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Medizinnobelpreis 2000: Für 40 Jahre neurologische Forschung

Das Hirn des Menschen besteht aus mehr als 100 Milliarden Nervenzellen. Wie diese Megamaschine funktioniert, wie der Mensch denkt und lernt, diese Frage beschäftigt die Menschen seit der Antike. Die nun mit dem Nobelpreis gewürdigte Entdeckung der Vorgänge um die langsame synaptische Transmission ist entscheidend für das Verständnis sowohl der normalen Hirnfunktionen als auch der Störungen bei der Signalübertragung, die zu neurologischen und psychischen Krankheiten führen. Die Forschungsergebnisse aus den 1950er Jahren legten die fundamentale Basis für das Verständnis der Vorgänge im Gehirn.

Dass Wissen und Klugheit nicht mit dem Nürnberger Trichter eingeflößt werden können, war auch dem fränkischen Witzbold Philipp Harsdörffer 1647 schon klar. Von dem außerordentlich komplizierten Netzwerk der Nervenfasern konnte er aber noch nicht wissen.

Botschaften von einer Nervenzelle zur anderen werden mittels verschiedener Neurotransmitter über den synaptischen Spalt übertragen. Erreicht ein elektrisches Signal die Endigung einer präsynaptischen Zelle, verschmelzen Vesikel (Bläschen) mit der Zellmembran und entleeren Transmitter in den synaptischen Spalt. Die Rezeptoren der postsynaptischen Zelle binden die Transmitter sehr spezifisch und leiten das Signal ins Innere weiter. Dieses grobe Bild der Reizweiterleitung bestand, als Arvid Carlson Ende der 50er Jahre mit seiner Forschung begann.

Dopamin - der entscheidende Transmitter

Es gelang Carlson, Dopamin als eigenständige Transmittersubstanz nachzuweisen, nachdem er hohe Dopamin-Konzentrationen in den für die motorische Kontrolle verantwortlichen Basal- oder Stammganglien gefunden hatte. Bis dahin hielt man Dopamin lediglich für einen Vorläufer des Noradrenalins, da dessen Synthese vom Tyrosin über L-Dopa und Dopamin verläuft. Carlson nutzte das Alkaloid Reserpin, um die Transmittervorräte in den Nervenzellen seiner Versuchstiere zu leeren. Darauf verloren sie die Fähigkeit zu gezielten spontanen Bewegungen. Gab er anschließend L-Dopa (Levodopa), das im Gegensatz zu Dopamin die Blut-Hirn-Schranke überwindet und im Gehirn in Dopamin umgewandelt wird, erlangten die Tiere ihr normales Verhalten zurück. Die Reserpin-Symptome ähnelten denen der Parkinson-Erkrankung.

Carlson konnte nachweisen, dass Parkinson-Patienten abnorm niedrige Dopamin-Konzentrationen in den Stammganglien aufweisen. In der Konsequenz wurde L-Dopa als Arzneimittel gegen die Schüttellähmung entwickelt. Es stellt noch heute das wichtigste Medikament zur Behandlung der kausal nicht zu therapierenden Erkrankung dar. Carlsons Erkenntnisse zeigten, dass antipsychotische Drogen, vor allem bei der Behandlung der Schizophrenie, den synaptischen Transfer durch die Blockade der Dopamin-Rezeptoren beeinflussen. Das befruchtete auch die Behandlung von Depressionen und trug wesentlich zur Entwicklung einer neuen Generation von Antidepressiva, der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), bei.

Die langsame synaptische Transmission

Ende der 60er Jahre war die Wirkung der Transmitter noch unverstanden. Paul Greengard gelang es, diese Fragen zu klären. Dopamin, Noradrenalin, Serotonin und bestimmte Neuropeptide übertragen ihre Signale durch so genannte langsame synaptische Transmission. Die resultierende Reaktion der postsynaptischen Nervenzelle kann von wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Stunden dauern.

An der langsamen synaptischen Transmission ist eine Proteinphosphorylierung beteiligt. Angehängte Phosphatgruppen verändern Form und Funktion der Proteine. Greengard konnte nachweisen, dass Dopamin, wenn es ein Rezeptormolekül in der Zellmembran stimuliert, die Produktion von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP), einem sekundären Botenstoff, in der Zelle anregt. Das cAMP aktiviert die Proteinkinase A, die bestimmte Proteine der Nervenzelle phosphoryliert und aktiviert, z.B. auch Ionenkanäle der Zellmembran. Diese Ionenkanäle regulieren die Erregbarkeit der Zelle und ermöglichen es der Nervenzelle, dass sie elektrische Signale weiterleitet.

Greengard erkannte, dass die Transmitterwirkung über eine Kaskade von Phosphorylierungs- und Dephosphorylierungsreaktionen gesteuert wird. Zahlreiche Transmitter wirken auf das regulatorische Protein DARPP-32, das wiederum die Funktionen vieler weiterer Proteine verändert. Man hat seine Rolle in der Zelle mit der eines Platzanweisers im Kino verglichen. Mit diesen fundamentalen Erkenntnissen hat Greengard unser Verständnis der Wirkungsweise vieler Wirkstoffe, die spezifisch die Proteinphosphorylierung beeinflussen, befördert.

Mit Meeresschnecken Lernen lernen

Eric Kandel erforschte die molekularen Grundlagen des Gedächtnisses und des Lernens. Bei der Untersuchung von Säugetieren stellte er sehr schnell fest, dass diese Entwicklungsstufe zu kompliziert für grundlegende Studien ist. Deshalb wählte er eine Meeresschnecke, den Seehasen (Aplysia), der bei Gefahr einen milchigen oder violetten Saft aus seiner Mantelhöhle ausstößt. Der Seehase hat nur etwa 20000, zum Teil sehr große, Nervenzellen. Kandel nutzte einen Reflex der Schnecke, mit dem sie ihre Kiemen schützt.

Ein verhältnismäßig schwacher Reiz des Schutzreflexes führte bei der Schnecke zu einer Art Kurzzeitgedächtnis, das von Minuten bis zu einigen Stunden anhielt. Als zugrunde liegenden Mechanismus erkannte Kandel bestimmte Ionenkanäle an den Synapsen, die von Calciumionen gesteuert werden. Ansteigende Mengen an Transmittern verstärken den Reflex. Dabei werden die Ionenkanal-Proteine phosphoryliert, so wie Greengard es beschrieben hatte.

Ein stärkerer und länger andauernder Reiz bewirkte bei der Schnecke eine Art Langzeitgedächtnis, das über mehrere Wochen stabil bleiben kann. Der starke Stimulus provoziert die Produktion größerer Mengen an cAMP und in der Folge an Proteinkinase A. Diese Signale erreichen den Zellkern und regulieren die Produktion bestimmter Proteine, die zur Synapse wandern. Dadurch schwillt die Synapse an und stabilisiert ihre Funktion.

Kandels Studien belegen, dass beide Gedächtnistypen des Seehasen auf bestimmten Prozessen an den Synapsen beruhen. In den letzten Jahren konnte der immer noch aktive Forscher diese Ergebnisse an Mäusen bestätigen. Auch die Funktion des menschlichen Gedächtnisses stimmt hier mit dem des Seehasen prinzipiell überein. Dank dieser spektakulären Ergebnisse ist es möglich, die Pharmakotherapie verschiedener Demenz-Typen durch Forschungen an Tiermodellen zu verbessern.

Die Nobelpreisträger

Arvid Carlson wurde am 25. Januar 1923 in Uppsala geboren. Er studierte Medizin in Lund. 1959 berief ihn die Universität Göteborg als Professor für Pharmakologie. Dort arbeitete er bis zu seiner Pensionierung 1989.

Paul Greengard kam am 11. Dezember 1925 in New York zur Welt. Nach seinem Medizinstudium an der Johns Hopkins University sammelte er sechs Jahre lang an Instituten in England und den USA Erfahrungen. Von 1959 bis 1967 war er Leiter der Biochemie in den Geigy-Forschungslaboratorien im US-Bundesstaat New York. 1970 Professor für Pharmakologie. Seit 1983 leitet er das Labor für molekulare und zelluläre Neurowissenschaften an der Rockefeller-Universität in New York.

Eric Kandel erblickte am 7. November 1929 in Wien das Licht der Welt. Seine gesamte wissenschaftliche Laufbahn spielte sich allerdings in den USA ab. Er arbeitete als Psychiater an der Harvard Medical School, bis er 1965 Professor am Institut für Physiologie und Psychiatrie an der Universität von New York wurde. Seit 1974 arbeitet er an der Columbia-Universität.

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