Arzneimittel und Therapie

Diabetestherapie: Mit Pioglitazon gegen die Insulinresistenz

Die Insulinresistenz ist ein entscheidender pathogener Faktor bei der Entwicklung des Typ-II-Diabetes. Pioglitazon (Actos®), das nach Rosiglitazon (Avandia®) nun als zweiter Vertreter der so genannten Insulinsensitizer auf dem Markt ist, greift an diesem Punkt der Pathogenese ein. Es senkt den Blutzuckerspiegel, indem es die Insulinempfindlichkeit der glucoseverwertenden Gewebe erhöht. Pioglitazon ist in Deutschland zunächst in Kombination mit Sulfonylharnstoffen oder Metformin zur Therapie des Typ-II-Diabetes zugelassen.

Typ-II-Diabetes ist in den Industrienationen die häufigste und zugleich bedeutsamste Stoffwechselerkrankung überhaupt. Schätzungen zufolge leiden weltweit rund 150 Millionen Menschen an Typ-II-Diabetes - Tendenz steigend. Für das Jahr 2025 erwartet die Weltgesundheitsorganisation eine Verdopplung der Anzahl der Typ-II-Diabetiker. Die Ursachen für die Erkrankung sind noch nicht in allen Einzelheiten bekannt. Man geht jedoch davon aus, dass eine genetische Komponente zusammen mit verschiedenen erworbenen Faktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, höheres Lebensalter und Fettstoffwechselstörungen für den Ausbruch des Typ-II-Diabetes verantwortlich zeichnen.

Eines der Hauptprobleme: die Insulinresistenz

Eines der Hauptprobleme des Typ-II-Diabetes ist die Insulinresistenz, das heißt die nachlassende Empfindlichkeit von Körpergeweben gegenüber der blutzuckersenkenden Wirkung von Insulin. Verschiedene Studien haben ergeben, dass bei mehr als 90% der Patienten mit Typ-II-Diabetes eine derartige Insulinresistenz nachweisbar ist. Sie entsteht, wenn auf zellulärer Ebene die Insulinsignale gestört sind. Die molekularen Ursachen der Insulinresistenz sind unbekannt. Der Fehler scheint jedoch nicht am Insulinrezeptor zu liegen, sondern in der nachgeschalteten Transduktionskette.

Typ-II-Diabetikern mangelt es im Frühstadium der Erkrankung nicht an Insulin. Im Gegenteil: Die Betazellen der Langerhansschen Inseln produzieren überdurchschnittlich viel Insulin, um der Insulinresistenz von Muskelzellen, Fettgewebe und Leber entgegenzuwirken. Über eine gewisse Zeit lassen sich dadurch die Blutzuckerspiegel stabilisieren. Kann die Bauchspeicheldrüse die Insulinsekretion jedoch nicht weiter steigern, klettern die Blutzuckerwerte in die Höhe, und der Diabetes wird manifest.

Insulinsensitizer für mehr Sensibilität an der Zelle

Der neue Insulinsensitizer Pioglitazon (Actos®) greift in das Krankheitsgeschehen ein, indem er die Sensibilität der Zellen für Insulin erhöht. Er sorgt somit dafür, dass Insulin besser wirken kann und die körpereigenen Reserven länger ausreichen, um den Bedarf zu decken.

Chemisch gesehen gehört Pioglitazon zu den Thiazolidindionen, die auch als Glitazone bezeichnet werden. Ihr Wirkungsmechanismus ist komplex: Glitazone binden an Kernrezeptoren, den so genannten PPAR-Rezeptoren (Peroxisomal Proliferator Activated Receptor) vom Gamma-Subtyp, und wirken dort agonistisch. Der PPARγ-Rezeptor, der wie die nukleären Rezeptoren für Steroide zur Gruppe der Liganden-aktivierten Transkriptionsfaktoren gehört, wird hauptsächlich im Fettgewebe exprimiert, aber auch im Skelettmuskel und in der Leber. Er steuert dort die Expression von Proteinen, die ihrerseits die Übertragung des Insulinsignals regulieren.

In klinischen Studien wirksam...

Pioglitazon wirkt damit quasi direkt auf den Insulinmetabolismus und hat über diesen Einfluss auf den Kohlenhydrat- und auch auf den Lipidstoffwechsel. Seine Wirksamkeit und Verträglichkeit stellte Pioglitazon unter anderem in einer randomisierten, doppelblinden und plazebokontrollierten Studie bei Typ-II-Diabetikern unter Beweis. Die Studie hatte als primäres Zielkriterium die Veränderung des HbA1c-Wertes. Als sekundäre Zielparameter galten die nüchtern- und postprandialen Glucosespiegel, die C-Peptid-Werte sowie die Verträglichkeit. An der Studie nahmen 252 Typ-II-Diabetiker teil. Sie erhielten zunächst über einen Zeitraum von zehn Wochen eine intensive diätetische Schulung und wurden mit einem Plazebo "vorbehandelt" (wash-out-Phase). Anschließend wurden sie randomisiert in drei Gruppen aufgeteilt, wobei 89 Patienten einmal täglich 15 mg Pioglitazon erhielten, 78 Patienten 30 mg Pioglitazon und 84 Patienten Plazebo. Die Behandlung wurde über 26 Wochen durchgeführt.

Alle Patienten waren zur Zeit der Aufnahme in die Studie trotz Diät und/oder oraler antidiabetischer Medikation schlecht eingestellt (HbA1c 7,5% und Nüchternglucose 140 mg/dl). Nach 26 Wochen zeigte sich erwartungsgemäß auch in der strengen Diätgruppe ein Abfall des mittleren HbA1c um 0,48%. Deutlicher waren die Effekte in den Verumgruppen, wo die HbA1c-Werte um 0,92% (15 mg Pioglitazon) und 1,05% (30 mg Pioglitazon) sanken. Ein erster Effekt auf den Blutzucker war bereits nach ein bis zwei Wochen zu sehen, wobei die maximale Blutzuckersenkung erst nach etwa acht Wochen eintrat. Nach 18 Wochen waren die HbA1c-Werte maximal reduziert. Wie eine Paralleluntersuchung in Subgruppen zeigte, konnte auch der postprandiale Blutzucker, gemessen im oralen Glucose-Toleranztest (OGTT) im Ein-, Zwei- und Drei-Stunden-Abstand, im Vergleich zum Plazebo signifikant gesenkt werden.

In Studien, bei denen Pioglitazon in Kombination mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen eingesetzt wurde, wurde im Schnitt eine zusätzliche Absenkung des HbA1c-Wertes um 1,5% erzielt (verglichen mit der jeweiligen Monotherapie). Beobachtet werden konnte in den Studien zudem ein günstiger Effekt von Pioglitazon auf die Blutfettwerte. Die Spiegel an freien Fettsäuren und an Triglyceriden im Blut sanken unter Gabe von Pioglitazon. Dafür stiegen die Spiegel an HDL-Cholesterin an. Die LDL-Cholesterinwerte wurden unter der Therapie nicht beeinflusst.

...und verträglich

Pioglitazon wurde im Rahmen des klinischen Entwicklungsprogramms in Europa, Japan und den USA bei insgesamt 4520 Patienten über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren eingesetzt. Dabei erwies sich die Substanz als gut verträglich. Pioglitazon wird ausschließlich hepatisch metabolisiert. Bislang wurde dabei weder eine Induktion noch eine Hemmung von Cytochrom-P450-Subsystemen beobachtet. Man geht daher davon aus, dass Pioglitazon ein sehr geringes Interaktionspotenzial besitzt. Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sind nicht bekannt. Auch hepatotoxische Effekte traten bislang nicht auf.

Als Monotherapie und beim Gesunden führte Pioglitazon in den verschiedenen Studien nicht zu Hypoglykämien. In der Kombination mit Sulfonylharnstoffen wurden gelegentlich leichte Hypoglykämien beobachtet. Diese ließen sich jedoch durch Reduktion der Dosis in den Griff bekommen. Einige Patienten entwickelten unter der Therapie Knöchelödeme, die jedoch nicht mit einer erhöhten Zahl an kardiovaskulären Ereignissen einhergingen. Zu einem frühzeitigen Abbruch der Pioglitazon-Behandlung führte die Ödembildung lediglich bei 0,04% der Patienten.

Leichte Gewichtszunahme und eine veränderte Fett-Topographie

Unter der Therapie mit Pioglitazon ist eine leichte Gewichtszunahme in Abhängigkeit vom Essverhalten der Patienten möglich. Bei Patienten, die mit Pioglitazon in Kombination mit Sulfonylharnstoffen behandelt wurden, trat der Effekt dabei stärker auf (1,9 bis 2,9 kg) als bei Patienten, die Pioglitazon in Kombination mit Metformin erhielten (ca. 1 kg). Insgesamt lag das Ausmaß der Gewichtszunahme in einer vergleichbaren Größenordnung wie unter Therapie mit Sulfonylharnstoffen bzw. Insulin. Die Gewichtszunahme korrelierte mit der HbA1c-Reduktion und kann als Ausdruck der verbesserten Stoffwechsellage bzw. Insulinwirkung an den Geweben interpretiert werden.

Die Zunahme ging zudem mit einer veränderten "Fett-Topographie" einher. Bei Typ-II-Diabetikern ist der Anteil an subkutanem Fettgewebe gering, es überwiegen Intraabdominal- und Viszeralfett. Unter der Behandlung mit Pioglitazon nahm das viszerale Fettgewebe ab und die subkutanen Fettdepots zu. Die Verschiebung zugunsten des unter der Haut befindlichen Fetts könnte wie eine Art Staubsauger wirken, der Triglyceride und freie Fettsäuren aus dem Plasma abfängt und ihre Ablagerung in der Muskulatur verhindert.

Zunächst nur als Kombination

Der Arzneimittelausschuss der europäischen Zulassungsbehörde EMEA hat im Oktober Pioglitazon (Actos) kombiniert mit einem Sulfonylharnstoff bzw. Metformin zur Behandlung des Typ-II-Diabetes in Europa zugelassen. Seit 1. November befindet sich das Präparat auch in Deutschland im Handel. Es wird einmal täglich eingenommen und steht in Dosen von 15 und 30 mg zur Verfügung.

In den USA und in der Schweiz ist Pioglitazon neben den genannten Kombinationen auch als Monotherapie und in der Kombination mit Insulin zugelassen. Studien, die diese Zulassungen auch in der EU ermöglichen sollen, laufen derzeit.

Checkliste Insulinresistenz

Indikatoren für eine Insulinresistenz sind: HbA1c > 6,5% Blutglucose < 100 mg/dl Body Mass Index > 24 bei Frauen, > 25 bei Männern Triglyceride > 150 mg/dl HDL-Cholesterin < 46 mg/dl Blutdruck >130/80 mmHg

Wo besteht Beratungsbedarf?

  • Die Wirkung von Pioglitazon setzt verzögert ein. Die volle Wirksamkeit wird erst nach etwa 12 Wochen erreicht. Patienten, die Pioglitazon erhalten, sollten hierauf hingewiesen werden, um zu vermeiden, dass sie das Präparat frühzeitig wieder absetzen, weil es "nicht wirkt".
  • Die Gewichtszunahme, die unter der Behandlung mit Pioglitazon beobachtet wird, kann zu Complianceproblemen führen. Um hier gegenzusteuern, sollte von Anfang an darauf hingewiesen werden, dass der Effekt auftreten kann und die Gewichtszunahme in Relation zu der antidiabetischen Wirkung gesetzt werden sollte.

Steckbrief Pioglitazon

Der Insulinsensitizer Pioglitazon ist seit 1. November unter dem Handelsnamen Actos in Deutschland im Handel. Er ist zunächst in Kombination mit Metformin bei Typ-II-Diabetikern und in Kombination mit einem Sulfonylharnstoff bei Patienten mit Unverträglichkeit auf bzw. Kontraindikation für Metformin zugelassen.

Pioglitazon wird einmal täglich eingenommen. Die Start- und Erhaltungsdosis liegt in der Regel bei 30 mg/d. Die Einnahme kann mahlzeitenunabhängig erfolgen. Eine Dosisanpassung für ältere Patienten ist nicht notwendig, ebenso auch nicht bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion.

Quelle: Nach Vorträgen von Prof. Dr. Werner Scherbaum, Düsseldorf, Prof. Dr. Hans-Dieter Janisch, Erlangen, und Dr. Reinhold Hübner, Aachen, auf der Einführungspressekonferenz "Insulinsensitizer in der Therapie des Typ-2-Diabetes: Actos durchbricht die Insulinresistenz jetzt auch in Deutschland" am 26. Oktober 2000 in Düsseldorf, veranstaltet von Takeda Pharma, Aachen.

Pioglitazon (Actos), das nach Rosiglitazon (Avandia) nun als zweiter Vertreter der so genannten Insulinsensitizer auf dem Markt ist, senkt den Blutzuckerspiegel, indem es die Insulinempfindlichkeit der glucoseverwertenden Gewebe erhöht. Pioglitazon ist in Deutschland zunächst in Kombination mit Sulfonylharnstoffen oder Metformin zur Therapie des Typ-II-Diabetes zugelassen. 

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