenden Impulse verstärken über Zwischenschaltstellen die Tätigkeit der Beugemuskeln und hemmen gleichzeitig die Zusammenziehung der Streckmuskeln. Die Folge ist, dass das betroffene Bein automatisch angezogen wird, während sich das andere streckt.

Warum muss man, wenn man sich verschluckt, sofort heftig husten, während sich bei anderer Gelegenheit der Hustenreiz längere Zeit ankündigt?

Hieran ist eine charakteristische Eigenart der Fremdreflexe schuld: die Summierung unterschwelliger Reize. Man hustet also nicht nur als Folge eines einzigen, starken Reizes – wie beim Verschlucken –, sondern auch, wenn geringe Reize, etwa das wiederholte Einatmen trockener Luft in einem Konzertsaal, lange anhalten. Man fühlt dann zwar, dass man bald husten muss, kann es aber trotz aller Anstrengung nicht verhindern.

Unsere neue Rubrik "Physiologie" möchte auf leicht lesbare Art an dieses Gebiet,das während des greift physiologische Zusammenhänge auf,stellt sie leicht verständlich dar und erklärt physiologische Phänomene. Unsere erste Folge: Reflexe.

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