Arzneimittel und Therapie

Klinische Studie: Acetylsalicylsäure wirkt gegen Migräne

Acetylsalicylsäure und andere periphere Analgetika werden aufgrund klinischer Erfahrungen schon lange erfolgreich gegen Migräne eingesetzt. Die Wirksamkeit der Acetylsalicylsäure in Dosierungen von 1000 mg gegen Kopfschmerzen bei Migräneattacken wurde nun durch eine kontrollierte Studie belegt. Dies stellt die Empfehlungen zum Einsatz bei der Migräne auf eine neue Grundlage.

Die Migräne ist eine weit verbreitete Volkskrankheit und tritt häufiger als Diabetes oder Asthma auf, wird aber noch oft unterschätzt. Untersuchungen, die nach dem Auftreten von Migräneattacken in verschiedenen Zeiträumen, z.B. Monaten oder Jahren, fragen, ergeben unterschiedliche Daten zur Häufigkeit der Erkrankung. Für westliche Industrienationen kann angenommen werden, dass 8 bis 16% der Bevölkerung unter Migräne leiden. Frauen sind etwa 2,5- bis 3,1fach häufiger betroffen. Die Migräne gilt unter Epidemiologen als unterbehandelt, da die Zahl der verordneten Präparate mit der ausdrücklichen Indikation Migräne nicht ausreichen kann, um die erwartete Zahl der Migräniker wirkungsvoll zu behandeln. Nicht zuletzt durch diese Unterbehandlung verursacht die Krankheit relativ geringe direkte Kosten im Gesundheitssystem. Dem stehen die erheblich höheren indirekten Kosten gegenüber, die die Migräne durch Arbeitsausfälle verursacht.

Typische Symptomatik

Migräneanfälle kündigen sich bei vielen Betroffenen durch eine Prodromalphase mit individuell sehr unterschiedlichen Symptomen an. Diese können von Abgeschlagenheit bis zu Hyperaktivität reichen. Oft folgt eine Aura mit Seh- oder Sprachstörungen, Kribbelmissempfindungen oder Lähmungen, die bis zu eine Stunde andauern. Dann schließt sich die Kopfschmerzphase an, die 4 bis 72 Stunden dauert. Typisch sind starke, pulsierende, pochende Schmerzen, die oft einseitig auftreten. Sie werden durch körperliche Betätigung verstärkt. Häufige Begleitsymptome sind Übelkeit, Erbrechen sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit. Aufgrund dieser typischen Symptome kann die Migräne durch gezielte Befragung der Patienten diagnostiziert und von den vielen anderen primären Kopfschmerzerkrankungen, wie z.B. Spannungskopfschmerzen, unterschieden werden. Treten die charakteristischen Symptome auf, erübrigen sich aufwendige bildgebende Diagnoseverfahren. Dann sollte eine einfache neurologische Untersuchung ausreichen, um sekundäre Kopfschmerzerkrankungen auszuschließen.

Gängige Therapieempfehlungen

In den Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft werden schon seit etlichen Jahren periphere Analgetika zur Migränetherapie aufgeführt. Bei leichten und mittelschweren Migräneattacken werden 1000 mg Acetylsalicylsäure oder 1000 mg Paracetamol oder 400 bis 800 mg Ibuprofen empfohlen. Etwa 15 Minuten zuvor sollten 20 mg Metoclopramid oder 20 bis 30 mg Domperidon eingenommen werden, um die Magen- und Darmmotilität anzuregen. So soll das Analgetikum optimal zur Resorption kommen. Als Alternative für schwere Attacken stehen in erster Linie Triptane zur Verfügung. Nach Einschätzung von Prof. Dr. Hartmut Göbel, Schmerzklinik Kiel, benötigen etwa 7% der Migräniker Triptane, wenn auch nicht bei jeder Attacke. Die Unterscheidung zwischen den Schweregraden der Attacken gelingt den erfahrenen Patienten zumeist gut. Als Ziel der Therapie streben Experten der Schmerzklinik Kiel an, die Patienten im akuten Anfall möglichst vom Arzt unabhängig zu machen. Die früher verbreiteten Ergotaminderivate wurden in den neueren Therapieempfehlungen weitgehend von den wesentlich spezifischer wirksamen Triptanen abgelöst, da die Triptane ein günstigeres Verhältnis zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit aufweisen. Experten empfehlen die Ergotaminderivate daher nicht mehr für neue Migränepatienten. Patienten, die schon längere Zeit erfolgreich und ohne Nebenwirkungen mit Ergotaminen behandelt wurden, könnten diese aber weiterhin einsetzen.

Acetylsalicylsäure in der Migränetherapie

Als Wirkungsmechanismus der Acetylsalicylsäure bei der Migräne werden verschiedene Effekte im Rahmen von Entzündungsreaktionen und die Blockierung von Nozizeptoren, an denen die Schmerzempfindung entsteht, diskutiert. Acetylsalicylsäure kann und sollte bereits bei den ersten Anzeichen eines Migräneanfalls eingesetzt werden. Beim Einsatz in der Prodromalphase oder in der Aura kann sie die Intensität der späteren Schmerzphase wirksam vermindern. Die Triptane wirken dagegen nur in der Schmerzphase und sollten erst dann angewendet werden. Klinische Erfahrung und Studien sprechen klar für die hohe Dosierung der Acetylsalicylsäure bei Migräneattacken. Die vermeintlich schonendere Gabe in mehreren kleinen Einzeldosen gilt hier als unwirksam. Patienten wären dann allenfalls von möglichen Nebenwirkungen betroffen, ohne zu profitieren. Falls alle diese Therapieansätze versagen, können auch im späteren Verlauf der Kopfschmerzphase noch 1000 mg Acetylsalicylsäure intravenös gegeben werden. So lassen sich noch höhere Wirkstoffkonzentrationen aufbauen, als dies mit hochdosierter oraler Gabe möglich ist. Diese Maßnahme verspricht auch dann Erfolg, wenn die orale Gabe der gleichen Substanz zuvor wirkungslos blieb. Eine weitere Dosiseskalation ist hingegen nicht wirksamer.

Neue Acetylsalicylsäure-Brausetabletten

Die Wirksamkeit peripherer Analgetika in Kombination mit Metoclopramid bei Migräne wurde in den zurückliegenden zehn Jahren in mehreren Studien belegt. Im Unterschied zu der bisherigen Therapieempfehlung wurde die Acetylsalicylsäure in einer kürzlich abgeschlossenen Studie ohne vorherige Gabe von Metoclopramid untersucht. Zum Einsatz kam eine neu formulierte Brausetablette mit einem Zitronensäure-Natriumcitrat-Puffersystem mit erhöhter Säurebindungskapazität. Die Lösung der Brausetablette hat einen pH-Wert zwischen 5,8 und 6,2. Durch die Anhebung des pH-Wertes wird die Magenentleerung beschleunigt. Von dieser Zubereitung wird erwartet, dass der Wirkstoff auch ohne Zusatz eines weiteren Motilitätsverstärkers im Migräneanfall hinreichend verfügbar wird. Die untersuchte Formulierung wird im August als Aspirin Migräne in den Handel eingeführt. Nach Auskunft von Dr. Uwe Gessner, Bayer Vital, Köln, unterscheidet sich die neue Zubereitung von den bisher handelsüblichen Brausetabletten mit Acetylsalicylsäure und Ascorbinsäure durch den optimierten Puffer und die höhere Dosierung, bei der zwei Brausetabletten mit je 500 mg Acetylsalicylsäure eine Einzeldosis für einen Migräneanfall darstellen. Außerdem wäre für eine Kombination mit Ascorbinsäure eine Zulassung gegen Migräne kaum zu erwarten gewesen.

Neue Studie

Die Studienergebnisse bestätigen die Erwartung, dass hier auf einen zusätzlichen Motilitätsverbesserer verzichtet werden kann. In der multizentrischen, randomisierten, doppelblinden Studie wurden 343 Patienten (davon 83,4% Frauen) zwischen 18 und 65 Jahren, die seit mindestens einem Jahr unter Migräne mit oder ohne Aura litten, untersucht. In der Verum-Gruppe ging bei 55% der Patienten der Kopfschmerz zwei Stunden nach Einnahme vom Grad 2 (mäßig starke Schmerzen) oder 3 (starke Schmerzen) auf Grad 0 (keine Schmerzen) oder 1 (leichte Schmerzen) zurück, im Vergleich zu 36,8% in der Plazebo-Gruppe. Der Unterschied ist statistisch signifikant. Nach diesem Kriterium wurden in der Vergangenheit auch andere Wirkstoffe gegen Migräne, insbesondere Triptane, getestet. Die Erfolgsrate von 55% liegt in der Größenordnung der Erfolge früherer Studien, in denen Acetylsalicylsäure gemeinsam mit einem Motilitätsverbesserer eingenommen wurde. Auch die Erfolgsraten der Medikation mit Triptanen liegen auf diesem Niveau. Die Erfolgsrate von Plazebo ist mit 36,8% deutlich größer als in anderen Studien zur Migräne. Als Plazebo wurde hier eine Brausetablette mit dem gleichen Puffersystem wie das Verum eingesetzt. Möglicherweise erklärt dies einen Teil des Effektes. Das Verum wirkt zudem günstig auf die Lichtempfindlichkeit. Hinsichtlich der Nebenzielkriterien Übelkeit und Erbrechen war das Verum dagegen nicht signifikant überlegen. Daher ist die neu zugelassene Brausetablette ausdrücklich zur Anwendung gegen die Kopfschmerzphase der Migräne bestimmt.

Neuer Weg zur eigenverantwortlichen Therapie

Die Studie eröffnet damit erstmals eine zuverlässig gesicherte Therapie von Migräneanfällen allein mit einer nicht verschreibungspflichtigen Substanz. Dies kann als großer Schritt zu einer eigenverantwortlicheren Therapie der Migräne angesehen werden, doch setzt dies eine vorherige zuverlässige ärztliche Diagnose voraus. Besonders in Hinblick auf die Selbstmedikation muss vor den Gefahren arzneimittelinduzierter Kopfschmerzen gewarnt werden. Nach Erfahrung von Prof. Göbel kann jedes wirksame Migränetherapeutikum - ob peripheres Analgetikum, Ergotamin oder Triptan - prinzipiell arzneimittelinduzierten Kopfschmerz auslösen. Dies ist ein Dauerkopfschmerz, der die Migräne noch zusätzlich überlagern kann. Um dies zu verhindern, sollen Schmerzmittel an höchstens zehn Tagen im Monat eingenommen werden. Diese Grenze hat sich im Vergleich zu einer monatlichen Maximaldosis als aussagekräftiger erwiesen. In diesem Zusammenhang muss dringend vor Missverständnissen gewarnt werden, die sich aus jüngsten Darstellungen in Massenmedien ergeben können. Acetylsalicylsäure darf keinesfalls als Prophylaktikum gegen Migräne eingesetzt werden. Zur langfristigen Migräneprophylaxe dienen dagegen andere Substanzen wie beispielsweise Beta-Blocker oder Flunarizin. Allerdings sollten Migränepatienten periphere Analgetika möglichst frühzeitig zu Beginn eines Anfalls einnehmen, um eine möglichst gute Wirkung zu erzielen.

Kastentext

Acetylsalicylsäure bei Migräne

Aspirin Migräne ist das erste Monopräparat mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure, das die Zulassung für die Indikation Migräne erhalten hat. Es kommt im August diesen Jahres auf den Markt und ist ohne Rezept erhältlich. Eine Brausetablette enthält 500 mg Acetylsalicylsäure, zwei Stück davon sollen bei einem Migräneanfall eingenommen werden. Neu ist die Formulierung der Brausetablette. Das enthaltene Puffersystem hebt den pH-Wert des Magens an und beschleunigt auf diese Weise die Magenentleerung. Der Wirkstoff soll somit auch ohne Zusatz eines Motilitätsverstärkers wie Metoclopramid im Migräneanfall ausreichend verfügbar sein. Für die Patienten bringt dies eine Erleichterung, da sie in der Selbstmedikation auf ein verschreibungsfreies Präparat zurückgreifen können, Motilitätsverstärker sind nur auf Rezept erhältlich. Dass bei der Einnahme von Aspirin Migräne tatsächlich auf die zusätzliche Gabe eines Motilitätsverstärkers verzichtet werden kann, zeigte eine neue Studie. Die Erfolgsrate des Monopräparates war vergleichbar mit der aus früheren Studien, die mit ASS plus Motilitätsverbesserer durchgeführt wurden.

Aspirin Migräne kann jedoch nicht als neues "Wundermittel" gegen Migräne bezeichnet werden, wie es gerade in der Laienpresse angepriesen wird. In den Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft werden schon seit etlichen Jahren Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Ibuprofen bei leichten und mittelschweren Migräneattacken empfohlen. Bei schweren Attacken werden auch weiterhin in erster Linie die stärker wirksamen Triptane eingesetzt werden.

Acetylsalicylsäure und andere peripher wirksame Analgetika werden aufgrund klinischer Erfahrungen schon lange erfolgreich gegen Migräne eingesetzt. Die Wirksamkeit der Acetylsalicylsäure in Dosierungen von 1000 mg gegen Kopfschmerzen bei Migräneattacken wurde nun durch eine kontrollierte Studie belegt. Mit Aspirin® Migräne ist jetzt ein freiverkäufliches Acetylsalicylsäurepräparat zur Behandlung der Migräne zugelassen worden. Die Kombination mit einem (verschreibungspflichtigen) Motilitätsverstärker ist durch die neue Galenik nicht mehr notwendig.

1 Kommentar

Migräne

von Sonja am 24.06.2019 um 8:22 Uhr

Mein Orthopäde in Langenfeld hat mir mal geraten, Akupunktur zu probieren, da es bei Migräne auch helfen soll. Jedoch bin ich mir noch nicht ganz sicher..

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